Let’s talk about McSex

Der Konsum von „Fast Sex“ im Internet schlägt auf die Psyche, gerade so wie Fast Food sich auf den Körper auswirkt. Was wir brauchen, ist eine neue sexuelle Befreiung.

(c) Frl. Zucker

Internet-Sex ist ungesund! – Diese These klingt in der sogenannten modernen Welt absurd und abwegig. Ein Mensch, der Pornos im Internet schaut, gilt als normal. Dabei ist es unerheblich, welches Ausmaß der Konsum annimmt. Oder welche Praktiken in den Filmen dargestellt werden. Pornografie ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Pornografie-Kritik gilt als gestrig. Diese Sichtweise basiert auf zwei grundsätzlichen Annahmen:

  • Der Mensch ist ein Triebwesen, er „braucht“ das einfach. Und es ist eine große Befreiung, das endlich in allen Facetten ausleben zu können.
  • Das sogenannte „Appetitmachen“ in der Cyberwelt steht in keiner Beziehung zum „Zuhauseessen“. Pornokonsum und gelebte sexuelle Beziehung haben keine Verbindung miteinander, sie sind sauber getrennt.

Oder?

Für die britische Feministin Natasha Walter ist diese Bagatellisierung und Normalisierung des Konsums von Internetpornografie eine Gefahr – ein Angriff auf die Würde der Frauen und ein Angriff auf tatsächliche Intimität in sexuellen Beziehungen. Laut ihrer Einschätzung „ist es nicht von der Hand zu weisen, dass der übermäßige Konsum von Pornographie tatsächlich viele erotische Beziehungen bedroht“. Überdramatisierung? Hysterie? Zwei Vokabeln, die schnell zur Hand sind, wenn jemand die Harmlosigkeit von Internet-Sex infrage stellt. Und dann auch noch eine Feministin!

Die therapeutische Praxis

Erotische Beziehungen sind das Spezialgebiet von Hannie van Rijsingen. Die Sexualtherapeutin behandelt seit dem Erscheinen ihres Buches Seks, alles of niets (erschienen auf Niederländisch) viele Paare, in denen Männer ein zweites Sexualleben im Internet begonnen haben. Die Männer kommen freiwillig in ihre Praxis, oder werden von ihren Frauen „geschickt“ – van Rijsingen gilt als Expertin auf diesem sehr delikaten Gebiet. Dabei wollte sie ursprünglich etwas ganz anderes wissen: Ihr Verlag hatte sie gebeten, ein Buch über Männer zu schreiben, die keine Lust mehr auf ihre Partnerin haben.

Sie fand schnell heraus, dass ein Großteil dieser Männer nur auf diese spezielle Partnerin keine Lust mehr hatten – im Geheimen aber ein Sexleben führten: mit dem Computer. Van Rijsingen fiel es wie Schuppen von den Augen: „Das hatte ich früher nicht gesehen!“, sagt sie heute. „Das kommt häufig vor.“ Dabei ist van Rijsingen weit entfernt davon, die Männer an den Pranger zu stellen. Ihr geht es um Veränderung und um Hilfe. Unter ihrer Leitung trifft sich eine Gruppe Männer, um in einem geschützten Raum ihre Erfahrungen auszutauschen. Alle sind internetsexsüchtig.

Van Rijsingen hat aus ihren Gesprächen zwei wesentliche Erkenntnisse mitgenommen:

  • Jeder der Männer, die übermäßig häufig Pornografie im Internet konsumieren (also in der Regel täglich mehrere Stunden), tat dies als Flucht. Sie alle flohen vor Schwierigkeiten und Stress am Arbeitsplatz oder in der Beziehung.
  • Jeder dieser Männer trug die Bilder, die sich in seinem Kopf festsetzten, in die Sexualbeziehung mit der Partnerin hinein. Rief sie ab, wenn er „leisten“ sollte – brauchte sie, um leisten zu können. „Der Kontakt mit der Partnerin geht verloren“, stellt die Therapeutin fest, „denn man hat nun Kontakt mit den Bildern. Zwei Personen sind damit beschäftigt, einen Orgasmus zu erreichen, aber der Kontakt zwischen ihnen fehlt.“ Der Sex wird zum Stress-Ventil. Um ein erfülltes körperliches erleben mit der Partnerin geht es kaum noch. Die Männer versuchen ein emotionales Loch zu füllen.


Liebevolle Sexualität statt McSex

Myrthe Hilkens ist eine junge und bekannte Musikjournalistin. Sie schrieb mit McSex – Die Pornofizierung unserer Gesellschaft eine Streitschrift gegen die Kontaklosigkeit, die Macht der Bilder und den bulimischen Konsum von Pornografie im Internet. Sie hat Männer interviewt, die ihr erzählten: „Seit ich 14 bin, kann ich mir nicht mehr ohne Porno einen runterholen.“ Oder: „Wenn ich zu Pornos masturbiere, hat das nichts mit Leidenschaft zu tun oder mit sexuellem Verlangen.“ Ähnlich wie die Männer in van Rijsingens Praxis bemerken sie, dass etwas nicht stimmt. Es fühlt sich verkehrt an. Sie spüren eine Leere.

Hilkens betrachtet aber nicht nur die Männer. Einer von drei Besuchern von Sex-Websites ist heute eine Frau. In sexuell angehauchten Sex-Chatrooms sind zweimal mehr Frauen als Männer; 17 Prozent der Frauen sind pornografiesüchtig; und 13 Prozent der 9,4 Millionen Frauen, die Sex-Websites besuchen, tun dies während ihrer Arbeitszeit (Hilkens zitiert hier die Pornography Statistics). In Internetforen tauschen sich jetzt bereits Männer unter dem Betreff „Hilfe, meine Frau schaut Pornos“ aus.

Die Autorin geht noch einen Schritt weiter: sie wünscht sich mehr „gute Pornos“. „Unvollkommenheiten, wahre Gefühle und echte Menschen“ sind davon ein genauso wichtiger Bestandteil wie „Hängebrüste, Fettröllchen, Kondome, sogar Liebe“. Solche Filme erleben eine Renaissance. Doch davon sind 99 Prozent der kostenlosen und schnell erklickten Angebote im Internet weit entfernt. Im Gegenteil: In der Welt, in der es „nichts nicht gibt“, sind Schamhaare schon zur Rarität geworden.

Wir brauchen eine neue Sexuelle Befreiung!

