Leonie Kapfer, 25, hat in Wien Ernährungswissenschaften studiert und arbeitet beim feministischen Monatsmagazin an.schläge als Redakteurin. Dabei recherchiert sie gerade für die nächste Ausgabe der an.schläge über die wundervolle Welt der Orgasmen und findet Feminist_innen sollten sich endlich wieder mehr mit dem Thema Sex auseinandersetzen. Für die an.schläge schrieb sie auch den Text: „Nur Konsens ist Sex„, den sie uns als Gastbeitrag zur Verfügung stellt.
Was ist eigentlich los mit dem heterosexuellen Geschlechtsverkehr? Wie kann es sein, dass Männer wie Strauss-Kahn, Assange und Kachelmann denken, sie hätten einvernehmlichen Sex, obwohl ihr Gegenüber das ganz anders sieht? Wer eine Antwort auf diese Frage will, muss sich genauer mit dem Konzept „Konsens“ beschäftigen.
Unsere heutige Idee von einvernehmlichem Sex beinhaltet einzig die Abwesenheit eines Neins. Wer nicht Nein sagt, meint Ja. Schweigen wird so ungewollt zur Zustimmung. In dieser Vorstellung existieren aber zahlreiche Grauzonen. Was tun, wenn ein/e SexualpartnerIn nicht in der Lage ist, ein Nein zu formulieren? Sei es, dass sie unter Drogeneinfluss steht oder andere Umstände eine verbale Kommunikation verhindern.
Was bloßes „Nein heißt Nein“ in der Praxis bedeutet, zeigt etwa ein erschütternder Fall in Paderborn. Dort hat ein 48-jähriger Mann über Jahre hinweg eine psychisch kranke Frau vergewaltigt. Der Richter sprach den Mann jedoch frei, da sein Opfer keinen Widerstand geleistet hatte.
So wichtig der Slogan „Nein heißt Nein“ auch war und ist – um wirklich konsensuellen Sex zu haben, bedarf es mehr. „Bevor ich wusste, was passiert, war er in mir. Kein Vorspiel, keine Warnung, kein Konsens. Es tat weh und weher, und es hörte auch nicht auf zu schmerzen, und selbst heute tut es noch weh, wenn ich daran denke, dass ich damals zu schüchtern und zu verstört war, um Nein zu sagen.“ So beschreibt US-Comedian Margaret Cho ihr erstes Mal. Ein Einzelfall ist diese Geschichte mit Sicherheit nicht. Grenzüberschreitungen dieser Art passieren immer wieder, und die Schuld wird letztlich den Frauen gegeben, denn sie hätten ja Nein sagen können. Unsere angebliche sexuelle Befreiung ist auf ein Nein zusammengeschrumpft.
Für Frauen meiner Generation ist aber nichts schwieriger, als zuzugeben, dass es mit dem Sex doch noch nicht so emanzipiert läuft, wie wir es uns wünschen. Zu tief sitzt „Sex and the City“-Samanthas Versprechen „Sex wie ein Mann haben zu können“. Auch wollen wir lieber „herumvögeln“ wie Helen Memel aus Charlotte Roches „Feuchtgebiete“, statt uns zu fragen, was da nicht stimmt. Aber wir können nicht ewig davonlaufen, denn das Patriarchat schlummert auch in unseren Betten und mit ihm totgehoffte Rollenbilder.
Andrea Roedig hat demnach vollkommen Recht, wenn sie in einem „Standard“-Artikel („Workout für die Klitoris“) fordert, Feministinnen sollten das Thema Sex zurück auf ihre Agenda holen. Denn von einer sexuellen Befreiung der Frau kann auch heute nur geträumt werden.
Fangen wir also beim Thema Konsens an. Was ich damit meine, ist wirklich einvernehmlicher Sex, bejahender Sex.
Unsere gängige Vorstellung von Sexualität als Penetration stößt sich jedoch mit dem Prinzip Konsens. Immer noch hinken wir der antiquierten Idee nach, Sex käme mit nur einem aktiven Part, dem männlichen, aus. Aktive Teilnahme der Frau ist für unser Verständnis von Sex nicht zwingend notwendig. Die Frau kann in Passivität verharren, ihre Zustimmung ist einzig die Abwesenheit eines Neins.
