Adipös. Mein Resultat grinste mich dick und fett (ha!) an. Schnell Google angeschmissen und mal gecheckt: Adipös heißt „fettleibig“ und „fettsüchtig“. Ich lese weiter und lerne, dass ich einen „krankhaft erhöhten Körperfettanteil“ habe. Da staunst du nicht schlecht, was? Ja. Ich auch. An einem regnerischen Nachmittag hatte ich nämlich mal meinen BMI ausgerechnet und vor Schreck fiel mir gleich der Lolli aus dem Mund (Verzeihung, Selleriestangen! Selbstverständlich Selleriestangen. Mit low-fat-low-carb-low-anything Quark. Ohne Salz.) Da stand es schwarz auf weiß: Krankhaft fettleibig. KRANKHAFTFETTLEIBIG.
Ich atmete schwer und tief ein (klar, bei dem schweren Körper). Und mein Recherche-Instinkt wurde geweckt. Was ist denn dieser BMI? Und welcher Selleriestangen kauende Nervmensch hat sich denn so einen Quatsch ausgedacht?
Hallo BMI, wer oder was bist du?
Der BMI soll uns angeblich verraten, ob wir „untergewichtig“, „normalgewichtig“, „übergewichtig“, „adipös“ oder „stark adipös“ sind. Der BMI errechnet sich aus dem Gewicht, geteilt durch die Größe im Quadrat, was uns schon mal einen ersten Hinweis darauf gibt, wie wenig aussagekräftig diese Rechnung sein kann. Unterteilt wird außerdem fein säuberlich in „Mann“ und „Frau“ – als wären alle Menschen in den jeweiligen Kategorien „Mann“ bzw. „Frau“ gleich – als gäbe es nur Männer und Frauen. Manchmal findet eine Unterteilung in Altersgruppen statt.
Von einer wirklichen Differenzierung beim BMI kann also kaum gesprochen werden. Andere Lebensumstände und Faktoren, die ebenfalls Einfluss auf Körpergewicht haben, bleiben unerwähnt: Wo, wie viel und was arbeite ich? Wo und wie wohne ich? Wie ist mein Zugang zu unterschiedlichen Nahrungsmitteln und Sportmöglichkeiten? Wie viel Stress und Diskriminierung erlebe ich? Und nur, damit ich nicht missverstanden werde: Ja, soziale Faktoren haben Einfluss auf Körper(-gewicht). Und trotzdem werden Menschen immer unterschiedliche Körper haben, auch wenn sie sich in ähnlichen Lebensumständen befinden. Warum? Weil Körper unterschiedlich auf Essen, Sport, Stress, Diskriminierung oder andere Einflüsse reagieren. Weil mein Körper nicht dein Körper ist.
Nehmen wir zum Beispiel Sellerie. Schon allein bei der Vorstellung Sellerie essen zu müssen, bekomme ich Pickel. Irgendwie bitter, viel zu fad. Und man kann’s nur schwer mit Käse überbacken… Müsste ich das essen, hätten ich und mein Magen keinen Spaß – obwohl Sellerie landläufig als „gesund“ gilt. Ich glaube aber an folgende Gleichung: Was mir nicht schmeckt, tut mir nicht gut – egal wie gesund. Was für die einen gesund und wohlschmeckend ist, schmeckt für andere nun mal wie eingeschlafene Füße. Ich glaube auch an folgendes: Dicke Menschen verdienen es, so zu essen, wie sie möchten – genau wie alle anderen. Ohne scheiß Kommentare, ohne nervige Blicke. Was für eine radikale Forderung!
Ich fasse zusammen: Menschen und ihre Leben (und: ihre Geschmäcker) sind halt verschieden und komplex (d’oh!). Shit’s complicated. Es gibt nicht das „gesunde“ Essen auf der einen und das „ungesunde“ Essen auf der anderen Seite. Genauso wenig ist es sinnvoll, auf irgendwelche Rechnungen zu vertrauen, wenn es darum geht, Körper in „gesund_normal“ (BMI 20 – 25) und „risikobehaftet_krank“ (BMI ab 25) einzuteilen. Körper überhaupt in diese Kategorien einzuteilen ist, pardonnez-moi, kackscheiße!
Trotz geringer Aussagekraft wird der BMI von Mediziner_innen, Krankenkassen und Ernährungswissenschaftler_innen häufig als Indikator dafür genutzt, ob ein Mensch als „gesund“ (also: „normalgewichtig“) oder tendenziell „krank“ (also: „übergewichtig“ und „adipös“) eingeordnet wird. Dies hat Einfluss darauf, wie Patient_innen behandelt werden, ob und welche Therapien, Maßnahmen oder Diäten ihnen verschrieben werden (Sellerie!). Viele dicke Menschen werden gesundheitlich nicht ausreichend versorgt, weil jede ihrer Krankheiten und Beeinträchtigungen auf ihr Gewicht geschoben und andere Ursachen kaum/nicht behandelt werden. Die Diskriminierung von dicken Menschen im Gesundheitssystem ist desaströs. Und lebensgefährlich.
