Seit Mittwoch sind es nicht nur Politikerinnen, denen Fragen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie gestellt werden: „Trauen Sie sich als frisch gebackener Vater die Leitung des Bundestagswahlkampfes zu?“ und „Mehr noch: Kann ein junger Vater Kanzler werden?“ – das wollen die Unterzeichnerinnen eines offenen Briefes von SPD-Politiker Sigmar Gabriel wissen. Eine davon ist Anke Domscheit-Berg, die in der deutschen Politik Nachholbedarf sieht:
Did you know? Abgeordnete haben in Deutschland keinen Anspruch auf Elternzeit…. there is no parental leave for MPs in Germany. #badrules
— anked (@anked) 28. März 2012
Die taz berichtete schon am Dienstag über die Aktion und verwies auf die immer gleichen Fragen und Debatten, denen sich in den letzten Jahren hochrangige Politikerinnen ausgesetzt sahen. Ob Kristina Schröder oder Andrea Nahles, gerade in der Politik gelten Kinderbetreuung und Familienpflichten als „Frauensache“. Das wollen die Initiatorinnen nun ändern.
Sie haben eine wunderbare Chance, als Vorsitzender der SPD das Leitbild einer partnerschaftlichen Familie öffentlich wirksam vorzuleben und ihm damit neue Wege zu bahnen. Wir würden uns freuen, wenn Sie diese Chance wahrnehmen. Dürfen wir uns auf Ihre Antwort freuen?
Bisher ist die Reaktion leider verhalten. Statt die Chance wahrzunehmen und ein gesellschaftliches Umdenken anzustoßen, gibt es von Seiten der SPD keine offizielle Antwort. Im Gegenteil, so schreibt die taz, wurde die Aktion „intellektuell unterkomplex“ genannt. Fortschritt und echte Geschlechtergerechtigkeit sehen anders aus!
Inzwischen ist der offene Brief auf openpetition.de erschienen und kann dort von Interessierten mitunterzeichnet werden.
Als jemand, der die strunzdummen Fragen an die Politikerinnen Schröder oder Nahles auch als elternfeindlich abgelehnt hat, kann ich die Reaktion der Genossen ein Stück weit verstehen. Es kann ja nicht das Ziel sein, dass junge Väter sich die gleichen blöden Fragen gefallen lassen müssen wie junge Mütter – stattdessen müsste der Darstellung von Elternschaft als Problemnest entgegengetreten werden.
Von daher: Auf den ersten Blick eine pfiffige Idee, aber in letzter Konsequenz vielleicht nicht ganz durchdacht …
@BeRa Aber schon erstaunlich, dass man in der SPD sich erst dann mit Händen und Füßen gegen solche Fragen wehrt, wenn es einen Vater trifft. Wenn es wirklich darum ginge, alle Eltern gleich anständig zu behandeln, hätte man sich schon bei Nahles anders positionieren können. Dass dumme Fragen immer nur den Müttern gestellt werden, ist ja keine neue Kritik, sondern wird seit Jahren angemerkt.
@Helga: Du hast natürlich Recht, die Kritik an der SPD finde ich auch berechtigt! Meine Bedenken richten sich ja eher gegen die „Aktionsform“ – falsches Verhalten gegenüber X dadurch zu skandalisieren, dass sich andere gegenüber Y falsch verhalten, scheint mir nicht immer sehr lösungsorientiert … und in diesem Fall würde noch das Familie-und-Beruf-geht-nicht-Vorurteil verstärkt.
Um es etwas weiter zu treiben: Vergewaltungswitze über Männer würden unsere Gesellschaft auch nicht besser machen :-/
was frauen zu hören bekommen, wirkt an männer gerichtet unangemessen und deplatziert. komisch, nicht? ein schönes stilmittel – gerne auch von der emma caroonisitin franziska becker verwendet. kann ein echter augen-öffner sein…
Ich finde die Aktion ganz gut. Ehrlich gesagt, finde ich die Empörung über diese Aktion übertriefen.
Ach ja, ich bin alleine heute dreimal gefragt worden, wie ich mir das mit Kind und Arbeit so vorstelle. Ich will jetzt nicht jammern. Es ist doch nicht schlimm, wenn Leute fragen. Deswegen finde ich, dass die SPD total überreagiert, wenn sie pampig keine Antwort gibt.
Ich finde die Aktion auch gut. Nicht weil ich hier überhaupt eine ernsthafte Antwort erwarten würde (wär natürlich trotzdem interessant, eine zu bekommen), sondern weil ein Finger in eine Wunde gelegt wurde, die wohl am liebsten gesundgeschwiegen werden würde.
Es gab schon mal – vor vielen Jahren – einen Politiker, der tatsächlich Elternzeit genommen hat: Der damalige Wiesbadener Oberbürgermeister Achim Exner (SPD), der im Jahr 1991 ein halbes Jahr zuhause geblieben ist – und damit bewiesen hat, dass so etwas geht… siehe z.B.: http://de.wikipedia.org/wiki/Achim_Exner
Der Job eines OB beinhaltet in der Regel mindestens eine 60-Stunden-Woche, und ist daher mit den Arbeitsanforderungen in anderen politischen Spitzenpositionen vergleichbar. Und Achim Exner hatte damals den Erziehungsurlaub sozusagen in Teilzeit genommen: Jeden Tag bekam er von seinem Fahrer einen Berg von Akten und Unterschriftsmappen nach Hause geliefert, wo er sie abgearbeitet hatte. Und Ortstermine, Baustellenbesichtigungen und so weiter hat er damals einfach mit Kinderwagen und seiner Tochter gemeinsam besucht. Hat ihm übrigens, wie er später oft betont hat, einen guten Eindruck der Lebenswirklichkeit und der alltäglichen Problemen von jungen Eltern vermittelt.
Solche Leute fehlen heut.