Derzeit findet in Detmold der Prozess gegen die Geschwister der getöteten Arzu Özmen statt. Einiges an Öffentlichkeit begleitet den Fall, wie etwa Mahnwachen und Berichterstattung, wobei jedoch kulturalistische Erklärungsmuster die kriminelle Tat oft in die Nähe von nachvollziehbaren Sozialpraktiken rücken. Grotesk wird es zum Beispiel, wenn Gutachter das angebliche Mitverschulden des Opfers thematisieren dürfen: So beschrieb gestern ein Psychologe vorm Detmolder Gericht, gegen welche Regeln die 18-Jährige aus Sicht der jesidischen Familie verstoßen habe, und inwiefern sie für „Ehrverletzungen“ verantwortlich gemacht werden könne, die letzten Endes zum Mord führten. Unsere Gastautorin Sakine Subaşı-Piltz stützt sich in ihrem Text auf einen anders gelagerten Fall, und zwar den Mord an Hatun Sürücü – und thematisiert doch eine ähnliche Geschichte. Hatuns Fall und seine mediale Rezeption ermöglicht einige Detaileinblicke in destruktive Familienmuster und den gesellschaftlichen Umgang mit patriarchaler Brutalität, und er zeigt: die Frage nach der Gesamtsolidarität mit Opfern familiärer Gewalt und feministischer Behandlungsverantwortung bleibt.
Am 2. Februar lief eine Dokumentation über den Mordfall von Hatun Sürücü im öffentlich-rechtlichem Fernsehen, welcher auch mit der (a)moralischen Unterstützung von feministischen Organisationen wie „Terre des Femmes“ den Fall als „Ehrenmord“ der Muslime hochstilisiert hat. Bis heute, so wurde es auch im Film deutlich, ist es der Öffentlichkeit nicht gelungen eine differenzierte Analyse dieses Falles wahrzunehmen, was für viele Muslime dagegen offensichtlich Grund ist, zu diesem und anders gelagerten Fällen zu schweigen. Für die meisten Muslime ist der Fall Hatun Sürücü der Fall, der sie in der Öffentlichkeit entehrt hat, sie zu Mördern und Barbaren gemacht und sie gleichgesetzt hat mit den Komplizen eines Mordes, und das qua religiös-kulturellem Hintergrund.
Obgleich eine (feministische) Solidarität mit dem Opfer – ob jetzt aus „muslimischer“ oder einfach nur menschlicher Perspektive – notwendig ist, um sich auch vor andere potenzielle Opfer als Gesellschaft schützend zu stellen, ist es in Teilen auch nachvollziehbar, dass viele Muslime über dieses Thema nicht sprechen wollen – aber ist es richtig? Und was erzeugt diese Tabuisierung? Dieser Fall zeigt sehr deutlich, wozu öffentliche Diskurse in der Lage sind. Sie können Unrecht so kaschieren, dass die tatsächlichen Hintergründe einer Gewalttat trotz eines großen öffentlichen Interesses in den Hintergrund rücken. Mittäter und Mordmotive bleiben in der öffentlichen Meinung unberücksichtigt. Täter werden zu Opfern und der Islam wird immer wieder als Sündenbock geschlachtet, und in der Zwischenzeit erlebt der „Ehrenmord“ seine Blütezeit. Zynisch könnte frau weiter anmerken, dass jetzt auch andere außer Muslimen als „ehrenhaft“ gelten wollen – was auch immer das heißen mag.
So wurde vor ein paar Monaten Arzu Özmen, eine junge jesidische Frau, Opfer einer patriarchalischen Familientragödie. Wieder einmal soll es die Ehre gewesen sein. Auch in ihrem Fall werden patriarchalische Ehrvorstellungen von Einwander_innen gegenüber der aufgeklärten deutschen Kultur als die problematische Wurzel des Übels betrachtet, womit die Verantwortung, sich dem Problem zu stellen und es zu lösen, den Einwander_innen übergeben wird. Doch um welche Ehre geht es in diesen Fällen eigentlich? Und warum kann sich die deutsche Gesellschaft mit nur einem Begriff sich der Verantwortung gegenüber den Opfern entziehen?
Wenn ich anhand der Dokumentation über Hatun Sürücü den „Blick“ der deutschen Gesellschaft rekonstruiere, geht es um die Ehre von Mördern und Vergewaltigern, denen durch den Diskurs die Deutungshoheit über ihr Verbrechen ausgehändigt wird. Die Mörder und Vergewaltiger entscheiden, dass sie „ehrenhaft“ gehandelt hätten, im Falle Hatun Sürücüs sogar muslimisch, und der Diskurs übernimmt diese Deutung und transportiert sie sogar weiter, bis sie zum Teil zum Beispiel durch entsprechende Wikipedia-Artikel als objektive Wahrheit angesehen wird, die ihm von „ganz oben“ vorgegeben wurden. „Ja, es war ein Ehrenmord. Ich war damals regelrecht besessen“, sagt Hatuns Bruder und Mörder. Bourdieu schreibt, dass das Patriarchat seine Herrschaft im Grunde nicht begründen muss, weil es vorgibt, von Natur aus gegeben und nicht anzweifelbar zu sein. Der Mörder gibt vor, nicht aus subjektiven Gründen, möglicherweise sogar aus niederen Beweggründen seine eigene Schwester gemordet zu haben, sondern aus höheren Beweggründen. Er will festhalten, dass er (trotz allem) ein „guter“ Moslem ist. Und die Medien geben ihm und seiner Familie die Möglichkeit, sich vermeintlich als solche(r) zu produzieren. So darf auch ein anderer Bruder sich in der genannten Dokumentation in Szene setzen, der den Mord an seiner Schwester mit dem Islam legitimiert. Mit dem Bart des Propheten, stilisiert er sich bereits äußerlich als frommen Muslimen, der in dieser Dokumentation und mit den Inhalten, die er vertritt, bestens in das vorgefertigte Muslim-Bild, dass all die Jahre durch Osama Bin Laden und die Islamismusdebatte konstruiert wurde, passt. Schließlich sagt er, dass seine Schwester in einem islamischen Land ohnehin die die Todesstrafe bekommen hätte und bezieht sich selbst auf ein patriarchales und faschistoides Islamverständnis, das in den deutschen Medien ohnehin immer wieder vermeintlich als einzige Form des „authentischen“ Islam konstruiert wird.