Als 6-Jährige wurde ich beispielsweise auf mein erstes Diätcamp geschickt, weil ich in die Kategorie „übergewichtig“ fiel. Völlig egal, dass ich ein (nach hegemonialen Vorstellungen) gesundes und relativ sportliches Kind war: Mir wurde eine Maßnahme verschrieben, die ich aus rein medizinischen Gründen gar nicht benötigt hätte, nur weil ich mehr Körpergewicht hatte als die meisten meiner Mitschüler_innen. Unabhängig davon, wie „gesund“ und sportlich Kinder sind oder wie viel sie auf die Waage bringen, bin ich generell gegen Diätcamps für junge Menschen. Diätcamps bringen schon kleinen Kindern bei, dass etwas „falsch“ mit ihnen sei und sie selbst „schuld“ an ihrem Gewicht seien. Das ist Quatsch. Nicht unsere fetten Körper sind falsch, sondern eine Gesellschaft, die Körpervielfalt nicht anerkennt. Körper waren, sind und werden immer verschieden sein und (besonders: ärztlich verschriebene) Diäten sind lediglich Normierungsmaßnahmen, alle Körper hinsichtlich einer schlanken und für viele Menschen gar nicht erreichbaren Norm zu trimmen. Was zurück bleibt sind Schuldgefühle, Scham und eine extrem hohe Stressbelastung insbesondere von mehrfach diskriminierten Menschen. Chronisch krank, dick und kein Geld auf’m Konto? Du bekommst leider kein Foto von uns (verdammte Heidi!), geschweige denn eine Gesundheitsversorgung, die deinen Bedürfnissen entspricht. Es kann auch sein, dass du nicht deinen Traumjob bekommst, weil man dich in der Firma nicht „vorzeigbar“ findet. Oder dir die Verbeamtung verwehrt bleibt, weil dein BMI über 30 ist.
Die Konstruktion einer Krankheit: „Übergewicht“
Die jetzige BMI-Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO) besteht laut dem Bremer Soziologen Friedrich Schorb seit 1997. Laut diesem BMI gelten „Frauen“ ab einem Wert von 25 als „übergewichtig“, ab 30 „adipös“ und ab 40 „stark adipös“. Davor waren die Werte für die Kategorie „Übergewicht“ höher. Als die WHO den Wert 1997 senkte und das US-amerikanische Gesundheitsinstitut (NIH) die neuen Werte ein Jahr später übernahm, wurden 35 Millionen Amerikaner_innen auf einem Schlag über Nacht zu so genannten „Übergewichtigen“.
Wenn Fat-Aktivist_innen und Forscher_innen also davon sprechen, dass „Übergewicht“ eine konstruierte Kategorie ist, dann meinen sie genau das: Namhafte Organisationen setzen einen bestimmten Wert als „übergewichtig“ fest und alle Menschen, die in diese Kategorie fallen, werden dann als solche stigmatisiert. Der Anstieg von sogenannten „übergewichtigen“ Menschen hat demnach nichts mit realem Anstieg von Körpergewicht zu tun, sondern damit, dass jene Werte, die bestimmen, wer als „übergewichtig“ gilt, Mitte der 1990er runtergestuft wurden. Wenn ich 1997 in den USA gelebt hätte, wäre ich mit einem BMI von z.B. 28 laut WHO kerngesund gewesen. Nach Änderung der Werte wäre ich mit dem gleichen BMI in die Kategorie „übergewichtig“ und somit potentiell „krank“ gerutscht. Wann und wo ich lebe, hat demnach Einfluss darauf, ob ich als zugehörig zu einer „Risikogruppe“ konstruiert werde – oder nicht.
Deshalb lehne ich Kategorisierungsversuche wie den BMI grundsätzlich ab, und zwar nicht nur, weil diese unwissenschaftlich und homogenisierend sind, sondern weil ich generell Kategorisierungen auf Basis von Körpergewicht verurteile, da diese häufig für politische Zwecke missbraucht werden: Das Runtersetzen der BMI-Werte ist u.a. der massiven Lobbyarbeit von Pharmaindustrien zu verdanken, die ihre Diätprodukte an den Mensch bringen möchten und damit erfolgreicher sind, je mehr Menschen als „übergewichtig“ und somit als potentielle Kund_innen von Diätprodukten konstruiert werden.
Der BMI ist also so unbrauchbar wie mein Hass auf Selleriestangen. Eigentlich finde ich Sellerie nämlich gar nicht so scheiße, zumindest ist er mit einem guten Dipp ganz genießbar. Sellerie steht hier aber stellvertretend für alle grenzüberschreitenden Ernährungstipps, die ich in den letzten 28 Jahren meines Lebens hören musste. Voll gemein, dass ich hier die ganze Zeit auf Sellerie einschlage? Du solltest mal hören, wie ich über Rosenkohl abkotze. Just saying. Keine Angst: Du kannst ja essen, was du magst. Aber bitte ohne die ständigen Hinweise, dass Selleriestangen doch „gut“ für mich seien. Dann zeige ich dir nämlich meinen fettleibigen Mittelfinger.
Quellen:
- Aaron Vansintjan (2013): „The racism in healthy food“. mcgilldaily.com.
- Debora Antmann und Sedrik Wolf (2013): „Medizinische Be_Handlungen aus dicker Perspektive“, Alice-Salamon-Hochschule Berlin. Unveröffentlicht. Auszüge zu finden auf: Don’t degrade Debs, Darling.
- Friedrich Schorb (2009): „Dick, doof und arm. Die Lüge vom Übergewicht und wer davon profitiert“. S. 18 – 57, Droemer.
- Issa (2013): „Fat People Deserve to Eat“; Love. Live. Grow.
- Lesley Kinzel (2014): „My Doctor DIDN’T Fat-Shame Me And It Was A Radical Life-Changing Experience.“ xojane.com.
- Sabine Schmitt (2007): „Zu dick für’s Lehramt.“ rp-online.de.
- Virgie Tovar (2013): „Stigma Loading: The Effects of Disease Classification & AMA’s Decision to Call Fat a Disease“; virgietovar.com.
- Selleriebratlinge mit Rotkohl und Süßkartoffeln. Vegan Guerilla.
Ja, ja zu allem!