Wie absurd diese Vorstellung ist, wird durch einfache Vergleiche klar. Würden wir sagen, wir haben mit einer Person getanzt, wenn diese nur im Raum neben uns stand? Oder würden wir sagen, wir haben gemeinsam musiziert, wenn aber nur wir es waren, die ein Instrument gespielt haben? Wohl eher nicht. Sex muss also wie alle anderen gemeinschaftlichen Tätigkeiten auch als etwas verstanden werden, das aktive Teilnahme aller Involvierten verlangt. Sex ist nicht Penetration, sondern Zusammenspiel.
Und um das zu erreichen, sollten wir endlich eine Sprache für unsere Sexualität finden. Denn Konsens will erfragt werden. Nur wenn ich mein Gegenüber frage, ob es etwas ebenfalls will, kann ich ein Ja zur Antwort bekommen. Und nur ein Ja kann Konsens herstellen.
Nur Ja heißt Ja!
Meinen Einspruch zu formulieren, fällt mir schwer. Denn ich verstehe sehr wohl, dass es Situationen gibt, in denen ein „Nein“ auszusprechen schwierig, manchmal vielleicht sogar unmöglich ist. Dennoch glaube ich, dass es illusionär (und vielleicht sogar tragisch) ist, Sex als Ergebnis einer „Verhandlung“ zu begreifen. Das schließt so viel aus, was für mich mit Lust verbunden ist.
„Sex muss also wie alle anderen gemeinschaftlichen Tätigkeiten auch als etwas verstanden werden, das aktive Teilnahme aller Involvierten verlangt. Sex ist nicht Penetration, sondern Zusammenspiel.“ – Das ist e i n e Vorstellung von -(genussvollem) Sex. Manche (z.B ich) erleben vielleicht Passivität als lustvoll.
„Und um das zu erreichen, sollten wir endlich eine Sprache für unsere Sexualität finden. Denn Konsens will erfragt werden. Nur wenn ich mein Gegenüber frage, ob es etwas ebenfalls will, kann ich ein Ja zur Antwort bekommen. Und nur ein Ja kann Konsens herstellen.“ – Sicher ist es wichtig, über Sex reden zu k ö n n e n. Aber tatsächlich kann ein sehr wertvoller Bestandteil der Sexualität einiger Menschen (auch von Frauen) Spontanität sein, gerade der Kontrollverlust, der eine „Verhandlung“ ausschließt.
Ich finde es viel wichtiger, Frauen (und Männer) dazu zu befähigen, dass sie jederzeit „Nein“ sagen können, als bestimmte Vorstellungen durchsetzen zu wollen, wie lustvoller und emanzipierter Sex auszusehen hat.
Als unglaublich befreiend und schön habe ich die Lektüre von „Jane sexes it up“ empfunden, ein Buch, in dem Feministinnen von ihrer Sexualität erzählen, ohne einem bestimmten „Bild“ von „befreiter Sexualität“ entsprechen zu müssen.
http://gleisbauarbeiten.blogspot.com/2011/03/smart-ass-take-no-shit-anarcha-orgasmic.html
Das schlimme ist doch das das Konsensprinzip „Ja heißt Ja“ doch schon gesetzlich verankert ist. Jeder Vertrag basiert ausschließlich darauf. Es ist eine Schande das dieses Prinzip nicht generell angewandt wird.