Dieser Film, der Teil des öffentlichen Diskurses ist, in dem solchen Aussagen ein Forum geboten wird, entwickelt einen bestimmten Subtext: Der Subtext an muslimische Frauen sagt aus, dass sie vom Islam und Muslimen unterdrückt werden. Eine Emanzipation muss daher einhergehen mit einer Abkehr von der Religion und hat nichts mit den strukturellen Bedingungen zu tun, die in der deutschen Gesellschaft bestehen. Schließlich wird die deutsche (christlich geprägte) Gesellschaft dagegen als fortschrittlich und frauenfreundlich dargestellt, womit hier auch ein Assmilationsaufruf getätigt wird. Frauen, die Muslim_innen bleiben, werden in diesem Bild automatisch dem Unterdrückertum zugeordnet, wobei sie auch immer Opfer bleiben. Schließlich wird Problemen ein Analyseschema vorgegeben, der vermutlich in Fällen von sexistischer oder sexualisierter Gewalt im Familienkontext von sozialwissenschaftlich uninformierten Frauen auch als solche herangezogen wird.
Doch ist das, abgesehen vom rassistischen Unterton dieses Diskurses, denn hilfreich im Sinne feministischer Arbeit? Könnten wir sagen, dass die Mittel den Zweck heiligen, selbst wenn sie eben rassistisch sind? Ist es hilfreich, dass Frauen in Fällen, in denen sie sexualisierte und sexistische Gewalt erleben, durch den öffentlichen Diskurs annehmen müssen, dass sie in ihrer Familie ohnehin kein Verständnis für sich erwarten dürfen, weil sie Muslime sind? Ist es hilfreich, dass Frauen denken müssen, dass sie gegen ihren Glauben verstoßen, wenn sie sich aus patriarchalischer Gewalt befreien? Ist es hilfreich, dass sie annehmen müssen, dass ihre Familie, egal welche Erfahrungen sie mit ihnen bisher in ihrem Leben hatten, versteckte Mörder sind?
Der Subtext an die muslimischen Männer verhält sich ähnlich und erzeugt ebenfalls diffuse Botschaften. Sollten sich jetzt etwa alle muslimischen Männer, die ihre Frauen, Schwestern oder Töchter nicht vergewaltigt und umgebracht haben, schämen? Oder sind sie schon keine Muslime mehr? Denn einer der Brüder hat Hatun Sürücü drei Jahre zuvor sexuell missbraucht, so hat es eine Freundin Hatuns im Prozess ausgesagt. Die Dokumentation gibt keinen Hinweis darauf -auch nicht darauf, dass Vergewaltigungen innerhalb einer Familie immer sehr prekäre Fälle sind, und dass diese auch zu Sexualmorden führen können. In solchen Fällen vermischen sich vermutlich die Gefühle von krankhafter Machtgier, die im Falle von Hatun Sürücü durchaus patriarchalisch konnotiert sein können – und insgesamt scheinen hier die massiven Dysfunktionen eines Familiengefüges durch, die durch eine kulturalistisch geführte Metadiskussion unmöglich genauer untersucht und analyisert werden können. Vermutlich war die Tatsache, dass Hatun auf eigenen Füßen stand und selbstbestimmt lebte, für die Brüder, die nicht so viel erreicht hatten, ein Dorn im Auge. Vielleicht war ihre Lebensweise ein Grund für ihre Eifersucht und den Neid, die einhergingen mit Gefühlen des Machtverlusts. Die Macht des Patriarchats ist in einer Gesellschaft, in der muslimische Männer stark ausgegrenzt werden und beispielsweise von Arbeitslosigkeit stark betroffen sind, für einige die einzige Form der Anerkennung bedeuten, die sie deshalb auch erhalten möchten. So sagt der Mörder in der Dokumentation aus, dass er seinen ersten deutschen Freund im Gefängnis kennen gelernt habe, was hier einen Hinweis auf seine Ausgrenzung darstellt. Unter diesen Vorausetzungen war vielleicht eine starke Anbindung an die als eigene Gruppe empfundene gewachsen, wobei eine Art „Muslimisierung“ stattfindet.
Wissen und Unwissen über den Islam, Abgrenzungsbedürfnisse, die Suche nach eigenem individuellem Entfaltungsraum, so wie die Tatsache, dass solchen Aussagen ein Forum geboten wird, produzieren gemeinsam muslimische Identitäten, die je nach gesellschaftlicher Position und individuellen Dispositionen verschieden ausfallen können. Die Scham über die Vergewaltigung innerhalb der eigenen Familie, wie auch die Angst darüber, dass andere davon erfahren könnten, vor denen sie als fromme Muslime gelten wollten, könnten in diesem Fall schon der Auslöser für die gemeinsame Entscheidung der Familie gewesen sein. Die Entscheidung, ihre muslimische Identität, die einzige, die ihnen auch in der deutschen Gesellschaft gegeben wird, zu bewahren und diejenige, die potenziell diese Identität durch ihr Wissen in Gefahr bringen konnte und ihnen schon durch ihre Präsenz immer wieder die Scham vor Augen hielt, für immer zum Schweigen zu bringen.