Was für ein Quatsch gerade der BMI als (alleiniger) Messwert ist, liegt ja schon daran, dass der Wert nicht zwischen „Fett“ und „Muskel“ unterscheiden kann. Dem BMI nach sind die viele austrainierte Profi-Sportler_innen „fettsüchtig“ (was ja auch ein blödes Wort ist.) Seit ich als Stressausgleich wieder mehr Sport mache, hat sich mein Körper verändert – mein ach so hoher BMI aber so gut wie gar nicht.
Der BMI wurde vor 200 Jahren entwickelt, um die durchschnittliche körperliche Beschaffenheit einer großen Gruppe von Menschen zu beschreiben – von einem Mathematiker. Das sollte eigentlich schon klar zeigen, was die Methode wirklich wert ist.
Der BMI ist wertlos bei Menschen unter 1,50 m und über 2,00 m, weil die Berechnung jenseits dieser Grenzen versagt.
Und da Muskeln schwerer sind als Fett (viel dichteres Gewebe), ist ein durchtrainierter Mensch immer mit höherem BMI ‚geschlagen‘.
Nehmen wir mal an, es gäbe eine Art Super-BMI; ein Tool, dass alle Faktoren (also z.B. auch die sozialen) miteinbezieht. Wenn da nun am Ende herauskäme, dass Du krankhaft fettleibig wärst, wie würdest Du reagieren?
Was ich damit sagen will, ist, dass Du zwei Probleme vermischst: 1. Der BMI ist ein minderwertiges Tool, das trotz seiner geringen Aussagekraft leider oft als hinreichend für eine Diagnose angesehen wird. 2. Übergewicht oder krasser gesagt „Fettleibigkeit“ ist als Krankheit eine Konstruktion und keine per se behandlungsbedürftige Erkrankung. Diese Konstruktion nützt z.B. den Herstellern von Diätprodukten, sie lässt manche Ärzte viel Zeit sparen, weil praktisch alles aufs Übergewicht zurückgeführt wird, sie nutzt der Werbeindustrie, der Fitnessindustrie u.s.w.
Ich stimme Dir voll und ganz zu, dass der BMI kaum Aussagekraft hat und niemals als alleiniges Mittel zur Diagnose führen darf, ich stimme Dir ebenfalls zu, dass jeder Mensch über seinen Körper selbst entscheiden dürfen sollte und sage, dass fat-shaming (oder allgemeiner: body-shaming) absolut armselig ist. Aber die Minderwertigkeit des Tools kausal mit der Forderung nach freier körperlicher Selbstbestimmung zu vermischen ist weder logisch noch zielführend.
Außerdem ist es durchaus wichtig und daher erwähnenswert, dass Aufklärungsarbeit geleistet wird, damit Menschen sich nicht ungewollt selbst gefährden. Wenn ein Mensch seine Gesundheit riskiert, sollte er vorher wissen, dass er sie riskiert. Das gilt für den Kosum von Tabak und Alkohol ebenso wie für ungeschützten Geschlechtsverkehr etc. Gerade Kinder müssen lernen, dass zu wenig, zu viel und überwiegend ungesundes Essen zu körperlichen Problemen führen KANN.
Danke für diesen Artikel ebenso wie für alle vorherigen, die sich dem Thema Körpergewicht und dessen gesellschaftlicher Wahrnehmung kritisch gewidmet haben. Sie haben mir sehr dabei geholfen, eine neuen Blickwinkel zu der Thematik zu entwickeln, so daß ich nun insbesondere auch meinen eigenen Körper viel positiver wahrnehmen kann als früher – ein Gefühl, daß mein Körper so ok ist wie er eben ist. Herzliche Grüße und vielen Dank!
Ehrlich? Ich hätte gewettet, es sind Frühlingszwiebeln.
@Lea
Ich finde deinen Kommentar ziemlich unlogisch, also stelle ich dir mal ein paar Fragen:
Wie kommst du auf die Idee, dass Kritik am BMI (ein Messinstrument zur Erfassung von konstruierten Körpergruppen) und meine Forderung nach körperlicher Selbstbestimmung nicht miteinander einhergehen können (ich würde sogar sagen: müssen)?
Glaubst du ernsthaft, dass die aktuelle Aufklärungsarbeit zu Körper, Gesundheit, Essen (ey und sogar zu Geschlechtsverkehr) angemessen, eventuell sogar feministisch sei? (Kleiner Hinweis meinerseits: no way).
Wieso machst du einen Zusammenhang zwischen Essen und körperlichen „Problemen“ auf?
Hast du meinen Text vollständig gelesen?
@ Juchihita
Oh ja, das kann sein! Frühlingszwiebeln, yeah!!
@ Anja
Ähm, in meinem Text steht ausführlich, dass der BMI auch wertlos ist, wenn es um Menschen mit Körpergröße zwischen 1,50m und 2m geht ;)
@Magda:
„Wie kommst du auf die Idee, dass Kritik am BMI (ein Messinstrument zur Erfassung von konstruierten Körpergruppen) und meine Forderung nach körperlicher Selbstbestimmung nicht miteinander einhergehen können (ich würde sogar sagen: müssen)?“ Hier war ich vielleicht ein wenig spitzfindig, sorry! Was ich meinte, ist, dass Du mindestens unterschwellig eine Kausalität herzustellen versuchst, die meiner Ansicht nach einfach nicht gegeben ist. Ein noch so minderwertiges Messinstrument kann nicht schuldig sein; es sind die Menschen, die es trotz seiner Minderwertigkeit wertschätzen und aus Daten von geringem Wert Schlüsse von großer Tragweite ziehen. Bsp.: Der Preis eines Produktes KANN etwas über seine Qualität aussagen, aber wenn ich den Preis als einzigen Anhaltspunkt nehme und einen hohen Preis als Qualitätsgarant ansehe, ist das fahrlässig. Dann mache ICH den Fehler, indem ich dem minderwertigen Tool „Preis“ einen zu hohen Deutungswert beimesse.
