Wir haben die Definitionsmacht!

Sharon Dodua Otoo ist Schwarze Britin – Mutter, Aktivistin, Autorin und Herausgeberin der englischsprachigen Buchreihe „Witnessed“ in der edition assemblage. Sie ist aktives Mitglied in der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) e.V. Unter dem Namen Ms.Represented bloggt und twittert Sharon ebenfalls. Wir freuen uns über diesen Gastbeitrag zur Veränderung von Realitäten durch Wörter, der kürzlich ebenfalls bei Analyse & Kritik in der Sonderbeilage zu Critical Whiteness erschien.

Natürlich haben wir alle die Möglichkeit unsere Umwelt mit Sprache zum Positiven zu verändern – wie denn sonst? Sprache inspiriert! Dr. Martin Luther King sagte damals: „I Have a Dream!“ und nicht etwa „Ich habe da so eine vage Idee…“ Mit seiner Rede hat er Milliarden von Menschen weltweit erreicht und zum Teil erstmalig glauben lassen, ein Leben ohne Rassismus sei nicht nur erstrebenswert, sondern auch wirklich erreichbar. Und warum sonst achten wir auf Tonfall und Wortwahl, wenn wir uns für eine Arbeitsstelle bewerben? Warum genau freuen wir uns, wenn wir eine Person kennenlernen, die sich bemüht hat, ein paar Sätze in unserer Muttersprache zu lernen, wenn diese für sie sehr schwierig ist? Wie wir mit unseren Mitmenschen kommunizieren, hat auf jeden Fall einen großen Einfluss auf das, was um uns herum geschieht.

Sprache ist ohnehin lediglich ein Mittel zum Zweck. Eigentlich ist es unmöglich, unsere diversen Realitäten durch Sprache zu erfassen. Diejenigen von uns, die mehr als eine Sprache können, wissen, dass wir manchmal ein Gefühl, einen Gedanken oder ein Erlebnis besser in einer Sprache ausdrucken können als in der anderen. Manchmal existiert das Wort, das wir brauchen, auch ganz einfach nicht. Vermutlich sind wir ständig dabei haarscharf aneinander vorbeizureden bzw. zu kommunizieren. Unsere eigentliche Aufgabe wäre dann, nicht klare Absolute zu verhandeln, sondern geschickt(er) mit den Gegensätzen und Widersprüchen, die zum Alltag gehören, umzugehen – und uns so einer besseren Verständigung anzunähern.

Lässt sich Bewusstsein durch Wörter verändern?

In ihrem Artikel „Nur für Eingeweihte“ bezweifelt Wettig, dass es möglich ist, unser Bewusstsein durch unseren Sprachgebrauch zu ändern. Sie schreibt: „Welches Wort ich benutzte, ändert nichts, solange sich die Verhältnisse nicht ändern.“ Eine solche Behauptung kann nur von einer Person gemacht werden, die sich über ihre Privilegien nicht bewusst ist und der durch die vermeintlich „neutrale“ deutsche Sprache nicht täglich Gewalt angetan wird. Ich rede nicht für andere, doch meine Vermutung ist, dass die Eltern eines neugeboren Babys mit „uneindeutigen“ Geschlechtsmerkmalen sich sehr freuen würden, wenn sie auf die begeisterte Frage: „ist es ein Junge oder ein Mädchen?“ noch (mindestens) eine weitere Antwort geben könnten, die nicht sofort mit einem Defizit ihres Kindes in Verbindung gebracht werden würde. Und ich wünsche mir, als Cis-Frau, dass ich überhaupt das Wort „Cis“ bereits in meiner Kindheit kennengelernt hätte. Mir ist erst seit wenigen Jahren bewusst, dass es Menschen gibt, die sich weder als weiblich noch männlich definieren können_möchten oder die das ihnen bei der Geburt zugeschriebene Geschlecht nicht als passend empfinden. Durch die Verwendung der dominierenden Sprache habe ich gelernt, diesen Menschen ihre Existenz abzusprechen – eine gewaltvoller Akt. Intersex Babys werden zwangsoperiert, Transpersonen werden gemobbt, gehetzt, gefoltert und getötet. Ich tue anderen Menschen nicht gern Gewalt an und ich werde nicht gern dazu manipuliert, mich in eine solche Tradition einzureihen. Sprache macht es mir möglich, die Existenz von Inter- und Transpersonen anzuerkennen und durch die Verwendung des Gender Gaps habe ich die Möglichkeit zu signalisieren, dass ich mich im Kampf gegen diese Formen von Gewalt solidarisch zeigen möchte.

