Als ein kanadischer Polizist in Toronto vor einer Gruppe Jura-Student_innen im Rahmen seines Vortrags zu Campus-Sicherheit dazu riet, dass Frauen vermeiden sollten, „sich als Schlampen zu kleiden, um nicht Opfer von sexueller Gewalt zu werden„, folgte erst Entrüstung und dann Gegenwehr: Weil viele die Schnauze voll von opferbeschuldigendem Verhalten (engl: Victim Blaming) und Vergewaltigungsmythen hatten, gingen im April rund 2000 Demonstrant_innen in Toronto für ihr Recht auf die Straße, sich kleiden zu dürfen, wie sie wollen, ohne für sexuelle Übergriffe verantwortlich gemacht zu werden. Der erste SlutWalk (zu dt: „Schlampenmarsch“) wurde ins Leben gerufen. Viele Städte folgten; auch in Deutschland formieren sich nun die ersten Gruppen, die in ihrer jeweiligen Stadt einen SlutWalk organisieren. Das Problematische am Transfer US-amerikanischer Konzepte und Begrifflichkeiten wie rape culture, Victim Blaming oder der im kanadischen Toronto organisierte SlutWalk ist, dass es hierzulande (noch) keine Äquivalente gibt, die diese konzeptionell und sprachlich fassen. Die Organisation der SlutWalks im deutschsprachigen Raum eröffnet daher die Möglichkeit, Begriffe und Konzepte herauszuarbeiten.
Warum demonstrieren?
Die Gründe der Demonstrant_innen, auf die Straße zu gehen, sind vielfältig: Einigen geht es um die Aneignung des despektierlichen Wortes „Schlampe“ mit all seiner sexistischen Konnotation, um das Wort mit neuen, positiveren Assoziationen zu füllen; andere insistieren auf ihr Recht auf sexy Kleidung, ohne dafür sanktioniert zu werden. Wieder andere protestieren gegen Vergewaltigungen und sexuelle Übergriffe im Allgemeinen und kämpfen gegen die Tendenz, Opfern von sexueller Gewalt eine zu Mitschuld geben, sei es auf Grund ihrer Kleidung („zu sexy und provozierend“) oder ihres Verhaltens („Du warst ja auch betrunken und/oder nachts allein unterwegs“). Dabei kommt es bei Vergewaltigung nicht darauf an, wie eine Frau aussieht oder was sie trägt – der Mythos, dass in der Mehrzahl aufreizend angezogene Frauen vergewaltigt werden, ist falsch und irreführend.
Mit gängigen Vergewaltigungsentschuldigungen und -erklärungsversuchen wird ein gesellschaftliches Klima aufrecht erhalten, in dem Frauen in der Rechtfertigungsposition sind und im schlimmsten Fall mit Ignoranz oder Victim Blaming konfrontiert werden. Passend dazu schrieb eine Facebook-Nutzerin:
In Zeiten in denen ein Ex-Generalstaatsanwalt bei Anne Will verkündet, er würde seiner eigenen Tochter im Falle einer Vergewaltigung von einer Anzeige abraten, ist es an der Zeit für Protest.
Rezeption in den Medien und kritische Stimmen
Die SlutWalks haben eine enorme mediale Aufmerksamkeit erhalten, doch besonders in der nordamerikanischen Blogosphäre ernteten die Proteste auch vielfältige Kritik. Auf Crunk Feminist Collective wurde die Bezeichnung „Schlampe“ kritisch beleuchtet, besonders in Hinblick auf die Frage, ob alle Frauen davon gleichermaßen betroffen sind. Andere erklärten, warum sie trotz der Kritik an den SlutWalks teilnahmen. Diskutiert wurde auch, ob es überhaupt möglich oder sinnvoll ist, Begriffe wie „Schlampe“ zurückzuerobern und mit neuem Leben zu füllen – oder warum die Demos nicht einfach Empowerment-Märsche genannt werden. The Good Men Project hat einen guten Beitrag, warum auch Männer auf dem SlutWalk marschieren sollten.
Auch in Deutschland wird bereits heiß diskutiert: Der Freitag befasst sich mit der Frage, ob Frauen sich das „Wort Schlampe affirmativ aneignen sollten“ und inwiefern Ausziehen die „richtige Protestform gegen Vergewaltigungsklischees“ sei. Im Tagesspiegel gibt es einen lesenswerten Artikel zu Sexismus in der „Mitte der Gesellschaft“. Spiegel Online berichtet über die ersten Bestrebungen, SlutWalks auch nach Deutschland zu holen, kommt dabei aber leider nicht ohne anti-feministische Klischees aus.
Slut Walks kommen nach Deutschland!
Die ersten SlutWalks formieren sich nun auch in Deutschland. Am 13. August wird es einen nationalen und möglicherweise weltweiten SlutWalk geben. Informationen und Kontaktdaten gibt es (leider meist nur) auf Facebook. Eine Übersicht über alle SlutWalks in Deutschland und Österreich hat slutwalks.net.
