Warum polnische Schwangere zur Abtreibung nach Berlin kommen – Praktische feministische Solidarität

Ciocia Basia, auf Deutsch „Tante Barbara“, ist eine Gruppe von Aktivist*innen, die sich für das Recht auf Abtreibung einsetzt. Sie unterstützen ungewollt Schwangere aus Polen dabei, in Berlin sichere und straffreie Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen.

In Polen sind Abtreibungen nur möglich, wenn die Gesundheit oder das Leben der schwangeren Person gefährdet sind, wenn die Schwangerschaft Folge einer Straftat ist oder wenn der Fötus schwer beschädigt ist. Damit hat Polen hat eine der striktesten Abtreibungsgesetzgebungen Europas. Nur noch Malta, San Marino, Liechtenstein, Andorra, Monaco, Irland und Nordirland haben ähnlich strenge oder noch strengere Gesetze.

Das war allerdings nicht immer so: Einst hatte Polen eine der liberalsten Abtreibungsregelungen Europas. Nach erfolgreichen Kampagnen in den 1920er und 1930er Jahren gegen das damals noch vollständige Abtreibungsverbot wurde der Abbruch 1932 legalisiert, wenn er entweder aus medizinischen Gründen notwendig oder die Schwangerschaft Folge einer Straftat war. 1956 wurden Schwangerschaftsabbrüche in der kommunistischen Volksrepublik Polen weiter erleichtert und waren fortan auch für den Fall einer schwierigen Lebenssituation der Schwangeren möglich.

Stop misusing the bible for your propaganda
I am Christian and pro choice. It’s not a contradiction. Stop misusing the bible for your propaganda! Proteste gegen den Marsch für das Leben, Berlin 16.09.2017

Mit Ende des kommunistischen Regimes und den Verfassungsänderungen der dritten Polnischen Republik 1989 wurde das Recht auf Abtreibung radikal beschnitten. 1993 trat das heute gültige Gesetz in Kraft, das Abtreibungen nur in den drei oben genannten Fällen erlaubt. Großen Einfluss auf diese Verschärfung hatte die katholische Kirche. Im polnischen Kollektivgedächtnis ist stark verankert, dass die Kirche der antikommunistischen Opposition geholfen hat, das Regime zu Fall zu bringen. Quasi im Austausch dafür wollte die katholische Kirche einen großen Einfluss auf das politische Leben in Polen haben. Den hat sie bekommen: Die Kirche wird vom Staat subventioniert, der Religionsunterricht in den Schulen ist staatlich finanziert, bei vielen politischen Veranstaltungen sind Bischöfe anwesend. Dementsprechend ist es kein Wunder, dass sich nicht mal die die »linke« Regierung von Leszek Miller (2001-2005) getraut hat, das Recht auf Abtreibung wieder durchzusetzen.

Seit September 2016 droht stattdessen eine weitere Verschärfung des Abtreibungsgesetzes. Damals hatte die christlich-fundamentalistische Stiftung Ordo Iuris ein Gesetz entworfen, das Abtreibung nur noch erlaubt, wenn das Leben der Schwangeren akut bedroht ist und zusätzlich Haftstrafen für die abtreibende Person vorsieht (bisher machen sich diejenigen strafbar, die bei der Abtreibung helfen). Der Gesetzesentwurf wurde von der Bürger_inneninitiative »Stop Abtreibung« als Petition ins Parlament gebracht und am 23. September 2016 in erster Lesung verabschiedet. Diese Entscheidung löste in Polen und über Polen hinaus massive Proteste unter den Schlagwörtern #czarnyprotest und #blackprotest aus. In vielen Städten inner- und außerhalb Polens gab es Demonstrationen, hunderttausende Menschen gingen für das Recht auf Abtreibung auf die Straße.

Restriktive Abtreibungsgesetze in Polen machen es nötig für den Eingriff ins Ausland zu fahren.

