Gestern las ich so oder so ähnlich auf Twitter: „Nichtwählen und dann meckern ist, wie keine Pizza zu bestellen und wenn dann doch eine da ist über den Belag zu meckern.“. Ich war wählen und mag meine Pizza trotzdem nicht. Heute Vormittag starre ich auf die Wahlergebnisse und denke, „Also wenn ich mir normalerweise eine Pizza bestelle, dann entscheiden nicht noch vier andere Leute, dass sie aber alle Sardinen drauf haben wollen und zwingen mich dann die Pizza zu essen.“. (Kaputte Sprachbilder sind kaputt.)
Das (vorläufige) Ergebnis: Von 61.903.903 wahlberechtigten Menschen gingen 44.289.652 zur Wahl. CDU/CSU haben fast die absolute Mehrheit erreicht. Leichte Gewinne bei der SPD. Die FDP verlässt den Bundestag. Und die AfD hätte es fast hinein geschafft. Trotzt FDP-Abstieg ein doch alles in allem gruseliger Wahlabend.
Ich kann hier keine allumfassende feministische Wahl-Analyse bieten, aber ich möchte ein paar Gedankensplitter, einige Schlaglichter, etwas Medienkritik teilen.
- Eines wurde gestern (wieder) klar: Das politische Klima ist eindeutig rechts-konservativ. Dass dabei im Fernsehen bei der Wahlberichterstattung vollkommen neutral über den möglichen Einzug der AfD gesprochen wird, spiegelt dies vielleicht auch einfach nur perfekt wieder.
- Die Amadeu Antonio Stiftung stellte auf Facebook fest: „560.660 Stimmen bundesweit für die NPD. Damit haben die Rechtsextremen einen Anspruch von 476.561 Euro aus der staatlichen Parteienfinanzierung – jährlich!“
- Viele Frauen haben die CDU/CSU gewählt. In der ARD wurde da gleich ein ganz einfacher Mono-Kausal-Zusammenhang eröffnet: Die Frauen hätten eben FRAU Merkel gewählt. Dazu kommentierte @TochterEgalias auf Twitter sehr passend: „Ja, hab die Statistik auch gesehen. Fand den Kommentar der ARD auch da schon seltsam. Klingt nach: Männer* wählen nach Inhalten und Frauen* nach dem Geschlecht. :(“ (1/2)
- Aber erst einmal bleibt die Feststellung, dass die Unionsparteien mit Abstand stärkste Macht sind. Merkel wird wohl Kanzlerin bleiben. Was das für Themen der Gleichstellung, Anti-Rassismus, reproduktive Rechte etc. heißen könnte, lässt sich mit einem erneuten Blick auf die vielen vorhandenen Wahlprüfsteine und natürlich auch einen Blick zurück auf die letzten Regierungsjahre erahnen.
- Erika Steinbach hat hat mit 36,3% ihr Direktmandat geholt. Danke Frankfurt. Für nix.
- Aber: Mit Karamba Diaby (SPD) ist der erste Schwarze Deutsche als Abgeordneter in den Bundestag eingezogen. (Verbesserung im Kommentar)
Nun zu euch: Was sind eure Gedanken zur gestrigen Bundestagswahl? Und natürlich auch zur Landtagswahl in Hessen?
Wie gestern auch schon in vielen Tweets zu lesen war: Das Wahlergebnis verdeutlicht einfach, in welcher Filterblase „wir“ leben. Ich wohne in Frankfurt und Erika Steinbach hat in meinem Wahlkreis kandidiert. Daher hat mich das „Danke Frankfurt. Für nix“ genauso getroffen wie das Wahlergebnis. Irgendwie hatte ich in diesem Jahr das Gefühl, dass sich da schon was ändert. „Linke“ Themen haben in Frankfurt viel Aufmerksamkeit bekommen (Blockupy, Ivi, Blauer Bock) und sind dadurch auch bei der breiten Masse angekommen. Wir haben in Frankfurt am 1. Mai erfolgreich einen NPD-Aufmarsch verhindert. Polizei und Innenminister Rhein (CDU) haben wegen ihres Verhaltens immer wieder Kritik bekommen, sogar durch konservative Medien wie die FAZ. Irgendwie dachte ich, das hätte etwas zu bedeuten und die Menschen würden umdenken. Das Ergebnis jetzt zeigt mir nur, wie naiv ich war.
