Bevor wir uns in die Winterpause verabschieden, möchten wir noch einmal mit einer Text-Zusammenstellung auf das Jahr zurückblicken. Welche Themen haben viel Raum eingenommen? Welche Aspekte waren uns wichtig? Worüber haben wir uns geärgert, worüber haben wir gelacht? Beim virtuellen Blättern durch die Archive tauchte häufig folgender Gedanke auf: Was, das war alles in diesem Jahr? Ja, war es. Deshalb haben wir auch zwei Beiträge daraus gemacht: hier gab es Teil eins, heute nun der zweite Teil.
Juli
Seit Ende Juni protestierten Geflüchtete in München gegen die aktuelle Gesetzeslage für Asylsuchende. 95 Prostestierende des Camps auf dem Rindermarkt traten in den Hungerstreik. Das Camp wurde schließlich gewaltsam von der Polizei geräumt, und Münchens Oberbürgermeister Ude (SPD) kommentierte dies so: „Da das Münchner Hungerstreikdrama beendet werden konnte, komme ich heute Abend nun doch ins Festzelt in Rothenburg ob der Tauber.“ Weiter sprach er in seinem Statement geflüchteten Frauen jegliches eigenständiges politisches Engagement ab.
Für unsere in diesem Jahr neu eingerichtete Reihe „(Mein) Fett ist politisch“ führte Magda ein Interview mit der Fat-Aktivistin Virgie Tovar, unter anderem über „Das politische Potential von Fat Fashion“ (in deutscher Übersetzung und im englischen Original). Im „Fettcast #1“ nahmen Magda und Ragni dann Erfahrungen mit Fat Shaming und Fat Empowerment unter die Lupe.
Dustin Hoffman stellte fest, dass Sexismus existiert, und fand das irgendwie traurig (…vor allem für ihn ganz persönlich). Anna-Sarah schrieb in „Dustin weint, die Welt jubelt“ über die Kekse, die Hoffman und andere für ihr Pseudo-Ally-Sein erhalten.
Am 14. Juli sprach eine Jury in Florida George Zimmerman vom Mord/Totschlag an Trayvon Martin frei. accalmie kommentierte die Entscheidung und ihre Implikationen: „Zum Freispruch für George Zimmerman.“
Eine Woche später verabschiedete sich die Mädchenmannschaft dann in die Sommerpause – und zwar mit einem Podcast. Im „Sommerpausen-Podcast“ besprachen accalmie, Anna-Sarah, Charlott, Nadine und Sabine einige Ereignisse und Aktionen der bis dato vergangenen Monate; der Schwerpunkt lag aber auf der Frage, was es für uns bedeutet, „Feminismus im Netz“ zu machen.
August
Mit der Thematik Flucht und Asyl ging es im August direkt weiter: Charlott kommentierte den Fail der ZDFNeo-Sendung „Auf der Flucht – das Experiment“, in der C-Promis gefahrlos „Fluchterfahrung“ spielten. In einem eindrücklichen Essay über Menschenrechte hielt indes Sabine die „Schöne neue Welt – ‚Hellcome to Germany'“ fest. Am 22. August 2013 jährte sich zum 21. Mal die faschistische Gewalt gegen Asylsuchende in Rostock-Lichtenhagen, während in Berlins Stadtteil Marzahn-Hellersdorf Anwohner_innen ankommenden Geflüchteten den Hitlergruß entgegneten und in Duisburg Roma bedroht und gewaltsam angegriffen wurden. Viruletta schrieb ausführlich über die „Antiromaistischen Zustände in Duisburg #indenpeschen“ – und über die Brandstiftung, die im Oktober achtzehn Menschen verletzte.
Warum „männliche Schwangerschaft nicht abschreckend“, sondern die so gestaltete Plakat-Aktion in den USA kontraproduktiv und cis-sexistisch ist, schrieb Lisa hier.
Außerdem im August: Amina Sboui verließ die FEMEN – Nadia berichtete; und Gastautorin Salomé nahm den „Cultural Appropriation-Fall Nr. 89532791 (diesmal: Alvede)“ auseinander.
September
Am 1. September organisierte Pinkstinks Deutschland eine Großdemo in Berlin gegen Sexismus in der Außenwerbung. Auch, dass die Mädchenmannschaft diese nicht bewarb, löste einige Diskussionen über Aktionsformen und Solidarität aus, zu der Nadia in „Demos and all the Fails: It’s not my Party, but I cry if I want to“ Stellung nahm.
Die Gastautor_in Lea kontextualisierte und kritisierte das Personenstandsrecht-Änderungsgesetz, das im November in Kraft trat und als „Revolution“ gefeiert wurde – obwohl es vor allem jenen schade, für die es „gedacht“ war: Intersex-Menschen.
