Virgie Tovar lebt in San Francisco und ist eine der führenden US-amerikanischen Expert_innen in den Bereichen Diskriminierung von dicken_fetten Menschen und Körperbilder. Sie hat einen Bachelor in Politikwissenschaften und einen Master in Human Sexuality mit Fokus auf Gender, Race und Körper. Sie ist Herausgeberin der 2012 erschienenen Anthologie Hot & Heavy: Fierce Fat Girls on Life, Love and Fashion (Seal Press). Über E-Mail sprachen wir in diesem ersten Teil des Interviews über ihr aktuelles Buch und den politischen Backlash gegen Fat Positivity. Das ungekürzte englische Originalinterview findet ihr unten. Ihr findet Virgie auf Facebook und Twitter.
Letztes Jahr kam dein aktuelles Buch „Hot & Heavy. Fierce Fat Girls on Life, Love & Fashion“ raus, eine Sammlung von 31 Essays von fabelhaften Frauen, die sich als dick_fett identifizieren. Wie bist du auf die drei Aspekte „Leben, Liebe und Mode“ gekommen?
Diese drei Aspekte repräsentieren definitiv ziemlich wichtige Themen innerhalb fat positiver Communities und spiegelten auch die Einsendungen wider, die ich für mein Buch bekam.
„Leben“ ist der erste Aspekt, weil fat shaming und Dickenfeindlichkeit dazu beitragen, uns unser Recht auf Leben abzusprechen – und wir fordern dieses Recht zurück.
„Liebe“ ist meiner Meinung nach der Kern des Radikalen: Selbstliebe und die Liebe, die wir in unserer Community kreieren, lässt uns leben und kämpfen. Ich interpretiere Liebe sehr weit. Das zeigt sich auch im Buch, in dem Erzählungen von platonischer wie auch romantischer und sexueller Liebe ihren Platz finden. Mir kommt es so vor, als würden die Texte über dicke_fette Frauen, die Sex haben, von einigen als sehr empowernd und sexy und von anderen als eher unangenehm eingeordnet werden. Es war sehr wichtig für mich, Erzählungen zu dicker_fetter Sexualität in diesem Buch zu haben. Mein fetter Körper und die Liebe zu meinem Körper wurden in vielerlei Hinsicht von meinen Erfahrungen während des Sex beeinflusst, und ich denke, dass Sexualität ein sehr mächtiges, aber oftmals totgeschwiegenes Thema ist.
„Mode“ ist so etwas wie der Eintrittspunkt, das Schlachtfeld, und das Mittel zum Radikalen für so viele dicke_fette Menschen. Bevor ich überhaupt anfing, das Buch zu bearbeiten, habe ich zu dicken_fetten Frauen in der Universität geforscht. Diese haben sehr oft über Mode gesprochen und wie mittels Kleidung ihr Gender, ihre Identität performt wird. Ich liebe z.B. Kirsty Fives Worte in ihrem Kapital: „… für dich ist es vielleicht nur ein Outfit, aber für mich ist es eine Performance, ein Spiel, Fürsorge, Unterstützung, Widerstand, Überleben und ein Kampf.“ Genau das ist es, was Mode für viele dicke_fette Menschen bedeutet. Mode ist eine feierliche und wie ich sagen würde affektierte Art und Weise aktivistisch tätig zu sein. Ich denke, dass fat fashion („plus size“ Mode) einer der interessantesten Dinge sind, die gerade passieren. Ich sehe die Wurzeln von fat fashion in queeren Communities, in femme Communities (und da beziehe ich auch queens mit ein), und in Communities of Color.
Ich bekomme ab und zu die Rückmeldung, dass der Titel meines Buches zu lang ist, aber ich mag das: es ist zu lang, es ist zu viel! Genau so wie die Frauen in diesem Buch, genauso wie die fat positive Bewegung selbst.