„Glaubst du ernsthaft, dass die aktuelle Aufklärungsarbeit zu Körper, Gesundheit, Essen (ey und sogar zu Geschlechtsverkehr) angemessen, eventuell sogar feministisch sei? (Kleiner Hinweis meinerseits: no way).“ Ich habe mich in keiner Form lobend oder kritisch zur aktuellen Aufklärungsarbeit geäußert, sondern schlichtweg gesagt, dass Aufklärungsarbeit meiner Meinung nach stattfinden muss.
„Wieso machst du einen Zusammenhang zwischen Essen und körperlichen “Problemen” auf?“ Es KANN ein Zusammenhang bestehen. Streitest Du das etwa ab? Es geht mir nicht darum, Menschen die sich – nach wessen Ansicht auch immer – „ungesunde“, „zu viel“ oder „zu wenig“ Nahrung zuführen, dies zu untersagen, sondern darum, dass Menschen darüber aufgeklärt werden, was passieren KANN, wenn sie sich auf eine bestimmte Art und Weise ernähren. Um mal mit einem Extrembeispiel anzufangen: Wenn ein Kind nicht weiß, dass die Beeren, die es gerade von einem Strauch pflückt und isst, giftig sind, würde man es wohl auch nicht mit dem Argument der Selbstbestimmung im Hinterkopf gewähren lassen, oder? Wenn ein Teenager seit Tagen nichts mehr isst, um die Figur von Hollywoodstar XY zu bekommen, würde man wohl auch mit ihm reden, oder? Wenn ein Kind sich ausschließlich von Schokoriegeln und Cola ernährt, sollte auch hier Aufklärungsarbeit stattfinden, oder?
„Hast du meinen Text vollständig gelesen?“ Ja. Bist Du kritikfähig?
Was wäre denn jetzt falsch an der Aussage, dass bestimmte Verhaltensweisen in Bezug auf essen zu körperlichen Problemen führen können? Ich will damit ja niemanden angreifen, ich weiß nur manchmal nicht, wie ich über Prävention sprechen soll, ohne das so zu sagen. Schließlich möchten doch auch einige Leute mehr darüber wissen.
@ Lea
Ich reagiere verschnupft auf deinen Kommentar, weil du eine pseudo-kritische Debatte zu Logik aufmachst, während ich von Menschen und ihren Lebensrealitäten spreche. Aus welcher Perspektive sprichst du, aus welchen Erfahrungen schöpfst du? Warum kannst du an das Thema so „spitzfindig“ rangehen, wem oder was willst du hier beweisen? Ich stelle diese Fragen, weil sie mir wichtig sind, weil sie (auch) deine Perspektiven beeinflussen, weil manche Menschen es sich leisten können, so „ganz theoretisch, so ganz spitzfindig“ über ein Thema zu schreiben können und von Logik zu reden, während ich konkret von Lebensrealitäten berichte. Ich habe dich gefragt, ob du meinen Text gelesen hast, weil du einen ganz fundamentalen Punkt meines Textes nicht verstanden hast, nämlich der, dass ich gerade nicht eine bestimmte Ernährung mit bestimmten Konsequenzen verknüpfe.
Ich liebe es ja immer, wenn Leute das „Schokolade und Cola“ Beispiel rausholen. Ich kenne keine einzige Person, die sich nur von diesen Lebensmitteln ernährt, ich kenne solche (klassistischen, fat-shamenden) Beispiele nur aus dem TV. Vielleicht sollten wir mal checken, wo unsere Vorstellungen herkommen, bevor wir pseudo-kritische Fragen stellen oder worst case Szenarien aufmachen? Aber selbst wenn eine Person sich so ernähren möchte: So what? Warum interessierst du dich dafür? Rauchst du? Trinkst du? Kiffst du? Gib mir sofort Auskunft darüber, damit ich das dann bewerten kann. Willst du mir nicht sagen? Oh, ok… (Ja, es fühlt sich nicht besonders gut an, auf dem Präsentier-Teller zu sein).
Ich bin im übrigen sehr dafür, Kindern eine breite Palette an Lebensmitteln schmackhaft zu machen, gemeinsam zu kochen, neues kennenzulernen. Knüpfe ich das an (völlig aufgeladene) Vorstellungen von „Gesundsein“? Nö. Weil ich nicht damit einverstanden bin, was in dieser Gesellschaft als „gesund“ und „ungesund“ bezeichnet wird. Weil ich nicht daran glaube, dass es einerseits „gesund“ und andererseits „ungesund“ gibt.
@ Jane
Ich sage nicht, dass Ernährung oder alle anderen Faktoren, die ich übrigens auch im Text aufzähle, keinerlei Einfluss auf unsere Körper haben – aber eben nicht die immer gleichen Konsequenzen, weil Körper nun einmal (ich wiederhole mich) unterschiedlich auf verschiedenste Einflüsse reagieren. Die einfache Gleichung „Schokolade essen = dick werden“ ist einfach Quatsch. Ich negiere also nicht, dass die Dinge, die wir tun, Einfluss auf unsere Körper haben, aber ich glaube einfach nicht an einfache, unseriöse kausale Zusammenhänge, die immer wieder als Beispiele genannt werden, um ein bestimmtes Essverhalten zu stigmatisieren. Ich denke, dass Menschen schon sehr gut selbst wissen können, was gut für sie ist und was nicht.