@Melusine (ist es ok, „dich“ so abzukürzen oder möchtest du anders angesprochen werden?):
Deine Hinweise/Einwände finde ich sehr interessant. Ich habe allerdings den Eindruck, die Aussage des o.g. Textes widerspricht deinen Auffassungen gar nicht so sehr: Die Klarstellung dessen, was du in sexueller Hinsicht als erfüllend und wünschenswert empfindest, IST doch genau die „aktive Teilnahme“, um die es bei der Konsensherstellung geht, oder? Wenn du also beim eigentlichen „Akt“ passiv und unkontrolliert agieren möchtest (hm, „passiv agieren“, hat meine Formulierung Sinn? :-) ), widerspricht das ja nicht der Grundvoraussetzung, dass du bestimmte Vorlieben und Wünsche und eventuell auch Grenzen hast, die es zu respektieren gilt, und die du in irgendeiner Weise an irgendeinem Punkt der Begegnung mit deine_r_m Partner_in_ne_n klargemacht hast, oder? Ich verstehe diesen Text nicht so sehr als den Versuch, „bestimmte Vorstellungen durchsetzen zu wollen, wie lustvoller und emanzipierter Sex auszusehen hat“ und auch nicht als Forderung, ausschließlich WÄHREND des Sex alles mögliche zu besprechen und auszuhandeln, sondern eher als Plädoyer für die Umsetzung des eigenen Rechts auf Mitgestaltung einer sexuellen Beziehung (sei sie langfristig, spontan, flüchtig…) – aber das heißt natürlich nicht, dass du das genauso sehen musst. Und es stimmt sicher, dass die starke Betonung des Verbalen im Konsens-Konzept auch problematische Aspekte mit sich bringen kann.
@Nandoo: Ich bin mir nicht sicher, ob ich deinen Kommentar richtig verstehe, könntest du bitte noch ein wenig erläutern, was du meinst? Danke!
@Anna-Sarah Entscheidend ist doch die Aussage: Ja heißt ja. Wenn das nicht ausgesprochen wird, können Missverständnisse nicht ausgeschlossen werden. Daher glaube ich tatsächlich, dass diese nur auszuschließen sind, wenn man entweder immer eine „Verhandlung“ voraussetzt (also: Fragen stellen) oder wenn beide „Nein“ sagen können. Und darum geht es mir: Dass man die Schuld für das Missverständnis nicht allein dem-/derjenigen zuschreiben kann, die nicht erkannt hat, was gemeint war.
Ich will das mal an einem geschlechterrollenstereotyp umkehrten Beispiel illustrieren: Männer, sagt das Klischee, können häufig ihre Gefühle nicht recht ausdrücken. Meiner Erfahrung nach ist an dem Klischee was dran. Jahrelang habe ich versucht, die unausgesprochenen Gefühle (die Wut, den Schmerz, die Angst) von Männern zu verstehen, zu antizipieren, auf sie zu reagieren. Manchmal habe ich vielleicht richtig erfühlt, was der andere meint. Manchmal nicht. Es hat mich jedenfalls viel Kraft gekostet, dem anderen abzunehmen, selbst zu sagen, was er (nicht) will. Inzwischen denke ich: Du kannst mich. Wenn du nicht sagst, was du willst, gehe ich davon aus, das dir recht ist, was ich entscheide. Ich erforsche dein Inneres nicht mehr. Tut mir ganz gut, ehrlich gesagt.
Ich weiß, dass die Sexualität ein heikleres Thema ist, als die oben geschilderte Situation weiblich-männlicher Sprachlosigkeit. Aber ich finde schon, Frauen sollten daran arbeiten, Nein zu sagen, wann immer ihnen danach ist. So wie Männer daran arbeiten sollten, ihre Gefühle auszudrücken, wenn sie möchten, dass sie berücksichtig werden. Statt beim Anderen/der Anderen Intuition vorauszusetzen (und deren Fehlen als „Schuld“ zuzuschreiben).
Es geht mir genau um das, was du schreibst: „die Umsetzung des eigenen Rechts“. Das kann aber nicht der Andere umsetzen. Wer Ja sagen will, soll Ja sagen. Und wer Nein sagen will, Nein.
Mein erstes Mal war auch nicht besonders schön. Wir hatten beide keine Ahnung. Es gab einen (unausgesprochenen) Konsens. Ich habe jederzeit (und auch seither immer)“Nein“ sagen können. Konnte Miss Cho das nicht? Und warum nicht? Darum geht es doch, finde ich. Stattdessen klingt das hier so, als sei es die Verantwortung des Partners, ob sie es kann oder nicht (ich nehme sie als Beispiel, weil es im Text vorgegeben ist).