Angesichts dieser wohl unerwarteten Proteste lehnte das Parlament den Gesetzesentwurf in der zweiten Lesung ab und es blieb vorerst bei der alten (wohlgemerkt sowieso schon extrem restriktiven) Gesetzgebung. Im März 2018 gab es einen erneuten Vorstoß, die Gesetzgebung zu verschärfen, wieder gingen Zehntausende auf die Straße. Im Moment ist unklar, was passieren wird: Das Parlament hat die Entscheidung auf unbestimmte Zeit verschoben.

Auch hinter diesem Gesetzesentwurf steckt wie schon Ende 2016 die Initiative »Stop Abtreibung«, ein Bündnis aus selbsternannten Lebensschützer_innen. Doch: Wo Lebensschutz draufsteht, ist kein Lebensschutz drin. Schwangerschaftsabbrüche zu verbieten führt nicht dazu, dass ungewollt Schwangere weniger abtreiben. Sie tun es nur unter unsicheren Bedingungen und müssen ihr eigenes Leben gefährden. 2008 starben laut Weltgesundheitsorganisation weltweit 47.000 Menschen an den Folgen unsicherer Abbrüche.

Proteste gegen den Marsch für das Leben, Berlin 16.09.2017

Es geht den selbsternannten Lebensschützer_innen also nicht um den Schutz von Leben, sondern um Kontrolle über den Körper der Schwangeren. Auch in Deutschland sind fundamentalistische Lebensschützer_innen aktiv und nutzen z.B. den Paragraphen 219a, um Ärzt_innen, die auf ihrer Webseite über Abtreibung informieren, anzuklagen. Nicht zuletzt dadurch sind auch die wenigen hart erkämpften reproduktiven Rechte in Deutschland in Gefahr: Zwar ist der Schwangerschaftsabbruch bis zur 12. Woche straffrei, doch in vielen Regionen gibt es kaum noch Kliniken, die Abtreibungen durchführen. Mit der AfD sitzt eine Partei im Bundestag, die sich explizit antifeministisch und gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche positioniert.

Der Kampf um körperliche Selbstbestimmung muss also weiter gefochten werden. Wir müssen auf die Straße gehen, gegen entmündigende Gesetzgebungen. Wir müssen Einfluss nehmen auf Debatten und Diskurse, auf politische Prozesse und auf Entscheidungsträger_innen. Und wir müssen diejenigen, die jetzt ungewollt schwanger sind, praktisch unterstützen. Das tun wir von Ciocia Basia – und setzen das Recht auf Abtreibung Tag für Tag praktisch um.

Infos: Ciocia Basia

Ciocia Basia ist eine Gruppe von Aktivist*innen in Berlin, die Menschen aus Polen dabei unterstützt, in Berlin sicher und straffrei abzutreiben. Wer ungewollt schwanger ist, kann uns über Telefon, E-Mail oder Facebook erreichen. Wir klären dann über Möglichkeiten auf – bis zur 7. Schwangerschaftswoche ist in Deutschland ein medikamentöser Abbruch möglich, bis zur 12. ein operativer. Personen, die schon in einem fortgeschritteneren Schwangerschaftsstadium sind, vermitteln wir in die Niederlande oder nach Großbritannien, wo Schwangerschaftsabbrüche bis zur 22. bzw. bis zur 24. Woche legal sind.

Für diejenigen, die nach Deutschland kommen, organisieren wir Termine für die gesetzlich verpflichtende Schwangerschaftskonfliktberatung und für die Abtreibung in der Klinik. Wir begleiten, übersetzen und organisieren, wenn nötig, auch Unterkünfte.

Diejenigen, die sich den Abbruch nicht selbst leisten können, unterstützen wir auch finanziell. Bisher konnten wir uns mit Soliparties und Spenden gut über Wasser halten – doch wir werden in Polen immer bekannter und bekommen dementsprechend mehr Anfragen. Das Recht auf körperliche Selbstbestimmung darf aber nicht vom Einkommen einhängen! Wenn ihr sicherstellen wollt, dass wir auch weiterhin allen ungewollt Schwangeren helfen können, könnt ihr hier spenden: https://www.gofundme.com/tantebarbara

 

Telefon: 0152 10385680

E-Mail: ciocia.basia@riseup.net

Facebook: facebook.com/ciociabasiaberlin

 

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