Let’s dance, Ambivalenz! Feministisch Musikhören

Als ich mit elf, zwölf Jahren endgültig aufhörte, die  BRAVO zu lesen,  hatte ich einen ziemlich gemischten Musikgeschmack entwickelt. Michael Jackson und Madonna hatte ich seit Jahren verehrt, nun gesellten sich Eurodance-Hits aus den Radiocharts dazu, während all das von Grunge, Crossover und Punkrock ergänzt und dann abgelöst wurde. So ungefähr mit 14 abonnierte ich das VISIONS Magazin und war einige Jahre lang ziemlich up to date in den Genres, die mich damals interessierten – zumindest in jenen Bereichen, über die dort geschrieben wurde.

Spätestens hier kommt die Ambivalenz ins Spiel. Man mag  grinsen über die Einserschülerin vom niedersächsischen Lande, die sich in ihrem aufgeräumten Kinderzimmer an Rage Against The Machine  erfreut.  Andererseits ist die Herablassung musikhörenden Mädchen gegenüber sexistisch und adultistisch. Faustregel der Popmusik: Musik, die Mädchen mögen = minderwertige Qualität. Alternativ: Die Musik ist gut, das kleine Mädchen hört sie aber verachtenswerterweise aus den falschen Gründen. Zu diesem Phänomen ist bereits einiges Kluges geschrieben worden, u.a. von der – hallo Ambivalenz – mit Recht umstrittenen Journalistin Julie Burchill. Es war eine der Ursachen, warum  ich einige Jahre später die VISIONS wieder abbestellte. Es nervt halt massiv, wenn man immer wieder merkt, dass man als sachkundige Konsumentin eines Produkts, für das man jeden Monat flammenden Herzens viel Geld ausgibt, weder mitgedacht noch wertgeschätzt wird. Über meine sekundenlange Verwirrung angesichts  von Bandporträt-Überschriften wie „Deine Freundin wird sie lieben!“ musste ich selber lachen.

Auch bei mir war mein Musikgeschmack lange Zeit ein wichtiger Aspekt meiner Identität. Vieles von der Musik, die ich damals hörte, spiegelte – so fühlte es sich für mich an – die Frustration und Wut über den Gesamtzustand(tm) wider, die auch ich zu dieser Zeit empfand. Diese Musik war nicht sonderlich feministisch. Und doch war sie der Soundtrack zur Herausbildung meines widerständigen, feministischen Selbst.

Manche dieser Musiker (sic) hatten komplett andere Lebensrealitäten als ich, sie thematisierten  Probleme, die in meinem Leben nicht vorkamen. Einige  Sachen, die ich gut fand, hingen stark mit Aneignung zusammen.  Was mein persönlicher Musikgeschmack seit jeher auch mit Differenzkonsum und kolonialistischen Gesten/Blick-Regimes zu tun hat, war keine Frage, die mich damals beschäftigt hätte.

Gemeinsam mit anderen wohlbehüteten Gymnasiast_innen sprang ich zu „Fuck you I won’t do what you tell me!“durch die Dorfdisko. Riot Grrrl kam in meiner Ecke der Welt nicht an, viel mehr als Hole gab es im VISIONS-Universum nicht. Aktiv nach Künstler_innen zu suchen (wo auch?) kam mir nicht wirklich in den Sinn, so lange ich mich in der Typenmusik einigermaßen wieder fand. Ich besuchte Konzerte; die Mackerposen auf der Bühne beeinträchtigten mich zunächst wenig.  Die vor der Bühne, bis hin zu Übergriffen, schon eher. Manche Szenestars fand ich sogar extrem heiß – erotische Selbstermächtigung, wenn auch im heteronormativen Bezugsrahmen.

Erst langsam ging es los, dass mich bestimmte Sprachbilder, Bildsprachen, Songtexte oder Interviewaussagen von Künstlern begannen nachhaltig zu irritieren. So weit, dass ich irgendwann gänzlich aufhörte, bestimmte Musik zu hören und  Genres die mir eigentlich zusagten, gänzlich den Rücken kehrte. Nicht nur wegen sich wandelnden Geschmacks und Authentizitätsbedenken.  Sondern weil es mir einfach keinen Spaß mehr machte, abzufeiern, wenn Frauen* und damit zuweilen auch ich selbst fortwährend unsichtbar gemacht, bitchisiert oder in Sachen Fuckability abgeurteilt wurden, und seien die Beats dazu auch noch so mitreißend.