Ich bin vom Wahlerfolg der CDU schockiert, insb. weil die Partei steif und fest behauptet, dass es kein Racial Profiling gibt, weil das ja verboten ist. Ich bin gespannt, wann der erste Politiker behauptet, es gäbe keine Vergewaltigungen, weil so was ja auch verboten ist. :(
Aber ich bin erstaunt und erfreut darüber, dass ein Schwarzer in den Bundestag einziehen wird, der ausgerechnet für einen ostdeutschen Wahlkreis angetreten war.
ich habe mich wie bolle über den verpassten einzug der fdp gefreut und noch mehr, dass kristina schröder aufhört!
mehr freude gibt es bislang bei mir nicht…ich hätte mir auch einen regierungspartei-wechsel gewünscht!
Was ich krass fand: Viele Linke haben sich wahnsinnig über das Rausfliegen der FDP gefreut, obwohl die AfD zeitweise mehr Stimmen hatte. Da hat man dann lieber die FDP mit Häme bedeckt ohne mal zu reflektieren, was das eigentlich bedeutet. Es hat sich ja dann doch zum Glück wieder gedreht, aber das hat mich wirklich schockiert.
Was mir aufgefallen ist: Gegen 20:00 Uhr am Wahltag, Autofahrt, die Ergebnisse der BTW und LTW Hessen werden verkündet (Radio) und drei verschiedene Sender nennen das Ergebnis der Partei LINKE nicht jedoch alle anderen.
bin kein freund der fdp und mag rösler nicht. aber mir kam als gedanke, dass rassismus als einer von mehreren gründen auch zum stimmverlust der fdp beigetragen haben kann. im economist gab es was zum rassismus ggü rösler (darin werden auch rassistische aussagen gegen rösler zitiert) http://www.economist.com/blogs/charlemagne/2013/09/german-election-diary-2?fsrc=scn/tw/te/bl/philipproslersasianface
…bin ganz bei Ali Schwarzer und Tina, ansonsten doch Enttäuschung über die Wahlergebnisse…. Bin aber froh, dass doch 71% zur Wahl gegangen sind…. Habs schlimmer erwartet. Bin jetzt gespannt auf die österreichischen Wahlen nächsten Sonntag…. LG ins Vaterland (lebe seit ’76 im Mutterland) und haltets die Ohren steif!!
Kleine Korrektur: Es gibt noch einen anderen schwarzen Abgeordneten, Joseph Winkler von den Grünen. Karamba Diaby ist aber der erste aus Afrika stammende und ich freue mich weiter wie ein Schneekönig. :-)
Noch ein weiterer gewählter Schwarzer Abgeordneter ist Charles M. Huber für die CDU.
Ich habe schlecht geschlafen nach diesem Wahlergebnis. Ich hatte damit gerechnet, daß ich unzufrieden sein würde, aber das hat mich auf dem falschen Fuß erwischt. Mich erschreckt besonders das Wahlergebnis der AfD: daß deren Rechtspopulismus aus dem Stand heraus so viele Stimmen bekam.
Das Wort „Auswandern“ fiel in meinem Freundeskreis an diesem Abend recht oft. Ist nur für mich keine Lösung, denn mir fällt einfach nichts ein, wo es politisch besser zugeht und wo ich auch hin wollen würde.
Und ich habe Schiß vor dem, was jetzt politisch kommen könnte. Rundum, auf allen Gebieten – Menschenrechte, Arbeit, Umwelt, Familienpolitik … einfach alles. Schiß vor dem, was es für mich bedeutet, aber vor allem vor dem, was es für die viel zu vielen von meinen Freund_innen bedeutet, die arm sind.
