Revolution in jedem Haus

Der folgende Artikel erschien in der letzten Woche in der Jungle World. Doch ausgerechnet am Dienstag, dem Internationalen Frauentag, ausgerechnet auf dem Tahrir-Platz, dem Zeichen der neuen Freiheit, kam es erneut zu einem Massen­übergriff. Die Demonstrantinnen wurden von über 200 Männern angegriffen und sexuell belästigt. Auch die im Artikel vorgestellte Bloggerin Fatma Emam hat bereits darüber geschrieben. Seit Dienstag gibt es bei Amnesty Inter­national auch eine Petition an Führer des Obersten Militärrats, endlich die Frauen an der Zukunft Ägyptens mitzubeteiligen.

Die Bloggerin Zeinobia war skeptisch. Noch am 19. Januar fragte sie auf egyptianchronicles.blogspot.com: »Wird der 25. Januar ein beachtenswerter Tag in unserer Geschichte werden?« Er wurde weit mehr als ein beachtenswerter Tag, inzwischen steht fest, dass der 25. Januar, der »Tag des Zorns«, als Beginn der ägyptischen Revolution in die Geschichte eingehen wird.

Die Geschichte des 25. Januar reicht fast 60 Jahre zurück. Im Jahr 1952 kämpfte die ägyptische Polizei in Ismailia gegen britische Truppen, das Gefecht trug wesentlich dazu bei, dass es ein halbes Jahr später zur Revolution und zur Abschaffung der Monarchie kam. Seitdem war der 25. Januar vor allem der »Tag der Polizei«. Doch vom Ansehen der Polizei ist kaum noch etwas übrig. Der Tod des jungen Ägypters Khaled Said, den zwei Polizisten erschlagen hatten, wurde zum Leitmotiv der geplanten Demonstration. »Wir sind alle Khaled Said« lautete das Motto eines Facebook-Events, zu dem sich Mitte Januar bereits 48 000 Menschen angemeldet hatten.

Ermutigt von den Erfolgen der tunesischen Demokratiebewegung ging die ägyptische Bevölkerung auf die Straße. Angetrieben wurden die Proteste auch von einem Video einer jungen Ägypterin. In einer knapp fünfminütigen selbstgedrehten Ansprache wandte sich Asmaa Mahfouz an ihre Mitmenschen und mahnte die Unterstützung des Protests an. Es gehe nicht um politische Rechte, sondern um etwas noch viel Fun­damentaleres: um Menschenrechte, die es endlich von der korrupten Regierung einzufordern gelte. Wer zu Hause bliebe, sei eine Schande für sich selbst und eine Schande für die Protestbewegung.

Für Fatma Emam ist der Kampf gegen die Diktatur auch ein Kampf der Ägypterinnen gegen das Patriarchat. Auf ihrem Blog »Brownie« beschrieb sie den Konflikt mit ihrer eigenen Familie, die ihre Teilnahme an den Demonstrationen zu verhindern suchte. Doch nicht einmal die Drohung, dass sie nicht wieder nach Haus zurückkehren dürfe, konnte sie aufhalten. Wie ihr erging es auch anderen Frauen, so dass sie schließlich schrieb: »Die Revolution findet nicht nur auf dem Tahrir-Platz statt, sie ist in jedem ägyptischen Haus.«

Die Öffentlichkeit als Männersphäre und das Private als Frauensphäre – in Ägypten hielt sich dieses Dogma des Patriarchats bis heute. Praktisch bedeutete dies für Frauen, dass sie sexuelle Belästigung fürchten müssen, sobald sie das Haus verlassen. Das Ägyptische Zentrum für Frauenrechte (ECWR) berichtete 2008 in einer Studie, dass 83 Prozent der Ägypterinnen und 98 Prozent der in Ägypten lebenden Ausländerinnen bereits belästigt wurden. Für viele war das sogar ein tägliches Erlebnis, aber kaum eine Frau ging zur Polizei. Im vorigen Jahr wurde erstmals im Parlament diskutiert, sexuelle Belästigung explizit als Straftat zu werten. Die Frauenrechtlerinnen waren jedoch skeptisch. Für eine echte Ver­besserung bedürfe es eines kulturellen Wandels und mehr Respekts vor Frauen. Mit dem gemeinsamen Kampf der vergangenen Wochen könnte diese Ver­änderung begonnen haben.

Die Augenärztin und Bloggerin Eman Hashim engagiert sich schon seit einigen Jahren für Frauenrechte, sie kämpft gegen häusliche Gewalt und Genital­ver­stümmelung. Sie beteiligte sich an den Protesten auf dem Tahrir-Platz in Kairo und berichtete über Twitter. In der Menschenmenge sei sie niemals in unangenehmer Weise berührt oder auch nur angeschaut worden. Für sie war das der Beginn eines neuen Umgangs zwischen Männern und Frauen: »Das große Problem war immer, dass Frauen als Objekte gesehen wurde. Aber nachdem die Männer uns Seite an Seite haben kämpfen sehen, schreiend, Veränderungen verlangend, Treffer von Bomben und Geschossen einsteckend und auf der Straße schlafend – ich denke, sie wissen sehr gut, dass wir alle gleich sind.« Für sie ist das Engagement der Frauen auch nichts Neues. Sie haben so lange für ihre Rechte gekämpft, wie sie sich erinnern kann. Trotzdem will sie die positiven Veränderungen und den Schwung der Revolution nutzen. Für den Internationalen Frauentag am 8. März sind die nächsten Aktionen geplant, das Thema ist »Revolution«.

