Das legendäre „Kissing Sailor“-Foto bildet Gewalt ab, keine Romanze

Dieser Text ist eine – um einige  Anmerkungen und Links erweiterte – Übersetzung eines Beitrags, der vor einigen Tagen auf feministing.com erschien. Für den Beitrag gilt eine Content-Warnung für sexualisierte Gewalt, ebenfalls für die verlinkten Texte, in denen auch das genannte Foto abgebildet ist.

Wir alle haben dieses Bild wohl schon gesehen. Seitdem es 1945 aufgenommen wurde, ist es in zahllosen Magazinen und Zeitungen abgebildet gewesen. Als ein Zeugnis seiner Allgegenwärtigkeit listete Buzzfeed es vor ein paar Wochen an der Spitze seiner „50 romantischsten Fotos aller Zeiten“ auf.

Doch was zeigt und verkörpert es wirklich?

Wie wir nun erfahren, zeigt das Bild mitnichten einen romantischen Moment zwischen Liebenden, sondern eindeutig einen Akt sexualisierter Gewalt.

Eine Londoner Feministin hat mit dieser Beobachtung allerhand Aufruhr auf Facebook und in der Blogsphere verursacht. Die als Leopard bekannte Bloggerin zitiert aus dem Bericht der auf dem Foto abgebildete Frau, Greta Zimmer Friedman, über ihr Erlebnis und schreibt:

“Die meisten von uns sind vertraut mit diesem Bild. Aufgenommen am Times Square am V-J Day 1945 wurde es zu einem derjenigen Bilder mit dem stärksten Symbolcharakter in der amerikanischen Geschichte, denn es symbolisiert den Jubel und Überschwang, die am Ende des zweiten Weltkrieges im ganzen Land spürbar waren.

Habt ihr auch das Gefühl, dass irgendetwas nicht so ganz stimmt?

Ganz anders als bei einem Kuss eines liebenden Paares waren George und Greta völlig Fremde füreinander. Wie erfahren, dass George betrunken war und Greta nichts von seiner Anwesenheit ahnte, bis sie sich in seinen Armen befand, mit seinen Lippen auf ihren… Es liegt eigentlich auf der Hand, dass das, was George getan hatte, ein sexueller Übergriff war.“  [Hervorhebungen von feministing.com übernommen]

Ein näherer Blick auf das betreffenden Bild zeigt bekräftigende Details, die eine_r_m bei genauerer Betrachtung den Magen umdrehen: das Grinsen auf den Gesichtern der Matrosen im Hintergrund; der feste Griff in dem er die körperlich kleinere Frau festhält, so dass sie nicht entkommen könnte, selbst wenn sie es versuchen würde; die geballte Faust der Frau und ihr steifer Körper.

Wenn es ein besseres Symbol dafür geben sollte, wie verkorkst unsere Vorstellungen von Sex und Romantik sind,  so fällt es mir jedenfalls nicht ein.

Einerseits zeigt es, dass wir weit gekommen sind – zumindest hoffe ich inständig, dass in der heutigen Welt zumindest der ein oder andere Alarm ausgelöst würde, wenn man auf der Straße eine_n Fremde_n ohne deren_dessen Einverständnis küssen würde, wenn es nicht sogar die strafrechtliche Verfolgung nach sich ziehen würde, die es verdient (meine Hoffnungen werden genährt durch das Vorhandensein so mancher Stimmen und großartiger Organisationen, die gegen die Kultur des street harassment anarbeiten). Andererseits leben wir nach wie vor in einer Welt, in der, wie Leopard klarmacht, „die Tatsache, dass dieses allseits beliebte Foto eine Abbildung sexualisierter Gewalt  und nicht von Leidenschaft ist, eine unbequeme Wahrheit darstellt, und diese zu benennen, eine als pedantische Miesmacherin dastehen lässt.“

Großartig übrigens auch der Nachfolgebeitrag von Leopard auf Crates and Ribbons, in welchem sie die häufigsten Einwände, die ihr in der Masse an Kommentaren zu ihrem Artikel begegnet sind, aufgreift und die darin enthaltenen Missverständnisse und Fehlschlüsse aufzeigt. Außerdem hat sie noch zwei weitere Fotos gefunden, die in der genannten Situation entstanden sind.

Eine weitere Einordnung der Ikonographie gibt es bei Sociological Images.

