Geschlecht sichtbar machen – aber wie?

Wenn heutzutage über Geschlecht gesprochen wird, sind nur wenige daran interessiert. Einerseits, weil es auf viel Unverständnis stößt, da Gleichberechtigung heute in den meisten Lebenszusammenhängen nach Eigenangabe freiwillig und selbstverständlich gelebt wird, andererseits, weil die Gesetzeslage auf den ersten Blick eindeutig erscheint: Der alte Geschlechterkampf ist vorüber, die großen Themen ausgefochten und gesetzlich verankert. Viele können ihre Geschlechterrolle ausfüllen, es gibt viele Modelle, an denen sich orientiert werden kann.

Auch wenn mit der formalen Gleichberechtigung von Mann und Frau vieles in modernem Gewand auftritt, ist Geschlecht nach wie vor eine sehr wirkmächtige Kategorie, die auf verschiedenen Ebenen zu Tage tritt. Mal mehr, mal weniger explizit. Die Wirkmächtigkeit bezieht sich darauf, inwiefern verschiedenene Geschlechtermodelle gelebt, ausprobiert werden können, wie sich Beziehungen gestalten, ja eigentlich – inwieweit sich Geschlecht auf das eigene Leben auswirkt oder eher in den Hintergrund tritt.

Wer sich mit Geschlecht (auch politisch) auseinandersetzen will, braucht dazu einen ziemlich großen Wissensvorrat. Leider ist der kaum zugänglich, weil in den Wissenschaften verhaftet und um mit diesem umgehen zu können, benötigt es außerdem größere kontextuelle Bezüge, die auch nicht mit dem Lesen von 1,2 Büchern zum Thema abgehakt sind. Es ist – wie so oft – kompliziert, das Funktionieren von Gesellschaft (nicht nur) unter Geschlechterperspektive zu verstehen und einzuordnen. Hinzu kommt, dass eine Fülle an Alltagswissen über Geschlecht kursiert, das tief verankert ist, mit dem wir sozialisiert wurden, das uns einen Orientierungsrahmen bietet. Sich kritisch mit Geschlecht zu beschäftigen, bedeutet: Diesen Orientierungsrahmen (zeitweise) zu verwerfen, alte Wertvorstellungen zu überdenken, sich selbst und andere zu kritisieren. Das braucht Zeit, Willen, Kraft. Ohnmachtsanfälle, Schuldgefühle und Abwehrhaltungen sind da schon mal vorprogrammiert.

Deshalb ein paar kurze Vorschläge, unter welchen Gesichtspunkten Geschlecht sichtbar gemacht und analysiert werden kann:

Zunächst ist es dabei wichtig, den Begriff als solchen zu konkretisieren: Was ist mit Geschlecht gemeint? Das biologische Geschlecht (sex), das soziale Geschlecht (gender), ist Identität gemeint oder eher ein gesellschaftliches Verhältnis? Wenn ich im folgenden von Geschlecht spreche, meine ich sex und gender. Will ich beide trennen, mache ggf. ich das deutlich.

Mein Begriff von Geschlecht entlehnt sich Teilen der Gender Studies und beruht darauf, zunächst alles, was mit Geschlecht in Verbindung gebracht werden kann, als sozial und kulturell konstruiert und geprägt zu betrachten. Das heißt, ich gehe nicht von einem Körper aus, der in Mann/Frau aufgrund „biologischer“ Merkmale eingeteilt werden kann. Mann/Frau sind für mich keine „natürlichen“ Gegebenheiten, sondern werden durch Normen, Symbole, Wissensvorräte, kulturelle, politische, soziale Praxen, durch gesellschaftliche Strukturen hergestellt und durch eben diese auch gestützt und reproduziert. Dieses Verständnis von der Konstruktion von Geschlecht halte ich für sehr wichtig, da nur so Geschlecht in irgendeiner Form an gesellschaftlicher Relevanz gewinnt und analysiert werden kann.