(Gefürchteter) Tabubruch als Mordmotiv? Dafür sprechen einige Tatsachen. So auch die, dass Hatun beispielsweise nicht direkt nach ihrer Trennung umgebracht wurde, nachdem sie zu ihrem Freund gezogen ist und mit dem sogar eine Weile unverheiratet zusammengelebt habe. So lässt es jedenfalls die Dokumenttion verlauten. Die Familie, so sagt es der Bruder in dem Film, wollte lediglich keinen Kontakt zu ihr, woran sich Hatun aber nicht hielt.
Diese feministische Analyse beruht auf Daten, die in den Medien zugänglich sind. Ich habe lediglich versucht, die kulturalistischen Interpretationen aus der Berichterstattung herauszunehmen. Deswegen kann ich hier auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Richtigkeit erheben. Dafür müsste ich im engsten Umfeld von Hatun Sürücü recherchieren und die polizeilichen Ermittlungsakten einsehen. Doch trotz der Defizite in der Informationsbeschaffung, ist es möglich eine feministische Analyse auf den Daten der medialen Berichterstattung durchzuführen, ohne den „Ehrenmord“-Diskurs zu (re-)produzieren. Daher ist es erstaunlich, dass feministische Organisationen statt feministischer Analysen, rassistische Politiken gegen Muslime unterstützen, indem sie nach wie vor ein kulturalistisches Motiv (in der Wanderausstellung von „Terre des Femmes“ auch „Tatmotiv Ehre“ genannt) als Ursache dieses Mordes deklarieren. Dies hat leider auch den Nebeneffekt, dass sexistische Diskriminierung innerhalb der deutschen (und nicht nur muslimischen) Gesamtgesellschaft tabuisiert wird und somit auch politische Kämpfe gegen Sexismus heute von Feministinnen und Frauenministerinnen ad absurdum geführt werden, weil sie auch von ihnen als unnötig beschrieben werden.
Indem sie eine rhetorische Gleichheit zwischen den Geschlechtern unter Deutschen herstellen (beispielsweise durch die Polarisierung „emanzipierte Deutsche“ gegen „sexistische Muslime“), werden Kämpfe für Lohn- und Chancengleichheit für alle Frauen massiv erschwert und zum Teil eben auch strukturell durch Frauen verhindert, die erst durch feministische Errungenschaften in entsprechende Schlüsselpositionen gekommen sind. Daher stellt sich hier auch die Frage, was mit dem deutschen Feminismus passiert ist. Sind einige Feministinnen einfach nur alt und reaktionär geworden, oder sind sie bewusst eine Koalition mit dem Patriarchat des weißen, christlich geprägten Mannes eingegangen, um wenigstens mit nach unten treten zu dürfen – wenn sie schon trotz ihrer Qualifikationen immer noch „ für Frauen“ sprechen müssen und dabei auf das weibliche Geschlecht reduziert werden, während das Männliche auch hier die Norm, das Unmarkierte bleibt?
Danke für diesen Beitrag! Immer wenn von sog. „Ehrenmorden“ die Rede ist, muss ich an die ebenso die strukturellen Hintergründe verschleiernde Sprachregelung in der deutschen Medienlandschaft denken, die bemüht wird, wenn sich ähnlich gelagerte Taten in deutschen Familien und Beziehungen ereignen. Oder anders, frei nach Hagen Rether: Ehrenmord gibt es bei uns auch, schon immer. Nur heißt das bei uns „Familientragödie“ oder „Beziehungsdrama“… (http://www.youtube.com/watch?v=eLuXy8B1iYI)
Was ich daran interessant finde, ist die Parallelität hinsichtlich der begrifflichen Wirkung: In beiden Formulierungen werden die gleichgelagerten, zur Ermöglichung solcher Taten zumindest beitragenden gesellschaftlichen Strukturen verdeckt und an deren Stelle andere Motivationen in den Vordergrund gerückt – in einem Fall halt das angeblich religiös verankerte Konzept der Ehre, im anderen Fall individualisierte emotionale Beziehungen. Die begriffliche Reproduktion des Ehrenmordkonzepts bringt allerdings nebenbei, also neben der Verschleierung des kulturübergreifenden Hintergrunds patriachaler Strukturen, unschönerweise noch die Möglichkeit, das kollektive Feindbild Islam zu pflegen, wie der Beitrag ja auch zeigt.
Bin einigermaßen baff, dass ihr den Begriff „Familiendrama“ anscheinend für eine seriöse Alternative haltet.
Am treffendsten bleibt natürlich: Mord.
@ Irene
Wo liest Du das in dem Beitrag denn raus? Also, dass der Begriff „Familiendrama“ dort als eine seriöse Alternative verstanden wird?
Es stimmt, dass ich in der Einleitung von destruktiven Familienmustern spreche, und ebenso schreibt Sakine im Text an einer Stelle vom „Familiendrama“. Aber ich denke, dass die Botschaft insgesamt doch klar ist, dass es in dieser Analyse nicht darauf reduziert wird.
Leider habe ich einen deftigen Kritikpunkt an dem Artikel: In dem Artikel wir das Jesidentum mit dem Islam gleichgesetzt. Jesidentum und der Islam sind jedoch völlig verschiedene Religionen.
Des weiteren verfehlt der Artikel m.e den wichtigen Punkt des Ehrverständnisses. Man kann nicht aussagen, es gäbe keine ehrbezogenen Morde und dass der Ehrbezug eine Deutung durch deutsche Medien sei, bei denen ein kulturalistisches Argument bei den „Haaren herbei gezogen“ werde. Diesen Aspekt der Ehre gibt es definitiv; zB. hat dies die Juristin Esma (?) Cakir-Ceylan in einem Vergleich des Ehrbegriffs im deutschen und im türkischen Recht sehr deutlich herausgearbeitet.
