Spanien, Argentinien oder Polen haben es vorgemacht: Kämpfe gegen geschlechtsspezifische Gewalt, für sexuelle Selbstbestimmung, gegen Ausbeutung und für bessere Arbeitsbedingungen münden in Streiks, genauer gesagt: Feministische Streiks. Während linke Typen seit Jahren diskutieren, wie feministische und queere Forderungen den „echten Klassenkampf“ verwässern, gehen Frauen und Queers millionenfach auf die Straße, streiken und kämpfen für eine bessere Zukunft für alle.
Die Kämpfe von früher sind die Kämpfe von heute
Feministische Streiks haben eine lange Tradition. In der jüngeren Geschichte in Deutschland gab es 1994 den letzten bundesweiten Frauenstreik, an dem rund eine Million Menschen, in der Vielzahl Frauen, teilnahmen und Straßen und Plätze besetzten. Für das Feministische Archiv schrieb Gisela Notz über die Forderungen des Streiks:
Unter dem Motto „Jetzt ist Schluss! – Uns reicht’s!“ richtete sich der Aufruf gegen die vielfältig bestehende Frauendiskriminierung nach der „Wende“, gegen den Abbau von Grundrechten und Sozialleistungen, gegen Gewalt, für gleiche Rechte für Flüchtlinge und Migrantinnen, für vielfältige Lebensformen und Selbstbestimmung im Falle einer ungewollten Schwangerschaft. Aufgerufen wurde zur Verweigerung der (jetzt) bezahlt und der (jetzt) unbezahlt geleisteten Arbeit in Produktion und Reproduktion.
Genau 25 Jahre später knüpfen wir fast nahtlos an die Forderungen an. Keine hat sich erledigt, manche in ihrer Dringlichkeit verschärft: Aktuell in der massenmedialen Diskussion ist noch nicht einmal die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, sondern lediglich der Paragraph 219a und die Frage, ob Ärzt*innen auf ihrer Webseite überhaupt über Schwangerschaftsabbrüche informieren dürfen. Für Ostdeutsche ist das ganz besonders bitter, war Abtreibung in der DDR doch bereits seit dem 9. März 1972 legal – übrigens als „Frauentagsgeschenk“ deklariert (wie generös). Nach dem Mauerfall setzte sich das restriktivere West-Recht durch. Ein Rückschritt.
Auch die anderen Forderungen, die Gisela Netz weiter oben aufzählt, sind nicht ansatzweise erreicht worden. Viele Frauen, besonders Migrantinnen und Frauen of Color, arbeiten in prekären Beschäftigungsverhältnissen, in denen man sich selten gegen diskriminierende und ausbeuterische Strukturen wehren kann.
Das trügerische Freiheitsversprechen flexibler 24/7-Arbeitsarrangements, die neoliberalen „Emanzipierte Frauen können alles schaffen“-Botschaften, die Diversity-Initiativen, die für manche Chancen eröffnen, aber kaum Strukturen verändern, treffen auf den kontinuierlichen Abbau des Sozialstaates beim gleichzeitigen Ausbau des Niedriglohnsektors. Dazu kommen heteronormative Erwartungshaltungen in der Arbeitswelt, fehlende Kitaplätze sowie die schlichte Tatsache, dass hetero Männer mit Kindern immer noch viel zu wenig Verantwortung in der Sorgearbeit übernehmen – sowohl in der Kinder- und Altenbetreuung als auch in der Organisation des Alltags. In nahezu allen Haushalten, in denen auch Frauen leben, übernehmen diese den größeren Anteil der Sorge- und Hausarbeit. Ja, auch in linken WGs oder hippen Hetero-Beziehungen in Großstädten.
Im Privaten werden die Putzarbeiten mitunter gering bezahlt an marginalisierte Frauen outgesourced. Besser verdienende Familien können sich so ein bisschen mehr Freizeit, Flexibilität und den Mythos der Gleichberechtigung erkaufen.