Walter, van Rijsingen und Hilkens sind vielleicht die Sex-positivsten Menschen, die man lesen kann. Weder sind sie prüde noch hysterisch. Sie beschreiben eine gesellschaftliche Realität, die aus Sexualität eine Ware, ein Stress-Ventil gemacht hat, welche von Bildern dominiert ist – nicht von Kontakt, Liebe und Intimität. Was als Befreiung und Ermächtigung verkauft wird, ist nichts anderes als neue Fesseln. Fesseln, die mit der gegenseitigen Entfremdung der Menschen in ihren Paarbeziehungen einhergehen. So lautet denn der letzte Satz in Hilkens Buch: „Es ist, kurz gesagt, Zeit für eine neue sexuelle Revolution.“ Fangen wir an!

Literatur:

 

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(Dieser Artikel erschien als Kolumne auf freitag.de)

34 Kommentare zu „Let’s talk about McSex

  1. „17 Prozent der Frauen sind pornografiesüchtig;“

    Das erscheint mir ein extrem hoher Wert. Was liegt dem denn bitte für eine Suchtdefinition zugrunde?
    Und wenn dies der Wert für Frauen wäre, was wäre dann bitte der Wert für Männer, der ja nach obigen Artikel noch wesentlich höher sein müsste.

  2. „Weder sind sie prüde noch hysterisch. Sie beschreiben eine gesellschaftliche Realität, die aus Sexualität eine Ware, ein Stress-Ventil gemacht hat, welche von Bildern dominiert ist – nicht von Kontakt, Liebe und Intimität.“

    Und das zur Sexualität „Kontakt, Liebe und Intimität“ gehört liegt dann wohl in der „Natur“ des Menschen von der er durch die böse Gesellschaft entfremdet wird, oder wie ist das zu verstehen?

    Mag ja sein das die Bücher mehr hergeben als sich hier kurz zusammenfassen lässt. Bei einem Titel wie „McSex…“ wäre ich da allerdings skeptisch. Wie sich die Verbreitung von Pornographie auf die Gestaltung von Intimbeziehnungen auswirkt ist sicher ein, auch aus feministischer Sicht, interesantes Thema.
    Wenn dabei aber die eigenen Vorstellungen von guter und richtiger Sexualität zum allgemeinen Ideal erklärt werden, dass es gegen die Einflüsse der bösen – vermutlich auch noch amerikanischen – Pornoindustrie zu verteidigen gilt, dann wird es doch recht schnell sehr banal.

  3. Da Sex im Internet schon lange und jetzt sogar umsonst zu sehen ist, frage ich mich schon, was das für Auswirkungen hat. Ich verstehe das nicht. Was ich gesehen habe war zwischen langweilig und eklig, da besteht bei mir kein Suchtpotential. Was soll man heute mit Pornos, wenn man im Handy mindestens Nummern von attraktiven Männern gespeichert hat, die nach einer eindeutigen SMS spätestens in 15 Minuten an der Tür klingeln? Warum soll ich einen Film mit wildfremden Menschen schauen, die gar nicht mein Typ sind? Lieber die Taube im Bett als den Spatz auf dem Dach. Mich erinnert dieser Hype an die vielen Kochsendungen, zwei Stunden gucken und dann schnell die Tiefkühlpizza in den Ofen. Wahrscheinlich läuft das mit Sex heute ähnlich. Ich kann es nicht sagen, da das Phänomen der Internetsexsucht mir nichts sagt, ich eigentlich überrascht bin, daß es so viele Frauen geben soll, die davon betroffen sind. Vielleicht ist es gut, einmal darauf aufmerksam zu machen.

  4. @icke – ich kenne jetzt nur das Buch von Hilkens, aber sie spricht keinesfalls davon, was „richtige“ und was „falsche“ Sexualität ist. Stattdessen plädiert sie für weniger gesellschaftliche Pornografizierung, die neben der Popkultur auch zunehmend unser Alltagsleben prägt.
    Genausowenig verurteilt Hilkes per se Pornos. Im Buch gibt es ein Kapitel unter der Überschrift „Gute Pornos“ und dem stellt sie das berühmte Zitat von Annie Sprinkle voran: „Die Antwort auf schlechte Pornos ist nicht ‚keine Pornos‘ sondern ‚gute Pornos‘. Und „gute Pornos“ sind so eine Definitionssache, aber leider kaum auf den gängigen Web-Pornoseiten zu finden…

  5. @michael… vielleicht sind ja 17% der frauen gemeint, die sich sexseiten anschauen? das würde zumindest einen sinn ergeben.

    @ariane… liegt vielleicht daran, dass sowas als frau leichter ist, bzw. vielleicht ihnen auch nochmal im speziellen leichter fällt. ich kann aber auch nur vermuten.

    ob die welt jetzt dadurch wirklich schlimmer wird, ich mag das nciht zu beurteilen. aber zumindest ist es etwas, worüber man mal nachdenken kann/soll. wie sieht das dann eigentlich mit der fremdgeh-rate aus, halten beziehungen kürzer? vielleicht wird sex halt auch nur „anders“?

  6. @ Ariane

    „Was soll man heute mit Pornos, wenn man im Handy mindestens Nummern von attraktiven Männern gespeichert hat, die nach einer eindeutigen SMS spätestens in 15 Minuten an der Tür klingeln?“

    Das Problem ist doch, dass das für die allermeisten leider keine Option ist. Zumindest kenne ich niemanden, der diesen Luxus tatsächlich hat. Und für die meisten wird das auch nie möglich sein. Pornokonsum ist in diesem Sinne eben nur selten „selbst gewählt“, sondern hervorgerufen durch fehlenden Erfolg im echten Leben.

  7. Wenn ich ehrlich sein soll: Ein Phänomen das mit Feminismus nur bedingt zu tun hat. Lediglich im speziellen Fall.

    Das Prinzip dahinter ist Realitätsflucht. Wir finden es nicht nur bei Pornographiesüchtigen, sondern auch in allen anderen Bereichen des globalen Netzes: Chatsucht. SocialNetwork-Sucht. Spielsucht(Poker, etc). Spielsucht (Gaming) WoW beispielsweise.

    Allerdings wäre es auch verrückt zu behaupten das die vermeintlich „nicht Süchtigen“ die inkarnierte Vernunft wären. Mal ehrlich: „Normale“ wie ich treffen sich jedes Wochenende mit zigtausend anderen Irren zum Fußball um am Ende zu behaupten „Wir“ hätten gewonnen. Das ist auch Realitätsflucht par exellance.

    Letzlich ist das ganze auf die weitreichende Phantasie der Menschen zurückzuführen die ihren eigenen Handlungsspielraum immer übersteigt, ansonsten wären wir geistig/moralisch in der Stagnation gefangen. Ein negativer Nebeneffekt davon sind halt solche Ausbrüche aus der Realität. Für manche auch aus der eigenen Beziehung.