Liebe Kommentator_innen, deren Kommentare nicht freigeschaltet wurden (bzw. werden)
ich habe eure Kommentare nicht freigeschaltet,
1. weil ich auf eure Punkte bereits im Text eingegangen bin und einige Quellen genannt habe (gerne klicken und weiterlesen!). Wenn ich beispielsweise schreibe, dass ein bestimmtes Gewicht oder ein bestimmter BMI-Wert nicht automatisch Indikator für eine bestimmte Krankheit sei und ihr darauf antwortet „Aber doch!“ oder „Studie xy!“ finde ich es eher mühsam darauf zu antworten (außerdem steht euch das ganze Internet zur Verfügung, um eure Thesen zu verteilen);
2. weil ich euer Glaube an Wissenschaft und Studien ja wirklich ehrhaft finde, aber dann schlage ich vor: Lest doch mal den Fat Studies Reader, da sind auch viele Studien drin, die – oh wunder! – viele der Mainstream-Studien zu Gewicht und Gesundheit kritisch beleuchten bzw. andere Studien vorstellen, die – oh wunder #2 – zu völlig anderen Ergebnissen kommen als die Mainstream-Medizin
3. weil ihr Themen / Punkte ansprecht, die nichts mit meinem Text zu tun haben.
Einen schönen Abend!
Magda
Liebe Magda,
Sehr schön auf den Punkt gebracht. Ich habe das Buch von Schorb echt mit großer Begeisterung gelesen. Was mich echt aus den Socken gehauen hat, war:
A) dass sie den BMI in Asien noch niedriger angesetzt haben, damit es auch dort ja genug ‚Übergewichtige‘ gibt.
B) wie bis heute die völlig falsche Berechnung zu den vermeintlichen Kosten fürs Gesundheitssystem kursieren.
C) Wie ‚Übergewicht‘ bei armen Menschen tatsächlich zustande kommt, nämlich durch eine erzwungene Diät weil wegen zu wenig Geld fürs Essen.
@Lea: Deine Überlegungen fußen auf einem Mangel an Reflexion und Recherche. Es gibt KEINERLEI empirisch evidente Hinweise, dass Bildungsmaßnahmen zu ‚gesunder Kost‘ tatsächlich irgend einen Nutzen bringen. Andererseits gibt es Studien die dingfeste Indizien bringen, dass grade das Fokussieren auf dicke Kinder mit extra ‚Ernährungsbildung‘ negative Effekte haben kann. Vor allem wird das Selbstwertgefühl der Kinder untergraben und sie werden unnötigem Stress ausgesetzt. Man sollte grade bei Kindern extrem vorsichtig mit gut gemeinten Aufklärungskampagnen sein. Intensive Anti-Rauch-Kampagnen haben bspw. schon zu höheren Quoten von rauchenden Kindern geführt, als bei Kampagnen-freien Kindern der Kontrollgruppe. Weiterhin sind auch Deine Prämissen falsch: es gibt keinen empirischen Zusammenhang zwischen der Menge die gegessen wird und dem Körpergewicht. Viele dicke Menschen essen nämlich weniger als schlanke Menschen. Bei Zigaretten, Drogen und ungeschützte Sex gibt es nicht nur standfeste Statistiken, sondern wir kennen auch die Zusammenhänge. Wir wissen, warum Zigaretten gefährlich sind. Wir wissen wie HIV etc. übertragen wird. Bei der Verdauung und dem Stoffwechsel ist die Forschung noch nicht so weit. Und die populären Darstellungen hinken in diesem Bereich der Forschung noch viel weiter hinterher. Es ist eben, wie Magda geschrieben hat: unterschiedliche Menschen vertragen unterschiedliche Nahrung unterschiedlich gut. Dafür gibt es eine Reihe von Faktoren. U.a. genetische Einflüsse. Warum fällt es in unserer Gesellschaft so leicht komplexes soziales Verhalten auf biologische Unterschiede zwischen Mann und Frau zurück zu führen, aber bei unserer Körperformen glauben so viele, dass sie vollkommen konstruierbar ist und nur die nötige Disziplin braucht? Das ergibt nicht den geringsten Sinn.
@Marta: mir ist Sellerie übrigens auch ein Graus, wie alle diese Gewächse, auch Fenchel. Überhaupt vertrage ich rohes Gemüse nur sehr schlecht, bekomme übel Durchfall davon, aber weil ich das deswegen nicht esse, schlägt mir regelmäßig solch ein Hass entgegen, das ist nicht feierlich. Es gab Leute, die mir unverhohlen gesagt habe, dass ich bald den Herztod erleiden werde, wenn ich weiterhin so wenig rohes Gemüse esse. Ist doch, im wahrsten Sinne des Wortes, scheiß egal, ob ich davon Durchfall bekomme! Das ist doch gesund!
Beste Grüße
Esther
Hallo Esther,
danke für deinen ausführlichen Kommentar, der ganz viele wichtige Punkte in Bezug auf Körpergewicht, BMI und Nahrung anspricht! Ich habe von Schorbs Buch auch einiges gelernt.
Ein Punkt fiel mir allerdings auf: Vielleicht verstehe ich dich falsch, aber du sprichst von „biologischen Unterschieden zwischen Mann und Frau“ – das ist auf einem feministischen Blog selbstredend kritikwürdig. Genauso wenig, wie es eine einheitliche, homogene Gruppe von dicken Menschen gibt, gibt es nicht „die Frauen“ und „die Männer“.