Das Leben für Menschen, die Diskriminierungserfahrungen ausgesetzt sind, ist ein Minenfeld. Wir machen viel zu oft schmerzhafte, negative Erfahrungen und noch dazu, wird unser Leid von der dominanten Gesellschaft nicht anerkannt. Darum entwickeln wir Strategien um zu erkennen, ob wir uns in bestimmten Kontexten sicher(er) fühlen können, oder nicht. Die verwendete Sprache unserer Gesprächspartner_innen – oder vielmehr die Wortwahl – ist ein relativ eindeutiger Hinweis dafür. Wer zum Beispiel 2013 in Deutschland nicht Schwarz ist und noch immer herkömmliche rassistische Bezeichnungen verwendet um Schwarze Menschen zu beschreiben, in der Überzeugung, dass diese einfach neutral sind, misst dem respektvollen Umgang mit den Belangen von Schwarzen Menschen in Deutschland offenbar keine große Priorität bei. Das muss natürlich nicht heißen, diese Person sei rechtsradikal. Es ist aber ziemlich wahrscheinlich, dass diese Person sich nicht sonderlich gründlich mit ihrer Positionierung in einer rassistischen Gesellschaft auseinandergesetzt hat. Somit haben diese Person und ich eine gänzlich andere Wahrnehmung von den Machtstrukturen innerhalb Deutschlands und wenige (um nicht zu sagen keine) gemeinsamen Anknüpfungspunkte um gegen diese anzukämpfen.

Kommunikation ist das was bei der anderen Person ankommt.

Es gilt anzuerkennen, dass bestimmte Wörter verbrannt sind. Das Wort „Endlösung“ können wir nicht mehr verwenden, um zum Beispiel über das Ergebnis einer Rechenaufgabe im Matheunterricht zu sprechen, denn es hat eine grausame Konnotation. Klar ist auch, dass die Intention der sprechenden Person hierbei nicht maßgeblich ist. Andere Wörter, die mit Gewalt, Hass und Verbrechen konnotiert sind, gehören ebenfalls auch nicht in unserem Wortschatz. Als Amadeu Antonio 1990 in Eberswalde von Rechtsradikalen zu Tode getreten wurde, und als ich im gleichen Jahr an einer Bushaltestelle in Hannover von einem Nazi angeschrien und bedroht wurde, sind dieselben rassistische Bezeichnungen gefallen, über die in Deutschland 2013 immer noch hitzig diskutiert wird, ob sie wirklich aus Kinderbüchern gestrichen werden sollten. Weil das Leid, das durch die dominante Sprache erzeugt wird (oder woran erinnert wird) nicht an weißen hetero cis-männlichen Körpern erfahren wurde, stößt die Idee von einer „politisch korrekten“ Sprache für die deutsche Mainstream anscheinend auf Unverständnis. Es wird argumentiert, dass dieses „unkorrekte“ Kommunizieren Diskriminierende schafft, wo es gar keine gibt und dass „Political Correctness“ die eigentliche Arbeit gegen Diskriminierung unnötig erschwert. Und dennoch: anscheinend lässt sich über ungleiche Machtverhältnisse selten so kontrovers in den Mainstream Medien diskutieren wie über die vielen Versuche durch sprachliche Veränderungen eben diese Machtverhältnisse aufzubrechen. Die Verwendung des generischen Femininums in der Grundordnung an der Universität Leipzig ist ein weiteres sehr schönes Beispiel dafür.

Wettig behauptet außerdem: „Ob jemand nun »Kanaken« sagt oder »Menschen mit Migrationshintergrund«: Bei dem/der ZuhörerIn entsteht das Bild eines Menschen, der weniger gebildet und weniger erfolgreich ist, im schlimmeren Fall wird auch noch Kriminalität, Frauenfeindlichkeit oder religiöser Fanatismus assoziiert. Keines dieser Vorurteile wird korrigiert, wenn man stattdessen von »People of Color« spricht.“ Es klingt so, als würde sie voraussetzen, dass anti-rassistische Sprache allein dem Zweck dienen soll, weiße Menschen zu sensibilisieren. Das Recht auf Selbstbezeichnung wird dabei völlig außer Acht gelassen. Fremdbezeichnungen sind in der Tat meist negativ konnotiert. Die Verwendung politischer Eigenbezeichnungen hingegen stärkt. Sie zeigen Wege aus der Isolation und Demütigung und sie weisen auf Verbündete.

Ganz abgesehen davon, dass „Menschen mit Migrationshintergrund“ und „People of Color“ weder die gleiche Konnotation noch die gleiche Bedeutung haben. „Menschen mit Migrationshintergrund“ ist ein Euphemismus, der auf der falschen Annahme basiert, es könne einer Person angesehen werden, ob sie „fremd“ wäre und darum weiterhin den Glauben stützt „richtige“ Deutsche sind weiß. „People of Color“ hingegen ist eine politische Selbstbezeichnung, ebenso wie „Schwarz“ mit großem „S“. Sie beschreiben eine Positionierung innerhalb einer mehrheitlich weißen Gesellschaft und keine körperlichen Merkmale . Beides sind Versuche Alltagsrassismus wahrnehmbarer zu machen. Mit der Betonung auf dem Wort: Versuch. Keine_r behauptet, dass allein durch die Verwendung einer „korrekten“ Sprache Machtstrukturen von selbst aufgelöst werden. Der Vorschlag ist stattdessen Sprache wie einen Post-it Note zu verwenden: als ständige Erinnerung daran, dass wir alle die Aufgabe haben gegen Diskriminierung anzugehen, und zwar damit, dass wir bei uns selbst anfangen müssen.