 

12 Kommentare zu „Das legendäre „Kissing Sailor“-Foto bildet Gewalt ab, keine Romanze

  1. Meine allererste reaktion auf das Bild war: „Die Frau wirkt aber nicht, als wenn ihr das gefällt.“ Da war ich ungefähr 11.
    Ich habe mich immer gefragt, was genau andere in dem Bild sehen und romantisch finden.

  2. @AnKa
    Ging mir auch immer ähnlich. Ich kenne das Bild auch schon länger aus dem Schul-Geschichtsunterricht. Weil ich immer davon ausgegangen bin, dass das Bild ein ein Paar abbilden soll, also sie die Geliebte, die ihren lange sehnsüchtig vermissten Typen wieder empfängt, hatte ich eher die Idee, dass sie vielleicht öffentliches Geknutsche generell doof findet, sich aus irgendwelchen anderen Gründen unwohl fühlt in der Situation, weil sie Angst hat rückwärts hinzufallen, eigentlich dringend auf die Toilette müsste oder so. Selbst wenn man gar nichts über die Frau, die Situation oder den ganzen Background weiß, fand ich es schon immer irrierend, was an dem Bild jetzt irgendwie so romantisch und hach sein soll.

  3. Ich fand das Bild auch nie romantisch. Schon allein deswegen, weil „Romantik“ sich für mich nicht mit einem Bild/Foto abbilden lässt, sondern eher ein Gefühl ist.
    Die steife Haltung der Frau fand ich auch immer komisch, als würde sie nach hintien fallen.

  4. „Wenn es ein besseres Symbol dafür geben sollte, wie verkorkst unsere Vorstellungen von Sex und Romantik sind, so fällt es mir jedenfalls nicht ein.“
    Nun. Die Frau wurde unfreiwillig geküsst, das ist ein Übergriff.
    Meine Vorstellung von Sex und Romantik ist eine, in der solche Kontakle einvernehmlich verlaufen. Das war hier offensichtlich nicht der Fall. Was genau ist damit an „unseren Vorstellungen“ verkorkst?

  5. @axaneco: Ich gehe mal davon aus, dass die Autorin sich hier auf eine Gesamtgesellschaft bezieht, deren Teil auch sie selbst ist, außerdem ist es ein gängiges journalistisches Stilmittel, sich selbst in vorgebrachte Kritik einzuschließen, u.a. um Abwehrreflexe bei den Lesenden zu mildern – hat hier gerade anscheinend nur so mittel geklappt… ;) Es geht doch hier nicht darum, wer jetzt genau im einzelnen das Bild mag und wer nicht, Fakt ist, kulturgeschichtlich gilt es als Symbol für Freude, Jubel, Überschwang und auch Romantik. Und da kann man sich durchaus mal fragen, wie das kommt. Ich finde es bei sowas eigentlich meistens produktiver, auf Strukturen zu schauen als bei der eigenen (vermeintlichen) Abgrenzung zu verharren.

  6. richtig bewusst hab ich das bild erst vor zwei jahren oder so auf jezebel wahrgenommen. da hatte ich aber gleich auf den ersten blick ein unbehagliches gefühl bei dem motiv, aus genau den hier genannten gründen (regelrechter schraubzwingen-hebel-griff des körperlich überlegenen mannes, die total verkrampfte haltung der frau) – da meinten aber einige kommentatorinnen, dass die agebildete krankenschwester irgendwann mal in einem interveiw gesagt hätte, dass die situation für sie überraschend aber nicht unangenehm gewesen wäre (wenn ich das jetzt noch richtig zusammenkrieg).
    das was aktuell jetzt grade vermehrt von ihr zitiert wird, klingt ja aber in eine ganz andere richtung…

  7. finde ich gut, dass du darüber auch berichtest Anna-Sarah.
    immer/ wieder : genau hinschauen. egal, was „andere“ dazu sagen oder gesagt haben (insbes. irgendwelche sog. experten tm) : das eigene verständnis, die eigene intuition, die eigenen „grenzen“ (engl. boundaries) beachten.
    ganz klar : auch dieses sog. legendäre foto war und ist für mich sexuelle gewalt.

