Über das Gucken und Sehen: Schwarze Frauen in Deutschland an_erkennen

[Die englische Fassung des Texts findet sich weiter unten.]

Gestern wäre der 55. Geburtstag von May Ayim gewesen. Anlässlich des Tages wurde der 2. May Ayim Tag am May-Ayim-Ufer gefeiert. In Rahmen dessen wurde die Ausstellung „Daima“ eröffnet. Dazu habe ich einen Text vorgelesen, der hier veröffentlicht wird.

Was passiert, wenn du guckst?

Wahrscheinlich guckst du manchmal ganz unschuldig, überrascht oder aus Interesse. Manchmal wirst du einen fragenden Blick haben – vielleicht um ein Vorurteil, welches du bereits hast, zu bestätigen oder infrage zu stellen. Manchmal guckst du wohl aus Angst oder sogar Abscheu. Was passiert dann?

Meistens wenn Mitglieder einer mächtigen Gesellschaftsgruppe gucken, dann etablieren oder bestätigen sie eine bestimmte Perspektive auf etwas. Der Akt des Guckens erschafft (wieder) ein Objekt, welches angeguckt oder untersucht wird. Wenn viele Menschen auf die gleiche Sache gucken wird eine dominante Ansicht gebildet. Diese dominante Ansicht wird über viele Wege kommuniziert. Wenn ich hier also über „gucken“ schreibe, dann meine ich nicht nur den spezifischen physischen Akt, sondern jegliche Aktivität die eine Perspektive auf ein Objekt etabliert. Insgesamt erzählen die Blicke von Mitgliedern einer mächtigen Gesellschaftsgruppe eigensinnige Geschichten über ein Objekt. Mit der Zeit besitzen diese Geschichten eine größere Autorität, als was das Objekt jemals könnte. Jedoch ist die Information, die das „Gucken“ bietet, unvollständig, da die Kommunikation nur in eine Richtung geht. Gucken ist nicht das Gleiche wie Sehen. In einem Kontext, in dem der weiße männliche Blick dominiert, wurden Schwarze Frauen immer angeguckt aber selten gesehen.

In Deutschland ist die Situation nicht anders. Obwohl Schwarze Menschen seit gut über 300 Jahren in dieser Region leben, haben die meisten weißen Deutschen erstaunlich wenig Wissen über die Anwesenheit und den Einfluss Schwarzer Menschen in diesem Land. Und selbst in Schwarzen Communities in Deutschland sind die bekanntesten Beispiele für Schwarze deutsche Selbstbestimmung und Widerstand gegen Rassismus vor den Mit-1980ern üblicherweise männlich: Zum Beispiel Anton Wilhelm Amo, ein Schwarzer Mann, der 1736 der erste Professor afrikanischer Herkunft wurde, der an einer deutschen Universität studierte und arbeitete. Und Rudolf Duala Manga Bell, ein in Kamerun geborener König und Aktivist, der sich in seinem Heimatland Anfang des 20. Jahrhunderts der deutschen Kolonialherrschaft widersetzte und darum 1914 wegen Hochverrats hingerichtet wurde.
Ähnlicher Weise sind Simone de Beauvoir und Clara Zetkin innerhalb der deutschen feministischen Bewegung und zum Teil auch in der deutschen Mehrheitsgesellschaft bekannte und respektierte Persönlichkeiten. Beide Frauen sind weiß. Jedoch verdienen Schwarze Frauen wie Emily Duala Manga Bell, eine anti-koloniale Aktivistin, die ihren (oben genannten) Ehemann überlebte oder Fasia Jansen, eine Friedensaktivistin und Überlebende des Neuengamme Konzentrationslagers, ebenfalls Ansehen und Anerkennung für ihre jeweiligen Beiträge zur anti-rassistischen Bewegung und Frauenbewegung in Deutschland.
Der deutsche Kontext ist einer, in welchem historisch die Existenz Schwarzer Deutscher rechtlich verleugnet wurde und selbst heute gibt es keine rechtlichen Möglichkeiten sie statistisch zu erfassen; ein Kontext, in dem zahllose Schwarze Kinder mit ausschließlich negativen Begriffen zur Selbstbeschreibung aufwuchsen; einer, in dem viele genau dieser Kinder aufgrund von rassistischen Nazi-Gesetzen zur „Rassenmischung“ sterilisiert wurden; und einer, wo Schwarze Individuen oftmals ihr ganzes Leben verbrachten ohne andere Menschen zu kennen, die so aussahen wie sie selbst. In diesem Kontext, wo die kulturelle Repräsentation von weißen und männlichen Idealen dominiert wird, und wo kritische Positionen dagegen entweder Schwarz männlich oder weiß weiblich waren, sehen sich Schwarze deutsche Lesben_Frauen vielfachen Hürden gegenüber. Es war in diesem Kontext, dass Audre Lorde, eine afro-amerikanische Lesbe, Feministin, Dichterin, Aktivistin, Wissenschaftlerin und Mutter, erstmals Berlin im Jahr 1984 besuchte, um an der Freien Universität zu unterrichten und Verbindungen zu jungen Schwarzen Frauen, die hier lebten, aufzubauen.