Liebe Lautsprecherin, Hatun Sürücüs Familie ist sunnitisch.
@ Lautsprecherin
Ich verstehe den Text in seiner Grundausrichtung nicht als Negierung der Tatsache, dass es dieses Ehrverständnis gibt und zu solchen Taten seinen Beitrag leistet. Ich verstehe ihn eher als Kritik an dem unzulänglichen medialen/öffentlichen Umgang mit ihm und der mangelnden Hinterfragung seiner strukturellen Herkunft. Man könnte ja in Reaktion auf eine solche Tat auch sagen: Diesen Ehrbegriff verwenden zwar die Täter als Kategorie ihres Handelns und Denkens, aber dem (und seiner Zuordnung zum allgegenwärtigen Islam-Bashing) verweigern wir uns, sondern wir stellen z.B. den Zusammenhang zwischen patriarchaler Gesellschafts- und Familienorganisation und der damit einhergehenden steigenden Wahrscheinlichkeit der Gewalt und des Mordes an Frauen in den Vordergrund. Wie diese wiederum mit kulturellen, religiösen, historischen, ökonomischen etc. Faktoren zusammenhängt, ist natürlich eine wichtige Frage, käme dann aber erst an nächster Stelle, ohne den übergreifenden Faktor „Patriarchat“ im Diskurs einfach wie so oft auszulassen und stattdessen gleich mal eine ganze Religion in Sippenhaft zu nehmen.
Das gilt ja genauso für das deutsche Pendant des „Familiendramas“: Anstatt sich hier begrifflich auf Deutungsmuster wie „der Mann war rasend eifersüchtig“ oder „der Mann hat die Trennung seiner Frau nicht verkraftet“ einzulassen (die ja auch dem des Täters selbst entsprechen), könnte man ja auch fragen, inwiefern unsere patriarchale Gesellschaftsverfasstheit nicht erst überhaupt den Grundstein dafür legt, dass Männer diese Form von Besitzdenken entwickeln, die im Extremfall eben im Mord an der eigenen Familie führt. Abgesehen davon gibt es ja auch im Christentum eine ziemlich klare Idee davon, dass und wie die Frau dem Mann unterworfen ist, dass sie tendenziell die Verführerin zum Bösen ist etc. etc. Dieser ganze kulturell-religiöse Rucksack, den wir hier mit uns rumtragen, taucht in Familiengewaltdebatten allerdings irgendwie nie auf. Das Thema „Ehre“ und „Ehrenmord“ wird jedoch als spezifisch „muslimisches“ verhandelt (was ja an sich schon eine ziemliche ich sag mal Vereinfachung ist, angesichts einer Weltreligion), während andere strukturelle, gesellschaftliche, individuelle Faktoren einfach ausgeblendet werden. An dieser Stelle wird die Deutungshoheit eben gerade dem Täter überlassen.
Wie gesagt: Ich (und ich glaube, der Text auch nicht, wenn ich ihn richtig verstehe) will das Vorhandensein eines problematischen Ehrbegriffes bestimmter familiärer/religiöser/kultureller/ethnischer Gruppen gar nicht als nichtexistent in Abrede stellen, dafür hab ich auch viel zu wenig Ahnung davon. Aber ich finde die Kritik des Beitrags, also diese unkritische Rezeption und seine Instrumentalisierung für die homogenisierende Gegenüberstellung zweier nach Religions- oder Staatszugehörigkeit bestimmter Gruppen sehr wichtig. Wenn man solche Taten denn strukturell betrachten möchte, wäre die sich dann erstmal aufdrängende Kategorie eben nicht „muslimisch-nicht muslimisch“ oder „deutsch-nicht deutsch“, sondern „Mann-Frau“ – und zwar annähernd global übergreifend. In sofern wäre eine Begriffskategorie wie „Frauenmord“ in meinen Augen sehr viel hilfreicher, weil sie eben den strukturellen Hintergrund deutlich macht.
@Lautsprecherin, ja, das Jesidentum gehört nicht zum Islam. Deswegen habe ich geschrieben: „Zynisch könnte frau weiter anmerken, dass jetzt auch andere außer Muslimen als „ehrenhaft“ gelten wollen – was auch immer das heißen mag.“
ich halte ‚familiendrama‘ für einen extrem verharmlosenden begriff, auch im kontext dieses artikels. es ist kein drama, es ist mord.
bzw. anders formuliert: es erscheint mir unpassend, in diesem text den begriff ehrenmord in anführungszeichen zu setzen und auseinanderzunehmen (berechtigterweise), während der begriff familiendrama offensichtlich zum ’neutralen beschreiben‘ hergenommen wird.
@Nadia,
das war ja gerade der Punkt von Lautsprecherin (zumindest habe ich so verstanden).
Eines der Opfer war Muslima und eines nicht, beide werden direkt miteinander verglichen und unter dem Aspekt „Islam“ verhandelt.
In den Kommentaren z.B. von @Betti noch mal deutlicher als im eigentlichen Beitrag.
Das der Islam was die Stellung von Mann und Frau (z.B. als einzig akzeptierte Form der Beziehung) nun schlimmer sein soll als das Christentum oder das Judentum kann ich allerdings nicht nachvollziehen.
@ Blaubart
Ich glaub, ich versteh Deinen Beitrag nicht so richtig. Die, bzw. eine oben geübte Kritik ist doch gerade, dass das Thema „Ehrenmord“ so pauschal und indifferent „dem Islam“ bzw. einer religiösen/kulturellen/ethnischen Zugehörigkeit zugeschrieben wird, unabhängig von den tatsächlichen und sonstigen Zusammenhängen. Ich sehe grad irgendwie nicht so richtig, inwiefern hier insgesamt etwas „unter dem Aspekt Islam verhandelt wird“, es geht doch eigentlich eher um den medialen Umgang mit dem Konzept „Ehrenmord“. Dass dieses – unabhängig von sonstigen strukturellen und individuellen Gegebenheiten des Einzelfalls – genutzt wird, um in medialen und öffentlichen Diskursen das Feindbild Islam zu füttern, ist ja gerade eines der benannten Probleme.