    Eigentlich ist das ganze als Katalysator für unser Denken sehr brauchbar. Das führt zwar nicht dazu das Internetporno oder alles andere was vordergründig sinnlos, bzw gefährlich erscheint schön und gut ist, aber es schadet auch keinem. Und genau das ist meine einzige Anforderung an jedes „Ding“: Solange das Handeln WIRKLICH freiwillig ist, ist es ok. Ik mein: Es gibt doch genug Exhibitionisten, FKK-Leute, warum also nicht auch Personen die sich gerne (und dann auch noch für Geld) im Netz präsentieren? Nur beim Zwang (wirtschaftlich wie physisch), da hört der Spaß auf, da muss was getan werden. Den Aspekt sehe ich ein.

  8. Mal als kurze Frage: In allen Rezension des Buches wird immer über die Problematiken in Frau-Mann-Beziehungen geschrieben, die „McSex“ beschreibt.
    Geht Hilkes eigentlich auch auf nicht hetero-Beziehungen ein?

  9. @ Ariane

    „Was ich gesehen habe war zwischen langweilig und eklig, da besteht bei mir kein Suchtpotential. Was soll man heute mit Pornos, wenn man im Handy mindestens Nummern von attraktiven Männern gespeichert hat, die nach einer eindeutigen SMS spätestens in 15 Minuten an der Tür klingeln?“

    Gut das du das schreibst. Wäre es für Männer genauso einfach, auf die schnelle Sex zu haben, würde der Pornomarkt pleite gehen… also Mädels, ran.

    Ansonsten bleibt es so wie es ist.

    Ich bin übrigens schwul, mir geht das Thema am Ar… vorbei.

    Ich will nur den Heteros was gutes tun.

    Wenn ich sex haben will, gehts auch schnell. Schau fast gar keine Pornos.

  10. War der Beitrag auch schon woanders? Ich meine, darüber bereits woanders den Kopf geschüttelt zu haben.

    Eine Sexualtherapeutin, die von „ihrem Verlag“ mit einem Thema betraut wird und dann feststellt, dass es Männer gibt, die sie wegen des Problems, über das sie geschrieben hat, aufsuchen – und manche werden sogar von ihren Frauen geschickt! Und eine Musikjournalistin, die beschreibt, dass Männer in Foren bereits „Hilfe, meine Frau schaut Pornos“ diskutieren. Und die surfen auf solchen Seiten von der Arbeit aus.

    Das klingt wirklich wie eine absolute Zusammenreihung von Anekdoten und Bestätigungstendenz einerseits sowie einer Dramatisierung von Verhalten, um daraus erfolgreiche Bücher zu stricken andererseits. Also nicht nach etwas, das ich ernst nehmen würde – obwohl ich durchaus glaube, dass der einfache Zugang zur Pornografie negative Folgen haben kann.

  11. Vielen Dank für diesen Artikel! Ich finde das eine wichtige Diskussionen, gerade weil kritische Stimmen immer so schnell in die Ecke „prüde – verklemmt – weltfremd – bewahrpädagogisch“ gestellt und, wie Walters ja sehr schön beschreibt, Elemente der Sex- und Pornindustrie immer stärker als Momente des weiblichen „empowering“ verklärt werden.
    Und das Problematische ist ja, wie hier auch schon gesagt wurde, nicht Pornografie an sich. Vielmehr hat die Internetpornografie durch ihre „Bedingungen“ hier einen großen Wandel bewirkt. Die wichtigsten Faktoren sind meiner Ansicht nach dabei schnelle Verfügbarkeit und Quantität. Aus der raschen Übersättigung folgt die Notwendigkeit, immer mehr immer schneller Produziertes und immer Extremeres liefern zu müssen, um die Leute (vermeintlich?) bei der Stange zu halten bzw. um sich überhaupt von der Masse abzuheben: Kurze, möglichst „authentisch“ wirkende Clips ohne jegliche Storyeinbettung (so lächerlich die auch manchmal sein mag), bei denen es auch ruhig ein bißchen nach „Schmerz“ aussehen darf (bei der Frau natürlich) – so hat das auch mal ein Pornoproduzent in einem Interview formuliert.

    Einerseits stellt sich so natürlich ein Gewöhnungseffekt ein – Extremes erscheint rein durch die leichte und massenhafte Verfügbarkeit plötzlich normal – zum anderen werden Menschen immer stärker zu Kategorien: Schamhaare, ältere, fülligere oder schwangere Menschen sind Fetischkategorien genauso wie Bondage, Fisting und Co. Sie werden damit zu „speziellem Geschmack“ deklariert, um es mal vorsichtig auszudrücken.

    Das andere Problem, dass für mich aus den Faktoren Quantität und Verfügbarkeit resultiert ist die „Rückkopplung“ mit dem Alltag – wie die Konfrontation mit Internetpornografie unsere Sicht auf Körper und uns Selbst genauso wie Bilder in der Werbung beeinflusst. Da muss man sich nur mal die Axe-Werbung ins Gedächtnis rufen (Frau auf Beine und Po von hinten reduziert), oder diverses von American Apparel. Oder Walters lesen. :)
    Natürlich hilft es nichts, panisch „schlimme“ Auswirkungen zu befürchten, die nur auf Annahmen fußen – aber dies kritisch zu diskutieren ist notwendig und berechtigt, bestimmte Beobachtungen kommen ja nicht aus der Luft. Ich finde es z.B. schon bemerkenswert, dass die 2010 veröffentlichte Studie der „Nummer gegen Kummer“ ergab, dass die Sorgen v.a. der Jungen sich in den letzten Jahren immer öfter um körperliche Entwicklung und sexuelle Praktiken drehen. Gesprächsbedarf ist offenbar da.

  12. So wie ich das sehe, fangen immer mehr Männer an, kritisch über ihren Pornokonsum nachzudenken und nehmen die für sie nachteiligen unbewußten Veränderungen kritisch wahr.

    http://www.antipornmen.org/2010/12/18/the-daily-porn/

    S. auch den Beitrag >Internetporn and a woman called „It“<

    http://www.antipornmen.org/2011/02/12/internet-porn-and-a-woman-called-it/

    Wenn Frauen da als "Es" oder als Jemand, den man über den Boden schleift u.a. präsentiert und die konsumierenden Männer dies verinnerlichen, ist eigentlich absehbar, dass dies nur negative Auswirkungen auf eine Partnerschaft haben muss.