„Das Problematische am Transfer US-amerikanischer Konzepte und Begrifflichkeiten wie rape culture, Victim Blaming oder SlutWalk ist, dass es hierzulande (noch) keine Äquivalente gibt, die diese konzeptionell und sprachlich fassen.“ – total wichtiger Punkt! So bleibt bisher meist nur, mit oftmals etwas unhandlichen Eigenkreationen/-übersetzungen zu hantieren. Dadurch lassen sich Dinge natürlich nicht so schön kompakt auf den Punkt bringen. Größer finde ich aber das Problem, dass aus der Tatsache, dass es derlei begriffliche Äquivalente im Deutschsprachigen nicht gibt, gerne auch mal gefolgert wird, dass es die entsprechenden Probleme hier so nicht gibt. Was natürlich gänzlich falsch ist, auch wenn es unterschiedliche Ausprägungen unterschiedlicher Phänomene geben mag. Ich bin jedenfalls einigermaßen aufgeregt wegen der angekündigten Deutschland-SlutWalks (hätte ehrlich gesagt auch nicht zu träumen gewagt, dass die Welle so schnell von Toronto über die Welt nach Deutschland rüberschwappt) und teile die Hoffnung auf „die Möglichkeit, Begriffe und Konzepte herauszuarbeiten“ – wäre toll, wenn die Chance genützt würde!
Seit wann liegt Toronto in den USA?
Dann wäre „SlutWalk“ nämlich kein US-amerikanisches Konzenpt, sondern ein kanadisches bzw. nordamerikanisches. Lässt sich auch nicht leichter auf deutschsprachige Verhältnisse übertragen aber wenn Differenzierung, dann bitte auch richtig.
@Khaos.Kind
Danke für en Hinweis. Da war ich etwas unpräzise: rape culture und Victim Blaming kommen aus einem US-amerikanischen Kontext; SlutWalks wurden selbstverständlich in Kanada ins Leben gerufen, arbeiten aber mit den oben genannten Begrifflichkeiten. Ich habe es präzisiert.
Das mit den korrekten, den korrekt übersetzten Begrifflichkeiten wird sich noch ergeben.
Im Zweifel gilt auch hier zunächst die Phrase: Auch negative Werbung ist Werbung. – Will heißen, „Fehler“ dürfen gemacht werden; wichtig ist erstmal etwas zu tun, anzufangen!
Ein anderer Aspekt beim Übersetzen der Begrifflichkeiten ist, dass Sprache so viel Macht hat. SlutWalk, ja, cool, BitchMagazine, super. Reclaimen find ich toll, I am a bitch.
Und dann lese ich „Schlampenmärsche“ und zucke innerlich doch wieder zusammen. Weil das das Wort in meiner Muttersprache ist. Und damit trägt es alle Konnotationen, die Slut und Bitch rational zwar ebenfalls innehaben, aber emotional nicht mitgefühlt werden.
So ähnlich stelle ich mir die Reaktion meiner Gesprächspartner_innen vor, wenn ich von rape culture spreche: Jaja, klar, schlimm irigendwie. Vergewaltigungskultur? Schlimmer.
@Keks: Das stimmt, da geht es mir ähnlich. Aber vielleicht haben für englische Muttersprachler_innen diese Wörter ja auch einen gewaltigen Effekt – und sie nutzen sie dennoch, oder gerade deswegen. Wenn sich alle trauen, solche Wörter selbstbewusst zu gebrauchen und wenn Journalist_innen sie dann auch verwenden, dann setzt sich das vielleicht durch. Und dann sind die ersten Reaktionen eben erst mal stark. Gut so!
In einem etwas anderen Kontext, aber ähnliches Problem: Ich finde das Wort „queer“ sehr gelungen, auch weil sich dahinter ein komplexes Konzept verbirgt. Gibt es dafür eigentlich auch ein deutsches Wort? In der Szene und informierten Kreisen wird ja einfach „queer“ benutzt und alle wissen einigermaßen Bescheid. Aber so richtig im Feuilleton scheint es mir noch nicht angekommen, und vielleicht gibt es ja einen guten, leichter durchzusetzenden Alternativbegriff. ??
@johanna: ‚queer‘ ist so praktisch, das wort will ich beibehalten! ich erklärs einfach so oft, bis es alle verstehen. denkst du, mit einer anderen bezeichnung lässt sich das folgende vermeiden? ;)
http://www.queer.de/detail.php?article_id=11756
ich glaub nämlich nicht, dass man ein wort findet, das dem unbedarften schlagartig klar macht, um was es bei ‚queer‘ geht.
mir ging es so ähnlich mit „überlebende/r“. so hat sich norbert denef bezeichnet als er in einer talkshow davon erzählte, dass er als jugendlicher sexuelle gewalt erfahren hat. hab das da zum ersten mal gehört, dass opfer sexueller gewalt sich so sehen und auch wenn ich bis dahin der meinung war, ich wüsste ungefähr, was sexuelle gewalt für die betroffenen bedeutet, hat mir dieses wort die dimension dann doch nochmal anders vor augen geführt. deswegen verwede ich ‚vergewaltigungskultur‘.