Ich bin sehr schockiert. Die CDU hat keinen inhaltlichen Wahlkampf gemacht, dass hat sie schoen der Opposition ueberlassen. Und als sich die Gelegenheit bot, fingen sie an mit Dreck zu werfen; mal schauen, was haengen bleibt. Ich bin schockiert und traurig darueber, dass die Menschen hier anscheinend nicht ueber den Tellerrand hinweg schauen koennen, ihnen andere Menschen egal sind. Schockiert und traurig darueber, wie krank diese Gesellschaft ist. Und ich habe Angst. Angst, dass sich nie etwas aendern wird. Angst, dass die Menschen in eine Schockstarre verfallen und nur ein Bruchteil der Gesellschaft weiterkaempft und nicht aufgibt.
Josef Winkler hat familiär einen indischen Hintergrund, deshalb sehe ich ihn als PoC, nicht als Schwarz, ich weiß nicht wie er sich selbst verortet.
» Eines wurde gestern (wieder) klar: Das politische Klima ist eindeutig rechts-konservativ:
Versteh ich nicht. Wir haben eine Linke (zumindest Mitte-Linke) Mehrheit im Parlament. Grüne, SPD und Linke. Das sich das auf 3 Parteien aufsplittet, die auch nicht zusammenarbeiten wollen (zumindest nicht mit der Linken) ist natürlich nicht schön. Trotzdem sehe ich kein rechts-konservatives Klima.
Über den gestrigen Wahlausgang bin ich ebenfalls schockiert!! Diese Frau hat in de letzten Jahren nichts gemacht! Aber dafür wird sie wohl in den nächsten vier Jahren die Katze aus den Sack lassen.
Daher mache ich mir vor allem wegen der Frauenpolitik sorgen. Die Kürzungen werden vor allem die Frauenorganisationen und -projekte treffen, die eh schon auf dem Zahnfleisch kriechen. Wir werden wohl in den nächsten Jahren starke Frauenbewegungen brauchen…
@Peisistratos:
1. Bei dieser Betrachtung beziehe ich auch Parteien ein, die es knapp nicht in den Bundestag geschafft haben, aber trotzdem ja auch viele Stimmen bekamen. Dazu finde ich 42% CDU schon auch sehr aussagekräftig, gerade wenn sich angeguckt hat, was diese in den letzten Regierungsjahren gemacht hat. Außerdem zeigt es sich meines Erachtens auch dabei, wie über die Wahl (und zum Beispiel am gestrigen Abend über die AfD) gesprochen_geschrieben wird und welche Debatten wir ansonsten in dieser Gesellschaft führen. Ich finde es auch unabhängig des Wahlausgangs sehr verwunderlich wie eine_r gerade kein rechts-konservatives Klima fühlen kann…
2. Für mich ist SPD/Linkspartei/Grüne keine linke Mehrheit. Da haben wir Sarrazin und Buschkowski in der SPD (die sich dort ja auch nur halten können, weil es genug Menschen in der Partei gibt, die genau so denken und_oder es mittragen). Steinbrück las noch groß beim SPD Deutschlandfest (sic! Das könnte schon allein als Argument reichen) aus Kinderbüchern mit rassistischen Begriffen und Motiven. Die Grünen stehen in vielen Bundesländern in „bester“ konservativer Tradition. Und wenn wir uns an die letzte rot-grüne Regierung erinnern: Das war sicher vieles, aber nicht links! (Und natürlich gibt es auch immer mal wieder in der Linkspartei Personnen/Aktionen, die eher schwieriger unter das Label passen.) Diese Parteien einfach so als eine „linke Mehrheit“ zusammenzufassen, wie es ja nicht nur von dir sondern auch medial gern gemacht wird, ist zu simpel, (rechts-)konservatives Gedankengut verläuft nämlich eben nicht ausschließlich an Parteigrenzen entlang.
@Peisistratos
Erstmal, das, was Charlott sagt, danke.
Und vor allem frage ich mich immer, mit welcher Selbstverständlichkeit ein Bündnis seitens SPD und Der Grünen mit der CDU für möglich gehalten wird und bei einem potentiellen Bündnis mit der Linken das wild Hände fuchtelnd ausgeschlossen wird.