Wenn Geschlecht (und das bestehende Geschlechterverhältnis) als vorbestimmt und gegeben akzeptiert würde, wäre diese Analyse nicht notwendig, da eben beides schicksalshaft und unveränderbar wäre. Unter diesem Aspekt wäre lediglich danach zu fragen, ob die vermeintlich natürliche Geschlechterdifferenz einen Unterschied macht, inwiefern sie also Individuen in ihrer Entfaltung einschränkt oder nicht. Ich bezweifle allerdings, dass dies mit diesem naturalistischen und essentialistischen Verständnis von Geschlecht möglich ist, da Strukturen sich aus der Natürlichkeit heraus ergeben würden und „einfach so“ wären. Dieses Verständnis von Geschlecht teilt in Mann/Frau ein, lässt sie sich sexuell lediglich aufeinander beziehen, gibt klare Rollen vor, die nicht verändert werden können. Es ist kein auf Entscheidungsfreiheit angelegtes Konzept von Geschlecht, sondern ein deterministisches, das zugleich andere Formen von Geschlecht, sexuellem Begehren und Lebensentwürfen ablehnt.

Es ist zugleich ein Konzept, das Machtverhältnisse, die sich aus Geschlecht und seiner Konstruiertheit ergeben, unsichtbar macht. Da ich das kritische Wissen um Geschlecht zugleich als emanzipatives Wissen mit Potenzial zu politischen Veränderungen begreife, schreibe ich diesen Text auch unter der Annahme, dass derzeit ungleiche Machtverhältnisse in Bezug auf Geschlecht vorherrschen, die es zu beseitigen gilt, weil sie Menschen einschränken, beherrschen, (gewaltförmig) bedrohen. Das ist nichts, was ich mir ausdenke, sondern was sichtbar wird, wenn wir Geschlecht und die damit in Verbindung stehenden Strukturen analysieren.

Wenn also der Begriff „Geschlecht“ geklärt ist, mit dem analysiert werden soll, sind vier verschiedene Ebenen möglich, auf welchen dies geschehen kann.

Makroebene: Meint die gesellschaftlichen Verhältnisse, also Produktionsverhältnisse (bspw. Kapitalismus), Formen der staatlichen Organisierung (bspw. Demokratie), Nationalstaaten als solche, Globalisierungsprozesse, etc.
Mesoebene: Meint Institutionen, also Unternehmen, Arbeitsgruppen, Organisationen, Vereine, öffentliche Einrichtungen, materielle Räume und Orte, etc.
Mikroebene: Meint Interaktionen in Gruppen, zwischen Individuen, das Selbst, etc.
Repräsentationsebene: Meint Diskurse, Ideologien, Werte, zirkulierendes Wissen, Normen, Kulturen, Symbole, Codes, Bilder, Texte, etc.

Auf all diesen Ebenen zeigt sich Geschlecht. Grundsätzlich interagieren diese Ebenen miteinander, überlagern sich, sind miteinander verwoben, beeinflussen sich gegenseitig. Es ist möglich diese Ebenen voneinander getrennt auf Geschlecht zu analysieren, sollte aber unter dem Wissen geschehen, dass die eine kaum ohne die andere kann und jeweils Auswirkungen auf anderen Ebenen hat. Die einzelnen Ausprägungen und Formen, die ich bei den Ebenen aufgelistet habe, beziehen sich auch wieder aufeinander. So ergibt sich ein komplexes, zum Teil widersprüchliches Gebilde von verschiedensten Dingen, die Auswirkungen auf Geschlecht haben (können) und Geschlecht sich wiederum auf diese auswirkt: Ebenen und die darin enthaltenen Formen produzieren gleichsam Geschlecht und Geschlecht wiederum produziert die Ebenen und darin enthaltenen Formen.