Gruß,
Magda
Hi,
ich (m) leide auch rel. häufig unter „fat shaming“ (Tipp: Nein, es ist nach dem 10, mal nicht mehr lustig mich zu fragen in welchen Monat ich bin -.-). Männer sind sicher nicht so sehr betroffen, aber die ständigen hinweise ala „Weniger essen und mehr Sport machen“ oder so sind auch für mich sehr unangenehm, zumal sie sich oft durch weite teile des alltags ziehen.
Meine verlobte, die evtl. noch ein wenig schwerer ist als ich, hat jedoch noch wesentlich mehr dadrunter zu leiden, und ich kann nichts dagegen machen -.-
Ich persönlich finde die aussagen von Udo Pollmer zu den „Studien“ zu dem Thema sehr interessant, der sehr deutlich erklärt, warum aus wissenschaftlicher sicht die meisten Studien zu den Thema absoluter schwachsinn sind, und das „Ernährungswissenschaftler“ offenbar eher in die Glaskugel schauen als wissenschaftlich zu arbeiten. Oft offenbar mit dem Ziel teure Diatprodukte verkaufen zu können.
@Esther: ich erkenne an, dass die Ansätze in der Prävention falsch sein mögen, und dass das Konstrukt Gesundheit sehr subjektiv ist. Ich frage mich aber die ganze Zeit, wie man denn zb mit Kindern diesbezüglich umgehen soll. Wenn ich ehrlich bin, wäre ich als Elternteil dann wahrscheinlich doch eher recht pragmatisch und würde mein Kind wahrscheinlich schon dahingehend beeinflussen wollen, dass es viel Obst und Gemüse isst. Ich halte die Beeinflussung durch die Industrie für sehr groß, dem möchte ich schon etwas entgegen setzen. Einfach nicht zu regulieren und zu sagen „trink so viel Cola wie du willst“ ist für much auch keine Lösung.
@ Jane
Ich habe in meiner Antwort auf Lea schon einiges dazu geschrieben, u.a. folgendes:
„Ich bin im übrigen sehr dafür, Kindern eine breite Palette an Lebensmitteln schmackhaft zu machen, gemeinsam zu kochen, neues kennenzulernen. Knüpfe ich das an (völlig aufgeladene) Vorstellungen von “Gesundsein”? Nö. Weil ich nicht damit einverstanden bin, was in dieser Gesellschaft als “gesund” und “ungesund” bezeichnet wird. Weil ich nicht daran glaube, dass es einerseits “gesund” und andererseits “ungesund” gibt.“
Und: Ich finde es schräg, dass hier oft über „Regulierung von Essen“ und die große Angst vor Coca Cola und Schokolade geschrieben wird, wenn es um Kinder geht. Ziemlich viele Mythen zu Gesunheit, Essen und Gewicht werden nämlich anhand von Kindern und ihren Leben verhandelt, so in die Richtung „… aber die armen Kinder! Rettet unsere Kinder (vor’m Dicksein und Kranksein!1!1!)“. Es wirkt fast so, als müsste mensch anhand von Kinderleben alle (konstruierten) Ängste ausleben, die es gesellschaftlich so gibt…
Ich denke aber folgendes: Menschen lernen erstens ihr Leben lang neue Nahrungsmittel kennen und zweitens kann mir einfach niemand erzählen, dass Kinder immer nach Cola und Schokolade schreien, wenn sie zu Hause eine breite Palette an unterschiedlichsten Nahrungsmitteln angeboten bekommen. Ich habe noch niiiiie ein Kind kennengelernt und war auch selbst keines, was sich ausschließlich von einigen wenigen Nahrungsmitteln ernährt hat. Ich weiß teilweise wirklich nicht, woher ihr eure Annahmen habt. Ich frage mich immer mehr, ob das nicht sehr krass auf fat-shamende und klassistische Darstellungen in den Medien zurückzuführen ist.
@Magda: darauf, dass Gesundheit als Konstrukt problematisch, bin ich ja auch eingegangen. Ich vertrete auch keine extreme Position in Bezug auf Essensregulierung, wie du mir hier ein bisschen unterstellst. Ich habe weder Angst vor der Cola-Mafia, noch bin ich selbst ernannte Kinderschützerin. Ich frage einfach nach einem pragmatischen Weg, und ich sehe mich nicht wirklich in der Lage, Kindern einfach nur Essen anzubieten, ohne das eine oder andere Lebensmittel zu bewerten. Das bedeutet nicht, dass ich gleich Leute verteufele, die Schokolade esse. Genauso wenig habe ich gesagt, dass ich mit Angst arbeiten will, um Kindern bestimmte Lebensmittel auszureden. Dass ich die Auswahl an Nahrungsmitteln, die meine (potenziellen) Kinder, Patienten, etc gar nicht beeinzuflussen habe, finde ich auch nicht richtig. Dass diese Annahmen ausschließlich auf „krass auf fat-shamende und klassistische Darstellungen“ zurückzuführen sind, finde ich ein bisschen sehr schwarz-weiß. Ich kann das sehr wohl kritisch sehen und möchte trotzdem auch auf zb Kinder einwirken können. Ich bin nicht der Meinung, dass sich Essverhalten immer von selbst reguliert, gerade weil es verzerrt dargestellt wird. Da finde ich einfach nur mehr Angebote machen nicht ausreichend, gerade weil es viele andere Stellen gibt, die Kindern auch „Angebote“ machen. Ich stimme dir sicher zu, dass die Zusammenhänge zwischen vermeintlich gesundem Essen udn körperlichem Befinden oftmals konstruiert sind, aber jede weitere Kritik in die andere Richtung ist nicht automatisch klassistisch oder fat-shamend.
