Thüringen. Und nun?

Susanne Hennig-Wellsow (Linke) wirft dem neu gewählten Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP) einen Blumenstrauß vor die Füße
Danke, Susanne!

Es ist passiert. In Thüringen. Ausgerechnet.

Die gestrige Wahl des thüringischen Ministerpräsidenten hat bewiesen, dass mensch es in Deutschland gerade mal drei Generationen ohne Faschisten mit Regierungsbeteiligung aushält. Auf Länderebene. Und dass mensch sehr wohl im Geschichtsunterricht aufgepasst hat.

Die Zusammenarbeit vieler demokratischer Parteien (allen voran CDU und FDP) mit Faschisten auf kommunaler Ebene seit Gründung der AfD, die Verharmlosung und Normalisierung, die man den Nazis auf allen politischen Ebenen seither entgegenbringt, die vielen rechtsextremen Verbindungen in Politik und Verwaltung und die Dämonisierung und Kriminalisierung von allem, was links ist, sie machen zum wiederholten Male deutlich: dieses Land hat keinen antifaschistischen Grundkonsens. Es gab ihn nie. Es wird ihn auch in Zukunft nicht geben.

Mehr noch: Der lang geplante Wahlcoup der Thüringer Landesverbände von CDU und FDP und die Unterstützung, die das gestrige Handeln unter vielen Parteifunktionären erhält (u.a. zwei Staatssekretärinnen der Bundesregierung beglückwünschten umgehend) ist ein Signal an die Bundesspitzen. Was außerhalb der Öffentlichkeit ablief, darüber wollen wir lieber nicht weiter nachdenken, außer über das, was wir uns denken können. Erneut ist der Richtungskampf in den neoliberal-konservativen Parteien für die breite Öffentlichkeit sichtbar geworden, bei dem die AfD bereits seit vielen Jahren den Anpeitscher geben darf. Die politische Position rechtsextrem ist dabei schützendes Schild vor rechten Politiken und Rhetoriken demokratischer Parteien. Denn solange beides nicht von den Faschisten selbst kommt, kann es so schlimm schon nicht sein.

Dass vor allem aus den CDU-Reihen, die zwar im Osten nicht mehr so stark, aber immerhin noch „Volkspartei“ ist, versucht wird, Rot-Rot-Grün eine Mitverantwortung für das Paktieren mit Faschisten unterzujubeln, während man 2014 bereits mit den Stimmen der AfD die neue, erste #r2g-Regierung unter linker Führung verhindern wollte, zu Demonstrationen aufrief und von einem einmaligen Tabubruch in der Geschichte Deutschlands sprach (mit Unterstützung der Bundesspitze), ist eigentlich nur ein weiterer Hinweis auf ein rechtes Aktualisierungsprojekt in der neoliberal-konservativen Parteipolitik, das robust und zäh ist, nicht nachlässt und bei der Definition von dem, was rechts darf, sich nicht von Kleinigkeiten wie dem viel beschworenen „demokratischem Konsens“ blenden lässt.

Die Polarisierung, für die die Hufeisen-Werfer gerne an den vermeintlichen „Rändern“ nach Ursachen suchen, sie wird eigentlich schon lange dort betrieben, wo sich der breite rechte und konservative Mainstream zur gesellschaftlichen „Mitte“ konstruiert und sich als solche zur Stimme der demokratischen und pluralistischen Vernunft erhebt. Während die einen noch immer am Versuch scheitern, anti-antifaschistische Politik von einer Zusammenarbeit mit der AfD zu trennen und die Toleranz der kognitiven Dissonanz im Gegensatz zur Migrationspolitik keine Grenzen zu kennen scheint, beziehen die anderen bedacht und gelassen die Mitwirkung der AfD am Regierungshandeln in ihre strategischen Überlegungen ein und haben auch kein Problem damit, eigene Partei und Öffentlichkeit darüber zu belügen.

Weite Teile der CDU und FDP sehen in der rassistischen Radikalisierung in Deutschland, deren Wellen sie schon immer mitbegleitet und mitbefeuert haben, eine Chance zur eigenen politischen Erneuerung und zu Macht, die leichter exekutiert werden kann als in einer GroKo oder in der Zusammenarbeit mit den Grünen. Der Weg zu dieser Erneuerung heißt, offen mit der AfD zusammen zu arbeiten. Es ist eigentlich völlig unerheblich, ob das aus Naivität, Kalkül oder Überzeugung geschieht, denn das Ergebnis bleibt das gleiche. Man kann schon fast froh darüber sein, dass die parlamentarischen Kräfteverhältnisse in Sachsen und Brandenburg vor den Landtagswahlen in diesem Jahr andere als in Thüringen waren und SPD und Grüne keinen Mut für eine Regierung unter Ausschluss der CDU hatten. Wir hätten auch dort mit hoher Wahrscheinlichkeit eine von der AfD installierte Exekutive gehabt.

CDU und FDP können dank der Stärke der AfD im Osten Druck auf politische Gegner auch innerhalb der eigenen Parteien ausüben: Entweder, ihr macht Politik in unserem Sinne oder wir mit der AfD, heißt die Losung. Eine, die bei den Wahlen in Sachsen-Anhalt und zum Bundestag im kommenden Jahr weiter zum Repertoire gehören wird. Darauf können wir uns einstellen und beim nächsten Mal dann nicht mehr überrascht sein, weil uns das Anti-Linke, das übrigens zum Grundkonsens dieser Gesellschaft gehört, vorher nicht so sehr gestört hat.

Dieser Umstand sorgt auch deshalb für gleichermaßen Wut und Angst, weil die Erzählung um die „So und So viel Prozent“, die nicht AfD gewählt haben, im Osten Schall und Rauch sind. Politik wird eben nicht nur in den Parlamenten gemacht und die Kreuze der Wählenden geben nur unzureichend Auskunft über das Mindset und die politischen Wünsche der Gesellschaft. Wer im Osten aufgewachsen ist und Politik macht, weiß, dass die kritische Masse hier längst erreicht ist. Umso wichtiger war und ist das Kabinett um Bodo Ramelow. Gerade in Thüringen.

Kemmerich hat heute angekündigt, Neuwahlen einleiten zu lassen. Kurze Atempause. Wenigstens. Trotzdem gilt: Die Zeit der Lichterketten und Lippenbekenntnisse müssen endgültig vorbei sein. Wie man antifaschistische Kräfte in Thüringen nun unterstützen kann, schreibt Katharina König in einem Thread:

Alle zusammen gegen den Faschismus!

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