Es gibt mehrere Theorien aus verschiedenen Wissenschaftszweigen, unter denen das oben genannte betrachtet werden kann, das jetzt aber zu erklären, bräuchte einen eigenen Eintrag (oder mehrere). Auch wichtig ist hierbei, den historischen Kontext nicht zu vernachlässigen, in dem diese vier Ebenen sich bewegen: Also die Gewordenheiten der jeweiligen Ebenen und ihrer Formen mitzubetrachten, da nur so Kontinuitäten oder Veränderungen sichtbar gemacht werden können. Geschichte besteht nicht aus abgeschlossenen Kapiteln, sondern ist fluid, alles muss immer in Relation zu gesetzt und auf Anschlussfähigkeit an hin untersucht werden. Der moderne Fortschritts- und „It gets better“-Glaube (am besten von allein) ist in meinen Augen eine Verwässerung und Unsichtbarmachung von Machtverhältnissen, hemmt politisches und emanzipatives Potenzial, verunmöglicht teilweise sogar Kritik an Bestehendem mit dem Argument: „Früher war alles viel schlimmer“. Nein, heute ist es genauso, es zeigt sich nur anders.

Für alle, die sich informieren möchten, empfehle ich „Gender / Queer Studies“ von Nina Degele und „Feministische Theorien zur Einführung“ von Regina Becker-Schmidt und Gudrun Axeli-Knapp.

28 Kommentare zu „Geschlecht sichtbar machen – aber wie?

  1. wirklich gut erklärt – die ganze komplexität des themas –
    bei mir hat es feministisch erst richtig „klick“ gemacht, als ich das Buch „Die Töchter Egalias“ gelesen hatte – in dieser erzählung wird eine welt entworfen, in der die frauen das dominierende geschlecht sind. ich bemerkte auf einmal wie willkürlich und austauschbar unsere vorstellungen von geschlecht sind und somit begriff ich, dass … ja, siehe oben.

  2. Nach der sehr guten Einleitung und einführenden Begriffserklärung freut man sich auf eine ebenso gute Darstellung feministischer Konzepte. Leider endet der Text dann da, wo ein guter Text erst richtig anfangen würde.

    So habe ich jetzt zwar sprachliches Handwerkszeug, konnte damit aber nicht arbeiten. Schade.

    Allerdings vielen Dank für die Buchtipps.

  3. Hey Günther,

    Dankeschön erstmal. Ja, der praktische Teil fehlt sozusagen. Ich saß auch schon vor der Anwendung und bemerkte aber, dass der Text mindestens doppelt so lang werden würde.

    Es bietet sich sicher an, das mit einem neuen Text an einem aktuellen Beispiel nachzuholen oder demnächst auch ein paar frei zugängliche Schriften, die sich mit dem Thema befassen, zu verlinken.

    Bis dahin müssen erstmal die Bücher genügen. Im Buch von Degele sind sehr viele Anwendungsbeispiele dabei.

  4. Ach ja, ergänzend und sehr anschaulich: Judith Lorber – Gender Paradoxien. Sie erklärt anhand sehr vieler Beispiele, wie unsere Umwelt zweigeschlechtlich funktioniert, warum und wie Geschlecht immer wieder hergestellt wird. Von Erwerbsarbeit bis Toilettengang ;)