Hallo Leute,
wenn mein Beitrag als Off Topic zurückgewiesen wird kann ich das verstehen, ich will es aber trotzdem loswerden.
Verschiedene Diskutierende, zuletzt Betti, haben immer wieder von einem „Feindbild Islam“ gesprochen. Ich finde diesen Sprachgebrauch sehr kritikwürdig, da Reaktionäre Positionen wie Pro Parteien, propagieren einer „christlich-abendländischen“ oder „christlich-jüdischen Leitkultur“ und Forderung nach Abschiebung in verschiedenen Parteien (und ich glaube auf solche Dinge soll damit Bezug genommen werden) in meinen Augen klassische Ausländerfeindlichkeit/Xenophobie darstellen und man mit der Bezeichnung „des Islams“ als Feindbild „islamophober“ Positionen erstens: diese Xenophobie im Diskurs schnell ausblendet,
zweitens: Religiösen Repräsentanten, die in sehr vielen Fällen (Ditib, Zentralrat der Muslime, o.ä.) selbst reaktionäre Scheiße von sich geben, die Möglichkeit gibt sich und Ihre Religion – nicht die Menschen, die zweifelsohne häufig von Rassismus betroffensind -als unschuldiges Opfer zu inszenieren.
@Betti: Das was Blaubart vermutlich meint ist, dass es hier zwei Frauen gab, von denen im Text die Rede ist: Arzu und Hatun. Hatun war Muslimin, Arzu aber nicht.
Und bemängelt wird hier, dass diese beiden Fälle gleichermaßen angesprochen werden und so getan wird, als würden die Medien die Taten dem Islam zurechnen, obwohl niemals irgendwo gesagt wurde, dass Arzu Muslimin war, weil sie es eben nicht war!
@ Shandri
Ja gut, das ist natürlich so, also dass im Beitrag oben zwei Frauen mit unterschiedlichen Religionszugehörigkeiten angesprochen werden. Aber das wird doch im Text auch deutlich gemacht. Nur weil zwei unterschiedliche Dinge in einem Text vorkommen, heißt das doch nicht, dass sie „gleichgesetzt“ (Lautsprecherin) oder „miteinander verglichen“ (Blaubart) werden… Wieso sollten sie also nicht „gleichermaßen angesprochen“ werden? Das Phänomen der Bezeichnung eines innerfamiliären Mordes einer Frau von männlichen Verwandten als „Ehrenmord“ und der entsprechenden medialen und politischen Behandlung bleibt doch offensichtlich gleich – und um das geht es hier doch. Wie Du selbst schon sagst: Nirgendwo wird behauptet, unterstellt oder impliziert, dass Arzu Özmen Muslimin gewesen sei, auch hier nicht. Wie gesagt: Ich seh das Problem nicht.
@ Hallayo
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich Deinen ersten Punkt richtig verstehe, deswegen würde ich da gern nochmal nachfragen: Meinst Du, dass mit Begriffen wie „Feindbild Islam“ oder „Islamophobie“ verschleiert wird, dass es sich um ein religionsunabhängiges Problem handelt, das besser mit „Rassismus“ oder „Xenophobie“ umschrieben wäre?
Wenn dem so ist, stimme ich Dir grundsätzlich zu, würde aber dennoch den Begriff erstmal beibehalten wollen, aus folgendem Grund: Ich würde „Islamophobie“ zwar als Form von Rassismus einordnen, dennoch sehe ich glaub ich gewisse Spezifika im damit umschriebenen Diskurs, die es mir sinnvoll erscheinen lassen, die spezielle Zuordnung auch begrifflich deutlich zu machen. Ich denke nämlich schon, dass es eine, gerade in den letzten zehn Jahren stark anwachsende spezifische Form der Vorurteilsbildung und -äußerung gegenüber Muslimen in der nordwestlichen Gesellschaft gibt.
Zu Deinem zweiten Punkt:
Dass dem so ist, also dass religiöse Repräsentanten (und damit meine ich nicht nur muslimische) dazu neigen, „reaktionäre Scheiße“ von sich zu geben, ist hier glaub ich relativ unstrittig. Dennoch gibt es bestimmte, auch medial und politisch geprägte Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsmuster, die dazu führen, dass manche Religionen und ihre Angehörigen halt anders wahrgenommen werden als andere. Und ich glaube schon, dass diese Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsmuster dazu führen, dass das, was ich als „Islamophobie“, Du vielleicht als „Rassismus“ bezeichnen würde, gestärkt wird.
Gerade das hier diskutierte Thema „Rezeption des Begriffs Ehrenmord“ ist für beide Punkte ein ganz gutes Beispiel, finde ich.
@Betti:
Halte ich für falsch. Unter einem Ehrenmord verstehe ich eine Tötung, die stattfindet, weil das Ansehen der Familie in den Augen der Familie oder zumindest bestimmter Familienmitglieder unter dem Verhalten von Familienmitgliedern oder auch Außenstehenden gelitten hat und wiederhergestellt werden muss, wobei die Vorstellung herrscht, dass das durch eben diese Tötung geschieht. Das entspricht in etwa auch dem, was man bei Wikipedia nachlesen kann, scheint also durchaus die übliche Bedeutung für diesen Begriff zu sein.