Frauen Sternchen
Es gibt also viele – noch mehr als die bereits aufgezählten – Gründe, sich zusammenzutun, zu demonstrieren und zu streiken. Der nächste großangelegte Streik ist für den 8. März 2019, den Frauenkampftag, geplant. Bundesweit haben sich in den letzten Monaten über 35 Ortsgruppen gegründet. Manche nennen sich Frauenstreik (Bonn oder Osnabrück) oder Frauen*streik (Berlin), eine Gruppe heißt Frauen- und Queer-Streik (Kassel), eine andere Feministischer Streik (Leipzig).
Die verschiedenen Namen offenbaren, dass es durchaus unterschiedliche Herangehensweise an den geplanten Streik gibt. Wir sind mittendrin in den wichtigen Debatten der letzten Jahrzehnte: Wer oder was ist dieses Subjekt „Frau“? Welche Lebensrealitäten werden thematisiert, welche unsichtbar gemacht? Fokussieren wir uns auf Subjekte oder organisieren wir uns lieber über Perspektiven – feministisch oder queer, zum Beispiel?
Auffällig ist, dass sich in den letzten Jahren nicht nur in feministischen Kreisen die „Sternchen-Schreibweise“ etabliert hat. Um zu verdeutlichen, dass das Frausein nicht biologistisch gedacht wird und alle Menschen gemeint sind, die sich als Frauen verstehen (auch unabhängig vom Eintrag in der Geburtsurkunde), schreiben viele nun „Frauen*“. Ich habe das vor ein paar Jahren auch mal für einige Wochen gemacht und mich dann gefragt, was ich damit eigentlich bezwecke. Warum reicht denn „Frau“ auf einmal nicht mehr aus? Und wieso packen wir dann kein Sternchen hinter dem Wort Mann? Oder anderen sozialen Konstruktionen?
Ob mit oder Sternchen, die meisten benutzen das Wort „Frau“ immer noch sehr biologistisch. Hengameh Yaghoobifarah schreibt dazu im Missy Magazine:
Wenn ich beispielsweise an den Satz „Frauen haben ein Recht auf Abtreibung“ lediglich ein Sternchen an „Frauen“ hänge, verschwindet die Transfeindlichkeit nicht automatisch. Nicht-binäre Leute und trans Männer haben ebenso sehr ein Recht auf Abtreibung.
Anstatt neue Schreibweisen zu entwickeln, die in der Realität kaum etwas ändern, sollten wir eher unsere Sprache präzisieren. Das heißt nicht, dass wir nur noch und ausschließlich abstrakt von „Menschen“ reden müssen, die schwanger werden können oder Pflegearbeit machen. In politischen Diskussionen ist es wichtig, auch Subjekte zu nennen, um zu verdeutlichen, dass Bereiche geschlechtlich strukturiert sind. Sprachlich kann man das einfach ausdrücken, ungefähr so: „Viele Frauen und trans Männer können schwanger werden.“ Oder: „Ich kämpfe für das Recht auf legale Abtreibungen für Frauen und Menschen, die schwanger werden können.“ Oder: „Schwangere haben ein Recht auf umfassende Informationen“. Es gibt viele Möglichkeiten, trans, inter und nicht-binäre Menschen, die schwanger werden können, sprachlich sichtbar(er) zu machen. (Dieser Satz wurde nach einer Kritik von Francis Seeck geändert. Danke für die Erklärung.)
Alles so kompliziert? Kann sein. Ich finde es aber auch kompliziert, den Widerspruch von Kapital und Arbeit zu diskutieren, oder das Kauderwelsch-Deutsch vom Finanzamt zu verstehen. Das hält mich nicht davon ab, es zumindest zu versuchen. Komplizierte Sprache kann dazu führen, dass Menschen von Diskussionen ausgeschlossen werden. Deswegen ist es so wichtig, gemeinsam zu überlegen, wie wir eine Sprache finden, die möglichst nicht diskriminierend und verständlich ist.