  5. Ich hab das gut verstanden und teile auch deine Meinung, dass so ein Geschlechterdiskurs konstruktivistisch funktionieren kann. Was keine und keinen davon abhalten muss, die eigene Wirklichkeit mit Geschlechtern beliebiger Art und Zahl zu bevölkern.
    Lediglich bin ich keineswegs sicher, ob Geschlecht als Kategorie überall dort notwendig und sinnvoll ist, wo dieser Diskurs geführt wird: Sind das mitunter Scheingefechte? Ich denke an Geschlecht in Verfassung und Gesetzen und an die Schwierigkeit, in der deutschen Sprache Geschlecht NICHT besonders zu benennen: Sagst du gar nichts, ist’s meistens männlich, nimmst du die weibliche Sprachform dazu, wird eine Geschlechtsrelevanz geschaffen, die möglicherweise gar nicht intendiert ist. Manchmal geht es auch einfach um etwas anderes.
    Ebenso wie Geschichte nicht in abgeschlossene Kapitel passen will, ist Wahrheit kontingent und Wirklichkeit allzuoft schockierend unwirklich.
    Bücher von Judith Butler und Nina Degele haben mir erst dann genützt, als ich sehr genau wusste, was ich von ihnen wissen wollte. Ansonsten beschäftige ich mich einen Großteil meiner Zeit damit, schwierige Zusammenhänge einfach auszudrücken, das ist interessant und funktioniert. Unabhängig von akademischen Diskursen lässt sich auch über Geschlecht prima nachdenken … wenn dem Denken und Sprechen darüber eigene Bedeutung zuerkannt wird und es nicht zum bloßen „Beispiel“ für die klugen und gelehrten Texte verkommt. Das nämlich schafft leicht eine Hierarchie, mit der die ganze schöne konstruktivistische Herleitung schnell für die Katz ist und die nicht nur die Art des Denkens und Sprechens in Klassen einteilt, sondern auch die Handelnden. Dann wird das Geschlecht als Kategorie, die es zu überwinden gilt, ersetzt durch Klasse. Kein großer Gewinn!
    Wenn es um einen offenen Diskurs geht, bin ich gern dabei.

  6. @ Agnes: „Unabhängig von akademischen Diskursen lässt sich auch über Geschlecht prima nachdenken …“ -genauso sehe ich das auch. Weil, der Aussage im Text „Wer sich mit Geschlecht (auch politisch) auseinandersetzen will, braucht dazu einen ziemlich großen Wissensvorrat.“ stimme ich nicht zu. Der theoretische Pool hilft dabei, komplexe Zusammenhänge formuliert zu bekommen, aber ist nicht notwendig um Situationen zu erkennen.

    Aber mal abgesehen davon, verstehe ich anscheinend den Artikel nicht wirklich. Also das ‚Wozu‘ ist mir nicht ganz klar. Werbung für feministische Einführungsliteratur? [das soll gerade nicht schnippisch verstanden werden, sondern ist ne ernsthafte Frage]
    Denn auf die Frage aus der Überschrift bekommt man aus dem Text keine Antwort, meiner Meinung nach. Denn dass Geschlechterkategorien durch „Normen, Symbole, Wissensvorräte, kulturelle, politische, soziale Praxen, durch gesellschaftliche Strukturen hergestellt und durch eben diese auch gestützt und reproduziert [werden]“, erläutert zwar den Sachverhalt, aber macht ja nicht ’sichtbar‘, oder?

  7. @Agnes

    ja das stimmt. Ich finde es nach wie vor schwierig, Geschlecht zu denken und zu analysieren ohne die Theoriebrille, weil mir dann die Sprache dafür abhanden kommt. Das alltägliche Geschlechterwissen gibt mMn zu wenig her, weil es vereinfacht und die vielen Widersprüche und Ausschlüsse nicht sichtbar macht. Ich denke, das kommt irgendwann mit der Zeit, soweit bin ich noch nicht, da fehlt mir noch die Erfahrung. Lernprozesse, die unentwegt vor sich gehen, niemals aufhören. Vielleicht sieht das ja demnächst anders aus :)

    Und ja absolut, ist wiederum dieses Theoriewissen überhaupt ein Indikator für klassistische Verhältnisse, genauso wie das Sprechen darüber eine sehr privilegierte Position der_des Sprechenden offenbart. Das muss immer zusammengedacht werden, ich wollte (konnte) das in diesem Text nicht mit reinmengen, das wird ja sonst immer komplexer.

    @Tohuwabohu

    Ich schrieb ja an Günther bereits, dass das fehlt im Text, ich schrieb auch dazu, wieso. Und ja, das ist ein Einführungstext, weil hier auch Menschen mitlesen, die einfach nicht so viel Erfahrung in dem Feld haben und denen die Ressourcen fehlen, sich das selbst anzueignen. Das Blog hier ist in erster Linie ein Bildungsangebot, von dem sich möglichst viele angesprochen fühlen sollen und damit wir auch transparent machen können, auf welcher Basis hier bestimmte Diskussionen geführt werden. Sichtbar machen wir (als AutorInnen der MM) zunächst immer Geschlecht (und andere Kategorien), das muss ein einzelner Text erstmal nicht unbedingt leisten, das macht die Gesamtschau. Unabhängig davon finde ich hoffentlich mal die Zeit, das an einem Beispiel durchzuspielen, ich hab’s auf’m Schirm.

