Morgen, am 07. Juli, wird der Bundestag in Berlin ab etwa 10.45 Uhr über Veränderungen im Sexualstrafrecht diskutieren und anschließend abstimmen. Dem derzeitig vorliegenden Entwurf werden gute Chancen eingeräumt durchzukommen. Im Ausschuss „Recht und Verbraucherschutz“ wurde die Regelung bereits heute beschlossen.
Einerseits sollte es einen Grund zur Freude geben: Seit Jahrzehnten kritisieren Feminist_innen strafgesetzliche Regelungen zur Verfolung von sexualisierter Gewalt. „Nein heißt nein“, soll nun endlich als Maxime ins Strafgesetzbuch Einzug erhalten. Und dies ist prinzipiell natürlich sehr zu begrüßen (auch wenn bei allen Strafgesetzänderungen immer noch Rechtspraxen sehr anders aussehen (können) und viele grundlegende Probleme, die zur Nichtverfolgung und -verurteilung sexualisierter Gewalt führen, bestehen bleiben). Doch was ist nun mit der letzten Vorlage zur Gesetzesänderung geschehen? Eine Verschärfung des Ausweisungsrechts wurde eingebaut und damit angeschlossen an die rassistischen Diskussionen von Januar, wo ebenfalls versucht wurde Betroffene sexualisierter Gewalt gegen rassifizierte Personen und Personen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus auszuspielen: Auf der einen Seite die zu beschützende deutsche Frau, auf der anderen Seite der gewaltvolle „fremde“ Mann. Beides Bilder, die Vergewaltigungskultur weiter manifestieren.
Die LINKEN-Politikerin Halina Wawzyniak hat auf ihrem Blog bereits noch einmal die Prozesse zur Entstehung der nun vorliegende Gesetzesvorlage beschrieben und analysiert, was der Bezug zum Ausweisungsrecht und die Aufnahme eines Paragraphen, der sich konkret auf sexualisierte Gewalt aus Gruppen bezieht (auch dies ein ‚Ergebnis‘ nach Köln), bedeutet. Sie schließt mit deutlichen Worten:
Hier ist jegliches Maß verloren gegangen. Und es lässt mich ratlos zurück, wie aus einem guten Ansatz, solcher Bockmist werden konnte.
Selbst der Spiegel titelte gestern Nachmittag: „Neues Sexualstrafrecht: „Nein heißt nein“-Prinzip soll Abschiebungen erleichtern„.
Und das ist das Problem, wenn wir zu viel (feministische) Hoffnung auf den Rechtsstaat legen. Der ist in dieser Gesellschaft nie "gerecht".
— magda albrecht (@RiotMango) July 5, 2016
Die Kampagne #NeinHeißtNein hat morgen ab 9 Uhr zur Demonstration vor dem Bundestag aufgerufen. Auch diese Initiative verurteilt klar eine „Symbolpolitik zur Silvesternacht mit schwerwiegenden Konsequenzen“.
Zum Weiterlesen:
Wie eingangs erwähnt ist sexualisierte Gewalt und der Umgang mit dieser ein grundlegendes Thema feministischer Auseinandersetzungen. Auch hier bei der Mädchenmannschaft schreiben wir seit Jahren zu konkreten Fällen, kritisieren Mediendiskussionen um sexualisierte Gewalt und das Vertrauen auf den Rechtsstaat. Hier eine ausführliche – und nicht einmal ansatzweise vollständige – Leseliste.
- „In Deutschland herrscht faktische Straflosigkeit sexualisierter Gewaltdelikte“ – Im Jahr 2011 interviewte Maria Wersig Ulrike Lembke zum deutschen Recht, der tatsächlichen Rechtssprechung und der Frage, warum es so selten zu Verurteilungen kommen (die dann noch zu meist am unteren Ende des gesetzlich vorgeschlagenem Strafmaßes liegen).
- Zu Beginn dieses Jahres schrieb Hannah über „zu Gewalt legtimierender Gewalt„, also auch über das Ausspielen von Menschen, denen sexualisierte Gewalt angetan wurde, und Menschen, die rassistisch diskriminiert werden.
- Auch im letzten Jahr wurde der §177 im Bundestag diskutiert. Nadine schrieb anschließend zu „Renate Künast, der Vergewaltigungsparagraph 177 und die Unzulänglichkeiten des Rechtsstaats„.
- Steinmädchen analysierte ebenfalls im letzten Jahr „Vergewaltigungsmythen in Bildern“ .
- Weit diskutiert wurde in den letzten Jahren der Fall Kachelmann. Nadine argumentierte nach dem Freispruch: „Vergewaltigung ist mit Objektivität nicht beizukommen„.
- Aktuell ist der Fall rund um Gina-Lisa Lohfink. Von den letzten feministischen Protestaktionen berichtete Magda vor einer Woche.
- Ich erinnerte 2013 daran, dass immer noch Menschen im Bundestag sitzen, die 1997 dagegen gestimmt hatten, dass sexualisierte Gewalt in der Ehe als Vergewaltigung anerkannt werden könne. Bei Erika Steinbach wurde nachgefragt und sie vertrat ihr „Nein“ auch 2013 weiter vehement, schließlich sei die Ehe eine „Freiwillige Sexualgemeinschaft„.