Insbesondere bei diskriminierungsfreier Sprache kommt schnell das Argument, dass das ja alles zu kompliziert sei und – Achtung, klassistisches Argument – „die Verkäuferin an der Kasse“ nicht mehr versteht, worüber „wir“ so reden. Mal davon abgesehen, dass nicht alle Verkäufer*innen cis und hetero sind, oder unpolitisch, ist diese Unterstellung auch einfach frech. Verständnis hat ja nicht nur etwas mit formaler Bildung oder einem bestimmten Berufsfeld zu tun, sondern oft auch mit einem Verstehen-Wollen. Sich nicht mit etwas auseinandersetzen zu wollen, zieht sich durch alle gesellschaftliche Schichten, manchmal besonders ausgeprägt in bildungsbürgerlichen Milieus, die zwar Tschaikowski fehlerfrei buchstabieren können, aber es unglaublich „kompliziert“ finden, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt.
Auf zum Streik! Wer … und wie?
Richtig ist, dass über die bezahlte und unbezahlte Care Arbeit nur umfassend gesprochen werden kann, wenn Klasse, Geschlecht und race / Herkunft als zentrale Strukturen genannt werden, alles andere wäre eine Verschleierung der gesellschaftlichen Realitäten. Wenn die meisten Pflegekräfte oder Erzieher*innen Frauen (mit und ohne Rassismuserfahrungen) sind, ist das kein Zufall. Ebenso ist es kein Zufall, dass diese Berufe von fehlenden Ressourcen sowie geringer Entlohnung und Wertschätzung geprägt sind. Bitter ist, wenn die Forderung nach höheren Löhnen mit dem Argument vorgetragen wird, dass die Berufe dann attraktiver für cis Männer werden. Attraktive Arbeitsbedingungen für Frauen und Queers schaffen? Steht anscheinend nicht so weit oben auf der Agenda.
Unsere Sprache zu schärfen, bedeutet auch, den Blick zu schärfen und Arbeitsfelder in den Blick zu nehmen, die für einige Feminist*innen ein rotes Tuch zu sein scheinen, wie zum Beispiel Sexarbeit. Marie Hasan beschreibt im Missy Magazine, warum es wichtig ist, „Sexarbeit“ als Begriff zu etablieren. Wenn diese Arbeit als „richtige Arbeit“ verstanden wird, sei auch „eine Identifikation und Organisierung für bessere Arbeitsbedingungen einfacher“. Sexarbeiter*innen kämpfen nicht nur mit prekären Arbeitsbedingungen und ungenügendem Gewaltschutz, sondern werden auch von so mancher Feministin mundtot gemacht, obwohl hier eigentlich Solidarität angebracht wäre.
In dem sehr lesenswerten Artikel „New Queens On The Block. Transfeminismus und neue Klassenpolitik“ bringt es Lia Becker in Luxemburg. Gesellschaftsanalyse und linke Praxis auf den Punkt:
Feministische Diskussionen um Care-Arbeit sind nach wie vor von der Vorstellung geprägt, dass alle Care-Arbeiter*innen cis-geschlechtlich leben. Viele Trans*, besonders Trans*-Migrant*innen, arbeiten jedoch in der Sexarbeit oder in Privathaushalten in der Pflege.
Eine weitere zentrale Frage ist, wie gerade prekär Beschäftigte streiken sollen. Hier wird deutlich, dass ein anderer Arbeitsbegriff auch einen anderen Streikbegriff nach sich ziehen muss: Feminist*innen weisen seit Jahrzehnten darauf hin, dass Arbeit nicht nur Erwerbsarbeit ist, sondern auch Hausarbeit, emotionale Arbeit oder die private Pflege von Angehörigen. Eine bloße Arbeitsniederlegung wie im klassischen Streik würde eher zur Folge haben, dass die Arbeit einfach liegen bleibt und morgen doppelt so viel zu erledigen ist, oder dass eine Person nicht die Pflege bekommt, die sie benötigt. Es werden also „die Falschen“ bestraft.