Am 22. September fand die Bundestagswahl statt und Charlott war deren Mädchenmannschafts-Korrespondentin: einen Monat zuvor stellte sie mit „Die Wahl haben?“ verschiedene Informationsangebote für Wahlberechtigte zusammen; später berichtete und kommentierte sie Erika Steinbachs (CDU) (un?)erstaunlich widerliche Aussagen zu Vergewaltigung in der Ehe und der „freiwilligen Sexualgemeinschaft“; am Tag nach der Wahl konnte man ihre kritischen Notizen zu jener lesen und schließlich verabschiedete Charlott die Ex-Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Kristina Schröder, ohne ihr eine Träne nachzuweinen.
Nicht nur der Samstagabendbeat, auch Playlists wie die Top 20 von Sabine oder die deutschsprachige Playlist von Anna-Sarah rufen immer wieder Diskussionen um Musik und Empowerment hervor. In ihrem Artikel „Let’s dance, Ambivalenz! Feministisch Musikhören“, nahm Anna-Sarah diese Debatte auf. Parental Advisory: Explicit Content!
Lesbische Geschichten sichtbar machen: Magda stellte die Filmreihe „LESgenden“ vor, die die (Lebens-/Aktivismus-)Geschichten lesbischer Protagonistinnen dokumentiert.
Oktober
Gastautorin Franzi plädierte dafür, offen über Krankheiten zu sprechen, und begann mit einem Informations-Artikel zum HPV.
Nadine schrieb über den „Mythos der unverdienten Privilegien“, wie z.B. weiße Privilegien, und warum Verantwortungsübernahme notwendig ist.
Selam Kidanes Gedicht, „Totes Mittelmeer: Nummer 92…“, gedachte der ertrunkenen Menschen des Massenfriedhofs der Menschenrechte.
Gastautorin Sophie und Magda thematisierten in ihren Beiträgen zwei Filme, die mit ableistischen, normativen Gewohnheiten brachen: Sophies Artikel „Desiring Disability“ stellte „The Last Taboo“ vor; Magda „Auf den zweiten Blick“.
Sharon Dodua Otoo schrieb in ihrem Gastbeitrag über Kommunikation, Sprachpolitik und warum wir die Definitionsmacht haben.
Dass das Netz kein machtfreier Raum ist, stellte Magda noch einmal Ende Oktober klar. In unserer Reihe „Feminismus im Recht“ nahm Maria im November das Thema „Safe Cyber Spaces“ dann noch einmal auf und fragte: „Ist das Netz unser Bahnhof?“
In der Reihe „Applaus für…“ spendete Charlott jenen an Preisträgerin Lara Fritzsche, deren Dankesrede für den Katholischen Medienpreis nicht nur Kritik an Politiken der katholischen Kirche übte, sondern Fritzsche spendete ihr Preisgeld an das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung.
November
Debatten über Sexarbeit und die „Gegen Prostitution“-Kampagne der EMMA bestimmten den frühen November. Anna-Sarah diskutierte in ihrem Artikel „Jenseits von choosing my choice und käuflichem Geschlecht: Feministische Debatten über Sexarbeit“ oftmals vernachlässigte Komplexitäten.
Die Pressemitteilung von LesMigras, GLADT, e.V., ReachOut und anderen Aktivist_innen wurde in einem Gastbeitrag re-publiziert: die Pressemitteilung kritisiert die wiederholte Gewalt Berliner Polizist_innen gegen Trans* of Color und fordert die Polizei auf, „die selbstbestimmte geschlechtliche Identität (von Trans* und Inter*-) Menschen uneingeschränkt zu respektieren und derartiges diskriminierendes und gewaltvolles Verhalten“ sofort einzustellen.
Nadine reflektierte die Frage, was Feminismus für eine_n ganz persönlich bedeute, und warum Feminismus ein Prozess ist.
Melissa McEwans Artikel, „I Wouldn’t Even If I Could“, der auf ihrem Blog Shakesville erschien und die systematische Diskriminierung und das Fat Shaming dicker_fetter Menschen problematisiert, wurde von Anna-Sarah übersetzt: „Einfach ignorieren? Selbst wenn ich könnte, würde ich nicht.“
Zum Tod Doris Lessings stellte Charlott die Autorin, ihr Oeuvre und ihre Politiken in unserer Reihe „Wer war eigentlich…“ vor: „Keine feministische Ikone. Zum Tod von Doris Lessing.“
In unserer Reihe „Feministische Bibliothek“ rezensierte Magda den Konferenzband „Schneewittchen rechnet ab: Feministische Ökonomie für anderes Leben, Arbeiten und Produzieren“. Einige zentrale Fragestellungen des Buchs sind dabei: Was kann (queer-)feministische Ökonomie leisten? Wo stößt sie an Grenzen und wie kann eine sinnvolle Weiterentwicklung gedacht werden? Welche Alternativen der Arbeit und der Produktion gibt es? Ganz grundsätzlich fragten wir uns: Wie wollen wir eigentlich leben?