  8. Ich glaube um Zusammenhänge zu verstehen sollte man besser erstmal Luhmanns (zugegeben ganz trockener Stoff) oder Parsons Systemtheorie verstehen, bevor es in detailierte Themen geht. Hier im Text wird unentwegt von Wechselwirkungen und gegenseitiger Beeinflussung der Ebenen geredet, die es zu beachten gilt, den LeserInnen wird aber nichts an die Hand gegeben nach welchen Kriterien sie dies tun können.

  9. Ein schöner kurzer Einführungstext mit ohne verbildlichenden Beispielen ;)
    (ist schon erwähnt worden, ich freue mich auf den kommenden Text mit praktischer Anwendung)

    Kurz noch zur akademisierten Sprache:
    Vielleicht ist es ja mein künftiger Berufsethos aber ich denke, die wissenschaftliche Ausdrucks- und Erklärungsweise zu Geschlecht(ern) und Geschlechterverhältnissen ist etwas, dass nicht jedeR können muss. Es ist eine Fachsprache, die letzten Endes eine wissenschaftliche Analyse ermöglichen soll. Darin kommen spezifische Begriffe und Strukturen vor.
    Nicht alle, die sich mit Geschlechterthematiken befassen, müssen damit umgehen können. Manche wollen lieber in Anwendung denken (sagt die Sozialarbeiterin in mir), andere theoretische Konzepte erörtern (sagt die Genderwissenschaftlerin in mir). Es kann ganz hilfreich sein, wenn eben nicht-akademische Menschen ihre eigene Sprache und Ausdrucksweise suchen und finden – das befruchtet beide Seiten. Wichtig finde ich den Austausch und die Offenheit dafür untereinander.

  10. „Wenn ich im folgenden von Geschlecht spreche, meine ich sex und gender. Will ich beide trennen, mache ggf. ich das deutlich.
    (..)
    Das heißt, ich gehe nicht von einem Körper aus, der in Mann/Frau aufgrund “biologischer” Merkmale eingeteilt werden kann.“

    irgendwie ist das ein widerspruch.

  11. Unter körperlichem Geschlecht würde ich die Merkmale verstehen, aufgrund derer ein Körper (praktisch) in die Kategorien Mann/Frau einsortiert.
    Da diese Merkmale sich 1. historisch verändern können und die soziale Rolle „Geschlecht“ 2. unabhängig von der vollständigen Vorhandenheit dieser Merkmale funktioniert, da zuletzt 3. bei jeder zweiseitigen Kategorisierung (die über A und nicht-A hinausgeht) Ausgeschlossene entstehen, die sich nicht klar einsortieren lassen, muss theoretisch davon ausgegangen werden, dass sich die Gesamtheit der Körper niemals restlos und vor Allem niemals letztgültig in die Kategorien Mann/Frau einsortieren lässt.

    Meinst du das, oder haben wir da unterschiedliche Positionen?

  12. @alex

    wohl eher missverständlich ausgedrückt. Ich schrieb Geschlecht, weil ich darunter sex und gender verstehe/n kann. Das heißt nicht, dass für mich beides das gleiche ist.

    @Galumpine

    ich glaube, ich verstehe nicht so recht, was du damit meinst. Wo findest du denn, dass wir uns widersprechen?

  13. ich habe doch im text geschrieben, hätte ich vom biologischen geschlecht explizit gesprochen, hätte ich das kenntlich gemacht, also sex geschrieben. um gender allein ging es mir aber auch nicht. Geschlecht ist auch weniger als Subjektposition gemeint, sondern als soziale Kategorie, die Ungleichheiten reproduziert, Machtverhältnisse stützt und Subjekte in diesem Gefüge unterschiedlich positioniert.