Endlich mal eine Aktion, die als Flashmob sinnvoller ist als der „No-Pants-Day“ oder der „Towelday“. Etwas, das gleichzeitig das Potenzial hat groß zu werden, aber auch mehr Ziele hat, als bloß Spaß zu machen! Aber ich hoffe auch, dass wenn die „Märsche“ in Deutschland stattfinden, dann sollte man den Name auch so übernehmen, als Verweis zu „Keks“. Schließlich heißt es auch nicht „Der-keine-Hosen-Tag“.
@alex: ich finde das Wort ja auch gut! Aber es ist noch so unbekannt und ich hatte eben sinniert, ob es sich vielleicht besser verbreiten und als Konzept in das kulturelle Gedächtnis einpflanzen ließe, wenn es eine deutsche Übesetzung gäbe… Aber vermutlich nicht.
Danke für den Link zu dem Artikel. Könnte mir gut vorstellen, dass man in Deutschland ähnliche Ergebnisser erhielte. „Homosexuell“ klingt noch eher wie eine „Krankheitsbezeichnung“ für die meisten. Persönlich empfinde ich aber auch das Wort „schwul“ als geläufiger, positiver besetzt als „lesbisch“. Das geht einigen Bekannten von mir auch so.
Gute Aktion, sozusagen die fällige Äquivalente zum Christopher-Street-Day oder zum 1.Mai. Wie notwendig so etwas ist zeigten ja schlagend die Auseinandersetzungen in den Blogwelten, in denen Netbitch, Momorulez und ich so unterwegs sind. Stay tuned!
Danke für den tollen Eintrag, ich will aufjedenfall mit demonstrieren. Habe auf euch verlinkt, btw…
http://briefeausberlin.blog.de/2011/06/16/slutwalk-berlin-schwestern-sonne-freiheit-11328869/
Das ist dann mal eine Frauendemo, mit der mensch einfach Medienberichterstattung provozieren kann..
@Magda – danke für die infos und die links !
@denkwerkstatt – „frauendemo“ – in dubio ist das ein „vertipper“ ?!
mE sind diese slutwalks im interesse ALLER menschen – also hoffe ich, auch in dld., auf möglichst viel beteiligung „vieler menschen“.
ms naughty war beim „slutwalk Brisbane“ und hat hier fotos – einfach mal gucken, text ist englisch :
http://www.msnaughty.com/blog/2011/05/29/fun-at-the-brisbane-slutwalk/
> By the way, to all the guys saying they’ll be at the Slutwalk so they can look at scantily clad women: Thanks. That’s nice of you. May I suggest you join in as well? Because if you enjoy looking at women, you should also respect them. If you don’t, you’re exactly the kind of slut shaming arsehole we’re protesting against.<
aus hier, inkl. diverser links :
http://www.msnaughty.com/blog/2011/05/27/tomorrow-ill-be-slutwalking/
und hier "erkärt" eine mutter, warum sie mit ihren 3 söhnen teilnimmt – englisch :
http://www.abc.net.au/unleashed/2733556.html
Ich würde *keinesfalls* Begriffe wie „Slut“-walk oder „Schlampen“-marsch verwenden. Sprache -> Kommunikation -> Bewusstsein. Ein „Schlampenmarsch“ suggeriert, dass hier Schlampen marschieren.
Ziel sollte aber doch sein, dass diese Form mehr oder weniger subtiler Gewalt gegen Frauen aufgehoben wird. Dafür brauchts seriöse Begriffe, mit denen sich die Menschheit (Ausprägung: weiblich) umfassend identifizieren kann, so dass dann auch eine entsprechend große Menge zusammen kommt. 10.000 sind ganz nett. 1 Million bringt die Infrastruktur einer Stadt ins Schwitzen. Je mehr, desto ernster.
@osiris
ich würde auf jeden fall diese begriffe verwenden. denn die botschaft ist ja, egal ob schlampe oder nicht, man(n) hat sich gefälligst zu beherrschen.
Hey Osiris,
1 Million ist eine großartige Vision! :-) Wenn du dir vorstellen kannst, dass es alternative Mobilisierungsmöglichkeiten mit derselben Stoßrichtung und großem Identifikationspotential gibt, ist das doch super – daher mein Vorschlag: Such dir Leute, leier das an, die Gelegenheit ist günstig, denn die Slutwalks machen aktuell gerade mächtig Boden für das Thema gut!
http://www.zdf.de/ZDFmediathek/hauptnavigation/nachrichten/#/beitrag/video/1376174/Der-Slutwalk-im-Kommen
Bei 2.25min spricht Katja Grieger über einer Studie, die besagt, dass die Kleidung nicht das Risiko für eine Vergewaltigung steigert/senkt. Weiß jemand, wo ich die Studie nachlesen kann? Immer, wenn ich andere zum Slutwalk motivieren will, wäre dieses Totschlagargument echt hilfreich!
@Louise – wie wärs in diesem fall/zB zdf/Katja Grieger anrufen und nach „der studie“ fragen und mailen lassen ?!
(habe ich selbst schon in anderen fällen gemacht)