Charlott rezensierte derweil den Koalitionsvertrag der CDU/CSU und SPD und kam zum Fazit: it ain’t pretty (es ist nicht schön). Genauso wenig wie ständige Frauenquoten-Witze – auch, weil die Vorstandsquote der Großen Koalition nur als „emanzipatorisches Feigenblättchen“ diente.
Emanzipatorische Feigenblätter scheinen auch institutionalisierte Diversity-Beauftragtenstellen, z.B. an Universitäten zu sein. In „Privilegiertes Unwohlsein“ thematisierte accalmie (alltags-)rassistische Abwehrreflexe und übersetzte Chaun Websters Artikel zu Prof. Shannon Gibney, die aufgrund der Beschwerden von zwei weißen Studenten zu einem Diversity-Nachhilfekurs geschickt wurde, da diese sich durch die Thematisierung von strukturellem Rassismus während ihres Seminar angegriffen fühlten.
Dezember
Was eine Studie vor zwei Jahren bereits zeigte, kommt 2014 auch in Beipackzetteln für einige „Pille danach“-Präparate an: beispielsweise NorLevo ist nur voll wirksam bis zu einem Körpergewicht von 75 Kilogramm. Das Problem, dass bestimmte Präparate nur bis zu einer bestimmten Gewichtsgrenze angelegt sind und getestet werden, nahm PETA indes zum Anlass für eine vegane Fat Shaming-Kampagne. Charlott schrieb daher über „Von Plan B zu Plan V: Der neueste Peta-Fail.“
A propos Fat Shaming – was für einen verfrühten Aprilscherz gehalten werden könnte, meinen Forscher_innen im Auftrag von Microsoft Ernst: sie haben einen BH entworfen, dessen eingebaute Sensoren die Herz- und Atmungsfrequenz der tragenden Person ermitteln, um bei einem Anstieg an Stress-Symptomen diese Person vom Essen abzuhalten. accalmie schrieb über die problematischen Vorannahmen und Implikationen dieses Diät-BHs.
Zum Tod Nelson Mandelas am fünften Dezember blickte Charlott zurück auf die Interdependenzen von Mandelas Anti-Apartheids- und Frauenpolitiken:
„Denn frei zu sein bedeutet nicht einfach sich von den eigenen Ketten loszureissen, sondern in einer Weise zu leben, die die Freiheit anderer respektiert und erweitert.“
Noch im November schien Pussy Riot-Aktivistin Nadezhda Tolokonnikova verschollen im Gefängnis-System Russlands. Im Dezember gab es nun die Neuigkeit, dass durch ein neues Amnestie-Gesetz unter anderem mehrere Tausend Menschen freigelassen würden, unter ihnen auch Tolokonnikova und Marina Alyokhina (ein weiteres Pussy Riot-Mitglied), und außerdem rund 17 500 Menschen ohne Freiheitsstrafe Amnestie erfahren würden.
In einem crosspost schrieb Gastautorin Mela der Spiegel Online-Autorin Silke Burmester einen Offenen Brief bezüglich deren Ableismus-Entschuldigungs-Plädoyer.
Zuletzt stellte Charlott Angela Davis‚ Gastprofessur am Cornelia Goethe Centrum in Frankfurt am Main vor – ihre Antrittsvorlesung ist als Video vollständig online.
Angesichts des letzten Blackface-Fails bei „Wetten, dass…“ vermuten wir fast, quasi im Kreisschluss im Januar 2014 wieder bei der Kinderbuchdebatte (siehe Januar 2013) bzw. Debatte um Rassismus in deutschen Medien anzukommen… Prophylaktisch möchten wir also abschließend noch zwei weitere Texte verlinken, die sich mit rassistischen Praktiken auseinandergesetzt haben: „Keine Frage der Haut“ der Gastautorin Simone Dede Ayivi im September diesen Jahres, sowie „Theater, Rassismus und ökonomische Strukturen“ der Gastautorin Bahareh Sharifi, der im November diesen Jahres erschien.
Vielleicht seht ihr aber schon ganz andere (gar schönere?) Themen auf uns alle zukommen? Wir freuen uns auf Kommentare und auf ein neues Jahr mit euch!