Fetter Lesestoff zum Internationalen Anti-Diät-Tag

Dieser Text ist Teil 140 von 140 der Serie Die Feministische Bibliothek

1992 bekam die Fat Acceptance/Fat Positivity-Bewegung so etwas wie einen offiziellen Aktions­tag, den Internationalen Anti-Diät-Tag. Aus­gerufen hatte ihn die britische Autorin Mary Evans Young, die zwei ausschlaggebende Gründe für ihre Idee zu diesem Tag nannte: Zum einen sah sie im Fernsehen, wie eine junge Frau schon zum dritten Mal eine Magen­verkleinerungs­operation durchführen ließ, weil sie jo-jo-mäßig das abgenommene Gewicht immer wieder zugenommen hatte. Kurze Zeit später las sie vom Suizid einer Jugendlichen, die wegen ihres Gewichts gemobbt worden war. In ihrer Wut gab Young eine Presse­mitteilung mit den Worten: »Fette Frau beißt zurück« heraus und wurde daraufhin in eine Fernseh­show eingeladen. Am Ende des Interviews sagte sie eher spontan als geplant: »Vergesst nicht, den Anti-Diät-Tag zu feiern!«

fetter_widerstand in Frankfurt/Main

Seit 1992 gibt es an diesem Tage Veranstaltungen, Fat-Flashmobs, Eat-ins oder einfach nur Zusammen­künfte gut­gelaunter Menschen, weil dieser Tag daran erinnern soll, dass nicht irgendein Unter­nehmen, das viel Kohle mit Diät­mitteln verdienen möchte, über unser Wohl­befinden und Körper­gefühl bestimmen sollte, sondern wir selbst. Zu den Zielen des Tags gehören das Feiern von Körpervielfalt und Anti­diskriminierungs­initiativen sowie Aufklärungs­kampagnen über die Gefahren von Diäten, die Kritik an Schönheits­idealen und das Gedenken an die Opfer der Adipositas­chirurgie, die heute nicht mehr unter uns weilen. Es geht also nicht darum, Menschen für ihre Diät­erfahrungen zu beschämen, sondern vielmehr darum, auf die sexistischen Profit­logiken der Diätindustrie aufmerksam zu machen und diese zu skandalisieren.

Nicht nur an diesem Tag, aber heute ganz besonders, nehme ich gerne Lese­stoff zur Hand. Die Bücher, die mich in den letzten Jahren begleitet haben, stelle ich hier vor: Es ist ein Mix aus wissen­schaftlicher und politischer Literatur, Romane, Memoiren, Zines und Graphic Novels auf Deutsch und auf Englisch für jüngere und ältere Leser*innen.

Hast du ein Lieblingsbuch? Ab damit in die Kommentare!


2013 erschien Beth Dittos Autobiographie »Heavy Cross« auf Deutsch, Englisch und Französisch. Es ist bis heute eines meiner liebsten Bücher, weswegen ich damals schon ganz unironisch schrieb: „Dies ist keine Rezension, sondern eine Liebes­erklärung. Kann Spuren von grenzen­­loser Bewunderung ent­halten.“

Auf ziemlich beein­druckende – und bedrückende – Weise schildert Ditto ihr Leben als junges Mädchen und Teenager in einer Gesell­schaft, in der Gewalt weg­­geschwiegen und jede Abweichung von der Norm aufs Brutalste geahndet wird. Sie be­schreibt Armut, körperliche und sexualisierte Gewalt, Sexismen und Homo­­feind­lichkeit, aber auch ihre ersten musikalischen Erfolge sowie ihr feministisches und fat Empowerment.


Davide Calìs anfangs traurige und dann herz­­erwärmende Geschichte verdeutlicht, wie Kinder durch Diskriminierung ein­geschränkt werden und wie dies dazu führen kann, dass sie sich selbst nichts mehr zutrauen. Durch die Unter­stützung des Schwimm­­lehrers fasst die junge Haupt­protagonistin Wanda wieder Selbst­­vertrauen und nutzt ihre Vorstellungs­­kraft, um das zu schaffen, was sie erreichen möchte. Es ist eine empowernde Geschichte, die den Fokus allerdings auf individuelle Stärke setzt. Die Zeichnungen von Sonja Bougaeva begleiten Wanda farbenfroh und lebhaft auf ihrem Weg und machen diese Geschichte von »Wanda Walfisch« besonders.

Für Kinder ab fünf Jahren.


2017 erschien der wissenschaftliche Sammelband »Fat Studies in Deutschland. Hohes Körper­gewicht zwischen Diskriminierung und Anerkennung«.

