Solidarität und Unterstützung – auch für „unperfekte Opfer“.

Triggerwarnung: Victim Blaiming (Schuldumkehrung), Gewalt gegen Frauen*, Gewalt innerhalb von (heterosexuellen) Paarbeziehungen.

Vorweg: Dieser Beitrag basiert auf eigenen Erfahrungen und Wissensständen. Ich will mir keinesfalls anmaßen, für alle zu sprechen – nur die Betroffenen selbst können entscheiden, was für sie in der jeweiligen Situation das Beste ist.

Vor einer halben Ewigkeit habe ich einen sehr wichtigen Blogbeitrag gelesen, der einiges in mir angestoßen hat. In dem konkreten Beitrag ging es um das Beispiel der Prostitution. Darum, dass Gewalt gegen Personen, die in diesem Bereich tätig sind, oftmals sehr unterschiedlich bewertet wird. Je nachdem, wie „selbstverschuldet“ sie sich in diese Lage gebracht zu haben scheinen. Sind sie Opfer von Menschenhandel geworden, gelten sie als „unschuldig“ und Hilfe ihnen gegenüber als moralische Pflicht. Haben sie sich jedoch scheinbar „freiwillig“ für die Sexarbeit entschieden (so freiwillig, wie Lohnarbeit eben sein kann), gilt ihr Lage als „selbst-“ oder zumindest „mitverschuldet“. Die Allgemeinheit fühlt sich in diesem Fall weniger dazu verpflichtet, den Schutz der Menschenrechte dieser Betroffenen durchzusetzen. Dies ist jedoch keineswegs der einzige Fall, in dem das künstlich erschaffene Bild des „perfekten/ verdienenden“ Opfers all jenen schadet, die ihm nicht entsprechen.

Ähnliches gilt auch für Personen, die sich entscheiden (vorerst) in Gewaltbeziehungen zu bleiben. Zu dem Zeitpunkt, an dem die Gewalt öffentlich gemacht wird, schlagen sich viele auf die Seite der Betroffenen. Sie versuchen, ihnen zu helfen. Vielleicht sogar sie zu „retten“. Nehmen die Betroffenen die Hilfe jedoch nicht (dauerhaft) an, macht sich bei den Helfenden zumeist Verständnislosigkeit, oft sogar Wut breit. Diese gilt ab einem gewissen Zeitpunkt häufig nicht mehr (nur) dem*der Täter*in, sondern immer stärker auch den Betroffenen. „Langsam kann ich ihr auch nicht mehr helfen“, oder: „Irgendwann ist sie auch selber Schuld“ sind Sätze, die in diesem Zusammenhang viel zu oft fallen.

Die Popsängerin Rihanna ist ein berühmtes Beispiel hierfür. Kurz nachdem ihr Freund Chris Brown sie Anfang 2009 brutal zusammengeschlagen hatte, tauchten in sämtlichen Medien Bilder von ihrem geschundenen Gesicht auf. Die Gewalt, die Chris Brown ihr angetan hatte, stieß eine öffentliche Diskussion zum Thema „häusliche“ Gewalt an. Bezeichnenderweise nahm seine Karriere dadurch trotzdem keinen dauerhaften Schaden. Inzwischen führen die beiden wieder eine Paarbeziehung. Dafür hagelt (RW=Redewendung) es sehr viel Kritik. Diese richtet sich merkwürdigerweise jedoch zum Großteil gegen Rihanna und nicht gegen Chris Brown.

In vielen Besprechungen zum Album mischt sich eine gute Portion Empörung: Rihanna sei ein schlechtes Vorbild für junge Mädchen und Frauen. Sie käme ihrer Verantwortung als Role-Model nicht nach, wurde Rihanna etwa vom US-Magazin „Billboard“ in einem offenen Brief getadelt, nachdem Chris Brown bereits im Frühjahr bei einer Remix-Version ihrer Single „Birthday Cake“ aufgetreten war. KünstlerkollegInnen zeigen sich „persönlich“ enttäuscht, Fans wenden sich ab unter der Klage, dass sie „jeglichen Respekt“ für Rihanna verloren hätten.

Rihanna, der die Gewalt angetan worden ist, ist nun also das schlechte Vorbild? Nicht etwa Chris Brown, der die Gewalt ausgeübt hat?! Dass die Verantwortung für die Gewalt von den meist männlichen Tätern auf die zumeist weiblichen* Betroffenen übertragen wird, ist kein Sonderfall. In unserem strukturell sexistischen System ist es die Regel. Und einer der Gründe dafür, weshalb „häusliche“ Gewalt für Frauen* in Europa zwischen 16-44 Jahren die häufigste Todes- und Verletzungsursache (PDF) ist. Und zwar noch vor Verkehrsunfällen und Krebs. Daran kann und wird sich nur etwas ändern, wenn sich auch die Sichtweise auf Gewalt gegen Frauen* verändert.

Solidarität darf nicht dort aufhören, wo die Betroffenen eigenmächtige Entscheidungen treffen. Auch wenn sie den Unterstützenden missfallen. Es gibt viele Gründe für Betroffene, (vorerst) in Gewaltbeziehungen zu bleiben. Oder dorthin zurückzukehren. Kein einziger davon muss den Unterstützenden logisch erscheinen. Oftmals spielen Abhängigkeitsverhältnisse eine große Rolle. Oftmals braucht der Entschluss, die Beziehung zu verlassen, Zeit. Vielleicht, um sich das Geschehene bewusst zu machen. Vielleicht, um Perspektiven für das Leben danach zu schaffen. Vielleicht auch nur, um Kraft zu sammeln. Wichtig ist, dass die Betroffenen trotzdem weiterhin auf Unterstützung zählen können. Dass sie weiterhin über die Gewalt reden können, ohne dafür sanktioniert zu werden. Dass ihnen weiterhin bewusst gehalten wird, dass die Schuld für die Gewalt nicht bei ihnen liegt. Und zwar unter keinen Umständen.

Die Täter*innen bleiben Täter*innen. Die Gewalt, die sie ausüben wird nicht weniger schlimm, je länger sie ertragen wird. Dass sie ertragen wird, entschuldigt oder verharmlost das gewalttätige Verhalten in keinster Weise.

Für Unterstützende ist es sicher schwer, mit anzusehen, wie einer Person (immer wieder) Gewalt angetan wird. Dass dadurch Ohnmachtsgefühle und auch Wut entstehen, ist verständlich. Allerdings sollte sich diese Wut immer und ausnahmslos gegen die Täter*innen richten. Alles andere führt nur dazu, dass die Betroffenen immer weiter isoliert werden. Das wiederum bildet den Nährboden für weitere, vielleicht sogar noch stärkere Gewalt. Wenn Betroffene sich auf Dauer aus Gewaltbeziehungen befreien wollen, müssen sie die Unterstützenden als Verbündete wahrnehmen können. Und nicht (so widersinnig es auch erscheinen mag) die Täter*innen.

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