funfact:
ich habe als kind und als teenager kein fleisch, keinen fisch, kein gemüse und nur wenig obst gegessen. dafür viel süßkram (schokolade und cola ftw. und chips). elterliche versuche, mich zu „gesünderer“ ernährung zu bewegen, riefen eher widerstand hervor.
ich bin trotzdem groß geworden+hatte+habe keine einzige „folge“ dieser „gesundheitsschädigenden“ ernährungsweise feststellen können (gesund ist ja auch so ein hinkonstruierter begriff). heute esse ich massenweise gemüse – weil ICH dazu lust habe.
entweder bin ich eine wandelnde unmöglichkeit oider dieses ganze gerede von armen kindern ist einfach quatsch.
danke @ magda für den instrumentalisierungsgedanken, find ich sehr erhellend+wichtig (->“als müsste mensch anhand von Kinderleben alle (konstruierten) Ängste ausleben, die es gesellschaftlich so gibt“).
Nach meiner Erfahrung ernähren sich Kinder ebenso wie andere Menschen phasenweise (!) durchaus sehr einseitig, selbst wenn sie andere Möglichkeiten haben. Aber: Wie man das bewertet, ob und unter welchen Bedingungen man das problematisiert, ob es dafür einer „Lösung“ bedarf und ob es eine geben kann, für wie beeinflussbar man das hält, sind meines Erachtens Themen/Fragen, die erstmal quasi nix mit Magdas Text zu tun haben.
Ich schließe mich Magdas Vermutung an, dass die meisten von uns dermaßen starke „Gutes Essverhalten/schlechtes Essverhalten, gute Körper/schlechte Körper, gesund/ungesund“-Glaubenssätze eingebimst bekommen haben, dass ganz schnell die großen „ABER“s aufploppen, wenn diese Überzeugungen in Frage gestellt werden. Und diese Abers wollen auf Teufel komm raus rationalisiert werden, weil wir natürlich pro body acceptance sind/sein möchten. Und das „animiert“ zu Derailing.
(Anmerkung vorweg: Ich habe vereinzelt unter anderen Usernamen und E-Mail-Adressen kommentiert, aber so selten, dass ich nicht mehr weiß, welche Namen und Adressen ich benutzt habe. Ich plane bei der jetzigen Kombination zu bleiben :-) )
Das, was mich an der Ernährungs- und Diätindustrie am meisten ankotzt, ist die Tatsache, dass man uns allmählich abtrainiert auf unsere Körper zu hören. Wenn ich Lust auf etwas Süßes oder Salziges habe, dann weil mein Körper das gerade braucht und nicht, weil ich zu blöd bin mich „richtig“ TM zu ernähren. Als ob ich nicht von klein auf damit konfrontiert werde, was ich angeblich alles falsch mache in der Ernährung. Was alles angeblich „gesund“ ist. Hier sehe ich auch einen gewissen Adultismus der besagt, dass ich (oder Kinder) zu unmündig bin auf meinen Körper zu hören und die „richtigen“ Entscheidungen zu treffen. Wer von den Gesundheitsaposteln würde denn ernsthaft sich das ganze Leben lang von Essen ernähren, dass ihm/ihr nicht schmeckt? Oder überhaupt nicht gut tut?
Vielen Dank Magda für den aufschlussreichen Artikel!
Ich stehe als dicke_fette Frau vor dem Problem, dass ich zwar erkenne, dass meine negative Einstellung gegen meinen Körper und mein Gewicht stark von einer von fat-shaming durchdrungenen Gesellschaft her rühren – aber das allein führt auch nicht dazu, meinen Körper mehr zu akzeptieren. So bin ich in dem Zwiespalt, dass ich zwar „vernunftmäßig“ body- und insbesndere fat-shaming ablehne, vom Gefühl her aber nicht in der Lage bin meinen fetten Körper zu lieben anstatt ihn als defizitär und höchstens geeignet für ein „Vorher-Foto“ zu erleben. Mich interessiert, wie andere dicke_fette Menschen damit umgehen. Ist es eine Voraussetzung das fat-shaming gegen die eigene Person abzustellen, bevor ich es an anderen kritisiere? Oder ist das fatshaming des eigenen Körpers nur ein Beweis mehr, dass es dringend nötig ist, dass sich gesellschaftlich etwas ändert?
hey anna,
internalisiertes (also verinnerlichtes) fat shaming zu verlernen ist wahrscheinlich fast immer ein prozess, für manche eine lebenslange aufgabe. ich glaub irgendwie nicht daran, dass mensch das einfach so abschalten kann und finde es auch komisch, dass einfach so von sich zu verlangen, weil dinge, die wir ein leben lange gelernt haben (wir seien weniger wert, unsere körper seien defizitär…) lassen sich ja nicht einfach mit einem schnipp beseitigen. ich persönlich finde es wichtig, dass mensch bei sich anfängt und schaut, wie viel eine_r selbst an bildern / ideen / vorstellungen verinnerlicht hat und wie mensch da vielleicht dran schrauben kann, perspektiven ändert, andere sehgewohnheiten entwickelt (im netz gibts z.B. viele tolle blogs/tumblr mit bildern von menschen jenseits der norm). ich lese auch viele bücher zum thema, lese blogs, tausche mich mit anderen dicken_fetten frauen_lesben_trans* aus.