Lorde wird eine wesentliche Bedeutung für das Aufflammen der Schwarzen deutschen politischen Bewegung zu dieser Zeit zugeschrieben. Sie identifizierte die Notwendigkeit für Schwarze Menschen allgemein, und Schwarze Frauen im Besonderen, sich gegenseitig zu unterstützen. Ein wertvolles Zeugnis für diese frühe Phase der Schwarzen (Frauen) Bewegung bietet die Anthologie “Euer Schweigen Schützt Euch Nicht”, herausgegeben von Peggy Piesche und 2013 im Orlanda Verlag erschienen. In diesem Buch diskutieren Aktivistinnen wie Katharina Oguntoye und Katja Kinder die Anfänge des Prozesses, der zur Publikation von „Farbe Bekennen“ führte, einer einzigartigen Sammlung von Zeugnissen Schwarzer deutscher Frauen kombiniert mit einer historischen Dokumentation des Schwarzen Deutschlands, aufbauend auf der Forschung von May Ayim. Zusätzlich führten die verschiedenen Aktivitäten zu dieser Zeit zur Gründung von neuen Schwarzen deutschen Organisationen, der Initiative Schwarze Deutsche (jetzt: Initiative Schwarze Menschen in Deutschland) und ADEFRA Afro-Deutsche Frauen (jetzt: ADEFRA Schwarze deutsche Frauen und Schwarze Frauen in Deutschland). Zuvor engagierten sich viele dieser Frauen in der deutschen Frauenbewegung – aber waren schlussendlich von dieser enttäuscht worden.

In ihrer Einleitung zu „Farbe bekennen“ schreibt Lorde: „zu erst müssen wir uns gegenseitig erkennen“ – keine kleine Aufgabe in einem Land, in welchem man gelernt hatte, dass Schwarzsein etwas schändliches, hässliches oder bemitleidenswertes sei. Wo Schwarze Menschen Angst hatten sich anzugucken. Und aufgrund internalisierter rassistischer Vorstellungen hinsichtlich Hautfarbe und Aussehen, viele Schwarze Deutsche mit hellerer Haut gar nicht als Schwarz gesehen wurden. Eine Haupthürde war es also aktiv gegen diese Verleugnung und Isolation anzuleben: Andere Schwarze Menschen auf der Straße anzusprechen, sich mit ihnen sozial zu treffen und politisch zu organisieren. Anerkennung ist fällig für Frauen wie Eleonore Wiedenroth-Coulibaly, Jasmin Eding und Ina Röder-Sissako, die in diesen Jahren aktiv waren und Treffen in Wiesbaden, München und Dresden organisierten. Aus diesen anfänglichen Zusammenkünften entstanden regionale politische Gruppen, die sich auch in andere deutsche Städte ausbreiteten. Parallel dazu wurden jährliche Bundestreffen organisiert. Diese finden immer noch für ein verlängertes Wochenende jeden Sommer statt.
Als Schwarze Frauen, die in einer Gesellschaft leben, in der Macht ungleich verteilt ist, mussten wir eine erhöhte Fähigkeit entwickeln andere zu sehen: Unser kollektives Überleben hing daran. Als Töchter haben wir gelernt ruhig zu beobachten; als Liebhaberinnen wissen wir, wann es einfach am besten ist runter oder weg zugucken; als Arbeiterinnen haben wir beurteilt, wann die besten Momente zum Zurückgucken oder einfach Starren sind; als Mütter haben wir einen absuchenden Blick entwickelt – um die Bedürfnisse von allen im Fokus zu behalten und Ausschau nach plötzlichen Veränderungen zu halten, die Interventionen nötig machen. Im Angesicht von schlimmsten Formen von Gewalt war unsere Fähigkeit Zeugnis abzulegen manchmal unsere einzige Form von Widerstand.

Wie wir uns selbst und gegenseitig als Schwarze Frauen betrachten ist um ein unendliches komplexer. Unsere Ansicht ist zum Großteil von einer dominanten Perspektive, wie eine Schwarze Frau ist oder sein sollte, beeinflusst. Und auch wenn sich die aktuelle Generation Schwarzer Frauen in und aus Deutschland seit dreißig Jahren anguckt, so bleiben unsere Ansichten doch auch vernebelt durch Überbleibsel von Unterdrückungsmechanismen innerhalb unserer Räume (wie zum Beispiel Heterosexismus, Cissexismus und Ableismus). Unsere Herausforderung also bleibt es weiter zu gucken, weiter zu sehen und uns weiter auf folgendes zu konzentrieren:

Was passiert, wenn wir gucken.


On Looking and Seeing: Recognising Black Women in Germany

Yesterday would have been the 55th birthday of May Ayim. On the occasion of this date the second May Ayim Day was celebrated at the May-Ayim-Ufer. In this context the opening of the exhibition „Daima“ took place, and I read the following text.

What happens when you look?

You probably sometimes look innocently, out of surprise or interest. Sometimes you will have an interrogating look – perhaps to question or confirm a prejudice that you already hold. Sometimes you might look out of fear or even disgust. What happens then?