Eine Familientragödie oder ein Beziehungsdrama sind damit nicht unbedingt Ehrenmorde. Wer seinen Partner aus Eifersucht tötet oder wer sein Kind tötet, um eine Sexualstraftat zu verdecken, begeht keinen Ehrenmord, auch wenn derjenige das vielleicht behauptet.
So gefiltert, wird auch verständlich, warum das Problem als ein „importiertes“ betrachtet wird – mag es noch bei vielen mehrheitsgesellschaftlich geprägten Menschen die Vorstellung geben, dass das echte oder gefühlte Fehlverhalten eines einzelnen Familienmitglieds „Schande“ über die ganze Familie bringt, glaubt doch wohl niemand wirklich, dass das durch einen Mord wieder rückgängig gemacht wird. Dementsprechend werden auch tatsächlich so gut wie alle (oder sogar alle) Ehrenmorde in Deutschland von Menschen begangen, die außerhalb Deutschlands geboren wurden (ca. 91%) oder hier in zweiter Generation leben (ca. 9%).
Was ich persönlich viel abstruser finde, ist die Wahl dieses Wortes. Wer etwas als „Ehre“ bezeichnet, was sich regelmäßig schlicht und ergreifend als Kontrollwahn über die Gebärmütter der weiblichen Familienmitglieder manifestiert, kann doch nicht vernünftig sein.
@GodBoss,
wenn wir Ehrenmorde ethnisieren, entsteht natürlich so eine Statistik. Die meisten Häftlinge in den USA sind Schwarze, was für viele konservative Politiker schon die Erklärung hergibt, dass Schwarze zu Kriminalität neigen. Dass sie vorher die Gesetze entsprechend der Demarkationslinie Schwarz/Weiß hergestellt haben, leugnen sie dabei natürlich.
In Hatuns Fall gibt es eben die Vergewaltigung in der Familie, wie in anderen Fällen von sexuellem Missbrauch, der für das Opfer meistens tödlich verläuft, wenn der Täter befürchtet, dass seine Tat nicht mehr zu verstecken ist. Sei es dadurch, dass das Kind laut ist und er befürchtet, dass es darüber sprechen würde oder weil das Kind so sehr auch körperlich verletzt wurde, dass ein Geheimhalten nicht mehr möglich ist. Auch wenn Du das gerade hier wieder leugnen möchtest, wie es eben dauernd in den Medien geschehen ist und es zum Beispiel bei Wikipedia zu einer fast belegten objektiven Wahrheit konstruiert wurde, wurde auch Hatun Sürücü von ihrem Bruder vergewaltigt. Es ist offensichtlich, dass die Familie mit dieser Scham nicht umgehen konnte. Natürlich ging es auch um Ehre. Aber um die Ehre, die durch den Bruder beschmutzt wurde. Hatun war nur die Person, die nicht den Mund halten wollte und zudem die Familie immer wieder daran erinnert hat. Wenn Hatun sich zurück gezogen hätte, die Familie nicht mehr behelligt hätte, quasi es der Familie gelassen hätte, die Vergewaltigung zu verdrängen und sich in der Öffentlichkeit als fromme Muslime zu produzieren, wäre ihr, so meine These, hätten sie ihr nicht mal angetan, wenn sie öffentlich als Stripperin aufgetreten wäre. Ganz im Gegenteil hätten sie damit vielleicht sogar besser leben können, weil sie für sich ihr Gewissen damit hätten beruhigen können. Nach dem Motto, wer einen kurzen Rock trägt und sich sexy anzieht, will vergewaltigt werden.
noch eine kurze Korrektur des letzten Satzes in meinem letzten Kommentar:
Wenn Hatun sich zurück gezogen hätte, die Familie nicht mehr behelligt hätte, quasi es der Familie gelassen hätte, die Vergewaltigung zu verdrängen und sich in der Öffentlichkeit als fromme Muslime zu produzieren, so meine These, hätten sie ihr nichts angetan, selbst wenn sie öffentlich als Stripperin aufgetreten wäre. Ganz im Gegenteil hätten sie damit vielleicht sogar besser leben können, weil sie sich so ihr Gewissen hätten beruhigen können. Nach dem Motto, wer einen kurzen Rock trägt und sich sexy an(aus)zieht, will vergewaltigt werden.
Hier nochmal das, was ich unter Ehrenmord verstehe:
Da ist keine Ethnisierung, die entsteht erst dadurch, dass verschiedene Gruppen von Menschen offensichtlich in unterschiedlichem Maße darunter fallen. Der Unterschied in den Ethnien wird also nicht hergestellt, sondern lediglich offenbart.
Das liegt wohl weniger an den Gesetzen, sondern eher an der unterschiedlichen Anwendung bei Personen unterschiedlicher Hautfarbe aufgrund rassistischer Richter.
Bitte? Wie kommst du darauf, dass ich das leugnen möchte?
„Hätte sie geschwiegen, würde sie noch leben.“ – Victim Blaming?
@ GodsBoss
Mir ist schon klar, was „Ehrenmord“ landläufig bedeutet, auch ohne Wikipedia eine besonders hohe Qualität oder Relevanz in derlei Diskursen zuzumessen. Dass es Unterschiede in der Motivation der Täter gibt, dass es unterschiedliche „Ehrbegriffe“ gibt u.ä. habe ich nicht bestritten. Worum es mir ging, ist die Kritikwürdigkeit beider Begriffe und des Umgangs mit ihnen, in denen ich eben starke Parallelen sehe.