@ anna:
Ich denke, es kommt sehr auf die ersten prägenden Erlebnisse an. Mir hat man als Kind die einfache Gleichung beigebracht dick = krank, unglücklich und dünn = gesund, glücklich. Was ich aber am häufigsten beobachten konnte ist, wie meine schlanken Klassenkameradinnen sich selbst fett und hässlich nannten, mir aber einreden wollten, dass ich doch gaaaar nicht fett bin, nein nein.* Zudem wurden sie andauernd krank, während ich noch nicht mal eine einzige Kinderkrankheit hatte. Das hat natürlich mit vielen anderen Faktoren zu tun, das weiß ich heute. Aber damals hat diese vereinfachte Gleichung schlicht und ergreifend nicht funktioniert. Soll also heißen, ich habe mich schon als Kind, zumindest was dieses Thema angeht, verarscht gefühlt. Zwar habe ich trotzdem meinen Anteil am Diätwahn abgekriegt, aber ich denke, die Erinnerung an das Sich-Verarscht-Fühlen hat mir dabei geholfen Frieden mit meinem Körper zu schließen und mich so zu mögen wie ich bin. Es ist wichtig sich klar zu machen, dass es bei diesem Schönheitsideal nicht um deine Gesundheit oder dein Wohlbefinden geht, sondern darum, dass du deine Unzufriedenheit mit Geld ausgeben kompensierst.**
Zudem hilft es, sich immer mehr Informationen darüber anzulesen. Ein guter Einstieg ist zum Beispiel das Buch „Esst endlich normal!“ von Udo Pollmer. Zwar schon etwas älter, aber da wird genau erklärt, wie diese „Adipositas-Epidemie“ durch Zahlenmanipulation und gefährlichem Halbwissen erzeugt wird. Dadurch wurde mein Sich-verarscht-fühlen wieder erweckt :-). Oder etwas aktueller: „Dick, doof und arm?“ von Friedrich Schorb. Wissen hilft!
* Dieses „Neiiiiin du bist nicht fett!“ hat ja auch noch eine ganz andere Bedeutung. Uns wird eingeredet, dass wir mit „dick/fett“ alles Schlechte assoziieren sollen. Wenn unsere Freundinnen uns dann sagen „Du bist nicht dick!“ dann meinen sie damit eigentlich „Nein du bist nicht schlecht!“ Sich selbst abzuwerten scheint unter Frauen leider ein gängiges Bonding-Ritual zu sein.
** Wahrscheinlich sind viele, die Diätprodukte vertreiben, sich nicht bewusst, was sie damit anrichten. Sie glauben fest daran, dass sie etwas Gutes tun. Und hinterfragen selten.
Dr. Frank aus Heidelberg ist ein starker Kämpfer gegen die Stigmatisierung von Kindern in Abnehmprogrammen mit so lustigen Namen wie „Moby Dick“. Er hat auch ein Buch geschrieben und nimmt sich mal Studien über Übergwicht vor mit erstaunlichem Resultat, den BMI zerpflückt er.
Ein Guter!
Auf http://www.lizenz-zum-essen.de/ gibt es ein paar Lesebeispiele. Auch seinen Briefverkehr mit Krankenkassen bezüglich der Abnehmprogramme.
Arnold Schwarzenegger war in seiner trainiertesten Phase gemäß BMI schwerst adipös, vermutlich hatte er kein Gramm Fett.
Ina
Allein nach dem Lesen seiner Seite überkam mich eine unheimliche Gelassenheit weil ich wusste dass es stimmt. Das ist zwar bestimmt 10 Jahre her aber es hält an. fast immer. Hab ja auch meine schwachen. Momente.
Ina (o;
Ich gestehe, ich habe mir nicht den kompletten Beitrag durchgelesen.Ich bin gerade auf dem Sprung und das hätte, leider, meine vorhandene Zeit gesprengt. Na gut, in Wirklichkeit habe ich Angst dass meine leckere Gorgonzola-Sahne Soße verbrennt und nun muss ich schnell wieder in die Küche hüpfen.
Eine Sache ist mir aber direkt im Kopf geblieben, nämlich diese Stelle hier:
“Ich glaube auch an folgendes: Dicke Menschen verdienen es, so zu essen, wie sie möchten – genau wie alle anderen. Ohne scheiße Kommentare, ohne nervige Blicke. Was für eine radikale Forderung!“
Dieser Satz oder diese Sätze sind einfach zauberhaft und sprechen wahrscheinlich so vielen Menschen aus der Seele. Ich persönlich habe wirklich große Probleme mit meiner Figur, durch schlechte prägende Erlebnisse in meiner Jugend wurden diese dann noch vertieft. Besonders Essen in der Öffentlichkeit ist so ein Thema. Eigentlich eine komische Sache, denn beim All-You-can-eat Asia Buffet kann ich reinhauen wie sonst was. Aber ansonsten? Hard Challenge.
Ich habe das Gefühl dass man böse angeschaut wird wenn man dick ist und ein Stück Kuchen, eine Pizza oder ähnliches isst. So nach dem Motto: “Oh mein Gott. Kein Wunder dass die so fett ist wenn sie dauernd nur isst/wenn sie dauernd sowas isst.“ Das Ding dabei ist aber, auch wenn man gesunde Sachen ist fühlt man sich schlecht. Ich zumindest, denn ich habe dann das Gefühl dass die Leute wiederrum denken “Wenn die so fett ist, dann isst die doch kaum gesunde Sachen/Gemüse etc, die spielt jetzt nur einen vor weil sie in der Öffentlichkeit ist“.
Egal ob man nun gesund isst oder sich eine leckere Pizza gönnt, es gibt immer Leute die einen mit bösen Blicken beschenken. Das macht mich einfach krank.
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Natürlich müsste ich auch selbstbewusster werden, aber das ist schwer wenn man nur negative Erfahrungen gemacht hat. Leute nicht mit einem befreundet sein wollen weil man dick ist. etc.
So. Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht so recht was ich mit meinem Beitrag sagen wollte, aber ich habe es getan. Egal was es war. ;)