    Darstellungen einer emotional beteiligten gemeinsamen und ausfüllenden Erotik sind so gut wie kaum auffindbar. Und die mittlerweile standardisierten Filme wie "Schlampen…" & Co. sind nicht mehr zumutbar und haben mit Erotik nichts mehr gemeinsam.

    Und dieser Bericht hat mich ziemlich schockiert :

    http://www.emma.de/hefte/ausgaben-2011/winter-2011/der-traum-vom-porno-star/

    " Im Moment des Unterschreibens gibt man das Menschsein ab. Man ist einfach nur noch ein Stück. Ein Loch."

    "Es waren alles Mädchen mit einer Geschichte dahinter. Einige waren schon völlig zerstört, wenn sie kamen. Viele kamen auf der Suche nach Anerkennung und Bestätigung."

    "Gern wird dann gesagt: „Guck mal, als ob du ein bisschen Schmerzen hast, aber lass in deinen Augen noch ein bisschen Geilheit!“

    "Wenn man seine Tage hat, muss man natürlich trotzdem drehen und bekommt dann Schwämmchen."

    Erotik ja, menschenverachtender Schund nein.

  13. @ Cassandra – ja, Hilkens spricht in erster Linie über Heterobeziehungen. Wobei es mich wikrlich interessieren würde, wie in homosexuellen oder auch polyamourösen Beziehungen der Pornokonsum verhandelt wird.
    Was mich nämlich an dieser heteronormierten Sicht extrem stört, ist, dass der Pornokonsum ein Suchtproblem der Männer ist und die Frauen mit den Folgen für die Beziehung zu kämpfen haben. Das ist mur zu einseitig, zu männerfeindlich und das weibliche Begehren ausklammerd.

    @ Thomas – Um sich in der Diskussion, welche Folgen der Pornokonsum im Internet hat, eine einigermaßen obejktive Meinung zu bilden, ist die EMMA sicherlich nicht das geeignete Mittel. Alice Schwarzer bezieht mit ihren PorNo-Statement sehr klar Stellung und da passt so ein Artikel wie der der ehemaligen Pornodarstellerin natürlich herovrragend. Eine Alternative wäre, Pornodarstellerinnen nicht per se als Opfer ein ausbeutenden Industrie zu sehen, sondern ihnen die Möglichkeiten zu geben, ihren Beruf unter fairen Bedingungen auszuüben.

  14. „..sondern ihnen die Möglichkeiten zu geben, ihren Beruf unter fairen Bedingungen auszuüben.“

    Darin sehe ich die Lösung. Erotische Bild-Darstellungen gibt es ja schon sehr lange. Weiterhin wäre es für mich sinnvoll, von Abwertungsinhalten wie „Schlampencasting“ o.a. abzusehen und erotische Inhalte anzubieten.

    Wenn man mal einen Gang durch die „Über-18“-Ecke in Videotheken macht, wird das Problem m.E. verständlich. Das geht dann hin bis in Gewaltdarstellungen. Ich sehe es kritisch, ob solche Inhalte da überhaupt unbedingt ausgelegt werden müssen.

  15. Also dass Sex erst seit der Verfügbarkeit von Internet-Pornos als Stressventil genutzt wird, halte ich aber für eine sehr steile These. Das ist doch – zumindest für Männer – seit Jahrhunderten das üblichste Erklärungsmodell.

  16. Ich denke nicht, dass dies erst seit dem Internet so ist, aber m.E. eine Begünstigung der klassischen Selbstentfernungs-Männlichkeit „richtiger Männer“, die durch das neue Medium noch befördert wird :

    „Die Männer-Studie von 2009 und die Bioenergetik sind sich darin einig, dass speziell bei Männern die Gefahr besteht die Sexualität dazu zu benutzen, das Defizit, ihren eigenen Körper (u. a. wg. Muskelblockierungen und gesellschaftlicher Anforderungen) wenig wahrzunehmen, dadurch versuchen auszugleichen, dass sie Sex mit ihrer Partnerin haben, um sich selber über die Körperlichkeit deutlicher als sonst wahrzunehmen.

    Hier besteht die Gefahr, dass nicht mehr Liebe und Beziehung im Vordergrund stehen, sondern der Vollzug als ein Vehikel für die eigene Körper-Selbst-Wahrnehmung wird. Welcher Mann kennt dies nicht, wenn er ganz ehrlich zu sich selbst ist?“

    (Quelle: Männernetzwerk, Männerleben im Spiegel der Männerstudie, Tl. 2, S. 39).

    Das Merkwürdige ist, irgendwie ist das nachvollziehbar.

    In der progressiven Männerliteratur werden diese Dinge ebenfalls behandelt und auch so benannt.

    http://www.robert-betz-shop.de/so-wird-der-mann-ein-mann-buch-mit-audio-cd-p-50887.html

    So mancher Mann hat dies für sich mit Sicherheit nicht oder noch nicht so wahrgenommen, weil es „normal“ galt oder noch gilt. So ist Erotik für Männer tiefer und anders erlebbar als es hier oben treffend beschrieben wurde :

    „Ähnlich wie die Männer in van Rijsingens Praxis bemerken sie, dass etwas nicht stimmt. Es fühlt sich verkehrt an. Sie spüren eine Leere.“

    Darüberhinaus ist dieser „normale“ Vorgang meist noch überaus scham- und mit Unzulänglichkeitserlebnissen besetzt.

  17. Der Beitrag ist in vielem Unklar. Der Titel zum Beispiel suggeriert, dass der „McSex“-Pornokonsum ursächlich ist für eine Reihe von Beziehungsproblemen. Der Text aber tendiert eher dazu, dass dieser nur eine (schlecht funktionierende) Coping-Massnahme ist. Trotzdem ist dann aber die Beschreibung gespickt mit Andeutungen, dass der Pornokonsum die Probleme verursacht. Wenn zum Beispiel gesagt wird, die Autorin wollte eigentlich ein Buch über Männer schreiben, die keine Lust mehr auf ihre Partnerinnen hatten, kam dann aber schnell darauf, dass eben diese Männer haufig Pornos schauen. Das legt eine kausale Auslegung nahe, nämlich dass die Männer keine Lust mehr auf ihre Partnerin haben, weil sie häufig Pornos schauen. Es kann aber sehr gut sein, dass die zwei Sachen nichts miteinander zu tun haben oder gar der Pornokonsum stieg weil die Lust in der (monogamen) Zweierbeziehung sank (ja nicht gerade ein neues Phänomen, dass die sexuelle Aktivität in Beziehungen über Zeit deutlich abnimmt).