Irgendwann hatte ich wieder Lust auf Musik aus dem aktuellen Hip Hop/R’n’B-Umfeld, hatte aber keine Lust auf Mackerposen und offen sexistische Lyrics. Mein „Ausweg“: Ich begann gezielt nach nichttypisierten Acts aus diesen Genres zu suchen. Das gilt inzwischen für alle Musikrichtungen, die ich mag, und auch in allen anderen Lebensbereichen ist es einfach so, dass mich all-male-Produktionen als solche nicht mehr sonderlich interessieren. Und da ich inzwischen tollerweise rund um die Uhr aufs Internet zugreifen kann und mir Spotify Premium leiste, wächst und gedeiht meine Sammlung; wenn ich Typenmusik gleich welchen Genres hören möchte, finde ich diese in einer handvoll relativ übersichtlicher Playlists.

In diesen befinden sich übrgens auch ein paar Stücke von ausgewiesenen Macker-Musikern. Nicht selten kommt es vor, dass ich (innerlich) jubelnd auf die (imaginäre) Tanzfläche stürme, wenn Peter Her-mit-Street-Harassment-und-Geschlechterklischees Fox mir „Shake Baby Shake“ zuruft. In anderen Situationen wiederum möchte ich entgegnen: „Schnauze!“. Je nach Raum, Tagesform, Verfassung und wer sonst noch so dabei ist, entsteht mit und durch Musik eine Atmosphäre, die beglückt und empowert. Ordentlich zu shaken, kann nämlich sehr empowernd sein – positives Körpergefühl, Raumnahme und so.  In anderen Momenten wirkt dieselbe Musik wie der Soundtrack zur Dominanzstruktur. Was auch der Grund ist, warum mir niemand mit „Voll inkonsequent!“-Gemaule kommen muss.  Der Kontext zählt. Umgangsweisen finden. Und: Ambivalenz aushalten.

Der Haken ist nämlich: Nicht nur Typen re_produzieren sexistische Kackscheiße – surprise! Und so ist es leider nicht damit getan, die Platten von männlich identifizierten Artists aus dem Regal zu nehmen, will mensch diskriminierungsfrei feiern. Schaden kann es in meinen Augen natürlich trotzdem nicht, Raumnahme und Sichtbarmachung sind die Stichwörter – wobei hier dann natürlich auch wieder anderweitige Positioniertheiten ins Spiel kommen. Denn man muss das Wort Intersektionalität nicht kennen, um zu wissen, dass Geschlechtlichkeiten nicht das einzige Feld sind, auf dem Machtstrukturen wirken. Was die Einschätzung, welche Musik man eher als progressiv oder als reaktionär einordnet, zuweilen komplex macht. Bedenkt mensch dazu besagte Aspekte wie Aneignung oder Differenzkonsum, wird es zusehends schwieriger, mal eben schlankweg zu beurteilen, welche Musik sich für wen als „feministisch wertvoll“ labeln lässt.

Mit feministischer Musik wird oft Musik verbunden, der genremäßig eher im alternativen Pop&Rock angesiedelt ist – Riot Grrrl, Punk, Low-Fi-Indie. Acts, die sich selbst als feministisch verorten, wie auch immer dies im einzelnen dann gefüllt wird. Solche Bands haben ihren Platz im feministischen Kanon, der ihnen relativ selten streitig gemacht wird. Aber sind dies die einzig legitimen Vetreter_innen? Was ist zum Beispiel mit Musiker_innen, die sich in anderen männlich dominierten Feldern tummeln? Die sich dort zu behaupten wissen, sich aber nicht so explizit von den dort herrschenden Gepflogenheiten abgrenzen, sondern diese übernehmen, damit spielen oder sie gar verinnerlicht haben? Stimmen, die für sich selber sprechen, aus einer marginalisierten Position heraus – und die in ihrem Sprechen und Performen selbst Ausschlüsse produzieren?

Bei politisch motivierter Musikkritik sollte mensch sich, finde ich, immer auch folgende Fragen stellen – und das versucht auch die Mädchenmannschaft, je nachdem mit unterschiedlichen bis ambivalenten Antworten: Aus welcher Perspektive kritisiere ich hier gerade wen, und welche Aspekte der Perfomance kritisiere ich warum, und in welchem Kontext? In welchem Raum?

Ein konkretes Beispiel: Die Auffassung, dass Hip Hop (so divers das Genre ist) besonders misogyne und sexistische Produktionen hervorbringt, ist weit verbreitet.  Also werden Texte und Performances aus diesem Bereich oft besonders gründlich und kritisch angeschaut. Die rassistischen Implikationen dieses Phänomens liegen auf der Hand. Es verschleiert, dass auch andere Genres mitnichten jenseits diskriminierender Strukturen statt finden – auch wenn diese sich dort vielleicht anders zeigen, anders codiert sind. Und es verkennt, dass Musik in unterschiedliche emanzipatorische Bewegungsgeschichten eingebettet ist. Nur ein Beispiel: Die Frage, wie weiß die Riot Grrrl-Bewegung war.