Daher denke ich auch, Feministinnen tun sich keinen Gefallen, wenn sie alle Fälle von sexuellen Konflikten und jede missglückte heterosexuelle Begegnung als Vorstufe zur Vergewaltigung oder als solche begreifen. Es ist vielschichtiger – und schwieriger, weil wir (also Frauen) auch selbstkritisch mit unserem eigenen Umgang mit Sexualität umgehen müssen: zum Beispiel die Gründe ehrlich analysieren, die einige daran hindern „Nein“ zu sagen. Die liegen doch nicht immer beim konkreten Partner, sondern vielmehr in der eigenen Sozialisation.
@Melusine Barby aka J.S.Piveckova
„Dass man die Schuld für das Missverständnis nicht allein dem-/derjenigen zuschreiben kann, die nicht erkannt hat, was gemeint war.“
doch. denn er/ sie hätte fragen können. das ist dann nicht mein problem, wenn er/ sie dafür angezeigt wird. ganz einfach.
und eine ehrliche analyse kann ich dir auch liefern: wenn ich ausgeraubt werde frage ich mich hinterher bestimmt nicht, warum ich mich nicht gewehrt habe und deutlich „nein“ gesagt habe und auch sonst keiner fragt mich, denn es ist für jeden sofort klar.
wieso reagierst du bei diesem thema so komisch? das ist wie wenn du fordern würdest, dass menschen eben lernen müssten, sich deutlich mitzuteilen, um dann in situationen, wo jemand sie unabsichtlich bedroht und ihr geld fordert, klar sagen zu können, dass sie das nicht wollen.
@Melusine (da kein Einspruch kam, bleibe ich einfach mal dabei :-) ):
Ich finde diese Diskussion – also, gerade die mit dir hier, aber auch generell um die Frage „Was genau ist eigentlich Konsens, und wie lässt er sich herstellen?“ – extrem spannend. Und ich gehe mit vielem konform, was du schreibst. Kurz vorweg allerdings: Deine Formulierung
erzeugt in mir massives Unbehagen, denn für mich schwingt da der von dir sicherlich nicht beabsichtigte Vowurf der angeblichen „Sexfeindlichkeit“ und „hysterischen Übertreibung“ mit, der „den Feministinnen“ ja seit altersher gemacht wird. Auch passt diese Aussage wenig zu den Erfahrungen, die ich in meinem feministischen Umfeld bisher gemacht habe; da gibt es durchaus deutliche Unterscheidungen zwischen (aus welchen Gründen auch immer) „schlechtem Sex“ und sexualisierter Übergriffigkeit und Gewalt.
Das finde ich absolut richtig. Und ich finde es genauso wichtig, dieselbe „Forderung“ in Bezug aufs Ja-Sagen zu formulieren – zu was will und kann ich in sexueller Hinsicht (nicht) ja sagen, und warum (nicht)?
Leider funktioniert das ja nicht immer so einfach. Und es ist hier wirklich wichtig, gedanklich und sprachlich achtsam vorzugehen, damit mensch nicht ruckzuck beim Victim Blaming landet.
Ich verstehe das Konsenskonzept gerade so, dass es sich eben auch Fragen von Sozialisation, aber auch Macht, zuwendet und hier wirksam wird. In diesem Sinne verstehe ich auch die Betonung der Bedeutung der „aktiven Teilnahme aller Involvierten“ und des Findens einer „Sprache für unsere Sexualität“. Dazu gehört auch das Aufbrechen bestimmter Vorstellung von „weiblicher“ und „männlicher“ Sexualität und von „weiblichem“ und „männlichen“ Verhalten.
Argh. Nein! Männer* müssen lernen, zu fragen, ob ihr_e Partner_in_nen mit dem einverstanden sind, was passiert. Das ist keine Verhandlung, da reichen 5-10 Sekunden für aus.