    Die Schlussfolgerungen (bessere Pornos machen, neue sexuelle Revolution) sind tautologisch: bessere Pornos sind immer besser als nicht-bessere Pornos, sexuelle Revolution ist ein positiv besetzter Begriff dem aus sich heraus zugestimmt werden muss.

    Alles in allem scheint man daher aus dem Text nicht so viel lernen zu können, ausser der Binsenweisheit, dass wenn ich mir die ganze Zeit Pornos anschaue in denen Frauen objektifiziert werden und bei denen es nur um Leistung geht sich die Wahrnehmung der eigenen Sexualität verändert/verzerrt.

    Wenn man den Beitrag genau liest scheint die Ansätze zur Verbesserung der darin beschriebenen Probleme einzelner schlicht nichts mit Pornografie und McSex zu tun zu haben sondern mit dem Ändern ihrer anderen Lebensverhältnisse und/oder der Einführung besserer Coping-Mechanismen.

  18. @Verena

    Danke für die Rückmeldung. Das bestätigt den Eindruck den ich aus Rezensionen von Hilkens Buch habe, dass dort teilweise die kritische Selbstreflektion fehlt und mit vielen alten Klischees zum Thema Pornographie gearbeitet wird.

    Ich werd‘ das Buch aber mal aus der Bibliothek ausleihen und gucken ob sich mein Eindruck bestätigt.

    Und als Buchtipp zum Sonntag, zwei Bücher die mir bei der Diskussion um Pornographie weitergeholfen haben:

    Einmal „Zur Verteidigung der Pornographie“ von Strossen (http://de.wikipedia.org/wiki/Nadine_Strossen)

    und „sex at the margins“ von Agustin (http://www.lauraagustin.com/9

    Das sind zwei Bücher, wo ich zwar auch nicht immer zu 100% zustimme, aber die mir einen Blick auf neue Perspektiven eröffnet haben.

  19. @Katrin – danke dir für diesen mE wirklich guten artikel !
    und ein thema das mE aktueller denn je ist und auch bleiben wird.

    ich hatte im freitag u.a. diesen artikel
    http://www.freitag.de/alltag/1051-ich-bin-oft-erschrocken-wie-wenig-m-nner-wissen
    gelesen und mir dann so „meine gedanken“ dazu gemacht.
    komplexes thema.

    und das von wg. „testosterongesteuerten trieben“ wurde mW unterdessen sogar „wissenschaftlich untersucht UND widerlegt“ (info/links suche ich gerne raus)

    tja und wer macht sie „diese neue sexuelle revolution“ frage ich mich dann ?

    kann eigentlich nur jede_r bei sich selbst.

  20. @fairfis:

    Danke, Du fasst zusammen, was ich beim Lesen des Artikels auch gedacht habe.

    Im übrigen fehlt mir völlig die Diskussion der Dynamik von Paarbeziehungen, aus der heraus sich derartige Gewohnheiten bei Männern und Frauen herausbilden.

    Ausserdem frage ich mich, wieso Frauen eigentlich immer nur den Pornokonsum von Männern kritisieren.

    Das weibliche Äquivalent, der Trashroman oder -film, bei dem Frau x einen tollen Mann ergattert, der aber erst in der Liebe zu ihr zu wahrer Menschlichkeit findet ( und nebenbei ihr deswegen erhebliche wirtschaftliche Vorteile bringt ) ist ja im Grunde ebenso an Männerverachtung und -abwertung nicht zu überbieten.

    Und vermittelt vor allem Frauen eine Vorstellung von Männern, bei der die für Sex zu zahlen haben, statt dass es eine Sache auf Gegenseitigkeit wäre.

    Ich denke nämlich auch manchmal, dass bei vielen Männern der Pornokonsum weniger damit zu tun hat, dass sie die Intimität mit ihrer Frau nicht mehr geniessen können/wollen, sondern dass umgekehrt die Intimität sowieso nie da war/oder schon längst entschwunden und zum Pornokonsum gegriffen wird, weil der schlicht billiger zu haben ist als Sex mit Frau.

  21. Liebe alle,
    vielen Dank für eure zahlreichen Kommentare. Ich melde mich erst jetzt zu Wort, da ich vorher nicht die Zeit dafür hatte.

    auf ein paar kommentare ein paar Antworten (auf alles kann und will ich aus Zeitgründen grad nicht eingehen):

    Das erscheint mir ein extrem hoher Wert. Was liegt dem denn bitte für eine Suchtdefinition zugrunde?

    ja, erscheint er mir auch. Die Pornography Statistics sind online verfügbar und quasi eine Sekundäranalyse von vielen vielen Studien aus vielen Ländern. Was genau da zugrunde liegt ist leider nicht ergründbar. Das ist natürlich ein Manko. Aber es gibt neben dieser Statistik kaum verfügbares Datenmaterial zu diesem Thema.

    “Unsichtbare Affären” heißt das Buch von Hannie van Rijsingen über Internet und Pornos auf Deutsch.

    Nein, das oben genannte Buch ist so viel ich weiß nicht auf Deutsch erschienen. „Unsichtbare Affären“ ist ja in der Literatur-Liste genannt.

    Der Beitrag ist in vielem Unklar. Der Titel zum Beispiel suggeriert, dass der “McSex”-Pornokonsum ursächlich ist für eine Reihe von Beziehungsproblemen.

    ja, darum geht es mir schon. sehr. das finde ich den zentralen punkt und sorry, wenn das verwischt geht. na klar hat es auswirkungen auf die Beziehung und im Text steht auch, wie und warum: der Kontakt geht verloren. da mag die Ursache für den Konsum irgend etwas anderes sein als die Beziehung – van Rijsingen sagt sehr deutlich: Frauen, es ist NICHT eure schuld! zieht euch bloß nicht diesen Schuh an! (und hier finde ich es sehr feministisch, denn wie viele Frauen ziehen sich WOHL den Schuh an! – vergleiche auch den Kommentar von SandraXe – da würde van Rijsingen widersprechen und ich schließe mich da an!) – aber es hat Auswirkungen. Das sagen alle drei und ich würde da rein von der Logik her sagen, dass es plausibel ist.

    Thomas und Autofocus stimme ich zu.

    Und ich widerspreche Verena in Sachen EMMA-Diskussion – aber dazu demnächst ein eigener Beitrag über die feministische Definition von „Porno“, das würde jetzt den Rahmen sprengen.