Mein Fett ist politisch, weil es Leute so richtig sauer macht, wenn ich es zeige. Mein Fett ist politisch, weil ich es behalte. Mein Fett ist politisch, weil es verdammt sexy ist. Mein Fett ist meine Flagge, mein Anspruch auf Ruhm, meine „Kriegsnarbe“, mein geheimes Fat Girl Club-Abzeichen. (Virgie Tovar: Hot & Heavy: Fierce Fat Girls on Life, Love and Fashion, S. 7. 2012.)
In den USA hat die fat positive-Bewegung und auch die akademische Beschäftigung mit Diskriminierung auf Grund von Körpergewicht eine längere Geschichte – zumindest verglichen mit Deutschland. Glaubst du, dass es heute eine andere Qualität innerhalb fat acceptance-Diskursen in den USA gibt verglichen mit der Zeit, in der du anfingst, dich mit solchen Themen zu beschäftigen? Oder würdest du eher sagen, dass der Backlash gegen Fat Positivity fruchtbare Diskussionen eher verhindern (Beispiele sind der aktuelle Abercrombie & Fitch-Fall oder der auf vielen falschen Informationen beruhende Diskurs zur so genannten „Fettsuchtsepidemie„)?
Ich habe erst ca. 2010 in meinem zweiten Jahr im Masterstudium ernsthaft angefangen mich mit diesen Themen zu beschäftigen. Das war das Jahr, in dem ich dann anfing mich als fat-Aktivistin zu bezeichnen. Ich kann also nur über diesen Zeitraum etwas sagen. Auffällig war, dass mein erster noch als einzelne Autorin konzipierter Buchvorschlag mit dem Titel „Fette auf der Welt vereinigt euch“ damals abgelehnt wurde, weil es seiner Zeit voraus war. Nur zwei Jahre später schlug ich „Hot & Heavy“ als Anthologie vor und mein_e Lektor_in meinte, dass es nun definitiv an der Zeit sei für dieses Buch. Diese Diskurse haben also in einer recht kurzen Zeit an Sichtbarkeit gewonnen.
Seitdem ich anfing im Feld Fat Studies/Poltiken zu recherchieren und mich politisch zu beteiligen habe ich das Gefühl, dass die Debatten viel reichhaltiger geworden sind. Dabei spielen queere, radikale, multi-racial und feministische Fat Communities eine Vorreiter_innenrolle für die Komplexität der Diskussionen (logisch, nicht?).
Meiner Meinung nach trägt ein Backlash gegen fat positivity trotzdem auch zum Wachsen und zur Sichtbarkeit von fat positiven Communities und Diskursen bei. Das hat natürlich seinen Preis. Der Backlash stellt eine enorme emotionale Belastung für die Bewegung und die Menschen dar. Eine der größten Risiken von Backlash-inspiriertem Wachstum ist, dass Menschen auf der Strecke bleiben, für die der Kampf, der Stress und die Sichtbarkeit viel zu viel werden (meist diejenigen mit weniger/keinen Klassen- und race-Privilegien).
… Teil 2 des Interviews mit vielen Tipps für gestresste Aktivist_innen kommt nächste Woche.
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Virgie Tovar is one of the US‘ leading experts and lecturers in the areas of fat discrimination and body image. After completing a bachelor’s degree in Political Science at the University of California at Berkeley, she went onto complete a master’s degree in Human Sexuality with an emphasis on the intersections of gender, race and body size. She is the editor of Hot & Heavy: Fierce Fat Girls on Life, Love and Fashion (Seal Press, 2012), and has been featured in Bust Magazine, Jezebel, the San Francisco Chronicle, and on the Ricki Lake Show. She lives in San Francisco. Find her online at virgietovar.com.
In 2012, you edited „Hot & Heavy. Fierce Fat Girls on Life, Love & Fashion“, a collection of 31 stories written by fierce women who identify as fat. How and why did you come up with these three aspects: Life, Love & Fashion?
The three aspects of the book definitely represent important issues in fat positive communities. In many ways the three aspects were informed by the submissions I received at the beginning of the editing process. I saw the stories as clustering around these three themes.