Mostly whenever members of powerful groups look, they establish or confirm a perspective on something. The act of looking (re)creates an object, which is looked at or observed. When many people look at the same thing, a dominant view is formed. This dominant view is communicated in many ways, therefore when I write about “looking” here, I am not only refering to the specific physical act but to any activity which establishes a perspective on an object. Collectively, these looks by members of powerful groups tell stubborn stories about objects. Over time, these stories become more authoritarian than the objects themselves could ever be. Yet the information provided by “looking” is incomplete, for the communication is one-way only. Looking is not the same as seeing. In contexts where the white male gaze has dominated, Black women have always been looked at but very rarely seen.

In Germany, this situation has been no different. Despite the fact that Black people have been living in this region for well over 300 years, most white Germans have astoundingly little knowledge regarding the Black presence and influence in this country. And even among Black communities in Germany, the most well-known examples of Black German self-determination and resistance against racism prior to the mid-1980s are typically male: for example, Anton Wilhelm Amo, a Black man who in 1736 became the first Professor of African descent to study and work at a German university; and Rudolf Duala Manga Bell, a Cameroonian-born king and activist who resisted German colonial rule in his home country at the beginning of the 20th century and was therefore executed for high treason in 1914. Similarly, Simone de Beauvoir and Clara Zetkin are well-known and respected figures within the German feminist movement and, for the most part, in mainstream German society. These ladies are both white. However, for their respective contributions to the anti-racism movement and the women’s movement in Germany, Black women like Emily Duala Manga Bell, an anti-colonialist activist who survived her husband (named above) or Fasia Jansen, a peace activist and survivor of the Neuengamme concentration camp, also deserve credit and recognition.
The German context is one which has historically legally denied the existence of Black Germans and even today has no legal means to collate statistics about them; one in which countless numbers of Black children were raised with only negative terms to describe themselves; one in which many of these same children were sterilised due to racist Nazi miscegenation laws; and one where Black individuals have often lived their entire lives with no knowledge of the existence of other people who look just like them. In this context, where cultural representations are dominated by the ideals of white and male, and where typical critical positions to these were either Black male or white female, Black German lesbians and women have faced multiple hurdles. It was within this context that Audre Lorde, an African-American lesbian, feminist, poet, activist, scholar and mother, first visited Berlin in 1984 to lecture at the Free University and to connect with young Black women living there.

Lorde is credited with being instrumental in igniting the recent Black German political movement during this time. She identified the need for Black people in general, and Black women in particular, to support each other. A valuable testament of this early phase of the Black (women’s) movement is provided in the anthology “Euer Schweigen Schützt Euch Nicht” edited by Peggy Piesche and published in 2013 in Orlanda Verlag. In this book, activists like Katharina Oguntoye and Katja Kinder discuss the beginnings of a process, which was to result in the publication of “Farbe Bekennen,” a unique collection of testimonies of Black German women, combined with a historical documentation of Black Germany based on the research of May Ayim. Additionally, the various activities at this time led to the formation of the new Black German organisations the Initiative Schwarze Deutsche (jetzt: Initiative Schwarze Menschen in Deutschland) and ADEFRA Afro-Deutsche Frauen (jetzt: ADEFRA Schwarze Deutsche Frauen und Schwarze Frauen in Deutschland). Prior to this, many of the women had been active in, yet ultimately disappointed by, the German women’s movement.

In her introduction to “Farbe bekennen” Lorde writes: “first, we must recognize each other” – no small task in a country where one had been taught that being Black was something shameful, ugly or to be pitied.  Where Black people had been afraid to look at each other. And due to internalised racist beliefs regarding skin colour and appearance, many light-skinned Black Germans were sometimes not seen as being Black at all. A major hurdle therefore was to actively live against the denial and isolation: to approach other Black people in the street, to meet with them socially and to organise with them politically. Credit is also due to women like Eleonore Wiedenroth-Coulibaly, Jasmin Eding and Ina Röder-Sissako, who were also active during those times, organising meetings in Wiesbaden, Munich and Dresden respectfully. These initial get togethers grew to become regional political groups that spread to other cities within Germany. Parallel to this, annual national meetings (Bundestreffen) were organised. These still continue to take place for one long weekend every summer.
As Black women living in societies where power is unfairly structured, we have needed to develop a heightened ability to see others: our collective survival has depended on it. As daughters, we have learnt when to watch quietly; as lovers, we know when it is simply best to look down or look away; as workers we have judged the best moments to look back or to stare, as mothers we have developed the scanning look – to keep everyone’s needs in focus and watch for sudden changes which require our intervention. In face of some of the worst forms of violence our ability to bear witness has sometimes been our only form of resistance.

How we as Black women regard ourselves and each other is infinitely more complex. Our view is affected for the most part by the dominant perspective of what a Black woman is or should be. And although the current generation of Black women in and of Germany have been looking at each other for over thirty years, our vision remains clouded by remnants of oppression within our spaces (for example heterosexism, cissexism, or ableism). Our challenge therefore remains to keep looking and to keep seeing and to keep focussing on:

What happens when we look.

 

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