    Fairfis: Natürlich geht es um eine Verhaltensänderung, um Coping-Mechanismen. Aber zu allererst um eine Bewusstmachung: hey – das ist nicht eine Bagatelle WAS und WIE OFT konsumiert wird. Und du magst das alles eine „Binsenweisheit“ finden – Glückwunsch. aber das kann man vielleicht auch nur aus einer bestimmten Position heraus sagen (die mit Reflexion und Wissen verknüpft ist), die bei weitem nicht alle Menschen in dieser Gesellschaft teilen. Deinen Horizonz in allen Ehren – aber ich denke, dass hier die oben angedeutete Aufklärungsarbeit noch ganz am Anfang steht.

  22. @Katrin:

    Worin würdest Du mir widersprechen wollen?

    Dass der Konsum der typisch weiblichen Trashliteratur über die verschiedenen Medien zu Beziehungsschwierigkeiten führen kann, die mit völlig unrealistischen Erwartungen an den Partner und Vorstellungen über partnerschaftlichen Kommunikation zusammenhängen, ist mittlerweile untersucht und nachgewiesen worden.

    Dass insbesondere Frauen Sex oft als Mittel zum Zweck benutzen, entspricht unser aller Lebenserfahrung.

    Welchen Sinn macht es denn, einem Mann, der eben nunmal mit solchem Verhalten bei seiner Partnerin konfrontiert ist, mitzuteilen, dass ihn keine „Schuld“ trifft?

    Gut – er muss nicht denken, er wäre nicht liebenswert, weil seine Frau Sex nur dann zustimmt, wenn er ihr vorher noch im Streit von vor drei Wochen nachträglich recht gegeben hat und er muss sich auch nicht minderwertig fühlen, nur weil die Dame glaubt, ein richtiger Mann müßte ihre Gedanken lesen können.

    Aber mal jenseits von solchen Effekten, die vielleicht nicht zu vernachlässigen sind, aber dann doch, wenn da nicht ein schwaches Selbstbewußtsein vorhanden ist, eher zeitlich begrenzt sein dürften – man steht ja trotzdem als Partner/in vor der Aufgabe, mit diesem Verhalten des anderen irgendwie konstruktiv umgehen zu müssen …

    Was wird denn von Deinen Autorinnen „empfohlen“?

  23. Ich sehe es so wie Fairfis , weiss zwar nicht on er /sie männlich ist, aber genauso. schaut es aus.

    Männer mit einem befriedigtem Sexualleben brauchen keine Pornos.

    Im Ernst: Ich als Mann finde es nicht befriedigend, wenn die Frau vor einem liegt nach dem Motto „mach mal“

  24. @John

    Ich sehe es nicht ganz genau so wie Du: Auch Menschen mit befriedigendem Sexualleben können durchaus Lust an Pornographie haben. Ob Menschen Pornos „brauchen“ ist wohl nochmals eine ganz andere Frage, das aber Pornographie für Leute mit einem sehr frustrierenden oder nicht stattfindenden Sexualleben enorm dominant werden kann und das umgekehrt die Gefahr dafür sicher bedeutend kleiner ist bei Menschen die zufrieden sind mit ihrem Sexualleben (egal wie intensiv es ist) sehe ich auch.

    @Katrin

    Vielen Dank für Deine ausführliche Antwort, ich finde es immer wieder toll, dass sich hier die AutorInnen nicht nur die Mühe machen, informative Texte (mit ausführlichen und nützlichen Quellenangaben und Literaturhinweisen, auch dafür Danke!) zu schreiben sondern sich dann auch offen an der Diskussion beteiligen und Kritik nicht einfach ignorieren, das ist ja nicht gerade selbstverständlich in der Blogosphäre. Zu Deiner Antwort habe ich zwei Überlegungen

    a) Wenn Du die Aussage stark machen möchtest, dass der Pornokonsum in einer ursächlichen Beziehung zur Verschlechterung der Beziehung steht, fehlen mir da die Begründungen dafür. Während nämlich vieles in Deinem Beitrag mit Zahlen, Studienergebnissen und Schlussfolgerungen hinterlegt ist, scheint mir dieser Punkt nur durch die Behauptung von van Rijsingen gestützt:

    „Jeder dieser Männer trug die Bilder, die sich in seinem Kopf festsetzten, in die Sexualbeziehung mit der Partnerin hinein. Rief sie ab, wenn er “leisten” sollte – brauchte sie, um leisten zu können. “Der Kontakt mit der Partnerin geht verloren”, stellt die Therapeutin fest, “denn man hat nun Kontakt mit den Bildern. Zwei Personen sind damit beschäftigt, einen Orgasmus zu erreichen, aber der Kontakt zwischen ihnen fehlt.” Der Sex wird zum Stress-Ventil. Um ein erfülltes körperliches erleben mit der Partnerin geht es kaum noch. Die Männer versuchen ein emotionales Loch zu füllen.“

    Das i) bezieht sich aber „nur“ auf eine Verschlechterung der „Sexualbeziehung“ nicht der Beziehung (da gibt es natürlich starke Zusammenhänge) ii) scheint mir nicht durch empirische Daten begründet und iii) hat als Argument das Problem, dass auch hier Ursache und Effekt nicht klar zu identifizieren sind. Sex wird zum Stress-Ventil heisst ja, dass der Sex mit der Partnerin die gleiche Funktion einnimmt, die van Rijsing bereits der „McSex“ Pornographie zugeordnet hat. Das nichtfokussieren auf das oder die Gegenüber während dem Sex zeigt aber auch, dass in der Beziehung zwischen den Menschen schon irgendwas anders ist, als wir uns das beim Sex innerhalb einer Beziehung als „normal“ vorstellen: nämlich das die Beteiligten Neugierig aufeinander sind, dass sie sich gerade so sehr an der Lust des/der Gegenüber freuen wie an der eigenen usw. usf.