Life is the first because of the specific way that fat shaming and fatphobia seek to take away our right to life. It is an in-your-face reclamation of that right and of our existence.
Love, I believe, is the core of radicalism: self-love and the love that we create in community is what keeps us alive and keeps us fighting. I interpreted love broadly, and this section of Hot & Heavy includes narratives of platonic love as well as romantic and sexual love. I’ve noticed that the parts about fat women having sex is very empowering and hot to some and disconcerting to others. It was very important to me to include narratives about fat sexuality in this book. My fat identity and body love were in so many ways shaped by my experiences during sex, and I see sexuality as a powerful, often silenced topic.
Fashion has become the entry point, the battle ground, and the mode of radicalism for so many fat people. Before I even started editing the book, when I was doing research on fat women in graduate school, I found that my participants consistently brought the conversation back to fashion, to the garment and what it said about how they could perform gender, how they could perform selfhood and identity. I love the words of Kirsty Fife in her chapter. She says: “…to you it might just be an outfit, but to me it’s performance, play, care, support, resistance, survival and fighting.” That is exactly what fashion is to many, many fat people. Fashion is a celebratory and I would say campy mode of activism. I see fat fashion as the most interesting thing happening in fashion right now. I see the roots of fat fashion in queer communities, in femme (and I include queens in this meaning of femme) communities, and in communities of color.
I got some feedback that the title was too long, but I like that: it’s too long, it’s too much! Much like the women in the book, much like the fat movement itself.
„My fat is political because when I show it off it really seems to piss people off. My fat is political because I’m keeping it. My fat is political because it’s fucking hot. My fat is my flag, my claim to fame, my battle scar, my secret fat girl society badge.“ (Virgie Tovar: Hot & Heavy: Fierce Fat Girls on Life, Love and Fashion, p. 7. 2012)
Compared to Germany, in the United States there’s been a longer history of fat acceptance/empowerment activism and academic research revolving around size discrimination. Do you think that there is a different (maybe: more complex) quality in the fat acceptance discourse in the United States today compared to when you started researching fat-related issues years ago? Or would you rather say that the backlash against fat positivity (i.e. Abercrombie & Fitch; the ‚obesity epidemic‘ discourse…) prevent fat positive discourses to thrive and develop?
I only began seriously researching fat-related issues in 2010 while I was nearly in my second year of graduate school. This was the same year I began identifying as a fat activist. So, I don’t have a particularly long trajectory from which to comment on the discourse and its changes. However, I can say that when I pitched Hot & Heavy to my publisher the first time (back when it was a single-author manifesto called Fatties of the World Unite) it was rejected because it was too ahead of its time, but just two years later I pitched it again (as an anthology) and my editor said she felt it was definitely the right time for the book. So, the discourse has certainly grown in visibility in a very short time.
Also, since beginning research and involvement in fat studies/politics I feel that the discourse has only become richer; I see queer, radical, multi-racial, feminist-inspired fat communities at the vanguard of the complexity of this conversation (duh!).
In my opinion the backlash against fat positivity and the War on Obesity are, in fact, fueling the growth and visibility of fat positive communities and fat positive discourse. This, however, comes at a price. The backlash generates incredible emotional taxation upon these movements and the people in them. One of the biggest risks of backlash-inspired growth is that we lose people (often those with less class/race privilege) for whom the struggle, taxation, and visibility are way too much.
… to be continued.
Schöner Beitrag. Und schön, wenn man sich selbst, so wie Virgie Tovar, zum alleinigen Gegenstand des eigenen Handelns machen kann.
Ich habe eine Freund_in, die das Thema gerade sehr interessiert und an die ich das weiterleite.
Tschüß
Schade, daß das Interview in 2 Teile gespalten ist.
Trotzdem cooles Gespräch, ich glaub, das Buch werd ich mir besorgen.
Und das Foto oben ist der Hammer! Wow! (Und ich will auch so ne coole Kette!)