Die Petion zum Recht auf Sparen für Menschen mit Behinderungen macht ihre Runde und alle so: “Yeaaaaa!”
Nur nicht die Menschen mit Behinderungen, die im Hartz 4 System sind, weil sie als mehr oder weniger rehabilitierbar und/oder mehr oder weniger arbeitsfähig eingestuft wurden. Unter Hartz 4 kann ebenfalls nicht gespart werden.
Rausarbeiten ist die Devise. Auch dann, wenn das Teilhabegesetz und auch das viel besprochene Teilhabegeld kommen.
Auch dann, wenn sich der Arbeitsmarkt für diese Personengruppe noch immer nicht zum Positiven verändert.
Hartz 4, das bedeutet für noch viel zu viele Menschen “keine Arbeit = kein Geld = Hilfebedarf = Hartz 4” und nicht auch: “von vornherein schwierige Lebensbedingungen wegen bestehender Diskriminierung aufgrund von Behinderung (auch as in “chronische Krankheit”), Geschlecht, Alter, Klasse, Herkunft, etc etc = keine Hilfe = kein (oder zu wenig) Geld = Bedarf zur Sicherung des Überlebens = Hartz 4”
Die Petition ist ein guter Schritt – gar keine Frage. Es ist ungerecht, dass Menschen, deren Hilfen aus einem Sozialhilfetopf finanziert werden, immer ein Minus einkalkulieren müssen, wenn sie arbeiten und dieses Minus ihr Leben lang auch nicht loswerden, weil sie ihren Bedarf an Hilfen/Unterstützungen nicht abschalten können. Die Regelungen diskriminieren Personen mit ständigem Hilfebedarf aufgrund dieses Hilfebedarfes und der Notwendigkeit die Deckung dieses Bedarfes zu finanzieren.
Eine Regelung hingegen, die die Folgen von ständig ausbleibenden Hilfen, aufgrund von bestehenden Diskriminierungen an anderen Stellen, ausblendet, kann nicht im Sinne einer Inklusion sein.
Die Verweildauer im System des Hartz 4 hat sich auf mehrheitlich 4 Jahre bis mehr verlängert. Warum? Weil es keine klassische Sozialhilfe mehr gibt und der Gang zum Jobcenter der Gang zur Rettung vor dem Leben auf der Straße wurde.
Egal, ob behindert oder sonstwie benachteiligt – sparen, erben, eine Zukunft planen, die absichert, das ist je länger man von Leistungen zur Grundsicherung abhängig ist, immer weniger umsetzbar. Nicht zuletzt, weil es ähnliche Vermögensgrenzen und ein Abzugsminus in bestehenden Arbeitsverhältnissen gibt.
Ich bin keine Behinderte, der mit einem Rollstuhl oder einer persönlichen Assistenz geholfen wäre, am Arbeitsleben zu partizipieren und deshalb macht mich die Petition in Teilen, die Antworten auf die häufigsten Fragen im Petitionstext auf der Webseite, auch wütend.
Für mich sieht es so aus als würde es wieder Gewinner_innen und Verlierer_innen innerhalb eines Schrittes in Richtung “Gesellschaft ohne Gewinner_innen und Verlierer_innen” geben, weil nicht reflektiert ist, das noch nicht jede Behinderung und jeder Bedarf an Unterstützung zur Partizipation mitbedacht ist.
Ich bin zum Beispiel chronisch krank* und werde durch die Begrenzungen der Krankenkassen von psychotherapeutischen aber auch medizinischen Hilfeleistungen, chronisch krank gehalten. Werde ich von einem Teilhabegeld, dass körperbehinderten Menschen eine Pflegekraft finanzieren hilft, vielleicht auch eine Psychotherapie oder eine Behandlung in einer spezialisierten Klinik finanzieren können? Ich glaube nicht.
Würde ich, wenn ich unter Hartz 4 sparen könnte, in die Lage kommen mich tatsächlich rauszuarbeiten? Ich denke schon.
Würde dies dazu beitragen einen Schritt näher an eine Art bedingungsloses Grundeinkommen heranzukommen? Ich denke schon.
Warum schlägt das dann niemand vor?
Ach ja: Weil „die Hartzies“ ja selbst machen können.
Mir erscheint vieles um die derzeitige Inklusions und Teilhabedebatten sehr weiß und bürgerlich (und neoliberal) und Antworten auf häufige Fragen, in denen Worte wie “in den Sozialhilfeabgrund reißen” vorkommen, bestätigen das.
Es fühlt sich an, als wolle man Teilhabe an Privilegien und hielte das für Inklusion.
Inklusion bedeutet aber Teilhabe an sowohl den Privilegien, als auch den Verantwortungen, den Verpflichtungen und den Diskriminierungen anderer Menschen. Dies zeichnet sich bereits in den Überlegungen zum Teilhabegesetz ab: Vorfahrt haben die Partikulärinteressen derer, die noch am nächsten dran sind, an dem weißen Mittel – bis Oberschichtenmenschen, der sich potenziell aus allem rausarbeiten kann.