    Damit will ich nicht sagen, dass die These: Viel Porno-Konsum (das Wort übermässig sagt ja schon von Anfang an, dass es schädlich ist…) hat negativen Effekt auf Beziehung falsch ist, ich will nur sagen, ich habe keine stichhaltigen Gründe dafür in dem Artikel finden können. Alle Argumente die ich gesehen habe gehen in die Richtung, dass viel Pornokonsum (oft) ein Symptom frustrierender Beziehungen sind.

    b) Mit Binsenweisheit wollte ich nicht etwa ausdrücken, Dein Beitrag würde sich mit eh schon offensichtlichem beschäftigen. Für den arroganten Unterton möchte ich mich entschuldigen, ich will überhaupt nicht behaupten ich hätte einen weiteren Horizont als Du (vielmehr habe ich ja gerade über Deinen Beitrag Literatur und Studien kennengelernt die ich vorher nicht kannte). Ich probiere es konstruktiver zu formulieren: Nach der provokanten Einstiegsthese (Pornokonsum wirkt ähnlich wie Fastfood auf die Psyche) waren mir die Feststellungen, dass schlechte Pornos schlecht sind und dass viele Männer mit Problemen in ihrem Sexualleben viel Pornographie konsumieren zuwenig um die Versprechungen des Leads einzulösen: dafür fände ich es zum Beispiel wichtig auf die Frage einzugehen ob das Sexualleben der beschriebenen besser wäre, wenn diese keinen Zugang zur Pornographie gehabt hätten oder freiwillig darauf verzichteten. Aus dem Bauchgefühl heraus (und ich gebe zu, dass ist nicht sehr aussagekräftig) habe ich nämlich den Eindruck, dass die von van Rijsing beschriebene Entwicklung der Sexualität in langjährigen Zweierbeziehungen schon deutlich vor dem Internet-Porno-Zeitalter ein Massenphänomen war. Dazu eine provokative Gegenthese: Die Internet-Pornographie zum „Schuldigen“ für dieses Phänomen zu erklären lenkt vielleicht nur von weit einflussreicheren Gründen ab, als da wären (Achtung: Phrasensturm): Neoliberale Ideologie des „Erfolgsmenschen“ der nur nach eigenem Gewinn strebt (auch in der Beziehung), Ökonomisierung aller Werte, auch die der sexuellen Lust, Verherrlichung der Konsumhaltung (Sofort-Genuss ohne Aufwand und Lerninvestition, bei Nichtgefallen ausweichen auf das nächste Produktangebot) usw. usf. Das wäre eine Parallele zu Debatten wie dem Alkoholismus oder der Spielsucht, wo die einen behaupten, die Armen seien halt Arm und Looser, weil sie alle zu viel saufen, während die anderen sagen, die Armen saufen soviel, weil sie nur so damit umgehen können, dass sie keine gerechte Chance haben.

    Zuguterletzt: Der Beitrag von Autofocus hat mir viele Ansätze gezeigt, wie eine direkte Wirkung der Internetpornographie begründet werden könnte, wo sie also nicht nur einfach Symptom sondern selbst Ursache für die Veränderung der „Sex-Kultur“ sein könnte. Der Kategorisierungs-Effekt, der in direktem Zusammenhang zum „Sex zur Konsum-Ware“-machen steht finde ich sehr einleuchtend.

  25. Hallo Fairfis,

    vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar. Da steckt unglaublich viel drin und ich hoffe, dass er mindestens so viel Beachtung findet, wie der Artikel.

    Tatsächlich stecken wohl hinter der Einstiegsthese mehr Vermutungen und „Bauchgefühle“, als Tatsachen oder Statistiken. Wahrscheinlich liegt das mit am Thema. Ich stütze mich auf die Erfahrungen einer Sexualtherapeutin. Aber natürlich ist sie auch nicht davor sicher, vorschnelle Schlüsse zu ziehen.
    Was ich eben gut fand an ihrem Ansatz war, aufzeigen zu wollen, dass hinter dem Pornografiekonsum ein Problem steckt und sich das Problem mit Sicherheit – das liegt ja dann doch sehr nahe – auf eine Beziehung ausprägt. Sei es erstmal drum, was die eigentliche Ursache des Problems ist. Der Leidensdruck entsteht meistens aufgrund eines „knirschens“ in der Beziehung. In „Unsichtbare Affären“ geht es ganz viel um die Frauen, die sehr darunter leiden, wenn sie den Porno-Konsum ihres Mannes entdecken (umgekehrt oder homosexuelle Beziehungen kommen leider nicht vor, liegt aber in diesem Fall wohl einfach daran, dass es in van Rijsingens Praxis nicht vorkam). Der gesellschaftliche Diskurs geht oft über dieses Leid hinweg und mahnt zur Akzeptanz und Entspanntheit – mit Prüderie als extremste Ausprägung.
    Und ich fand ihre „Zehn Gebote für Frauen“ (ebd.) sehr spannend, weil sie darauf abzielen, den Frauen Mut zu machen, nicht zu denken, sie allein (Versagerinnen im bett, nicht attraktiv genug etc…) seien der Grund und Auslöser (das ist die Standard-Beschuldigung von Männern (ebd.)).

    Ich will es mal so ausdrücken: wie viele VertreterInnen in der Psychologie heute so sind, will auch van Rijsingen den Focus nicht auf DAS PROBLEM und auf DEN SCHULDIGEN legen – denn das ist oft gar nicht auszumachen, das ist vielschichtig (volle Zustimmung zu all deinen Aussagen, Fairfis!). Ihr geht es um eine Lösung, eine veränderte Handlung, ein bewusstes Umlenken etc… Das ist auch Hilkens Ansatz: Was kann man ändern? Wie geht es anders. Walter ist vielleicht noch am ehesten eine reine Warnerin. Aber bei ihr geht es zentral auch viel mehr um das vermittelte Frauenbild (schön, sexy, rasiert, perfekt, aufgepumpt, lasziv, immergeil etc…), als um die Beziehungen (das sagt ja auch der Titel ihres Buches). Bei Walter hingegen steckt sehr viel drin zum Thema „veränderte Sex-Kultur“ und Sex als Ware. Ich denke – und deswegen habe ich in meinem kurzen Beitrag, wahrscheinlich auf eine teilweise unbefriedigende Art und Weise, nur manches angeschnitten – dass alles irgendwie miteinander zusammenhängt. Sexkultur – Internetsex – Sex als Ware(nfetisch) – Sex in Beziehungen – Empowernment von Frauen (und Männern) —> mit unterschiedlichen Berührungspunkten, an denen eins aufs andere wirkt.

    also auf jeden Fall vielen Dank für deinen Kommentar. Dank ihm habe ich das gute Gefühl, dass so vielleicht ein bisschen besser rüberkommt, was meine Absicht beim Schreiben dieses Artikels eigentlich war. :)

    Viele Grüße
    Katrin

  26. Hmm… diesen Artikel hab ich jetzt schon öfters gelesen, ohne wirklich sagen zu können, was genau mich daran stört. Seit Katrins letzten Post glaube ich, dass es vor allem mit der Herangehensweise von Rijsingen zusammenhängt.
    Irgendwie scheint mir da ein Verständnis von ehelichen Pflichten hinterzustehen, das Masturbation in Beziehungen pathologisiert, mit Fremdgehen vergleicht und zum Tabuthema macht, indem es stattdessen Sucht und Pornographie thematisiert.
    Drastisch ausgedrückt: Wer sich durch Pornokonsum und Masturbation betrogen fühlt, will eine totale Monogamie etablieren, die den Anspruch hat, die gesamte Sexualität der Partner auf den ehelichen Beischlaf zu reduzieren.

