Ach, diese Zeit des Sportjahres: Nationalismus, Sexismus und ‚Stadtumstrukturierungen‘

Es ist wirklich schwer, nicht mit dem Kopf drauf gestoßen zu werden, die Medien berichten allerorts und vermehrt wehen schwarz-rot-goldene Flaggen: Heute startet in Brasilien die Fußball-Weltmeisterschaft der Männer. In den letzten Wochen wurde minutiös über die ‚Fortschritte‘ der deutschen Mannschaft geschrieben – und sei es nur die Anreise und die Wetterbedingen vor Ort, Supermärkte und andere Läden setzten auf „Deutschland-Farben“ und andere Ausläufer des sogenannten Party-Patriotismus. Ist das nicht schön, so gute Stimmung? Ein paar Notizen zur WM.

‚Sexy‘ Spielerfrauen

Ein Trend, der sich meines Erachtens verschärft hat, ist der Fokus auf die ‚Spielerfrauen‘. Gemeint sind mit diesem Begriff Partnerinnen der Fußballspieler. Von diesen wird (unbezahlte) Care-Arbeit in aller Öffentlichkeit erwartet (so wird genaustens vermerkt, welche auf den Zuschauer_innenrängen saß und wie aufmerksam gejubelt wurde) und dabei sollen sie natürlich auch allen Schönheitsstandards entsprechen. So ist es nicht verwunderlich, dass im Vorfeld der WM Medien die Frauen nach ihrer ‚Sexyness‘ einordneten oder deren Stil auseinandernahmen. Die Frauen, egal was sie sonst in ihrem Leben tun, werden anhand ihrer ‚Nützlichkeit‘ für das Team gemessen, an ihrer ‚moralischen Unterstützung‘, an ihrem ‚Dekorativitätsfaktor‘. Mit diesem Trend, der die Partnerinnen immer stärker an die Darstellung des Teams bindet, wird aber auch etwas anderes deutlich gemacht: Fußballspieler – das sind Hetero-Typen.

Normalisierter Nationalismus

Sportgroßereignisse dieser Art, und insbesondere die Männer-Fußball-WM, sind auch immer wieder – und ebenfalls in den letzten Jahren zunehmend – Anlässe zur Normalisierung von Nationalismus. Sie bieten den Anlass fast kritiklos Insignien des deutschen Staates hochzuhalten, die Farben als positives Identifikationsmerkmal zu tragen, und lautstark „Deutschland, Deutschland“ zu skandieren. Anlässlich der WM in Südafrika analysierte dazu bereits Nicole an dieser Stelle:

Die Verknüpfung von Frauen, Nation und Fußball trug einen wesentlichen Teil zu dieser Wahrnehmung und Darstellung bei: Ein vermeintlich „plötzlich“ erwachtes weibliches Interesse für Fußball und eine große zahlenmäßige Präsenz von Frauen bei Public Viewings und im Stadion wurden zu beliebten Themen der Berichterstattung und blieben es auch bei der EM 2008. Die Tatsache, dass auch und gerade Frauen sich mit schwarz-rot-goldenen Fanutensilien ausstaffieren und mit „typisch weiblicher“ Geschicklichkeit aus Deutschland-Flaggen Röcke, Kopftücher, Bikinis usw. zaubern, gilt als weiterer Beleg dafür, dass die nationale Fußballparty eine friedliche Angelegenheit ist. […]

Die Naturalisierung von Nationalismus, die mit dieser Entwicklung einhergeht („Endlich sind auch wir stolz auf unser Land, so wie alle anderen.“) und die sich auch an die spezifische sichtbare Verbindung von Nationalsymbolen und Weiblichkeit knüpft (Wer kann schon einen schwarz-rot-goldenen Bikini als beängstigend empfinden?), gilt es meiner Meinung nach aber kritisch zu hinterfragen. Nicht zuletzt aus dem simplen Grund, weil sich die Geschichte vom weichgespülten Patriotismus weltmeisterlicher Prägung als falsch erwiesen hat.

