Leah, Ed und Maja sind Aktivist*innen aus Berlin, die einen Unterstützungsfond für Berliner*innen in Not in Zeiten von Corona (COVID-19) eingerichtet haben – mittels einer anonymen Telegram-Gruppe. Im Interview sprechen sie über Umverteilung in unseren Communities und wer durchs Raster der staatlichen Hilfen fällt.
Vor knapp zwei Wochen habt ihr einen dezentralen Community Mietrettungsfond ins Leben gerufen. Das war noch recht am Anfang der aktuellen Corona-Krise. Wie seid ihr auf die Idee gekommen?
Leah: Wir hatten das zunächst im engeren Umfeld mitbekommen, dass Leute sich Sorgen darum machen, wie sie ihre Miete bezahlen sollen. Uns war dann schnell klar: Wenn es unsere Freund*innen betrifft, dann betrifft es auch andere.
Ed: Es ist ohnehin schon so, dass gerade in mehrfachdiskriminierten Communities Menschen oft sehr prekär leben und arbeiten. “Unsere” Angebote und Leistungen werden seltener nachgefragt und oft geringer honoriert als die von Angehörigen der weißen, nichtbehinderten, cis&hetero Mehrheitsgesellschaft. Dabei geht es natürlich auch nicht nur um Kunst und Bildungsarbeit: Auch People of Color, die in der privaten Hauswirtschaft und Pflege tätig sind, sind oft unsicherer und unterbezahlt beschäftigt. Der coronabedingte Shutdown verstärkt diese Bedingungen nun noch mehr. Wer vorher schon prekär unterwegs war, sieht jetzt jegliche finanzielle Grundlage davonschwimmen.
Viele haben keinen Anspruch auf staatliche Hilfen und können die Soforthilfe-Pakete nicht oder nicht rechtzeitig in Anspruch nehmen.
Maja: Gleichzeitig fehlen dann aber Unterstützungsnetzwerke, auf die zurückgegriffen werden könnte. Gründe dafür könnten sein, dass die Herkunftsfamilie nicht einspringen kann, weil sie selbst auf Unterstützung angewiesen ist; oder aber es besteht kein oder nur schlechter Kontakt. Viele haben auch keinen Anspruch auf staatliche Hilfen wie durch Jobcenter & Co und können die Soforthilfe-Pakete nicht oder nicht rechtzeitig in Anspruch nehmen.
Leah: Da wir zum Teil auch selbst freiberuflich tätig sind oder waren, können wir uns auch noch gut erinnern, wie instabil und oft auch knapp die Einkommensverhältnisse sind. Wir wollten daher etwas dazu beitragen, finanzielle Sicherheit zu verteilen und haben diejenigen, die Geld zur Verfügung haben, ermutigt, an jene umzuverteilen, die das nicht haben – aufgrund von diskriminierenden Strukturen.
An wen richtet sich der Unterstützungs-Fond?
Maja: Unterstützt werden sollen mit dem Projekt vor allem BIPoC (Schwarze Menschen, Indigene Menschen und People of Color), Migrant*innen, queere Personen und Personen mit Schwerbehinderung(en)/
Ed: „Akut Probleme“ bedeutet dabei, die Leute haben keine Möglichkeit, Hilfe von Ämtern zu erhalten (z.B. aufgrund Aufenthaltssituation) und auch sonst kein Netzwerk (z.B. Herkunftsfamilie, Politnetzwerk, Follower auf Social Media), die gerade unterstützen können. Damit möglichst viele Menschen hier Unterstützung bekommen können, bitten wir darum, die eigene Situation möglichst realistisch einzuschätzen.
Der Berliner Senat hat vor kurzer Zeit Soforthilfemaßnahmen für kleinere und mittlere Unternehmen sowie für Kleinunternehmer*innen, Soloselbstständige und Freiberufler*innen beschlossen. Können einige der Hilfesuchenden nicht dort finanzielle Unterstützung bekommen?
Ed: Zur Zeit gibt es ja gefühlt mindestens jeden zweiten – wenn nicht sogar jeden Tag einen neuen Beschluss. Für uns ist das auch gar nicht so leicht, da hinterher zu kommen. Und entgegen der Annahmen mancher, sind wir auch keine Sozialrechtsexpert*innen (lacht).
Maja: Was wir aber wissen ist, dass es in bestimmten Berufszweigen – wie z.B. Sexarbeit, aber auch in Bereichen wie Hauswirtschaft/häusliche Pflege – gar nicht so einfach ist, den Ausfall an Arbeit zu belegen. Viele Arbeiter*innen bewegen sich da in gewissen Grauzonen, auch schon vor der Coronakrise.
Leah: Wir bitten alle, die bei uns um Unterstützung fragen, so viele wie möglich andere Optionen, zu prüfen, an Geld zu kommen. Wir vertrauen aber auch den Leuten, wenn sie sich an uns wenden und uns sagen, dass sie das Geld akut jetzt brauchen, dass das auch so ist. Tatsächlich kann nämlich zur Zeit auch niemand von uns sagen, wann die Soforthilfe-Gelder überwiesen werden.
Ihr kommt aus Berlin. Richtet sich das Angebot auch an Menschen aus anderen Städten?
Leah: Unser Projekt richtet sich an marginalisierte Berliner Communities. Einfach deshalb, weil wir drei Einzelpersonen sind. Wir haben keine strukturelle Unterstützung, sondern organisieren das über unsere privaten Accounts und Netzwerke. Auch nimmt natürlich gerade die Anzahl derer, die Geld benötigen zu, während die, die Geld umverteilen können und wollen, eher gleich bleibt, bzw. etwas abnimmt. Allein deshalb begrenzen wir das Angebot auf Berlin.