Der kritischen Musikliebhaberin werfen sich Fragen auf. Wenn eine queere Rapperin sich misogyner Reime bedient, um bei einem Mainstream-Contest zu gewinnen, ist sie dann automatisch und ein- für allemal off limits für eine feministische Playlist? Oder nur die krassesten Texte? Oder ist es ok, solange eine Triggerwarnung da ist? Wie ist es aus feministischer Perspektive zu bewerten, wenn eine Künstlerin ihre eigene am male gaze ausgerichtete Hotness oder ihre finanziellen Errungenschaften besingt, dabei andere Frauen* abwertet? Was wiegt schwerer: künstlerische Performance oder Alltagspraxis einer Person? Wie ist es um die feministische Credibility einer Künstlerin bestellt, deren Song gegen Körpernormen von einem Videoclip begleitet wird, in dem ausschließlich normschöne Menschen mitwirken – und wie weit müssen diese von welcher Norm abweichen, damit es „gilt“? (Wie) kann ich Wertschätzung und Aneignung unterscheiden? Kann ich mich als weiße Feministin zwecks Empowerment an der sexualisierten Performance einer Schwarzen Künstlerin „bedienen“? Was hat es damit auf sich, dass ich als Weiße Feministin Lieder genießen kann, die von durch Sklaverei und Rassismus verursachtes Leid berichten? Kann es feministische Hetero-Liebeslieder geben? Sicher keine Fragen, die alle für sich gleich beantworten würden. Aus unterschiedlichen Gründen.

Entsprechende Diskussionen führt auch die Mädchenmannschaft, um einen Umgang damit zu finden, welche Musik wir hier im Blog vorstellen. In einer internen Diskussion bei uns im Redaktionsverteiler fragte Magda zum Beispiel, warum wir ohne Inhaltswarnungen Bezug auf kommerzielle Künstlerinnen wie Pink nehmen, die z.B. in ihrem aktuellen Song „Try“ häusliche Gewalt in Hetero-Paarbeziehungen trivialisiert und Victim Blaming betreibt. Oder Lady Gaga, die in der Vergangenheit durch ihre fragwürdigen Burka-Perfomances und eher halbherzigen Anti-Lookismus Botschaften auffiel. Andererseits diskutierten wir intern sehr harsch darüber, ob eine in autonomen Strukturen arbeitende Schwarze Rapperin wie MC Josh eine Triggerwarnung benötigt, weil es ein Lied von ihr gibt, in dem sie mit Verschwörungstheorien hantiert, die als anschlussfähig für antisemitische Rhetorik gesehen werden können. Messen wir da manchmal mit zweierlei Maß? Sollten  wir alle Künstler_innen, die schon mal einen Kackscheiß-Song geschrieben/gesungen haben, mit Triggerwarnungen versehen? Oder lieber gar nicht posten?

Auch ich finde es nicht immer einen gangbaren Weg, „kritische“ Stücke mit Contenwarnungen zu versehen, wenn ich sie teile, weil ich es teilweise schwierig finde, deren problematische Aspekte (soweit sie sich mir von vornherein erschließen) in ein, zwei kurzen Schlagworten zusammen zu fassen und gleichzeitig auch deren selbst_empowernde Aspekte gelten zu lassen. Dazu die Frage: Bringt es was, ein vorgestelltes Lied wortreich zu begleiten? Oder ist das eher Awareness-Schaulaufen?

Ein Samstagabendbeat oder eine Playlist ist keine komplette Rundum-Analyse des Oeuvres einer Künstler_in unter intersektionaler Perspektive. Das anti-*istsche Rundum-Sorglos-Paket können wir nicht liefern. Und das bietet auch kaum ein_e Künstler_in.

Was wiederum weder uns noch die vorgestellte Künstler_in gegen Kritik immun macht.

Wir verlinken oft Künstler_innen, die es schwierig genug haben mit ihrem Kram erfolgreich zu sein – diese dann, wenn schonmal über sie geschrieben wird, auch gleich noch wesentlich harscher zu kritisieren als es gemeinhin mit Mainstreammusiker_innen gemacht wird, hat einen sauren Beigeschmack. Gleichzeitig: problematischer Content ist problematischer Content.  Nicht nur hier im Blog.  Auch, wenn ich zu Hause eine (digitale) Platte auflege, alle Jubeljahre mal tanzen gehe oder  in inzwischen  feministischen Magazinen nach neuen Musiktipps suche. Die Ambivalenz bleibt.