Es ist das erste wissen­schaftliche Sammel­band zu den deutsch­sprachigen Fat Studies und kann sich sehen lassen: Neben Wissen­schaftlerinnen kommen zu diesem Thema auch Sozial­pädagoginnen, Expertinnen aus der Mädchen­arbeit, Künstlerinnen und Fat Aktivistinnen zu Wort, was sich in der Themen­vielfalt, der Sprache und den Perspektiven nieder­schlägt und die Lesefreude erheblich erhöhte.


Die Soziologin Sabrina Strings analysiert in ihrem Buch »Fearing the Black Body – The Racial Origins of Fat Phobia« Kunstwerke, Zeitungsartikel, wissenschaftliche Literatur und medizinische Fachzeitschriften und analysiert die dickenfeindlichen Darstellungen Schwarzer Frauen ausgehend von der Zeit der Aufklärung, als hohes Körpergewicht von Schwarzen Menschen und Fett als Zeichen von „Wildheit“ und „Minderwertigkeit“ konzeptualisiert wurde.

Strings argumentiert, dass es bei Verständnissen und Analysen von Körpergewicht selten um Gesundheit geht, sondern vielmehr darum, Körperform oder -gewicht als Platzhalter für Vorurteile in Bezug auf race, Klasse und Geschlecht zu nutzen. Das zeitgenössische Ideal von Schlankheit sei im Kern rassifiziert und rassistisch, so Strings These. Ein lesenswertes Buch, insbesondere für jene, die sich wissenschaftlich/politisch mit Körpernormen auseinandersetzen.


Unglaublich witzig und unterhaltsam ist Gabourey Sidibes Buch »This Is Just My Face. Try Not To Stare«. Schonungs­los und über­raschend offen erzählt die Schauspielerin („Precious“, „Empire“) von den Höhen und Tiefen ihres Leben: von der Ehe ihrer Eltern, dem Auf­wachsen in einer kleinen Bude in Harlem, ihrer Vorliebe für Oreo-Kekse und ihren selbst­geschriebenen Fan-Fiction-Geschichten über die Boy Band *NSYNC, von ihrem Call­centerjob in der Telefon­sexbranche und den schrägen Erlebnissen auf ihrem außer­gewöhnlichen Weg zum Ruhm.

Dickenfeindliche Kommentare kontert sie mit Humor, Augen­rollen und Schlag­fertigkeit. Nachdem sie beispielsweise viel Gewicht verlor und die Presse über nichts anderes mehr berichtete, forderte sie ihre Fans und die Medien­schaffenden dazu auf, ihr nicht mehr zu gratulieren und sagte in einem Interview mit Refinery 29: »Wenn du mir zu meiner Gewichts­abnahme Glückwünsche sendest, dann gratuliere mir auch jedes Mal, wenn ich pinkle oder rülpse«.


California Dreamin‘ – der Klassiker von The Mamas & the Papas pflanzt sich freiwillig oder unfreiwillig ins Ohr und ruft melancholische Assoziationen von Hippies, Blümchen & Welt­frieden hervor. Die KünstlerInnen hinter dem Song sind weniger bekannt, am ehesten noch die grandiose Sängerin Cass Elliot („Mama Cass“), die bereits mit 32 Jahren verstarb.

Ihrem Leben und ihrem musikalischen Erbe ist eine 2016 erschienene Graphic Novel gewidmet: »California Dreamin‘. Cass Elliot und The Mamas & the Papas« von der französischen Comic-Zeichnerin Pénélope Bagieu.


Roxane Gay sagte mal, dass dieses Buch das Schwierigste war, was sie je geschrieben hat, weswegen sie das Veröffentlichungs­datum immer wieder nach hinten verschoben hatte. »Hunger« ist eine fast schmerzhaft ehrliche Abrechnung mit einer Gesell­schaft, die keinen Platz macht für Körper, die aus der Norm fallen. Genauso hart geht sie mit sich selbst ins Gericht und untersucht fast mikros­kopisch ihr eigenes Verhältnis und das ihrer Familie zu ihrem Körper.

Gays Buch, das 2019 auf Deutsch erschienen ist, ist wahrlich keine leichte Kost, und in Teilen auch streit­bar, aber ein sehr ein­dringlicher und persön­licher Bericht über ihre täglichen Kämpfe und ihre Wut auf die kleinen und großen Barrieren des Alltags.


Auf die Autorin und Perfomerin Sonya Renee Taylor aufmerksam geworden bin ich vor einigen Jahren über ihr Spoken Word The Body Is Not An Apology, im letzten Jahr erschien dann auch ihr gleichnamiges Buch: »The Body Is Not An Apology. The Power of Radical Self-Love«.

“Survival is damn hard,” schreibt sie in der Einleitung des Buches und meint damit die Schwierigkeiten, die entstehen, wenn Körper als Quelle von Scham oder Störungen verstanden werden.  In mehreren Essays schreibst sie über radikale Selbstliebe (was es ist und was es nicht ist), Scham und die Beziehung zum eigenen Körper.