Das wesentliche, all diese Taten einende Merkmal ist in meinen Augen, dass gesellschaftliche Bedingungen herrschen, die es ermöglichen, dass sich Wertvorstellungen und zwischenmenschliche Strukturen entwickeln, die wiederum dem Mann Verfügungsgewalt über die Frau einräumen – man nennt es auch Patriarchat (mal ganz vereinfacht gesagt). Diese Verfügungsmacht äußert sich in derlei Strukturen auch über körperliche Gewalt, bis hin zum Mord. Ob das diese Struktur in konkrete Gewalt katalysierende Motivationsmerkmal dann „Ehre“ oder „Eifersucht“ genannt wird, hängt von anderen gesellschaftsstrukturierenden Merkmalen ab, läuft aber letztlich aufs Gleiche hinaus: Die „sich fehlverhaltende“ Frau ist verprügelt, vergewaltigt oder tot. Dass in beiden Fällen dann auch noch Begrifflichkeiten entwickelt und reproduziert werden, die die Handlungen der Täter – wie Nadia es oben so schön gesagt hat – in die Nähe von nachvollziehbaren Sozialpraktiken rücken, stärkt in meinen Augen eben den Eindruck der Parallelität der beiden Fallgruppen. Würde man das Ganze stets als das benennen was es ist, nämlich z.B. „Frauenmord“ würden die dahinter liegenden kultur-, religions- und gesellschaftsübergreifenden Strukturen viel deutlicher werden.
Zuletzt noch zu der „ethnischen“ Verteilung dieser Fälle und deren Problematisierung: Da sind wir doch genau bei den Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungsmustern, die ich schonmal angesprochen habe. Wir beobachten das Phänomen „Ehrenmord“, identifizieren es als ein „importiertes“ und sind uns einig, dass man „hier“ aber „sowas“ nicht dulden kann und die Frauen „bei denen“ jetzt aber mal wirklich geschützt gehören. Dass ähnliche Dinge hier aus ähnlichen Gründen auch geschehen (Patriarchat und so), wird dabei dezent übergangen. Oder wann hast Du die letzte große mediale Diskussion darüber mitbekommen, dass wir hier endlich mal unser Wertesystem ändern müssen, weil mal wieder ein Mann seine Frau umgebracht hat?
@GodsBoss: Nein, das wäre nur Victim blaming, wenn ich die Familienehre, die Ehre der Mörder verteidigen würde. Das tue ich aber nicht. Im Gegenteil. Ich versuche nur ein Argumentationsmuster deutlich zu machen, das auch in anderen Fällen von sexualisierter Gewalt gegen Frauen immer wieder herangezogen wurde. Auch in Deutschland wurde langezeit die Mitschuld von Vergewaltigungsopfern diskutiert, weil sie sich zu leicht bekleidet hätten oder sehr offensif in ihrem Auftreten waren.
@Betti:
Ein Phänomen, bei dem 43% der Opfer männlich sind, „Frauenmord“ zu nennen, ginge wohl hart an der Sache vorbei.
Weil wir keine Werte haben, die eine solche Tat rechtfertigen. Oder doch? Was muss denn eine Frau machen, damit sie nach unserem Verständnis getötet werden darf (außer einer Aktion, die eine mitunter tödliche Notwehr erlaubt)?
„Ein Phänomen, bei dem 43% der Opfer männlich sind, „Frauenmord“ zu nennen, ginge wohl hart an der Sache vorbei.“
Hä? Ein Mord einer Frau ist ein Mord an einer Frau. Dass es auch sog. „Ehrenmorde“ an Männern gibt ist genauso Tatsache, wie auch, dass bei als „Familiendramen“ bezeichneten Taten nicht nur Frauen ums Leben kommen. Aber darum geht es doch gar nicht. Ich sag doch nicht, dass pauschal ALLE Taten, die jetzt als Ehrenmorde oder Familiendramen bezeichnet werden, Frauenmorde genannt werden sollen, das kannst Du doch nicht ernsthaft da oben rausgelesen haben…
Zu den Werten: Natürlich leben wir auch in einer patriarchal geprägten Gesellschaft. Und natürlich gibt es auch hier strukturelle Mechanismen, die Gewalt gegen Frauen, bis hin zum Mord, begünstigen. Und deswegen wäre es natürlich schon auch sinnvoll, auch anlässlich solcher „innerdeutscher“ Taten eine Debatte darüber zu führen, wie diese strukturellen Gegebenheiten (das, was ich oben etwas ungenau mit „Werten“ bezeichnet habe) zu ändern wären und inwiefern sie den Grundstein für diese spezifische Art des Mords legen. Das findet aber nicht statt. Bei sog. Ehrenmorden an Frauen aus anderen Kulturkreisen schon. Allein das finde ich bemerkenswert. ZUsätzlich werden in beiden Fällen patriarchale Ermöglichungsfaktoren ausgeklammert. Das finde ich bezeichnend.
Huh? Dann hast du irgendwann den Gegenstand, um den es ging, gewechselt. In „Das wesentliche, all diese Taten einende Merkmal ist in meinen Augen, …“ geht es noch um die Ehrenmorde. Am Ende landest du dann bei „Frauenmorden“.
Ich meinte übrigens auch nur die Ehrenmorde, bei den anderen weiß ich die Verteilung der Geschlechter der Opfer nicht.
Du bist meiner Frage geschickt ausgewichen. In Ehrenmordfällen herrscht eine regelrechte „Gesetzgebung“, die besagt, wenn sich ein Familienmitglied in dieser oder jener Art verhält, muss es getötet werden.
Nimm diesen Fall, wo eine Frau ohne das Einverständnis ihrer Familie geheiratet hat. Dort sagte die später Getötete selbst „Mein Vater bringt uns um, das ist bei uns so“. Ihr waren die (zweifelsohne unmenschlichen und ungerechten) Regeln wohlbekannt. Eine davon war „Heirate ohne Einverständnis und du wirst umgebracht“ (der, den sie geheiratet hat, wurde auch gleich mit umgebracht).
Erneut meine Frage, präzisiert und umformuliert: Welche Regel in unserer Kultur existiert, die ebenso simpel ist wie die eine von mir oben genannte und die ebenfalls endet mit „und du wirst umgebracht“?