Das Gefuchtel derer, die mehrfachbehindert, weniger oder gar nicht arbeitsfähig sind und dies aus noch ganz anderen Gründen, als denen eines wachstums- und leistungsorientierten Wirtschaftswesen, auch sehr lange bis immer bleiben werden, geht dabei fast unter.
In der aktuellen Inklusionsdebatte hat man erreicht, dass sich auch andere diskriminierte Personengruppen als solche wahr- und ernstnehmen können. Mit der geplanten Umsetzung und den Vorschlägen, die es bis jetzt gibt, nimmt das Ganze auch eine Vorreiterrolle ein, die sich meiner Ansicht nach, noch ein bisschen näher an den Lebensrealitäten derer um die es geht, orientieren müsste, um es im Sinne der Inklusion, für alle auch in der Zukunft zu erleichtern zu ihrem Recht zu kommen.
Ja, ich habe „nur“ einen Rollstuhl, der mich kapitalistisch-lohnarbeiten „ließe“. Aber da gibts zusätzlich noch die Barriere in den Köpfen.
„So jemanden“ will halt kein AG, es sei denn, es flössen „Fördergelder“. Dann, knurrend, ja. Aber sonst? Ne BEHINDERTE? Ne behinderte FRAU? Ne behinderte Frau Ü50? Nee, denn dochnicht. Bitte die nächste – „wir haben niemanden, der Sie füttert“. „Wir haben niemanden, der Sie wickelt“. „Wir haben Kundenverkehr, das ist doch unzumutbar, so was dann sehen zu müssen“. „Die Kollegen können doch nicht dauernd mit Krankheit und Siechtum konfrontiert werden“. Alles Zitate, mehrfach, hoch zweistelliger Bereich. Kommuniziert wird: kein Pflegebedarf. Ganz schlichtweg und einfach nur Rollstuhlnutzung.
Ich selbst sehe das tatsächlich als „nur“, ist nix „Schlimmes“. ABER kapitalistische Bedingungen machen dies zu einem Ausschlussgrund, zu einem Hartzie“schicksal“ auf Lebenszeit. Trotz Ausbildung, trotz Kenntnissen, die mich als „Normale“ jederzeit in eine Leitungsposition brächten (die ich inne hatte. Als Fußgängerin). Aber ich bin „nur eine Behinderte“.
Ist „knurrend genommen“ werden für dich eine Barriere?
Ich frage nicht, weil ich das bewerten will, sondern weil ich mich gerade an so einem Punkt sehe, an dem Betriebe dafür bezahlt werden würden mich auszubilden (und das auch noch nicht geklappt hat) und ich mich selbst manchmal frage, ob ich eigentlich wirklich damit leben könnte dieses (mehr oder weniger) „knurrend und murrend angenommen werden“ in der Ausbildungszeit dann immer wieder weg – und übergehen zu müssen.
Viele Grüße
Ein schöner Text, um mal wieder über den Wert der Arbeit und damit (leider) verknüpft, den des Menschen nachzudenken. Danke dafür.
Hanna C.: Zu deinem Kommentar fallen mir die knurrenden und murrenden Kommentare ein, die ich auch außerhalb des Arbeitskontextes erlebe, die einem dann entgegen schlagen, wenn man irgendwo dabei sein will, wo man als wie auch immer behindert nicht vorgesehen ist. Der Unterschied ergab sich meistens dadurch, dass ich als „Normale“ dabei sein wollte. Als Behindi ist man gerne akzeptiert, die Distanz bleibt ja zum Rest der Belegschaft (oder „Freunde“) schön gewahrt, aber Gott bewahre, dass man sich auf Augenhöhe sieht. Da musste icb dann immer ganz viel darum kämpfen, ernst genommen zu werden, und es wurde erwartet, dass ich mich dafür rechtfertige, dass ich „mal wieder zum Arzt“ muss oder nicht an irgendeiner Aktivität teilnehmen möchte (neuerdings auch sowas wie „aber welche Gründe hast du denn, nciht vegan zu sein??“). Wenn man dann seine Diagnose nennt: Betretenes Schweigen und „achso“, als sei damit die Absolution erteilt: Man ist nicht Teil der anderen mit anderen Bedürfnissen, sondern halt der Behindi, der halt das und das braucht.
Sehr tiefgründiger Artikel. Danke! Verwunderlich ist das alles aber nicht, ist halt Inklusionsmainstreaming, was da all zu oft geschieht. Da bleibt das kritische Denken manchmal auf der Strecke. In Zukunft schimpft der vollinkludierte Rollstuhlfahrer dann auf den Harz4-Behinderten. – Wie hieß es bei den Römern: „Teile und herrsche!“
Bin vor kurzem auf ein Online-Magazin gestossen, das u.a zwei sehr lesenswerte Artikel zur bürgerlichen Inklussionsdebatte hat: Distanz-Magazin https://de-de.facebook.com/distanzmagazin Da kann man es als pdf runterladen.