Positiv herangezogen wird darüber hinaus oft, dass hier doch ein ‚diverses‘ Team gefeiert werden würde. Wie rassistisch aufgeladen selbst diese Bezugnahme – egal ob aus einem politisch linkerem oder rechterem Spektrum – ist, hat Jacqueline S. Gehring bei der Washington Post deutlich aufgezeigt. Sie zeigt anhand einer Medienanalyse, wie zum einen nur bestimmte Spieler hinsichtlich ihres ‚deutsch-Seins“ diskutiert werden und wie entweder andere Identitäten (positiv) essentialisiert werden oder aber versucht wird deutlich zu machen, dass diese Spieler alles daran gesetzt hätten ‚richtig‘ deutsch zu sein und nun ja auch produktiv etwas beitragen. Nationalismus und auch Patriotismus – egal wie vermeintlich positv – gerahmt, geht immer einher mit Ausschlüssen und Gewalt.

‚Stadtumstrukturierungen‘ in Brasilien

Und auch Fragen, die sich immer wieder stellen: Wer profitiert eigentlich von solchen bis aufs letzte vermarktete Sportgroßereignisse? Was passiert mit den Menschen an den Austragungsorten? Ist dort alles eine große glückliche Party? Das letzteres definitv nicht der Fall ist, ist dieses Jahr in Brasilien besonders deutlich. Dort gibt es nun schon lange Proteste. Die analyse & kritik hat Carla Hirt, eine Aktivistin im Basiskomitee von Rio de Janeiro interviewt. Sie spricht über die Ausschlüsse, die das aktuell durchgesetzte Stadtmodell produziert, und über die negativen Auswirkungen von WM und Olympia für große Teile der Bevölkerung.  Hirt erläutert:

Alleine in Rio de Janeiro waren ca. 100.000 Personen von Zwangsräumungen betroffen, seitdem 2008 Eduardo Paes Bürgermeister wurde – und das sind die offiziellen Zahlen, die tatsächlichen Zahlen dürften also noch höher liegen. Zudem wurden öffentliche Einrichtungen privatisiert und so der Öffentlichkeit entzogen – wie etwa der Sportkomplex beim Maracanã-Stadion mit Sport- und Schwimmhallen, einer öffentlichen Schule und einem Museum für indigene Kultur. Olympia-Athleten hatten so keine Trainingsmöglichkeiten mehr, soziale Projekte mussten aufgeben, die indigene Community weiß bis heute nicht, wie es um die Zukunft des ältesten Indigenen-Museum Lateinamerikas steht. Darüber hinaus wird es informellen Straßenverkäufern während den Spielen nicht gestattet sein, im Umkreis der Stadien ihre Waren anzubieten. Aber letztlich ist die gesamte Bevölkerung betroffen: durch die Verteuerung der Stadt, durch den Anstieg der öffentlichen Schulden aufgrund der hohen Ausgaben für den vielfach überflüssigen Neu- oder Umbau der zwölf Stadien, durch die FIFA-Sondergesetze, durch die massive Polizeigewalt gegenüber all jenen, die Kritik an diesem Vorgehen äußern, durch die sogenannten Parfümerie-Baumaßnahmen, die zur Elitisierung der Städte beitragen, und so weiter. […]

Schon 2013 war einer der zentralen Sprechchöre auf den Demos »Es wird keine WM geben«. Er entstand sehr spontan und wurde vielfach von Personen gerufen, die zuvor in keiner politischen Gruppe aktiv waren. Dennoch verstanden sie, dass er eine tiefere Bedeutung hat (anders als die großen Medien, die den Ausruf sehr banal und simpel wiedergaben, losgelöst von seinem räumlichen, zeitlichen und sozialen Kontext).

Ob nun vorangetriebene Normalisierung von Nationalismus oder Umstrukturierungen ganzer Städte – die Wirkungen der WM begrenzen sich keinesfalls auf ein paar Wochen, in denen viele Menschen ihre Tagesplanung versuchen an den Spielplan anzupassen. Ganz im Gegenteil: Die Spuren sind tief.