„Huh? Dann hast du irgendwann den Gegenstand, um den es ging, gewechselt. In ‚Das wesentliche, all diese Taten einende Merkmal ist in meinen Augen, …‘ geht es noch um die Ehrenmorde. Am Ende landest du dann bei ‚Frauenmorden‘.“
Ok, um es nochmal deutlich zu machen, vielleicht hab ich das oben nicht klar genug gemacht: Es ging mir dabei (also mit „all diesen Taten“) um die Fallgruppe von als „Ehrenmorden“ oder „Familiendramen“ bezeichneten Fällen, bei denen Frauen von männlichen (Ex-)Familienmitgliedern umgebracht werden, weil das eben die Fallgruppen waren, um die es die ganze Zeit ging.
Ich verstehe aber ehrlich gesagt insgesamt nicht so richtig, worauf Du mit Deinen Punkten im Zusammenhang mit dem Text oben und unserer bisherigen Diskussion hinauswillst. Dass Du die von mir thematisierte Parallelität zwischen sog. „Ehrenmorden“ und sog. „Familiendramen“ nicht siehst? Gut, in der Form, wie Du sie in Deiner letzten Frage verlangst, wahrscheinlich nicht. In der Form, wie ich sie sehe und mehrfach ausführlich dargelegt habe, glaub ich schon. Aber ich sehe nicht, wo das eine dem anderen was entgegensetzt… Um es nochmal deutlich zu machen, wenn das bisher nicht klar geworden ist: Es ging mir an keiner Stelle um konkret-individuelle Motivationen der Täter (die sich bei den genannten Fallgruppen und Fällen natürlich unterscheiden mögen), sondern um strukturelle Hintergründe, Ermöglichungsfaktoren und Rezeptionsmuster – und in denen sehe ich eben Parallelen. Vielleicht sind wir uns über diese strukturellen Hintergründe aber auch einfach nicht einig und kommen deswegen nicht so richtig weiter hier.
Ich habe auf der Seite dieses Rappers ein Lied über Hatun Sürücü gefunden. Mich hat es sehr berührt.
http://s1r.blogsport.de/media/
Gruß
anne
Hallo Anne,
ich finde das Lied gut. Nur hat der Autor dieses Liedes auch nicht begriffen, dass die Ehrenmörder den Glauben missbrauchen. Ehremörder sind Vergewaltiger, sie sind Verbrecher, die den Glauben dazu missbrauchen, um ihre Tat zu legitimieren. Sie versuchen so selbst nach dem sie den Mord begangen haben, um in der Regel eine Sexualstraftat zu verbergen, die Tat von der Sexualstraftat abzulenken. Was ich hier in dem Artikel nicht geschrieben habe, aber hoffentlich an anderer Stelle zu lesen sein wird, sind meine Forschungen im Umkreis von Büsra, die vor ein paar Jahren in Darmstadt umgebracht wurde. Auch bei ihr gibt es eine Sexualstraftat, über die kaum jemand reden möchte…Ehrenmörder sind also keine frommen Muslime, sie sind Verbrecher, Vergwaltiger und Beschützer von solchen!
…ihre Bärte, ihre Kleidung, ihr Gebet sind nur Maskerade. Am Ende wollen sie natürlich auch sich selbst damit überzeugen, dass sie richtig gehandelt hätten. ich meine, bei hatun sürücü war die familie direkt vor ihrem zusammenbruch. der vater der familie hatte sie bereits verlassen. hatuns familie war auch zerbrochen und die nachbarschaft hat (so schien es film jedenfalls)sich vermutlich schon ihr maul über sie zerrissen, weil sie von ihrem mann direkt zu ihrem freund gezogen war. dann kam noch eine vergewaltigung durch einen der brüder hinzu. damit musst du als familienmitglied auch erst mal klarkommen. und hier in diesem fall ist anscheinend die ganze familie damit nicht klar gekommen. sie haben kurzer hand einen mordplan beschlossen, um die sache aus der welt zu schaffen. am besten alles, um dann ein neues leben anfangen zu können. „der kleine bruder“, der mörder ist nur der handlanger, der glaubt, dass seine tat gerechtfertigt war. ihm haben ja engste vertrauenspersonen diesen mord aufgetragen. so sieht es jedenfalls aus. und er musste natürlich auch hoffen, dass danach, nach dem Mord, endlich alles gut sein würde, dass er aus diesem alptraum aufwachen würde, um ein normales leben zu führen. und das versucht er jetzt natürlich. er versucht mit der vermeintlichen legitimation durch den islam besser zu schlafen, sein gewissen zu beruhigen. ich meine, was wird er irgendwann seinem neffen erzählen, wenn er alt genug ist, um zu verstehen, was er ihm angetan hat?
..insofern hat der mörder von hatun mit dem deutschen nazi adolf eichmann sehr viel gemeinsam, der auch glaubte, dass die da oben, die ihm die Befehle erteilt hatten, wußten, was sie taten und es deswegen richtig wäre, diesen zu folgen.
Deniz Yücel hat sich mittlerweile auch an den Begriffen abgearbeitet:
„Die Welt ist kein Zoo“ http://www.taz.de/!93788/
Der Fairness halber muss angemerkt werden, dass in muslimischen/türkischen Medien Ehrenmorde alles andere als ein Tabuthema sind, sondern sehr oft als Thema für Bücher, Zeitungsartikel, Filme, Fernsehserien oder Dokumentationen vorkommen.
Nur ist es schwierig das als Minderheit in Deutschland zu diskutieren, da dies stets etwas von einer Peep-show der eigenen Probleme hat. Man dieskutiert dann nicht mehr miteinander, sondern für andere. Das erschwert die Diskussion immens.