Aktuell bei Twitter rumgereicht wird ein Interview mit dem Sozialpsychologen Rolf Pohl, das Heide Oestreich 2009 für die taz geführt hat. Pohl lehrt an der Uni Hannover Sozialpsychologie, seine Arbeitsschwerpunkte sind laut Wikipedia männliche Sexualität und Geschlechtsidentität, Antisemitismusforschung sowie psychoanalytische und sozialpsychologische Fragen zu NS-Tätern und ihren Verbrechen. Amüsantes* „biografisches“ Detail am Rande: Auf einer maskulistischen und hier sicherlich nicht verlinkten (aber bei Bedarf leicht googlebaren) Website wird Pohl als „Nestbeschmutzer“, der „Angehörige des Geschlechts, dem er selber angehört, degradiert“, an den „Pudel-Pranger“ gestellt und ihm wird – Achtung, Realsatire – die „mutwillige Gefährdung des Geschlechterfriedens durch Schaffung eines männlichen Feindbildes“ vorgeworfen…
Das Interview ist also nicht brandaktuell, aber interessant genug, um hier jenen, die den Artikel noch nicht kennen (ich gehörte bis vor sehr kurzem selbst auch dazu) nochmal vorgestellt zu werden – zumal er inhaltlich innerhalb der letzten zwei Jahre wenig an Aktualität verloren hat. Der für meinen Geschmack streckenweise recht pampige Ton in den Fragen von Heide Oestreich, der wohl spritzig-kess bis konfrontativ-investigativ rüberkommen soll, mag zwar bisweilen etwas nerven, doch es lohnt, sich Pohls Ausführungen zu Gemüte zu führen.
Hier eine Kostprobe:
Aber „Sexismus“ war eine Kampfparole in einer Zeit, in der Männer ihren Herrschaftsanspruch noch ganz offen formulierten. Heute ist sexistisches Verhalten offiziell verpönt, wir haben eine rhetorische Modernisierung erlebt. Weil die Diskriminierungen subtiler geworden sind, wirkt der Begriff nun ungenau. Ich würde auch nicht mehr sagen, wir leben in einem Patriarchat, sondern: Wir leben in einer männlich dominierten Gesellschaft mit klaren Geschlechterhierarchien. Niemand sagt mehr: Eine Frau darf nicht Bundeskanzlerin oder Führungskraft werden. Aber die Eigenschaften, die etwa dem Amt von Frau Merkel zugeschrieben werden, sind einer positiven Vorstellung von dominanter Männlichkeit entliehen. Und dann ist das Geschlecht der Amtsinhaberin natürlich mediales Dauerthema. Dieser Umstand ist mit „hegemonialer Männlichkeit“ besser beschrieben als mit dem Begriff Patriarchat, in dem eine Frau auf dem Posten des Kanzlers nicht akzeptabel ist.
A propos hegemoniale Männlichkeit: Das Interview selbst ist ein Paradebeispiel dafür, wessen Positionen zu Genderfragen als Expertise aufgegriffen, verbreitet und zur Kenntnis genommen werden und welche medial ein eher randständiges Dasein führen…
Spannend wird es vor allem da, wo Pohl männliche Angst als wesentlichen Faktor für die von ihm beschriebenen gesellschaftlichen Schieflagen ausmacht – diese These eignet sich sicherlich hervorragend zum Diskutiertwerden. Ich persönlich hoffe vor allem, dass Pohl (z.B. durch Verfolgen der Mädchenmannschaft :-) ) mittlerweile sein anscheinend etwas verzerrtes Bild des „neuen Feminismus“, der angeblich Männlichkeitsideale nicht infrage stelle, die vorherrschenden Machtstrukturen nicht analysiere und dem allgemeinen Trend der Individualisierung folgen würde, revidiert hat. Zugegeben, im Interview wird nicht zu 100% klar, ob er damit seine eigene Auffassung beschreibt oder die mediale Darstellung des Phänomens „Alphamädchen“ kritisiert. Stimmt letzteres, ist es umso mehr schade, dass er die Gelegenheit nicht genutzt hat, da was richtig zu stellen.
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*Ich hoffe inständig, dass die maskulistischen Verunglimpfungen keinerlei negativen Folgen für Herrn Pohl und die anderen dort diffamierten Personen haben/hatten und sie sich daher selbst auch über die Lächerlichkeit dieser Anwürfe amüsieren können/ konnten – ansonsten wäre es natürlich absolut verfehlt, meinen Fund als auch nur ansatzweise „amüsant“ zu bezeichnen.
Bei dem Freud-Zitat bin ich kurz zusammengezuckt ;) Und auch sonst erinnern mich einige Thesen doch sehr an Nancy Chodorow oder Carol Gilligan. Psychologie und Feminismus – da habe ich mich noch nicht so mit anfreunden können.
Auch wenn Pohls Erklärungsweise Sinn macht und ich mich persönlich über einige Aussagen sehr freue (z.B. das Ablehnen biologistischer Ansätze), so habe ich doch nicht nur mit der Mann-Frau-Dichotomie Probleme, auf die sich Sexismus angeblich bezieht, sondern auch mit der einseitig beschriebenen Hierarchie von beiden Geschlechtern. Teilweise trägt das alles doch sehr essentialistische Züge und Männer werden mir etwas zu stark pathologisiert und einfältig präsentiert.
Zur Alphamädchen-Debatte: Ich glaube, seine Argumentation (2009) bezieht sich auf die damalige Welle von Feminismusbüchern. Und da stimmt seine Analyse leider. Das auf _alle_ jüngeren Feminist_innen (ab wann ist mensch jung?) abzuwälzen, ist natürlich dennoch weit gefehlt.
Ich kenne Hr. Pohls Erklärungsweise und Ansichten ganz gut, da ich das Vergnügen hatte, bei ihm zu studieren und letztes Jahr auch meine Bachelor-Arbeit bei ihm schreiben durfte. Insofern habe ich auch mehrere Seminare zu dem Thema bei ihm besucht, die alle sehr gut waren (bißchen Schleich-Werbung :)). Die maskulinistischen Seiten, auf denen er erwähnt wird, sind mir bei den Recherchen damals auch schon aufgefallen, ich hatte allerdings den Eindruck, dass er sich das nicht persönlich zu Herzen nimmt.
Das Männer teilweise etwas einfältig wirken (wie Nadine sagt) oder auch, dass es so wirkt, als wären alle Männer grundsätzlich SO und nicht anders ist vielleicht eine Schwachstelle und polarisiert durchaus auch, aber ich finde, das steigert ja auch die Aufmerksamkeit, was in diesem Fall ja durchaus nicht schaden kann.
Ja, das hab ich genauso empfunden. Aus standesdünkeligen Gründen und persönlicher Erfahrung find ich übrigens, Psychologie und Feminismus gehen super zusammen ;-)
Ich quäle mich gerade durch die ganze „Männlichkeitsforschung“ und bin immer wieder ziemlich empört. da ist pohl wirklich eine abwechslung.
hier ein guter Text von ihm über die „männerrechtsbewegung“.
http://www.agpolpsy.de/wp-content/uploads/2010/06/pohl-krise-der-mannlichkeit-vorabdruck-2010.pdf