    // aber hey, naklar, das geht auch heute //
    67 jahre später macht Coca-Cola werbung mit u.a. „stealing kisses“. DAS ist für mich NICHT-Konsens.
    sog. security cameras (!) – ab ca. 10. sek hier –
    „People Stealing Kisses“ :

  8. Wir alle haben dieses Bild wohl schon gesehen.

    Nein, ich habe dieses Bild noch nicht gesehen. => Bin ich jetzt doof oder gehöre nicht zu dem „wir“, ja welchem „wir“ eigentlich?
    Es fällt mir öfter in Artikeln von verschiedenen Autor_innen auf (heute schonwieder, deshalb schreibe ich jetzt doch noch, obwohl es mit dem Inhalt des Artikels wenig zu tun hat, sondern „nur“ mit der Form): Ihr konstruiert „wirs“ mit irgendwelchen Vorannahmen, die dann auf diese Gruppe zutreffen sollen und schließt damit Leute aus.
    Viele Grüße!

  9. @ink*ogni: Ich würde zurück fragen wollen: Wer ist „ihr“ – die Autorin des Textes, ich als seine Übersetzerin, wir beide, noch jemand anders? Wir-Konstruktionen können problematisch sein, schon klar. In diesem Kontext hier ist mir jedoch nicht ganz klar, worin konkret das Ausschlussproblem besteht, denn worum es geht, wird meines Erachtens auch deutlich, wenn mensch das betreffende Foto noch nie gesehen hat. Oder habe ich deinen Punkt noch nicht verstanden?

  10. hey anna-sarah,
    ohe, das kursive, dass du den beitrag übersetzt hast, hatte ich völlig überlesen. das tut mir leid!
    die kritik hätte sich dann an die original-autor*in richten müssen.
    zum ausschluss-problem: ja, worum es geht wird deutlich, wenn mensch das foto noch nie gesehen hat. aber: es ist nicht schön ausgeschlossen zu werden. die autor*in macht ein „wir“ auf, das wohl bestehen soll aus ihr*m und den lesenden. wenn ich es lese, kriege ich dann kommuniziert, das ich da nicht dazugehöre. oder irgendwie anders bin. das sagt mir die gesellschaft schon ständig. auf die leute, die das blog lesen, werden irgendwelche vorannahmen projeziert.
    das andere beispiel war in dem neuen toilettenschilder-artikel der satz:

    Interessant ist, dass Toiletten­schilder, die wir alle schon in hundert ver­schiedenen Variationen gesehen haben und wohl eher selten ein­gängig betrachten, ziem­lich viel über gesell­schaft­liche Ideen von Geschlecht verraten.

    .
    die wir alle schon gesehen haben => es gibt menschen die können nicht (gut) sehen.
    in hundert ver­schiedenen Variationen => woher weiß magda das? ist jeder mensch gleich alt, mobil?
    und wohl eher selten ein­gängig betrachten => wieso? und gerade leser_innen auf nem feministischen blog – betrachten die wirklich alltagssexistische sachen selten eingängig oder sind davon selten tagtäglich negativ betroffen?
    es ist irgendwie schwer zu erklären, wie da ein ausschluss funktioniert. ich finde „wirs“ die vorher nicht abgesprochen wurden immmer problematisch. und ich werde da schnell misstrauisch, wahrscheinlich eine dauernachwirkung der fussball-wm/em („gegen wen spielen wir denn als nächstes?“).
    liebe grüße!

  11. @*inkogni – „die kritik hätte sich dann an die original-autor*in richten müssen.“

    das ist/war auch mein gedanke als ich die kommentare von wg. „wir“ hier las.
    denn im 1. link steht ja engl. „Most of us are familiar with this picture.“ und im blog ebenda unter „About“ : „I am a feminist living in London“.
    thema bei übersetzungen ( hier : englisch > deutsch) ist also u.a. sog. idiomatik und (u.a. geschichtlicher) kontext.

    daher „bitte nicht auf die botin (übersetzerin) schiessen“ (RW/redewendung) – engl. „don’t shoot the messenger.“

  12. @ Angelika – hehe, im 1. link steht schon direkt unter dem bild engl. „We’ve all seen the image.“
    Das hat Anna-Sarah richtig übersetzt. Dass Anna-Sarah die Rolle der Boti:n innehat, hatte ich – was mir leid tut – übersehen, wie ich bereits schrieb.

Kommentare sind geschlossen.

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