@Name (notwendig): VOLLE Zustimmung! Nur ist es dann eben auch wichtig, dass eine klare, authentische Antwort gegeben werden kann. Wenn ich gefragt werde und ja sage, hat (z.B.) der Mann* „formal“ und vermeintlich sichergestellt, dass Konsens vorliegt (wohlgemerkt: Ich gehe jetzt von einer Situation aus, in der ein wirkliches Interesse an und der Wunsch nach der Herstellung von Konsens besteht!). Dass dieses „Ja“ aber auch wirklich aus vollstem Herzen – oder sonst wo her, wo es sich gut anfühlt – kommt, ist damit noch nicht automatisch geklärt. In diesem Sinne verstehe ich manche Einwände von @Melusine bisher.
@anna-sarah
ernsthaft: wo kann ich das nachlesen, diese situation, dass jemand gefragt hat, ein ja bekam und das ja aber nicht aus vollem herzen kam?
Ich weiß, wie schwierig das Thema ist. Und auch, wie persönlich das ist.
Deshalb antworte ich auch mal ganz persönlich.
Mich hat noch nie jemand gefragt, ob ich penetriert werden möchte. Aber es hat mich auch noch nie jemand penetriert, wenn ich es nicht wollte. Das ist auch Glück, aber es liegt auch daran, dass ich „Nein“ sagen kann ohne das geringste Zögern (das ist auch kein Verdienst!).
Im Freundinnenkreis haben wir hierüber schon öfter sehr heftig gestritten. Ich habe einige Freundinnen, die Sex „hinnehmen“, weil sie glauben, dass sie es dem Mann schuldig sind oder waren (aus ganz verschiedenen Gründen). Sie schildern Szenen, die ich nicht konsensual finde, sondern extrem abstoßend und belastend. Wieso lasst ihr das mit euch machen, frage ich dann. Denn ich kann nicht erkennen, dass das Missverständnis dem Mann (allein) anzulasten ist. Sie selbst glauben oder haben geglaubt, das „stünde ihm zu“. Wie kommt das?
@Anna-Sarah:
Es geht darum das bei Verträgen die Zustimmung gefordert ist. Wenn nicht beide Verhandlungsparteien zB bei einem Hauskauf nicht explizit „Ja!“ sagen, dann ist es auch kein „Ja!“ und gar nix passiert, genauso bei der Ehe die nicht zustande kommen kann wenn nicht beide einwilligen. Rechtsgültigkeit kann nur durch Bestätigung entstehen. Im ganzen Rechtswesen. Wie kann es möglich sein das gerade bei Vergewaltigungen vor Gericht von einem „stillschweigenden Ja“ ausgegangen wird weil kein aktives Nein kam? Bei genauerer Betrachtung ist eine solche Auslegung des Gerichts vollkommen unlogisch und widerspricht jeder anderen Praxis. Sogar schon altrömisches Recht verlangte unter „Freien“ immer das „Ja!“.
Oh Mann. Melusine, fühle dich bitte nicht angegriffen, aber langsam fängt es an zu nerven, dass unter jedem Text, der sich mit sexuellem Konsens und „Ja heißt Ja“ befasst, als erstes mal jemand beklagt, dass mit den nötigen „Verhandlungen“ ja jede Erotik / Überraschung / Stimmung getötet wurde.
Lieber Himmel, es geht doch nicht darum, dass man erstmal Hagebuttentee kocht und anschließend mit Zeigetafeln erklärt was man machen will und ob das OK ist. Vorlegen des letzten Tests auf Geschlechtskrankheiten eingeschlossen.
Was zur Hölle ist so schlimm an einer Frage wie: „Findest du das schön?“ oder auch an der Ansage „Ich möchte xy machen“? Eine Frau, die so tickt wie du – und das dürften nicht wenige sein – könnte auch sagen „Mach mal“.
Klar müssen wir sicherstellen, dass sich alle in der Lage fühlen Nein zu sagen. Und klar müssen noch ein paar gesellschaftliche Sanktionen, für Frauen, die ausdrücklich ja sagen, abgebaut werden.