    …aber irgendwie klingt das jetzt auch wieder nach Schwachsinn… Ist für mich grad schwierig zu denken, wie weit da das sexuelle Selbstbestimmungsrecht geht, und wie weit Beziehungen es andererseits einschränken müssen/dürfen/sollen…

  27. Lieber Ekelbaron,

    Huch! Also an die Masturbation wollte ich nun gar nicht ran! Hilfe, nein! Und es geht auch nicht um das Schauen von Sexfilmen etc… Ich verstehe, dass diese Assoziationen kommen. Ich glaub aber, da muss man vorsichtig differenzieren.
    Trotzdem nehme ich mit, dass die Differenzierung bei mir noch nicht deutlich genug war – wenn ich so schaue, was alles assoziiert wird.

    Wobei dein letzter Absatz – in dem es um das Abwägen geht – einen zentralen Punkt trifft. Danke für deine Überlegungen.

    Viele Grüße
    Katrin

  28. Nur ein kurzer Einwurf, der vermutlich nicht viel zur Debatte beiträgt:

    Jeder der Männer, die übermäßig häufig Pornografie im Internet konsumieren (also in der Regel täglich mehrere Stunden), tat dies als Flucht.

    Bei „übermäßig häufig“ in Bezug auf Pornografie habe ich eher an „täglich“ (egal wie lange) gedacht. Die Gruppe derer, die sich ab und zu Pornografie reinziehen würde mich in der Tat mehr interessieren als diejenigen, die täglich mehrere Stunden Pornografie konsumieren. Letzteres empfinde ich als pathologisches Verhalten, dass der Beziehung so selbstverständlich schadet wie jedes andere pathologische Verhaltensmuster. Sprich: Da stellt sich dann die Frage, inwiefern es Sinn macht, sich das Ganze als spezielles Phänomen (Pornografie) anzuschauen.

    Mehrere Stunden… irgendwie relativiert sich der Begriff McSex bzw. Fast Sex da auch.

  29. „..dazu demnächst ein eigener Beitrag über die feministische Definition von “Porno”, das würde jetzt den Rahmen sprengen.“

    Ich bin darauf sehr gespannt. Die Vorgehensweise finde ich geschickt.

    Ich hege manchmal leise Bedenken bzgl. der Hypersexualisierung wirklich aller Lebensbereiche :

    http://home.1und1.de/themen/musik/backstage/066kw8u/kritik-der-jugendschuetzer-an-mtv-und-viva/

    M.E. wird schnell suggeriert, Sexualität wäre etwas frei verfügbares. Mit diesen Eindrücken inspiriert gehen viele vorzugsweise Jungen nach draußen oder zu Veranstaltungen. Die Mädchen gehen eher auf Abwehrhaltung und übertriebene Anmache nervt.

    Die Folge sind meines Wissens nach jugendliche subjektive Unzulänglichkeitserlebnisse, da das Gefühl entssteht, dies sei nur bei Ihnen der Fall und alle anderen Jungs wären viel „erfolgreicher“.

    Dies kann sich dann meinem Eindruck nach auch so äußern ?

    http://maedchenmannschaft.net/eigentlich-steht-ihr-doch-voll-auf-sexuelle-belaestigung/

    Eine kritische Auseinandersetzung fand ich dagegen hier :

    http://www.emma.de/hefte/ausgaben-2011/winter-2011/maenner-gegen-pornografie/

    „Pornotopia ist die Welt, in der junge Männer es den Frauen heimzahlen können, wo die Frauen kriegen, was sie ‚verdienen‘, wo die Männer sich nie beweisen müssen und nie abgewiesen werden.(!) So wird das Porno-Universum zu einem Ort des homosozialen Trostes. Eine Zuflucht vor der rauen Wirklichkeit einer Welt, in der die soziale Gleichstellung der Geschlechter so weit vorangekommen ist wie noch nie. Es geht um Wut über den Verlust von Vorrechten – und den Versuch, die unangefochtene Autorität des Mannes wiederherzustellen.“ Besonders groß scheint diese Wut bei jungen Männern zu sein.“

    „Matt spricht von einer Art „gespaltenem Bewusstsein“: „In der halben Stunde, die ich Pornos guckte, dachte ich: ‚Das läuft völlig getrennt von meinem übrigen Leben und beeinflusst meine reale Einstellung überhaupt nicht.‘ Aber dann merkte ich, dass sie es doch beeinflussen.“

    „Spiegel und denken: ‚Bin ich widerlich …‘ “

    Ich hoffe, es wird nicht falsch verstanden. Die frühere Prüderie finde ich vollkommen kontraproduktiv und ich erinnere mich noch an die früheren Thesen über „Frigidität“. Ich bin aber für einen anderen, menschlicheren und offen-angemessenen und freien Umgang mit der Thematik, alles zu einem geeigneten Zeitpunkt und mit dem entsprechenden Background, wie die pornografischen Darstellungen im Alltag mit entsprechender Bodenhaftung einzuordnen sind.

    Ich stelle mir manchmal vermehrt die Frage, ob es in Video-Clips am frühen Nachmittag notwendig und sinnvoll ist, dass Darstellerinnen um ihrer Vermarktung und Karriere willen mehr als üblich Haut zeigen und den Konsumentinnen und Konsumenten in einem meist unreifen und noch fragilen Alter ein falsches Bild vermitteln, wodurch im normalen Alltag Irritationen und Fehlinterpretationen befördert werden können ?

  30. Ich weiß nicht ganz, ob es zum Schmunzeln ist oder was auch immer, was so alles als neue „Normalität“ gesehen wird :

    http://web.de/magazine/digitale-welt/computer/12497212-wer-keine-pornos-hat-ist-verdaechtig.html#.A1000107

    „Womit der Verdächtige sich der Polizei gegenüber wie im Mittelalter fühlen muss. Er ist im Visier der Ordnungsmacht, egal, was er tut. Das Fazit des Rechtsanwalts lautet denn auch: „Ein paar legale Pornos sollten stets auf der Festplatte eines Mannes sein – schon um die Kripo nicht ins Grübeln zu bringen.“

    Ich bin mir noch nicht einmal ganz sicher, ob das überhaupt wirklich ernst gemeint ist, zumal heute der 01.04. ist ?!

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