Ihr neuestes Buch »Celebrate Your Body (And Its Changes, Too!) The Ultimate Puberty Book for Girls« richtet sich an junge Mädchen und Jugendliche und sieht vielversprechend aus (beide Bücher bisher nur auf Englisch erschienen).


Der britischen Forscherin und Fat-Aktivistin Dr. Charlotte Cooper haben wir das tolle Zine »A Queer And Trans Fat Activist Timeline« zu verdanken, ein selbst­gemachtes Heftchen über die (dokumentierte) Geschichte von Fat Aktivismus in den vergangenen Jahr­zehnten.

2010 organisierte Cooper einen Workshop, um gemeinsam mit den Teil­nehmer*innen wichtige Daten zu queerer und trans fett-aktivistischer Geschichte zu sammeln. Daraus ist dieses Zine entstanden. Auf charlottecooper.net gibt es eine online Version und eine Audio-Version des Zines. Das Zine erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, doch bereits der Ausschnitt zeigt die Vielfalt und Lebendigkeit der Bewegung auf.


Diskriminierung beim Kleiderkauf, beim Essen in der Öffentlichkeit, auf der Bühne oder in zwischenmenschlichen Beziehungen – die dänische Komikerin Sofie Hagen schreibt in ihrem ersten Buch »Happy Fat« über ihre Erfahrungen als dicke Frau.

Das Memoir besteht aus vielen persönlichen Anekdoten, mal eindringlich, mal traurig, mal ironisch oder analytisch. Dabei schafft sie gut den Spagat zwischen individuellen Handlungsstrategien und struktureller Kritik.

»Happy Fat« erscheint im Mai 2020 auf Deutsch.


Fine ist aufgeweckt und fröhlich. Doch andere Kinder machen sich über ihren Körper lustig, was Fine ziemlich traurig macht. Eines nachts tritt Ballula Kugelfee in Fines Leben. Sie nimmt Fine mit auf eine phantasievolle Reise und gemeinsam entdecken sie eine rundherum runde Welt. Es ist ein niedliches Buch, das sich positiv auf „runde“ Dinge bezieht und einen empowernden, liebevollen Blick kultiviert. Schön ist, dass Fines Gewicht nicht problematisiert wird und die Fee auch „kugelrund“ ist. Eine Verantwortungsübernahme der mobbenden Kinder erfolgt allerdings nicht – ähnlich wie in »Wanda Walfisch« (weiter oben).

Für Kinder ab drei Jahren.


Eine lesbische Fa(t)shion Sommer Story, die ich super gerne als Jugendliche gelesen hätte: In »The Summer of Jordi Perez« geht es um die mode­begeisterte 17-jährige Abby Ives, die einen Plus Size Blog hat, ihr erstes Praktikum absolviert, und sich in ihre Mit-Praktikantin verknallt: die ernste und geheimnis­volle Fotografin Jordi Perez. Nebenbei probiert sie mit ihrem Kumpel Jax die besten Burger von Los Angeles und trägt die schönsten Kleider. Endlich mal eine Geschichte, in der lesbisches Begehren und Dicksein nicht mit unerträglichen und niemals endenden Selbst­zweifeln oder Identitäts­konflikten dar­gestellt wird, sondern als komplexe Realitäten, mit Höhen und Tiefen.

Eine herzerwärmende und romantische Liebes­geschichte, die nicht nur jugend­liche Leser*innen erfreut.


Obwohl der Titel von Leah Vernons Buch »Unashamed« lautet, kämpft Leah schon seit ihrer Kindheit gegen ihre Unsicherheiten und mit den gesellschaftlichen Erwartungen, die an dicke Schwarze muslimische Frauen gestellt werden.

Vernon teilt intime Details aus ihrer hetero Ehe, schreibt über häusliche Gewalt, finanzielle Kämpfe und die schwierige Beziehung zu ihrer Mutter. Sie erzählt, wie sie online und auf der Straße verspottet, objektiviert und belästigt wurde. Da sind aber auch bestärkende Momente, zum Beispiel durch Mode. Das Memoir nimmt dünne, weiße Privilegien kritisch in den Blick und brilliert besonders durch seine teils schmerzhafte Offenheit. Ein tolles Buch!


Last but not least: Nix zum Lesen, aber zum Gucken, Ausmalen und Anschmachten! <3

»Big-Bellied Merbabes – A Body Positive Coloring Book« von Rachelle Abellar ist ein echter Hin­gucker. Die Designerin, Aktivistin und Zine-Liebhaberin hat die über 20 fantasievollen Zeichnungen echten Models nach­empfunden und das Buch in Eigen­regie heraus­gegeben. Es zeigt Meerjungfrauen in unterschiedlichen Posen und eignet sich für Ausmal-Fans aller Alters­gruppen.

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