Maja: Wir wollen aber gerne ermutigen, ein solches Projekt einfach in Euren eigenen Städten und Communities zu starten! Man braucht ja nicht viel dafür, nur ein Handy und Zeit. Wir erklären auch sehr gerne, wie wir es machen!
Es braucht vor allem auch ein ausreichend großes Netzwerk an solidarisch handelnden Personen mit finanziellen Sicherheiten, die bereit sind, auch in Zeiten ohne eine akute Krise, die irgendwie alle betrifft, Geld umzuverteilen. Nicht nur einmalig, sondern regelmäßig.
Umverteilung als solidarische Praxis in queeren Communities ist ein Thema, aber kaum institutionalisiert. Die Prololesben haben vor gut 30 Jahren ein Umverteilungskonto ins Leben gerufen, in das Mittelschichts- und wohlhabende Lesben eingezahlt und welches Lesben in einer schwierigen finanziellen Lage anonym nutzen konnten. Das hielt sich ein paar Jahre. Könnt ihr euch vorstellen, das Projekt längerfristig am Leben zu halten?
Leah: Ja, daran habe ich auch schon gedacht, an dieses Konto. Ich könnte mir das potentiell auf jeden Fall vorstellen, allerdings würde es auf jeden Fall eine andere Organisation benötigen, als es gerade der Fall ist. Über Paypal und Telegram würde ich ein solches Projekt eher nicht langfristig laufen lassen wollen.
Es braucht vor allem auch ein ausreichend großes Netzwerk an solidarisch handelnden Personen mit finanziellen Sicherheiten, die bereit sind, auch in Zeiten ohne eine akute Krise, die irgendwie alle betrifft, Geld umzuverteilen. Nicht nur einmalig, sondern regelmäßig.
Ed: Die Frage nach einer möglichen Community-Versicherung treibt mich auch schon länger um – auch, weil ich vor zwei Jahren selbst in der Situation war, dass Leute Geld gesammelt haben, um mich nach einer gesundheitlicher Schwierigkeit zu unterstützen. Wir sind ohnehin schon gefährdeter, in finanzielle Notlagen zu geraten und reguläre Versicherungen fangen unsere Problemlagen kaum auf.
Mich erinnert der Kanal mittlerweile an eine Crowdfunding-Plattform, weil wir ja für jede Person einzeln sammeln – allerdings ohne, dass die Personen ihre Story teilen müssen. Das hat den großen Vorteil, neben der Wahrung von Anonymität, dass wir die Konkurrenz untereinander geringer halten. Gleichzeitig zeigen sich da aber auch die Grenzen von Vertrauen.
Ich denke, je dezentraler Umverteilung organisiert ist, desto besser funktioniert sie; in kleinen, lokalen Gruppen, in denen man sich untereinander zumindest so weit kennt, dass wenn z.B. ich sage: “Magda, diese Freundin von mir braucht dringend Geld, das habe ich mir nicht ausgedacht”, du mir das glaubst, weil du mich kennst und nicht, weil die Person dir erst ihr halbes Leben erzählen musste.
Leah: Das glaube ich auch, also dass es in kleineren Netzwerken funktionieren könnte, in denen ein Grundvertrauen und ein politisches Verständnis von Umverteilung schon vorhanden ist. Ich kann mir vorstellen, dass in dieser aktuellen Krisensituation einfach viel mehr Geld spontan gegeben wird, dass das aber sehr schwer aufrechterhalten werden kann.
Maja: Da dies hauptsächlich von den Spender*innen abhängig ist, können wir da gerade keine wirkliche Prognose darüber treffen, ob ein Projekt dieser Art langfristig funktioniert.
Wie viel Geld ist bisher zusammengekommen bzw. wie viele Menschen konnten bisher unterstützt werden?
Leah: Bisher konnten wir 19 Personen ihre Miete und zum Teil die Krankenversicherung vermitteln. Da wir die Organisation so wenig aufwendig wie möglich halten, haben wir schnell aufgehört die Beträge aufzuschreiben und zusammenzurechnen. Aber wir schätzen, dass wir ca. 7000 Euro umverteilen konnten. Da unser Projekt komplett auf Vertrauensbasis funktioniert, sind wir darüber echt glücklich!
Maja: Was übrigens besonders schön ist: Manche derjenigen, die Geld bekommen haben, sind selbst auch dem Spender*innen-Kanal beigetreten. Sie wollten für den Fall, dass ihnen Soforthilfe doch noch bewilligt wird, ihr Geld weiterreichen.
An wen können sich Menschen, die ihr Geld umverteilen wollen und jene, die gerade dringend welches benötigen, richten?
Personen, die Geld umverteilen können und wollen, sollten die App „Telegram“ auf ihrem Handy installiert haben. Sie können ganz einfach über einen Link in den Telegram-Kanal eintreten. Niemand außer uns kann sehen, wer noch im Kanal ist, so werden keine persönlichen IDs oder Handynummern an die anderen im Kanal übertragen.
Personen, die dringend Geld benötigen, können sich per Telegram-Chat direkt an uns wenden:
@eeeduaaard
@leahboh
Außerdem noch einmal: Schreibt uns gerne auch, wenn ihr etwas ähnliches in Eurer Stadt und Euren Communities aufbauen wollt, wir erzählen Euch gerne, wie wir es gerade machen
Vielen Dank für das Gespräch – und eure wichtige Initiative!