Mit den Revolutionen in Tunesien und Ägypten vor knapp einem Jahr ist auch eine weitere Frage immer wieder aufgetaucht: Wie steht es um die Frauen in Nordafrika, bzw. dem Mittleren Osten? Das Buch “Women and the Family in the Middle East” beleuchtet historische Entwicklungen, von den zwanziger Jahren bis in die Achtziger. Betrachtet werden zehn Länder, vom Irak über Ägypten bis zum Sudan, sowie die Palästinensischen Autonomiegebiete. Außen vor bleiben die Länder „ohne westlichen Einfluß“ und Kolonialzeit, der Jemen und Saudi-Arabien, trotzdem ist dies schon ein weites Feld. Darüberhinaus werden die Themen Familie, Arbeit, Religion, Krieg & Revolutionen, Identität und Gesundheit & Erziehung betrachtet – eine umfassende Analyse gibt es daher nicht.
Stattdessen gleicht das Buch einem Puzzle, in dem sich wissenschaftliche Abhandlungen, persönliche Berichte und Fiktion in Form von Gedichten und Geschichten abwechseln. Die einzelnen Texte sind, so verschieden sie auch sind, stets gut zu lesen und verständlich. Der Versuch, das Buch in einem Rutsch zu lesen, muss an der Vielfalt der Themen allerdings scheitern. Umso mehr Sinn macht es, sich einzelne Texte herauszusuchen und mit dem heutigen Stand zu vergleichen. So wurde etwa in Libyen die radikale Gleichstellung von Männern und Frauen geplant. Dass es dazu niemals kam, zeigt nicht zuletzt die aktuelle Situation.
The problem with „starting from reality“ is that, without a clear policy of change, one tends to get stuck there. (Das Problem mit dem „Beginn in der Realität“ ist, dass man ohne klare Vorgaben zur Veränderung stecken bleibt.)
„Die Zeit nach den Revolutionen“ beleuchtet auch dieses Buch. Allerdings sind damit die Befreiung von der Kolonialzeit und vom Westen, sowie der libanesische Bürgerkrieg gemeint. Aktuell klingen die Erkenntnisse dennoch: So warnen Frauen, dass sich mit Revolutionen ihre Stellung meist nur temporär bessert. Und dass der Westen oft eine romantisierte Vorstellung der Kämpfe entwickelt, der Wiederaufbau aber unglaublich schwer ist.
Außerdem wird immer wieder Kritik am westlichen Feminismus geübt, der als viel zu familienbezogen und zuwenig systemisch gesehen wurde. Und damit paradoxerweise die politische Arbeit muslimischer Frauen unsichtbar machte. So forderten Fabrikarbeiterinnen in Kairo bereits in den Siebzigern, was in Deutschland bis heute ein umstrittenes Thema ist: Betriebskindergärten. Besonders eindrucksvoll ist dabei eine autobiografische Emanzipationsgeschichte von Nawal El Saadawi, die beim Erscheinen des Buches bereits weltbekannte Feministin war.
Leider ist das Buch nicht auf Deutsch übersetzt worden und ist derzeit auch nur gebraucht erhältlich. Das Suchen im Antiquariat lohnt allerdings!
Elizabeth Fernea, “Women and the Family in the Middle East: New voices of change”. University of Texas Press, 1985. 356 Seiten. Derzeit nur gebraucht erhältlich.