„Viele beschreiben den Weg einer Trans*-Person als Übergang von einem zum anderen Geschlecht, von Männlichkeit zu Weiblichkeit, vom Mann zur Frau, vom Jungen zum Mädchen. Dies stellt die komplexe Reise der Selbstentdeckung, die jenseits von Gender und Genitalien verläuft, allerdings vereinfacht dar. Mein Weg war eine Entwicklung von mir zu einem mir-noch-näher-kommen. Es ist eine Reise der Selbstoffenbarung.“ (Meine Übersetzung, Original-Zitat am Ende des Textes)
– Janet Mock (2014): Redefining Realness. Atria Books/Simon & Schuster; S. 227.
Janet Mock, Aktivistin und Autorin, nimmt uns in ihrem eindrucksvollen Buch mit auf eine Reise in ihre Vergangenheit. Es ist ein weiter Weg des Sich-Bewusst-Werdens und des Über-sich-Hinaus-Wachsens in einer Welt, die für die Lebensrealitäten von Frauen wie Mock kaum Vorstellung besitzt und meist nur abwertende Worte übrig hat. 2011 wurde ihre Geschichte das erste Mal öffentlich erzählt – in der Marie Claire, einer Modezeitschrift mit Zielgruppe „Frau“, die Mock’s Geschichte mit einem einfachen und dennoch falschen Satz betitelte „Ich wurde als Junge geboren“. Mock entschied daraufhin ihre eigene Geschichte zu erzählen, die ohne publikumsheischende Titel und ohne vereinfachte Narrative über Trans*Menschen auskommen soll.
Mit Redefining Realness hat sie dieses Buch geschrieben, das weit mehr ist als eine Aneinanderreihung von Anekdoten aus ihrem Leben: Es ist eine knall-ehrliche, überaus sympathische und analytisch brilliante Autobiographie, in der sie „ihren Weg zu Weiblichkeit, Identität, Liebe und so viel mehr“ beschreibt.
Mock’s Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend, die sie auf Hawaii, in Kalifornien und in Texas verbrachte, sind maßgeblich geprägt von Armut, Rassismus und Trans*feindlichkeit; von sexualisierten Übergriffen, Missbrauch und der stetigen Glorifizierung von hegemonialer Männlichkeit; von ihren Erfahrungen in der Sexarbeit und von der Präsenz starker Frauen mit unbändigem (Überlebens-)Willen, engen Freund_innenschaften und Kopf-durch-die-Wand-Entscheidungen. Steter Ausgangspunkt: Der eigene Körper, die eigenen Kämpfe.
Auf etwas mehr als 250 Seiten präsentiert Mock eng verknüpft mit ihrer Lebensgeschichte eine Gesellschaftsanalyse, die die miteinander verwobenen Machtverhältnisse leicht verständlich erklärt und diskutiert, ohne die individuelle Handlungsfähigkeit aus dem Blick zu verlieren. Mock verschmilzt ihre bisherige Lebensgeschichte und ihre Visionen mit Schwarzen feministischen Theorien und nimmt immer wieder Bezug auf Autor_innen und Aktivist_innen wie zum Beispiel Audre Lorde oder Zora Neal Hurston. Und Jugend-Freund_innen wie Wendi Miyake, Make-Up-Artistin und Inspiration für Mock.
Mock stellt ihre Erfahrungen in einen gesellschaftlichen Kontext und verweist stets auf die Situation von queeren Jugendlichen (of Color) in den USA, deren Leben nicht selten geprägt sind von Obdachlosigkeit, Diskriminierung, Suizid, wenig Unterstützung von der Herkunftsfamilie oder unzureichender Gesundheitsvorsorge. Mock zentriert ihre und die Erfahrungen anderer (Ressourcen-)armen Trans*-Frauen of Color und bietet unentwegt Perspektivwechsel an. So wirft sie viele Frage auf: Wie kann es sein, dass Frausein an bestimmte Genitalien geknüpft wird? Wie strukturiert Gesellschaft Lebensrealitäten und Entscheidungen, die Menschen machen (müssen)? Was und wer gilt als „real“ und warum?
Janet Mock ist einfach verdammt gut darin, den Dingen auf den Grund zu gehen. Als Autorin und als Aktivistin. Nach dutzenden Interviews anlässlich ihrer sensationellen Bucherscheinung, in denen sie ständig mit (privaten und grenzüberschreitenden) Fragen zu ihrem Körper und ihrem „Outing“ konfrontiert war, drehte sie einmal den Spieß um und fragte eine Reporterin, wann sie sich eigentlich als cis*-Person geoutet hatte.
Das Buch ist ein Geschenk, und zwar nicht nur für Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Es ist eine berührende Geschichte, ein beeindruckendes Bildungsangebot. Wenn ich dieses Jahr nur ein Buch lesen dürfte – es wäre dies.
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„People often describe the journey of transsexual people as a passage through the sexes, from manhood to womanhood, from male to female, from boy to girl. That simplifies a complicated journey of self-discovery that goes beyond gender and genitalia. My passage was an evolution from me to closer-to-me-ness. It’s a journey of self-revelation.“