Unter dem Titel „Die Angst, Nein zu sagen“ beschrieb Annabel Wahba in der ZEIT letzte Woche aktuelle Diskussionen zum Thema sexuellen Missbrauch. Leider beginnen die Bauchschmerzen schon im einleitenden Satz:
Zwischen einvernehmlichem Sex und einer Vergewaltigung liegt eine Grauzone […]
Wie im Artikel ausführlich beschrieben, gibt es in der Tat eine rechtliche Grauzone. Leider arbeitet der Artikel aber ausschließlich mit dem deutschen Rechtsbegriff, statt diesen zu hinterfragen und auf andere Möglichkeiten einzugehen. So geht es um die Anschuldigungen an Julian Assange und die schwedische #prataomdet-Diskussion. Dass es in Schweden eben strafbar ist, wenn man Sex ohne Kondom hat, obwohl der/die Partner_in auf einem Gummi bestand, bleibt außen vor.
Ebenfalls völlig unerwähnt bleibt, dass in den vergangenen Jahren, über rechtliche Begriffe hinaus, neue Konzepte und Ideen zu Sexualität entwickelt wurden. Aus der alten Parole „Nein meint Nein“ ist „nur ein enthusiastisches Ja meint Ja“ geworden, bereits 2008 erschien Yes Means Yes von Jaclyn Friedman und Jessica Valenti. Das Zustimmungskonzept verschiebt den Fokus auf die Einvernehmnlichkeit des Sex – damit Grauzonen gar nicht erst entstehen.
Weg von derzeitigen Rechtsbegriffen geht auch das Konzept der Definitionsmacht. Danach gelten auch Taten als sexualisierte Gewalt, die vom Gesetz nicht erfasst werden, unerwünschte Zungenküsse etwa. Statt der komplexen Debatte um „Grauzonen“ und Grenzüberschreitungen gerecht zu werden und sie voranzutreiben, bleibt der Artikel leider bei der Grenze „Nein“.
Nur angerissen wird die Frage nach Erwartungen und Machtverhältnissen. „Männer müssen immer wollen“ und „Frauen die Sex geben“ sind zwei Annahmen, die dem offenen Umgang mit Sexualität gegenüberstehen. Aber auch Abhängigkeiten und das Gefühl, jemandem Sex zu schulden, spielen eine Rolle. Wie das real aussehen kann, zeigt ironischerweise das deutsche Recht: Erst 1997 wurde Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt, erst seit 2004 ist es auch ein Offizialdelikt, der unabhängig von einer Anzeige verfolgt werden muss. Vorher war jede_r Verheiratete zum Sex verpflichtet. Schließlich behauptet der Artikel:
Dabei wird Sex nach einem »Nein« der Frau, selbst wenn sie es im letzten Moment ausgesprochen hat, vor Gericht immer als Vergewaltigung gewertet.
Ein „Nein“ reicht leider auch in Deutschland noch lange nicht aus, immer wieder müssen Opfer erklären, warum sie sich nicht stärker gewehrt haben.
Insgesamt wiederholt der Artikel ein Muster, das in Konsensdebatten immer wieder zu beobachten ist: Zwar sind die meisten Menschen (auch Männer!) in der Lage, über Sex subtil zu kommunizieren. Sobald das Wort „Vergewaltigung“ fällt, werden wieder „eindeutige“ Signale eingefordert. Wenn wir ernsthaft über „das Grauzonen-Problem“, Grenzverletzungen und sexuelel Gewalt reden wollen, müssen wir weiter denken!