Im Oktober 2018 demonstrierten in Berlin knapp eine Viertelmillion Menschen gegen die rassistischen Verhältnisse in Deutschland, das Sterben im Mittelmeer, Nazis in den Parlamenten und für eine vielfältige Gesellschaft, die Solidarität lebt – und nicht Diskriminierung und Abschiebung. Dabei kamen Aktive aus unterschiedlichsten Kontexten zusammen und viele, viele Menschen, die seit Jahren oder zum ersten Mal auf eine Demo gingen. Das Motto: Wir sind #unteilbar in unserer Solidarität mit Geflüchteten und mit Menschen, die in Deutschland Rassismus erleben.
In einer Podcast-Folge haben wir uns kurz nach der Großdemo in Berlin damals mit der Frage: „unteilbar – der Beginn einer sozialen Bewegung?“ beschäftigt. Wir teilten unsere Beobachtungen von der Demo und diskutierten die Widersprüche groß angelegter Bündnisse und ihrer Politiken.
Heute, ein Jahr später, stehen wir kurz vor den Landtagswahlen in drei ostdeutschen Ländern – Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Unteilbar klingt nach, und gleichzeitig wird die AfD voraussichtlich große Erfolge bei den anstehenden Wahlen einfahren. Es ist unumgänglich, über die teils angsteinflössenden und bedrohlichen politischen Verhältnisse in jenen Bundesländern zu berichten.
Brandenburg: Viel zu Braun, aber Hoffnung für Rot-Rot-Grün
In Brandenburg liegt die AfD im Schnitt mit 21% in den Umfragen deutlich vorn, die SPD folgt mit knapp 18%, die CDU mit rund 17%. Glaubt man den Prognosen, werden die AfD und die Grünen deutlich an Wähler*innenstimmen zulegen, die SPD würde den größten Sturz erleben. Die aktuelle rot-rote Regierung ist sehr wahrscheinlich bald Geschichte, aber für Rot-Rot-Grün könnte es knapp reichen.
Die Nachrichten aus Brandenburg lassen eine nur mit dem Kopf schütteln: Ein SPDler denkt zu laut über eine Koalition mit der AfD nach (und fühlt sich dann falsch verstanden). Und der AfD-Spitzenkandidat Andreas Kalbitz steht Bernd-Björn Höcke in nichts nach. Kalbitz‘ Vita lässt keine Zweifel aufkommen, mit wem wir es hier zu tun haben: Ex-Mitglied der Republikaner, Mitglied beim antisemitischen „Witikobund“, Autor für rechtsextreme Blättchen und Mitarbeiter an einem verherrlichenden Film über Adolf Hitler, so die Recherchen von Bell Tower.
Rein rechnerisch ist es viel zu braun und konservativ in Brandenburg, aber die Hoffnung liegt auf Rot-Rot-Grün. Nach dem 1. September wissen wir mehr.
Sachsen: Konservativ und Braun
Ebenfalls am 1. September findet in Sachsen die Landtagswahl statt. Dort liegt die CDU laut Prognosen vorn. Kurz dahinter folgt die AfD, weiter abgeschlagen dann DIE LINKE.
Im Juni meldete sich öffentlichkeitswirksam eine Initiative unter dem Motto „umkrempeln“ zu Wort. Das Ziel in eigenen Worten: „Wir wollen den Freistaat auf rot-rot-grün #umkrempeln“. Die Sachsen-SPD fand das nur so mittel. Kein strategisch kluger Move, denn: Die Mehrheit der Sachsen-CDU schließt zwar eine Koalition mit der AfD aus, aber im Freistaat ist in Richtung rechts so einiges möglich. Wenn René Jalaß von den LINKEN sagt, dass Nazis in der Regierung nur verhindert werden können, wenn auch die CDU verhindert wird, dann spielt er auf eine potentielle CDU-AfD Koalition an – rein rechnerisch leider realistisch.
Thüringen: Hoffnung für die Roten
In Thüringen sieht es nicht ganz so braun aus, aber die aktuelle rot-rot-grüne Regierung mit dem linken Ministerpräsident Bodo Ramelow muss trotzdem bibbern. DIE LINKE liegt in den Umfragen vorn, aber nur ganz knapp vor der AfD. Nach der aktuellen Prognose reicht es nicht mehr für Rot-Rot-Grün nach der Wahl am 27. Oktober. Die CDU würde nach aktuellen Prognosen die größten Verluste einfahren. Immerhin: Keine der Parteien zieht eine Koalition mit der AfD auch nur annähernd in Betracht. Diese wirbt im Wahlkampf für Massenabschiebungen, der Thüringer AfD-Landeschef Höcke fordert eine „Verabschiedungskultur“.
Bei einer Direktwahl sähe es für den beliebten Politiker Ramelow gut aus. Doch auch hier steht die endgültige Regierungsbildung in den Sternen.
#Unteilbar geht’s weiter: Wann, wenn nicht jetzt?
Neben den größtenteils gruseligen Prognosen gibt es hier und da kleinere Hoffnungsschimmer, denn es gibt sie, die linken Kräfte in ostdeutschen Bundesländern. Da ist zum Beispiel WannWennNichtJetzt, ein Zusammenschluss von bereits existierenden lokalen Initiativen und Einzelpersonen, die mit ihrer Marktplatz- und Konzerttour durch Brandenburg, Sachsen und Thüringen ein Zeichen setzen wollen. Ein Anlass sind gewiss die anstehenden Landtagswahlen. Sie sagen:
Wir treten der menschenverachtenden, rassistischen und autoritären Politik der AfD, die jeglicher emanzipatorischer gesellschaftlicher Veränderung im Wege steht, entschieden entgegen. Ebenso verurteilen wir den gesamtgesellschaftlichen Rassismus und richten unsere Kritik an all jene Parteien und Institution, die in den letzten 30 Jahren vor allem neoliberale Wirtschaftspolitik gestärkt und progressive gesellschaftliche Arbeit geschwächt haben.
Am kommenden Samstag findet die zweite bundesweite Unteilbar-Demo dieses Mal in Dresden statt. Ein gutes, wichtiges Zeichen genau eine Woche vor den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg.
Ein paar Möglichkeiten, selbst aktiv zu werden:
Falls du nicht in Dresden wohnst, aber Zeit und Ressourcen hast, fahre doch zur Demo (es gibt auch organisierte Fahrten vom unteilbar-Bündnis). Schaue auch bei der Partei deiner Wahl nach, ob diese organisierte Fahrten anbietet. Falls du einer demokratischen Partei nahe bist und kurzfristig bzw. in den nächsten Wochen Kapazitäten hast, kannst du in den jeweiligen Landesverbänden anfragen, wie du die Wahlkämpfe vor Ort unterstützen kannst (das kann alles von Straßenwahlkampf über Flyern oder Plakatieren sein).
Und nicht vergessen: Am 1. September in Brandenburg und Sachsen wählen gehen, am 27. Oktober in Thüringen.