    Ich finde es auch ehrlich gesagt etwas problematisch, das „Biologische“ aus Geschlecht zu extrahieren, wenn – wie hier – abstrakt über eine Analysekategorie gesprochen wird. Das impliziert, es gäbe so etwas wie einen „natürlichen“ Kern, der unabhängig vom Sozialen und Kulturellen existiert. Das sehe ich – in Anlehnung an die neueren Theorien der Gender Studies – einfach nicht so.

  14. „Das impliziert, es gäbe so etwas wie einen “natürlichen” Kern, der unabhängig vom Sozialen und Kulturellen existiert. Das sehe ich – in Anlehnung an die neueren Theorien der Gender Studies – einfach nicht so.“

    Dann ergibt sich allerdings die Frage, wo das Soziale und Kulturelle eigentlich herkommt? Gesellschaften esxistieren ja nocht einfach so, sondern sie haben eine Geschichte, sie haben irgendwann mal angefangen. Ich sehe nicht, wie man das ohne einen „natürlichen Kern“ erklären kann. Marx sagte ja schon, dass Gesellschaften existieren durch Arbeit, die er als „Stoffwechsel mit der Natur“ definiert.

  15. @Nadine: Hatte mich auf das Zitat über meinem Post bezogen. (Das heißt, ich gehe nicht von einem Körper aus, der in Mann/Frau aufgrund “biologischer” Merkmale eingeteilt werden kann.”)
    Was ich missverständlich fand, war vor allem das Wort „kann“ am Schluss. Ist das eine Aussage über eine Gegebenheit oder ein normatives Urteil? Schließlich steht auf unseren Persos ja entweder männlich oder weiblich. Und das wird an körperlichen Merkmalen festgemacht. Man kann das also schon… Ist halt nicht so toll alles…
    Hatte auch nicht erwartet, dass wir da völlig verschiedener Ansicht sind. :)
    Wollte nur deine These in meinen Worten wiederholen um zu überprüfen, ob ich sie richtig verstanden habe…

  16. @nadine
    ja, das kannst du gerne problematisch finden, aber dann mach es doch nicht, die zweiteilung sex und gender hast du ja im text eingeführt und angegeben, dass du „geschlecht“ so verwenden wirst. tust du dann in der folge nicht, da kommt sex nur noch insofern vor, als dass du erklärst, warum geschlecht im sinne von sex zu verstehen unsinnig sei.
    so wies da im text steht, hatte ich das gefühl, du machst jetzt eine melange aus sex und gender. du scheinst sex und gender als sich gegenseitig ausschließende geschlechtskonzepte zu begreifen?

    „das “Biologische” aus Geschlecht zu extrahieren“
    nur bzgl deiner analysekategorien unsinnig oder allgemein?

  17. @alex

    ich versteh nicht, worauf du hinaus möchtest. diese sex-gender-trennung im ersten teil mache ich, um zu erklären, wie meine Definition aussieht. Das ist als Einführung gedacht für Menschen, die sich Geschlecht nicht gleich als Analysekategorie vorstellen können.

    du scheinst sex und gender als sich gegenseitig ausschließende geschlechtskonzepte zu begreifen?

    Der Punkt ist, sie müssen nicht per se zusammengedacht werden, weil sie das „im Normalfall“ immer tun müssen im Sinne der heteronormativen Matrix. Das gender hat sich dem sex anzupassen oder umgekehrt. Wenn ich mich auf Geschlecht als Subjektivierungsform beziehe, muss ich natürlich schon klar machen, worüber ich rede und dann ggf. beides getrennt betrachten. Das kommt aber auf den Kontext an. Dazu allgemeine Aussagen zutreffen hier, wäre unsinnig.