7 Kommentare zu „Ach, diese Zeit des Sportjahres: Nationalismus, Sexismus und ‚Stadtumstrukturierungen‘

  1. Vielen Dank für den Beitrag!

    Es gab nund gibt nicht nur die Zwangsumsiedlungen, sondern auch massive Umweltzerstörungen. (Die deutsche Mannschaft logiert in einem Camp, das in einem Naturschutzgebiet).

    Und ich habe vor einigen Tagen per Zufall eine Doku gesehen, wo Tourist_innen sich Rio angucken und zwar nicht nur den Strand, sondern auch die Favelas. So nach dem Motto „Wir gucken mal, wie die so im Ghetto wohnen.“

  2. Vielen Dank dafür, Charlott :)!

    Aus dem Jahr der letzten WM, 2010, gibt’s auch noch einen interessanten Artikel der „Zeit“, der genau über den erwähnten, normalisierten Fanmeilennationalismus und dessen Anschlussfähigkeit zur extremen Rechten berichtete: Public Nazi Viewing.

  3. — Wird eigentlich bei berühmten Frauen auch so genau auf die Care-Arbeit der Männer geachtet? Welche Charityprojekte unterstützt eigentlich z. B. Prof. Sauer? Ist über die Partner der Fußballnationalmannschaft der Frauen überhaupt schon mal berichtet worden? Frauen werden wieder als Objekte verstanden. Dieses Mal zwar nicht unbedingt als Sexualobjekte, aber dafür als Statussymbole, als schmückendes Beiwerk. Das sind Zustände wie in den miefigen 50er-Jahren.
    — Der Nationalismus oder Partypatriotismus ist auch ein Problem: Hier im Osten Deutschlands ist er sowieso noch ein wenig präsenter als in manchen westlichen Teilen des Landes. Es macht mir Angst, wenn ich die Beflaggung mancher Kleingartenparzelle, manches Autos, mancher Fenster sehe. Zwar sitzt da meist nur ein schlichter Mensch, der ein Team anfeuert, ohne gleich andere Teams zu verdammen, aber es gibt eben auch die Glatze-Bomberjacke-Springerstiefel-einschlägiges-Tattoo-Gruppen, die angetrunken gröhlend zum Public Viewing ziehen und dort (so glaube ich) toleriert werden.
    — Dass die WM für Brasilien nicht nur „eine Chance“ ist, sondern auch ein Desaster für einen großen Teil der Bevölkerung darstellt, ist klar. Dennoch ließ sich offenbar weder die Regierung noch die FIFA das gute Geschäft, den vermeintlichen Imagegewinn etc. entgehen. Leider ist das bei vielen Großereignissen (Olympiade, Weltausstellung, u.s.w.) ähnlich. Wenn ich bedenke, wie schon eine vergleichsweise reiche Großstadt wie Hannover an den Folgen der EXPO 2000 zu kämpfen hatte und hat, will ich mir eigentlich gar nicht vorstellen, was auf Brasilien alles noch zukommt…
    Danke also für den guten Text!

  4. Axe wirbt sogar in Supermärkten damit, dass Käufer beim Kauf der Produkte „die schönsten Spielerfrauen sammeln“ können. Passend dazu abgebildet ist dann eine dieser Frauen in Bikini und ’sexy‘ Pose. Ich war geschockt als ich das gesehen habe und finde es echt krass, wie offensichtlich dieser ‚Spielerfrauen-Hype‘ den Charakter einer offenen Vermarktung angenommen hat (mal ganz abgesehen von Objektifizierung, der Propagierung von ausschließenden Schönheitsnormen, etc pp)!

  5. @Lea: Ich verstehe deinen Punkt zum Frauenteam, würde dort aber vor allem auch hervorheben wie krass (für die Vermarktung) darauf gesetzt wurde möglichst heteronormativ und für den male gaze zu inszenieren.

Kommentare sind geschlossen.

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