Aber statt die nötigen Verhandlungen zu beklagen, könnte man sich ja mal Gedanken machen, wie man diese möglichst „interessant“ gestaltet.
@alex: Hier zum Beispiel: Es geht zwar keine_n was an und ich bin im Übrigen auch nicht der Auffassung, dass nur das gilt, was irgendwo nachgelesen werden kann, aber ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, noch nie zu etwas „ja“ gesagt zu haben, weil ich in erster Linie dem Partner eine Freude machen wollte, auch wenn ich eigentlich in dem Moment lieber etwas anderes getan hätte als die vorgeschlagene „Aktivität“/“Praktik“. Ob und in wiefern das problematisch ist: Darüber sage ich damit erstmal ausdrücklich nichts aus.
@Nandoo: Ah, danke, dann hatte ich dich richtig verstanden. Ich frage mich jetzt nur, in wiefern die Situationen „sexuelle Begegnung“ und „Vertragsabschluss“ faktisch/ethisch/juristisch vergleichbar sind? Nur ein Beispiel, warum ich diese Ebenen, die du ansprichst, noch nicht ganz zusammen kriege: Ich kann ja z.B. einen einmal unterschriebenen Vertrag zur Eheschließung oder zum Hauskauf nicht ohne Weiteres auflösen (oder nur unter bestimmten, oftmals sanktionsbewehrten Bedingungen), aber beim Sex hat doch keine der beteiligten Parteien ein Anrecht auf „Ausführung“ der verabredeten Aktivitäten (wohl aber auf Achtung der eigenen Integrität natürlich) – ich kann es mir doch z.B. währenddessen anders überlegen und mein Einverständnis zu einer bestimmten Aktivität zurückziehen?
@Anna-Sarah (14:23)
In einer idealen Welt können sich tatsächlich alle Beteiligten jederzeit alles anders überlegen. Aber hast du schonmal den Spruch „Erst heißmachen und dann rumzicken“ gehört?
Im Zuge der Assange-Geschichte gabs auch einen Haufen Artikel, die meinten nach dem ersten Ja wäre man bzw. frau „along for the ride“.
@Neeva: Ich habe von der juristischen Dimension gesprochen. (Auch wenn das natürlich kein kackscheißefreier Raum ist.) Mir ist nicht ganz klar, wie @Nandoo im o.g. Kommentar die angesprochenen Ebenen in Beziehung zueinander setzt, daher die Nachfrage. Ich verstehe deinen Einwand ehrlich gesagt nicht genau: Anhand deiner Beispiele verstehe ich dich so, dass du genauso wie ich Konsens für unabdingbar hältst.
@ Neeva und zur allgemeinen Diskussion
Ich weiß schon was Du meinst, und diese Debatten schlittern tatsächlich immer über sehr dünnes Eis, aber trotzdem – vielleicht auch gerade deshalb – finde ich Aspekte wie die von Melusine angesprochenen wichtig und auch für mich persönlich sehr spannend. Insbesondere die Fragen, die sich in diesen vielen vielen Grauzonen von „Konsens“, „freiem Willen“ und „sexueller Kommunikation“ abspielen, sind ja auch die, die das Thema „für alle gleich spaßiger Sex“ manchmal so schwierig machen und wo es eben nicht immer so einfach ist, die Grenzen zu definieren zwischen „klarem Ja/Nein“ bzw. klar erkennbarem Ja/Nein etc. (Letzeres ist bitte als persönliche Reflektion zu verstehen und nicht als Entschuldigung für angebliche Missverständnisse zum Erzwingen von nicht-konsensualen Dingen). Aber genau das ist ja wirklich nicht immer so einfach, also schon die eigene Definition dessen, was Konsens ist (vgl. z.B. Anna-Sarahs letzten Kommentar, in dem ich mich auch gut wiederfinde): Es gibt durchaus Situationen, in denen ich mich zwar unwohl gefühlt habe, aber dennoch mich „konsenssignalisierend“ verhalten habe, die ich eindeutig abgrenzen würde von anderen erlebten Situationen in denen tatsächlich Gewalt/Zwang im Spiel war. Grauzonen eben. Und die Frage, wie hier Verantwortung verteilt ist, wie man selbst sich dazu verhält und was man selbst damit beiträgt zur Perpetuierung „sexueller Missverständnisse/verhaltenssteuernder Klischees“ u.ä., das alles find ich in diesem Zusammenhang eben genauso spannend, wie ich die Feststellung wichtig finde, dass Konsens Voraussetzung für Sex ist.