    Zur zweiten Frage: Bezogen auf die Analysekategorien. In der Analysekategorie Geschlecht stecken viele Dinge: Geschlechterverhältnis, sex, gender, Begehren (wenn ich das mit dazunehmen möchte), Strukturen usw. Es ging mir darum kenntlich zu machen, dass eben auch das vermeintlich Natürliche, das Materialisierte dort mit hineingebracht werden muss, nicht lediglich das, was sich daraus ergibt.

    @Galumpine

    Achso, ja. Das Wörtchen „kann“ bezieht sich hier – wie du sagst – auf den Akt der Geschlechtereinteilung in die Mann/Frau-Matrix. Also die Herstellung von Geschlecht über körperliche Merkmale. Mensch „kann“ das schon machen, ich halte das aber für unsinnig und mittlerweile auch aus der naturwissenschaftlichen Forschung heraus für nicht haltbar (vgl. Heinz-Jürgen Voß)

  18. Warum hat man mit „Mann“ und „Frau“ so ein Problem als reine Gegenstandsbeschreibungen? Körper sind Gegenstände, die beschrieben werden, so wie „Tisch“ und „Stuhl“. Es gibt eine Unzahl an verschiedenen Tischen und Stühlen und wahrscheinlich hat irgendein ein cleverer Kopf auch schon eine Kombi Tisch-Stuhl erfunden.
    Wie dann jeder mit seinem Körper als Gegenstand umgeht, hat dann nichts mehr mit der Beschreibung zu tun. Soziale Assoziationen haben in diesen Begriffen dann auch nichts mehr verloren.

  19. Ach ja: Gesellschaftsformen fallen nicht vom Himmel (das hattest Du ja auch in Deinem Text kurz angesprochen, oder?). Sie bauen auf „sozialen Assoziationen“ auf und diese wiederum funktionieren nur in ihren entsprechenden Gesellschaftsformen. Meiner Meinung nach entstehen Assoziationen jeglicher Art durch gewonnene Erfahrungen. Also, wie kam es zu den Erfahrungen, die zu einer Gesellschaft führten, in der Menschen mit bestimmten Körpermerkmalen und bestimmten Präferenzen in der Lustgewinnung sozial dominieren? Und wieso ist die Schnittmenge dieser Merkmale zwischen den verschiedenen Kulturen so groß?
    (ich weiß, es gibt Ausnahmen, aber das sind relativ wenige)

  20. @nadine
    ich will darauf hinaus, dass dein schreibstil kryptisch ist.

    im text steht, geschlecht könne im sinne von sex ODER im sinne von gender belegt werden, in weiterer folge würde es im sinne von: “Wenn ich im folgenden von Geschlecht spreche, meine ich sex und gender.“ verwendet. UND.
    „Will ich beide trennen, mache ggf. ich das deutlich.“
    im weiteren verlauf des textes kann ich keine kenntlichmachung finden, die mir jetzt mitteilt, dass nun nur noch eines der beiden konzepte gelten soll. so wie es im text steht habe ich angenommen, du würdest beide definitionen miteinander verbinden und habe den text versucht danach zu verstehen, geschlecht im sinne von sex UND gender.
    statt dessen kommt ein pro und contra, warum das sexkonzept unsinnig ist und es sowieso nur sinn machen würde, das genderkonzept zu verwenden. also, wozu dann diese einleitenden sätze? da hättest du doch gleich schreiben können, es gibt die sexdefinition, es gibt die genderdefinition, ich nehme letztere und das begründe ich jetzt mal kurz.
    außerdem klingt alles was du schreibst nicht wirklich danach, als ob das sexkonzept für dich in irgendeiner weise brauchbar wäre. also frage ich mich, warum du so scheinbar neutral mal die beiden definitionen von geschlecht gleichberechtigt nebeneinander einführst, wenn du – und das geht irgendwie auch aus deinen kommentaren hervor – anscheinend der meinung bist, dass es geschlecht verstanden als biologisch determiniertes (in welcher form auch immer, muss ja nicht heteronormative zweigeschlechtlichkeit sein) überhaupt nicht gibt. du müsstest meine frage eigentlich mit einem einfachen ja beantworten können, für dich sind sex und gender zwei verschiedene konzepte, die sich gegenseitig ausschließen und du nimmst an, das genderkonzept sei das richtige.