Und na klar, auch Die Linke hat an vielen Stellen deutlich gemacht, dass sie lieber oppositionell stärken möchte als zu koalieren. Mir geht es aber in diesem Kontext um die implizite Aussage, dass 2 angeblich linke Parteien bei der Nachfrage einer Möglichkeit, mit Der Linken zu koalieren, in Schnappatmung verfallen, die CDU, als rechts-konservative Partei aber ganz selbstverständlich als Partner in Frage kommt.
Es gibt einen ganz guten Artikel dazu, der zwar am Ende hin ein bisschen in Wahlempfehlungen/-aufforderungen abdriftet (was wohl nicht jedem_jeder gefällt), dessen enthaltene Analyse der Parteien SPD, Grüne versus Linke aber m. E. vortrefflich den Status Quo spiegelt.
Wobei wir natürlich nicht vergessen dürfen, dass gerade bei SPD und Der Linken immer noch „persönliche Animositäten“ mit in die Haltung einfließen, diese sollten in diesem Zusammenhang aber eigentlich auch keine Rolle mehr spielen.
Sehr schön auf den Punkt (bzw. die Punkte) gebracht!
Das fiel mir auch auf – kein Mann, der SPD wählte macht sich verdächtig, ob er das nur gemacht hat, weil Steinbrück auch ein Mann ist. Und jetzt werden einzelne Frauen (so als Repräsentantinnen für alle) gefragt, weshalb viele Frauen Merkel wählen!
http://realityrags.blogsport.de/2013/09/23/wahlkommentar-2013-das-land-ist-immer-noch-verrueckt/
Der Kommentar zeigt schön wie Wahlkampf und sexistische Normerfüllung zusammenhängen, dieses Muttiding und so.
den hier fand ich auch gut:
https://opalkatze.wordpress.com/2013/09/23/vier-jahre-stagnation-voraus/
Hatte auch das bittere Vergnügen, die Steinbach auf meinem Stimmzettel zu haben. I tried. Aber sie wäre auch über die Liste reingekommen. :/
(Und dann die Nacht wachbleiben, um zu sehen, wie die FDP in Hessen doch noch ganz knapp einzieht. Hmpf.)
@Jules: Das dacht ich auch. Vor allem, weil die ja noch die viel krasseren Kapitalisten sind!
>Und jetzt werden einzelne Frauen (so als Repräsentantinnen für alle) gefragt, weshalb viele Frauen Merkel wählen!
Umgekehrt wird ein Schuh draus.
Ich habe in erster Linie von Frauen ungefragt gehört, dass sie an Merkel gut finden, dass sie eine Frau ist.
Ungefragt auch noch? Frechheit!!1!11
Ich finde vor allem bedenklich, wie viele Stimmen die CDU/CSU zusätzlich bekommen hat ohne auch nur einen einzigen Inhalt jenseits von „Merkel muss bleiben“ im Wahlkampf zu vertreten. Über das Ausscheiden der FDP kann ich mich auch nicht richtig freuen, das ist wohl auch der starken AfD zuzuschreiben … Und die Analyse, dass Nichtwählen eine Frage der Beschäftigungssituation ist, und vor allem diejenigen, die unter der Politik einer konservativen CDU mit kleinem grünen oder roten Korrektiv leiden werden, sich nicht einbringen können/wollen, stimmt mich nachdenklich.
Statt „Auswandern“ hatte ich am Wahlabend eher das Bedürfnis mich noch weiter in meine eigene Blase zurückzuziehen, weil mir die Welt „da draußen“ so fremd vorkommt.
„Ich habe in erster Linie von Frauen ungefragt gehört, dass sie an Merkel gut finden, dass sie eine Frau ist.“
DAS find ich auch gut an ihr. Also, dass sie eine Frau ist. Bzw. ein Typ weniger, der mich öffentlichkeitswirksam vollquatscht. Ist zwar so ziemlich das einzige, was ich an ihr gut finde, aber immerhin etwas (im Vergleich zu den meisten anderen Spitzenpolitikern).
Gewählt hab ich sie trotzdem nicht, aber dass das m.E. durchaus ein Aspekt ist, den man „an Merkel gut finden“ kann, wollte ich dennoch gerne noch ungefragt einwerfen…