Und ich denke schon auch, dass es möglich ist, eine passive, vielleicht auch unterwürfige Rolle einzunehmen und gleichzeitig eindeutig Konsens zu signalisieren, ohne dafür erstmal „stimmungsruinierende“ Diskussionen zu führen. Es gibt ja durchaus auch noch andere Kommunikationsformen als das gesprochene Wort, zumal in diesem Zusammenhang… Abgesehen davon: Und wenn sich trotzdem noch eine_r unsicher ist, ob dem/der anderen das was man da grad tut gefällt, tja, dann MUSS eben doch gefragt und danach weitergemacht werden. Und wenn das in Zeiten allgemeiner Verunsicherung in Sachen Sex und Konsens ein paar mal zu oft passiert und dann mal eben für ne Minute die Stimmung etwas abflaut, dann ist mir das immer noch sehr viel lieber, als wenns einmal zu wenig passiert. Ich habe das durchaus auch schon des Öfteren erlebt, dass mal zwischendurch gefragt wurde, ob das denn jetzt alles ok so ist und auch wenns mich überrascht hat (weil ich dachte, mich eigentlich recht eindeutig diesbezüglich verhalten zu haben), fand ich persönlich es auf jeden Fall nie irgendwie stimmungskillend. Im Gespräch hat mir dann ein Mann mal gesagt, dass er eben nicht mehr auf reine körperliche/gestische/mimische Konsenssignale vertraut, eben weil er schon des Öfteren das Gefühl hatte, dass die Frau das nur ihm zuliebe macht und ihr das nicht wirklich gefällt und dann fragt er eben lieber mal ausdrücklich nach und nimmt den kleinen Break dann eben in Kauf. Fand ich persönlich total akzeptabel und über der allgemeinen Qualität des Ganzen hats auch keinen Abbruch getan. :)
Die Forderung nach einem finalen Nötigungsmittel erwächst aus einem ganz banalen Grund: Rechtssicherheit aufgrund von Beweisproblematiken.
Auch wenn das jetzt wohl von der bisherigen Diskussion eher wegführt und mehr so in den Bereich „persönliche Vorlieben“ fällt: Zu dem, was Betti gegen Ende hin schreibt, möchte ich noch hinzufügen, dass Konsens einholen/herstellen nicht nur nicht unbedingt stören muss, sondern im Gegenteil extrem stimmungsfördernd wirken kann – und das nicht nur, weil es vertrauens- und damit hingabefördernd wirken kann, wenn ich mich sicher fühle und meine Grenzen gewahrt weiß. Sicher ist es auch Geschmacks- und nicht zuletzt Übungssache, ob und wie Menschen ihr sexuelles Tun kommentieren und verbalisieren. Aber es kann auch einfach mal total heiß sein, sich gegenseitig zu sagen, was man miteinander tun möchte. Und kann eine gute Übung sein, eigenes Begehren in Worte zu fassen. Was wiederum die Möglichkeiten stärken kann, bewusst und unmissverständlich sowohl „ja“ als auch „nein“ sagen zu können.
Danke Leonie für den Text.
Warum müssen Nachfragen immer gleich als Stimmungstöter gewesen werden? Gehört „dirty talk“ inzwischen nicht sogar fast zum gängigen Repertoire im Bett? Wenn das ein bisschen abgewandelt wird, schon wird es zu erotischen Konsensfragen und macht die Stimmung nicht kaputt.
Dann: Ein Paar, das schon länger zusammen ist, kennt sich. Da weiß jede_r wie der/die andere reagiert. Dass da nicht jedes Mal für jede Handlung explizit nachgefragt werden muss, ist, denke ich, irgendwann logisch.