  21. @alex
    Ich glaube, Nadine meint das mit dem sex/gender-Konzept so, dass menschliche Körper einmal in ein „biologisches Geschlecht“, absehbar an primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen, unterschieden werden und eben beim sogannten „soziale Geschlecht“ als männlich oder weiblich wahrgenommen werden, was im Hinblick auf eine folgende Analyse nicht nur direktes Handeln, sondern auch indirektes Handeln/Behandeln und strukturelle Aspekte beinhaltet.
    Deswegen schließen sich die beiden Konzepte ja nicht zwingend aus, denn oftmals werden aus dem vermeintlichen biologischen Geschlecht (vermeintliche) soziale Handlungen abgeleitet, zugesprochen oder vermutet – oder andersrum wird aus sozialer Interaktion auf ein biologisches Geschlecht geschlossen.

    Das Problem bei der Trennung von sex/gender ist eben das, dass oftmal dann „sex“ als feste, unabänderliche Kategorie abgespalten wird, wohingegen „gender“ fließender und variabler ist. Neuere Forschungen wie eben die von Voss angesprochene Arbeit „Making sex revisited“ gehen mehr dahin, dass auch das sog. biologische Geschlecht nicht nur zwei sich ausschließende männliche oder weibliche Pole kennt, sondern variabler und fließender auf verschiedenen Ebenen ist (physisch, chromosomal, hormonell etc.). Diese Variabilität auf sex UND gender-Ebene versucht Nadine mE dadurch kenntlicher zu machen, indem sie auf das deutsche Wort des Geschlechtes zurück greift und wenn sie Geschlecht sagt, quasi beide Ebenen meint. Sollte sie nur eine Analyseebene betrachten, dann würde sie explizit von biologischem oder sozialem Geschlecht schreiben.

    Korrigier mich, falls ich das jetzt anders erklärt habe, als du es meinst, Nadine :)
    (und sorry, ich gab mir Mühe nicht zu viele Fachbegriffe zu verwenden, damit ich es nicht noch mehr verkompliziere, kann auch schief gegangen sein)

  22. @ethia

    ich weiß nicht, worauf du hinaus willst.

    @khaos.kind und alex

    danke für die erklärung. so meinte ich es. und sorry, falls ich mich unverständlich ausdrücke. danke für die nachfragen.

  23. @khaos.kind + nadine
    ich verstehe euch nicht.

    „primäre und sekundäre geschlechtsmerkmale“ sind begriffe, mit denen geschlecht konstruiert wird?

  24. @alex
    An den primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen wird vorrangig das biologische Geschlecht fest gemacht und danach unterschieden. Unabhängig davon, ob sich diese Unterscheidung in den Chromosomen, hormonellen „Richtwerten“ oder dem eigenen Körperempfinden wiederfinden.

    Aus dieser Unterscheidung werden Charakterzüge, Vorlieben, Haltungen abgeleitet (sogenannte sex-category). Selten aus dem Menschen heraus. Und viel zu oft über Menschen und ihre tatsächlichen Interessen oder Charakterzüge oder Vorlieben hinweg.

    Und viele Menschen handeln bewusst um mehr in eine Kategorie zu passen – oder gerade gegen die, die ihnen biologisch „angedacht“ ist (quasi das sogenannte soziale Geschlecht/gender)

    Also ja, unter anderem werden aus den primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen Menschen als Geschlechtswesen konstruiert. Manchmal sehr bewusst, wenn eine übergroße Klitoris bei der Geburt als Mini-Penis „festgelegt“ wird/ein Penis unter (ich glaube) 1,5cm als übergroße Klitoris. Manchmal weniger bewusst und mehr indirekt oder strukturell, in dem z.B. ein Bub, der gerne mit pinken rumläuft als „weibisch“ (in einem abwertenden Sinne) bezeichnet wird.

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