Und muss wohl oder übel mal wieder ausgehalten werden. Kleiner Trost: Mit Musik geht bekanntlich alles besser. Auch die Widersprüche.

Zum weiterlesen und  -hören…

(auch) auf deutsch:

Ruby Tuesday e.V.

female:pressure

Female Clash Facebookseite

Meine Musik, deine Musik und warum Empowerment individuell ist 

Provokation, Poetik und Politik – Fragmente einer feministisch-lesbisch-queeren Rock- und Popgeschichte

Frauen und Popkultur – Feminismus, Cultural Studies, Gegenwartsliteratur

Come on Baby, Light my Fire …  – Emanzipatorische Reggae/Dancehall-Artists in the mix

Dancehall ina Germaica – Entertainment, kulturelle Aneignung & Homophobie

Das Gesicht des Fado

 auf Englisch:

Noboysbutrap

On Azealia Banks and White Gay Cis Male Privilege

bell hooks: Rap Music in the context of Patriarchy, White Supremacy and Capitalism

Reconciling Duplicity: Feminism & Misogyny in 2Pac

Rap’s Long History of ‚Conscious‘ Condescension to Women

From Miley to Macklemore: The Privilege Spectrum

All Hail The Queen? What do our perceptions of Beyonce’s feminism say about us?

A not-so-tiny criticism of Miley’s huge cultural appropriation problem

How Do We Defend Miley Cyrus from Slut Shaming While Calling Out Her Racism?

Master Post on Why John Lennon is Shit

In Defense Of the Spice Girls

 

8 Kommentare zu „Let’s dance, Ambivalenz! Feministisch Musikhören

  1. @“Kann es feministische Hetero-Liebeslieder geben?“: Herrje, ist jetzt heterosexuelle Liebe von vornherein antifeministisch? Und queere wahrscheinlich per se feministisch?!

  2. @Steffi: Ich verstehe nicht ganz, wie genau deine Fragen mit der von mir aufgeworfenen zusammen hängen – also warum erstere aus letzterer folgen. Zumal der ganze Text gerade genau darum geht, dass die Sache mit dem „per se (un)feministisch“ schwierig ist.

    Und: Sind das Fragen, die du dir stellst, oder möchtest du darauf hinaus, dass die Frage ”Kann es feministische Hetero-Liebeslieder geben?” per se bescheuert und irrelevant ist? So oder so hilft es möglicherweise schonmal weiter, mal die Begriffe Heteronormativität oder Heterosexismus hier (oder anderswo) ins Suchfeld einzugeben.

  3. Also erstmal muss ich sagen, dass ich es nicht in Ordnung finde, mit welcher Arroganz du davon ausgeht, dass ich natürlich noch nie etwas von Heteronormativität und anderen Fachbegriffen eines queer-feministischen Diskurses gehört habe und es deshalb mal ‚ins Suchfeld eingeben soll‘. Ich unaufgeklärtes Dummerchen, gell.
    Ich lese u.a. euren Blog, die Anschläge und das Missy Magazine seit Jahren regelmäßig und habe zusätzlich einen eigenen Kopf zum Denken. Ich hab es satt, außerhalb feministischer Medien für meinen Feminismus und innerhalb dieser Medien für meinen offenbar nicht ausreichenden oder ‚falschen‘ Feminismus von vornherein angefeindet zu werden.
    Außerdem, was willst du mir damit sagen? Kritik an Heteronormativität und Feminismus haben sicher Überschneidungen, aber sie sind nicht dasselbe.

    Zur eigentlichen Frage: Unabhängig vom Rest des Beitrages impliziert die Frage ”Kann es feministische Hetero-Liebeslieder geben?” dass Hetero-Liebeslieder per se antifeministisch sind. Und indirekt impliziert sie, dass Homo-Liebeslieder per se feministisch sind. Im weiteren Schritt würde das heißen, Heterosexualität ist irgendwie unfeministisch und Homosexualität ist von Haus aus feministisch. Ich halte das für absoluten Blödsinn. Aber vielleicht verstehe ich ja einfach die Frage nicht. Am einfachsten wäre das dann wohl mit der Gegenfrage zu klären: Warum in aller Welt sollte es keine feministischen Hetero-Liebeslieder geben können?

  4. Hey Steffi,
    wenn das alles so ist wie du schreibst, verstehe ich deine heftige Reaktion (schon im ersten Kommentar und vor allem im zweiten) erst Recht nicht, auch nicht, warum du dich von meiner Antwort so angegeriffen fühlst… Ich hab in meinem Beitrag eine Menge Fragen gestellt. Keine davon war rhetorisch gemeint.

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