Es ist also dir überlassen, welches Vokabular du benutzen möchtest. Wenn es um diskriminierende Sprache gegen marginalisierte Menschen geht, gibt es – trotz des Zensurvorwurfs – keinerlei wirksame Sanktionen. Dennoch musst auch du akzeptieren, dass du nicht in der Lage bist zu bestimmen, wie ich mich zu fühlen oder zu reagieren habe, wenn du diskriminierende Sprache verwendest. Wie Noah Sow einst treffend sagte, wenn eine Person auf deinem Fuß ein Klavier abstellt, ist es für deinen Schmerz erst mal nicht so entscheidend, dass dies versehentlich passiert ist. Nur du hast das Sagen darüber ob du Schmerzen hast, wie stark sie sind und wie du dies zum Ausdruck bringst.

Der Weg ist das Ziel

Eine wertschätzende, respektvolle Kommunikation erfordert vielleicht Geduld und Durchhaltevermögen, denn Sprache ist dynamisch und hat sich einer stetig wechselnden Realität anzupassen. Dennoch sind wir alle erst wirklich handlungsfähig, wenn wir diese Tatsache akzeptieren und in unserer Kommunikation berücksichtigen. Unsere Wörter haben das Potential für uns alle befreiend und stärkend zu sein, sofern sie nicht darauf bauen, Normen herzustellen bzw. aufrechtzuerhalten, indem andere Identitäten negiert oder erniedrigt werden. Lasst uns also aufhören am Duden zu klammern! Die Definitionsmacht liegt bei uns. Wir können entscheiden, ob wir uns gegenseitig inspirieren wollen oder nicht.

Was willst du mit deiner Sprache erreichen?

7 Kommentare zu „Wir haben die Definitionsmacht!

  1. Verständnisfrage, bevor ich (vielleicht) reagiere: wer ist im letzten Absatz mit „wir“ und „uns“ gemeint? Alle Menschen, die in Deutschland die deutsche Sprache verwenden, oder people of colour, die dies tun. (Hintergrund: ich möchte mich hier auf die Definitionsmacht beziehen, bin aber nicht sicher, ob ich die Intention der Autorin richtig verstanden habe.)

  2. Vielen Dank für diesen wundervollen Beitrag.

    Ich bin auf der Suche nach wissenschaftlichen Texten auf die ich mich beziehen kann wenn ich meine Entscheidung für diskriminierungsarme/-bewusste begründe. Für Hinweise bin ich dankbar.
    Mein Fokus liegt hierbei auf selbstbestimmter Sprache von PoC, LSBT*I und allen, die negativ von Sexismus betroffen sind. (Überschneidungen mitgedacht.)

  3. @frl urban

    Ofuatey-Alazard/arndt: wie rassismus aus wörtern spricht
    arndt/hornscheidt: afrika und die deutsche sprache
    Nduka-Agwu/hornscheidt: rassismus auf gut deutsch
    hornscheidt: feministische w_orte

    sind erstmal die, die mir auf anhieb dazu einfallen. im grunde lohnt es sich eigentlich generell in wissensproduktionen (nicht nur in denen, die als „wissenschaftlich“ gelabelt werden) von Schwarzen FLT* oder FLT* of Color nachzulesen (auszug: audre lorde, patricia hill collins, chrystos, grada kilomba, bell hooks, cheryl clarke, andrea smith, maisha eggers, peggy piesche, may ayim). dort erfährst du nicht nur über geschichte, auswirkungen und funktionsweisen von rassismus und sexismus, sondern durch die gewählten worte kannst du auch lernen, wie diese autor_innen sich selbst bezeichnen, welche sprache ihnen wichtig ist usw.

    wünsche viel inspiration.

  4. Wow, ich bin beeindruckt! Ich würde auch gern so klar und dabei bewegend schreiben können wie die Autorin! Danke für diesen Beitrag.

  5. @frl urban: re/visionen , Postkoloniale Perspektiven von People of Color auf Rassismus, Kulturpolitik und Widerstand in Deutschland , Unrast Verlag, ISBN 978-3-89771-458-8

    Ist das erste Buch, das ausschließlich kritische Stimmen von People of Color zusammenbringt , sowohl im Inhalt als auch in der Herausgeberschaft.
    Lg

  6. „Als Amadeu Antonio 1990 in Eberswalde von Rechtsradikalen zu Tode getreten wurde, und als ich im gleichen Jahr an einer Bushaltestelle in Hannover von einem Nazi angeschrien und bedroht wurde, sind dieselben rassistische Bezeichnungen gefallen, über die in Deutschland 2013 immer noch hitzig diskutiert wird, ob sie wirklich aus Kinderbüchern gestrichen werden sollten.“

    Ich wünschte, dieses Argument wäre mir vorige Woche bei der fruchtlosen(?) Diskussion zu dem Kinderbuchthema eingefallen, die ich mit Mitstudierenden geführt habe.

    Guter Artikel!

Kommentare sind geschlossen.

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