Wie sehr die Frauenbewegung gestärkt wurde, zeigt sich auch im Kampf um die mediale Anerkennung. In der Berichterstattung vom Tahrir-Platz war meist nur zu sehen, was man bereits erwartete: junge Männer, die die Fäuste schütteln und sich gegenseitig aufstacheln. Ob in Interviews, in ihren Blogbeiträgen oder über Twitter – immer wieder wiesen die Aktivistinnen auf das weibliche Engagement hin, auf ihre Arbeit hinter den Kulissen als Organisatorinnen. Leil-Zahra Mortada sammelte schließlich Fotos der protestierenden Frauen. Sie zeigen Mütter mit ihren Kindern, Frauengruppen, die gemeinsam Plakate halten, und Protestierende, die in der ersten Reihe stehen und keine Angst vor der Polizei haben.

Es gibt aber Anzeichen dafür, dass die politische Situation der Frauen sich noch nicht dauerhaft verbessert hat. Im Ausschuss, der die neue Verfassung erarbeiten soll, sind weder Frauen noch Kopten vertreten. Doch die Aktivistinnen leisten Widerstand: Eine Petition für mehr Frauen und Diversität im Ausschuss erreichte innerhalb weniger Tage über 11 000 Unterschriften. Äußerungen aus der Muslimbruderschaft, dass Frauen und Kopten für die Präsidentschaft ungeeignet seien und nur für Kabinettsposten nominiert werden sollten, wurden über Twitter mit »fail« (durchgefallen) kommentiert.

Ein ganz anderes Bild zeigt sich hingegen in Tunesien, zumindest was die Situation der Frauen vor der Revolution betrifft. Dort ist die Gleichberechtigung weit fortgeschritten, Frauen stellen ein Drittel der Anwälte im Land, Abtreibungen wurden früher als in den USA legalisiert. Die Beteiligung zahlreicher Frauen an den Protesten war daher selbstverständlich, doch fürchten nun einige Frauen, bisher verbotene religiöse Parteien könnten sich dafür einsetzen, ihre Rechte wieder zu beschneiden. Andere halten die feminis tische Bewegung für stark genug, um solche Angriffe abzuwehren, sie sei durch ihren jahrelangen Einsatz für Demokratie allgemein anerkannt. Tatsächlich kommen zu den Demonstrationen von Frauenrechtsorganisationen weit mehr Menschen als zu islamistischen Aufmärschen.

Eine der wichtigsten Quellen zu den Protesten in Tunesien ist die Bloggerin Lina Ben Mhenni. Sie reiste durch das Land, fotografierte die Toten und die Zerstörung und schrieb darüber auf Arabisch und Französisch, einige Beiträge sind sogar auf Englisch und Deutsch erschienen. Außerdem setzt auch sie sich speziell für Frauen ein, berichtet darüber, dass die Frauenrechte zwar gesetzlich garantiert, im politischen Leben aber nicht verwirklicht sind, und stellt andere Feministinnen vor. Von einem Einbruchsdiebstahl in ihrer Wohnung ließ sie sich von der Arbeit nicht abhalten. Inzwischen bemüht sie sich darum, der tunesischen Jugend noch mehr Medienkompetenz zu vermitteln – unter anderem mit Hilfe von Blogs.

Doch nicht nur in Ägypten und Tunesien haben sich Frauen engagiert, auch bei den Protesten in Libyen, Bahrain und im Jemen sind sie unter den De­mon­strie­ren­den und produzieren beispielsweise Youtube-Videos, die an ihre Mitmenschen appellieren, auf die Straße zu gehen. Viele Frauen wurden auch verhaftet. Und in einem Land, das bisher verschont blieb, könnte sich etwas ändern: In Saudi-Arabien plant eine Facebook-Gruppe für den 11. März Demonstrationen. Sie fordert explizit auch die Gleichberechtigung der Frauen und die Abschaffung der Diskriminierung. Darüber hat unter anderem Eman al-Nafjan berichtet, eine bekannte saudische Bloggerin, die sich für Frauenrechte einsetzt. Wie bedeutend die Proteste werden, ist noch unklar, doch selbst in Saudi-Arabien, wo Frauen nicht einmal ein Auto lenken dürfen, werden sie eine wichtige Rolle spielen.

9 Kommentare zu „Revolution in jedem Haus

  1. hab ich das richtig gelesen, sexuelle belästigung ist in ägypten keine straftat? habt ihr eventuell einen link mit einer quelle dafür?

  2. @tba: Jein, sexuelle Belästigung ist keine explizite Straftat. Ob das dann unter die entsprechenden Paragrafen (körperlicher Angriff und Korrumpierung der Moral hieß der wohl) fällt liegt im Ermessen des Richters, bzw. vorher muss die Polizei sich schon durchringen, dass zu ermitteln. Habe da gerade keinen Link zu, es stand meine ich auf bikyamasr.com. (Die haben auch ne Suchfunktion.)

  3. Guter Artikel. Sehr irritiert hat mich nur das Erwähnen von Frauen und Kopten gemeinsam. Sie sind zwar beide marginalisiert und kämpfen da teilweise den gleichen Kampf, das heisst aber nicht (zumindest meines Wissens nach), dass sich die Kopten besonders für Frauenrechte engagieren.
    Es könnte der Eindruck entstehen, als seist Du der Ansicht, dass nur Muslime an sexueller Diskriminierung von Frauen beteiligt sind. Was ich nicht glaube.
    Ich glaube letztendlich auch nicht, dass dieser Eindruck beabsichtigt ist, es ist nur sehr missverständlich.

Kommentare sind geschlossen.

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