Ein feministischer Streik oder Protest muss daher vielseitiger und kreativer ausfallen und darf nicht unsolidarisch mit jenen sein, die ihre Arbeit nicht niederlegen können, weil sie Abmahnungen oder gar Kündigungen zu befürchten haben. Der Freiburger Frauenstreik hat dazu eine tolle Broschüre zu Streik- und Aktionsformen (PDF) erarbeitet, in denen legalisierte und illegalisierte Streikformen aufgelistet werden. Schon mal etwas von einem Bummelstreik gehört? Oder von Überlastungsanzeigen? Das alles sind Möglichkeiten, am Streik teilzunehmen, ohne den Job zu riskieren. Auch auf der Seite des Berliner Frauenstreiks gibt es Informationen zu den Themen „Streik im Betrieb“, „Unbezahlte Arbeit bestreiken“ oder „Öffentlichen Raum besetzen“.
In Berlin wurde außerdem diskutiert, wie wir mit dem neuen Feiertag am 8. März umgehen: Einerseits freuen wir uns über jeden Feiertag, den wir in Berlin bekommen, andererseits empfanden es einige Aktivist*innen als ärgerlich, dass just in dem Jahr, in dem ein Streik organisiert wird, von der Regierung ein Feiertag beschlossen wurde. Ein feministischer Streik lässt sich davon allerdings nicht abhalten: Viele Menschen müssen am Feiertag trotzdem arbeiten und unbezahlte Pflege- und Hausarbeit kennen sowieso keinen Feiertag.
Die Forderungen des Netzwerks, die beim vergangenen bundesweiten Treffen in Berlin am 16. und 17. Februar diskutiert wurden, sind so vielfältig wie die verschiedenen Lebensrealitäten von Frauen und Queers. Darin heißt es unter anderem: Für ein nachhaltiges Wirtschaften; für ein Stopp der deutschen Rüstungs- und Kriegspolitik; Unterstützung für asylsuchende Frauen; Bekämpfung geschlechtsspezifischer Fluchtursachen; Arbeits- und Wahlrecht unabhängig vom Aufenthaltsstatus; Abschaffung von Hartz IV; Abschaffung des Prostitituierten“schutz“gesetzes; Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt; Recht auf körperliche und geschlechtliche Selbstbestimmung (z.B. Abschaffung ärztlicher Gutachtenpflicht für trans Menschen); gegen Ausbeutung in der Erwerbsarbeit und ungerechte Löhne; für ein Ende des Pflegenotstands und eine Anerkennung unbezahlter Erziehungs-, Haushalts- und Pflegearbeit; mehr Kitas, und, und, und. (Der Forderungskatalog ist leider online nicht verfügbar).
Und in ein bisschen mehr als zwei Wochen ist es soweit: Am 8. März werden bundesweit Aktionen und Streiks stattfinden. Es wird einen globalen Aufschrei geben, Sitzstreiks, Demonstrationen, Solidaritätskundgebungen … Hast du bereits eine Idee, was du am 8. März machen wirst? Und hast du schon mit deinen Freund*innen, Kolleg*innen oder Bekannten darüber diskutiert? (Es ist noch etwas Zeit. Vielleicht findest du in deiner Nähe eine Gruppe.)
Das letzte Wort hat Mutiara Zhu vom Frauenstreik Berlin, die den Streik und die verschiedenen Forderungen des Netzwerkes so zusammenfasst (siehe Pressemitteilung):
Dieser Streik ist für alle, unabhängig vom Status und Aufenthaltstitel, unabhängig vom Wohnort oder Sprachkenntnissen. Wir stehen zusammen und wir lassen uns nicht spalten. Wir streiken gegen die Gewalt an Frauen und Queers, gegen die Gesetze, die uns in Migrantinnen und Deutsche, in Menschen erster und zweiter Klasse trennen. Wir putzen, machen Jobs, die sonst keine macht, werden schlecht oder gar nicht bezahlt, viele von uns dürfen nicht einmal arbeiten. Damit muss Schluss sein!
In Berlin ist der 8.März Feiertag. Also nix mit Streik.
Hallo Leonie, lies doch mal den Text!
Viele Grüße von Magda