Viel zu wenig Feminismus auf der Leipziger Buchmesse – dafür reichlich Nazis #lbm18

Ich war aufgeregt wie ein kleiner Pudel: Letztes Wochenende besuchte ich das erste Mal in meinem Leben die Leipziger Buchmesse. Ich durfte mein eigenes Buch mehrmals vorstellen, lernte andere Autor*innen kennen und traf einige beeindruckende Menschen, die im Literatur­betrieb tätig sind.

Ich muss gestehen, dass mich die Buchmesse komplett überforderte: Tausende von Menschen auf engsten Raum, Aussteller neben Aussteller, lange Schlangen zum Signieren und hunderte Lesungen am Tag, die zeitgleich im allgemeinen Wirr­warr und Stimmen­rauschen stattfanden. Da hinten klatschten und johlten die Leute, da vorne wurde jemand interviewt, und zwischen­drin schritten die bunten Manga-Leute umher, die die zuweilen etwas wichtig­tuerische Atmosphäre angenehm auflockerten.

Enttäuschend war, dass Rechte Stände und Veranstaltungs­räume bekamen und dass die Verantwortlichen der Buch­messe (linke) Kritiker*innen zur „Besonnenheit“ aufriefen. (Dabei hätte man die Aussteller mit dezidiert rassistischen, antisemitischen und hetero­sexistischen Inhalten auch besonnen ausladen können. Beim Transit-Magazin wird dazu übrigens die richtige Frage gestellt: „Warum ist es so schwierig geworden, ein entschlossenes, anti­faschistisches „Nein“ in der Öffent­lichkeit als legitim darzustellen?“)

Dank des für die Deutsche Bahn jedes Jahr überraschenden Ereignisses namens „Winter“ herrschte noch mehr Chaos: Autor*innen kamen nicht zu ihren Lesungen, Manga-Menschen saßen in voller Montur heulend im Zug auf dem Weg nach Leipzig, weil dieser sich stunden­lang keinen Zentimeter weiter bewegte. Der Schnee­matsch sorgte für Verspätungen und vierzehn Stunde nasse Füße am Tag, aber Bücherfans sind ja hartgesotten.

Ich machte mich also voller Tatendrang auf die Suche nach frisch erschienener Literatur, spannenden Lesungen und Diskussionen. Mit der Lupe suchen musste ich jene Veranstaltungen, die dezidiert linke, feministische Perspektiven hatten.

Einige tolle Veranstaltungen und Initiativen möchte ich euch nicht vorenthalten (mit keinem Anspruch auf Vollständigkeit):

Elif Kavadar und Mareike Hansen auf der Leipziger Buchmesse 2018
  • Die Literatur-Bloggerinnen Elif Kavadar (lost-in-written-words.blogspot.de) und Mareike Hansen (crowandkraken.de) überzeugten mit ihrem Vortrag zum Thema „Warum Buchblogs politischer werden müssen“ und plädierten für einen sensibleren Umgang mit literarischen Inhalten vonseiten der Autor*innen und Rezensent*innen sowohl für eine stärkere (selbst-)kritischere Auseinandersetzung mit der eigenen sozialen Position beim Schreiben.
  • Horst Selbiger, jüdischer Antifaschist, der dieses Jahr 90 geworden ist, las aus seinem gerade erschienenen Buch „Verfemt – Verfolgt – Verraten – Abriss meines Lebens“ vor.
  • Bei der sehr gut besuchten Diskussions­runde „Alles Anti­feminismus?“ wurde Antifeminismus als wichtiges Binde­glied rechter, christlich-fundamentalistischer und reaktionärer Bündnisse diskutiert. Mit dabei waren Kirsten Achtelik („Selbstbestimmte Norm“), Koschka Linkerhand („Feministisch Streiten“), Lea Schmid („Lookismus“), moderiert hat Lisa Mangold (Mitbegründerin von #verlagegegenrechts).
Kirsten Achtelik, Koschka Linkerhand, Lea Schmid und Lisa Mangold (Moderation) auf der Leipziger Buchmesse 2018
  • Mein Abschluss bildete die Diskussion #metoo als Chance? mit der Schrifststellerin und Dramaturgin Maja Das Gupta, der Politologin Anne Roth, der Journalistin Carolin Würfel und der Autorin Christine Lehmann, moderiert von der Film- und Fernsehdramaturgin und Autorin von Theaterstücken Tania Folaji. Diskutiert wurden Bewegungen gegen sexualisierte Gewalt in Deutschland, USA und Indien; warum Frauen in Romanen so oft sterben – meist, wenn sie Sex außerhalb der Hetero-Ehe haben – und ob die deutsche #metoo-Debatte nach US-amerikanischem Vorbild auch klarer Täter benennen sollte. Ein schöner Satz fiel gegen Ende – ich weiß leider nicht mehr, von welcher Diskutantin: „Das Ziel unserer Kämpfe sollte sein, dass überall auf der Welt eine Frau nachts allein in der Öffentlichkeit schlafen kann, ohne Gefahr zu laufen, belästigt zu werden.“
#metoo als Chance? Eine Diskussion mit (v.l.n.r.): Anne Roth, Carolin Würfel, Maja Das Gupta, Tania Folaji (Moderation) und Christine Lehmann auf der Leipziger Buchmesse 2018

Klar war es mir nicht möglich, bei allen coolen Veranstaltungen dabei zu sein, aber die Ausbeute an gesellschafts­kritischen Veranstaltungen war insgesamt überraschend mager (überraschend zumindest für mich, der Literaturbetrieb ist nicht mein Metier). Ohne das Bündnis #verlagegegenrechts, das allein über ein Dutzend Veranstaltungen auf die Beine stellte, hätte ich anstatt der Lupe wohl das Mikroskop rausholen müssen.

Oft lief ich an Lesungen oder Gesprächs­runden vorbei, die ausschließlich oder überwiegend aus weißen Männern bestanden, die sich auch gerne über Feminismus lustig machten – Denis Sch(r)eck, I’m looking at you! Die obligatorische Moderatorin gab’s natürlich schon, so als „Diversity“-Pünktchen; aber die Homogenität der Leipziger Buchmesse – Manga-Menschen ausgenommen – verdeutlichte, wem zugehört wird, wer als wichtig empfunden wird und somit eine Plattform bekommt – und wer nicht.

Ein Kommentar zu „Viel zu wenig Feminismus auf der Leipziger Buchmesse – dafür reichlich Nazis #lbm18

  1. Ja, es ist wirklich interessant, wer zur Besonnenheit aufgerufen wird und wer völlig ungestört Flagge zeigen darf. Ich wünschte, ich fände es auch erstaunlich.

    Danke für die vielen Lesetipps, seien es Blogs oder Bücher. Ich klicke mich durch.

    Liebe Grüße
    Sabrina

Kommentare sind geschlossen.

Betrieben von WordPress | Theme: Baskerville 2 von Anders Noren.

Nach oben ↑