Was jetzt also anfänglichen Sex, das erste Mal zwischen zwei (oder mehr) Menschen angeht: Wenn eine_r nicht gefragt werden möchte, sich aber sicher fühlt, „Nein“ sagen zu können, dann kann das doch auch kommuniziert werden. Der/die Partner_in weiß Bescheid, alles super.
Und letztlich: Wenn wir die möglichen Folgen abwägen …. Ich bin da eindeutig fürs Nummer-Sicher-Prinzip: Lieber einmal zu viel nachgefragt, als Sex mit eine_r gehabt zu haben, der/die das eigentlich nicht wollte.
Um es krass auszudrücken: Entscheide ich mich dafür, es zu riskieren im schlimmsten Fall als „der/die beim Sex einfach nicht aufhören konnte zu reden, wie nervig!“ bezeichnet zu werden oder als „der/die mich vergewaltigt hat“?
@Justitia: Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, was du damit meinst, also vor allem mit dem Satzteil bis zum Doppelpunkt. Kannst du das bitte erklären? Danke!
@Anna-Sarah
Hätte ich vielleicht klarer formulieren sollen. Ich wollte zum Ausdruck bringen, dass das mit dem sich jederzeit anders überlegen können ziemlich weitverbreitet nicht so gesehen wird. Sondern eher davon ausgegangen wird, dass wenn A mitgemacht wurde B zu folgen hat.
Also z.B. manche glauben, nach dreimal zum Essen eingeladen werden, dürfen sie sich nicht mehr „zieren“. Oder dass Nein keine Option mehr ist, wenn sie schon nackt und im Bett sind und schon gar nicht „mittendrin“.
Ich selber sehe das inzwischen anders, aber auch erst nachdem ich mich ein wenig mit dem Thema beschäftigt hatte.
Vergewaltigung ist definiert als Nötigung zum Beischlaf: eine Person penetriert eine andere gegen ihren Willen unter Anwendung von Gewalt […] (Kurzfassung). Wenn man jetzt das „Anwendung von Gewalt“ wegließe, dann wird alleine auf den Willen abgestellt. Das schafft massive Beweisproblematiken, die über solche, die es bereits jetzt schon gibt, weit hinausgehen. Aus verfassungsrechtlichen Erwägungen heraus, Rechtssicherheit, muss eben ein qualifiziertes Nötigungsmittel vorliegen, damit man von einer Vergewaltigung sprechen kann.
GEGEN DIE STRAFFREIHEIT VON VERGEWALTIGUNGEN
Das im Artikel angesprochene „Nein“ reicht in unserer Rechtssprechung noch nicht mal, damit etwas als Vergewaltigung gilt.
Neben dem hier diskutierten hegemonialen Sexverständnissen (die auch von Frauen reproduziert werden) gibt es ein kulturell tief verwurzeltes Verständnis vom Zugriffsrecht auf den weiblichen Körper, das sich auch in unserem Rechtssystem wiederspiegelt. Bis vor wenigen Jahren wurde bei Vergewaltigungen von behinderten Menschen (v.a. Frauen) gesetzlich ein geringeres Strafmaß angesetzt als bei nichtbehinderten, weil der Täter bei widerstandsunfähigen Opfern weniger kriminelle Energie aufbringen muss (!). Weiterhin gilt, dass Frauen beweisen müssen, dass sie Widerstand geleistet haben, ein einfaches Nein reicht nicht aus. Im Prozess wird meines Wissens nach nur die Glaubwürdigkeit des mutmaßlichen Opfers geprüft, nicht aber die des mutmaßlichen Täters. Und in der Rechtssprechung gibt es immer wieder Richter, die ihren Ermessensspielraum zugunsten des Täters einsetzen.
Fazit: die Justiz ist täterzentriert/täterfreundlich. In Zahlen drückt sich das so aus: in den Jahren 2001-2007 wurden in D pro Jahr durchschnittlich 8000 Vergewaltigungen angezeigt, bei durchschnittlich jeweils 1400 kam es zum Prozess, davon kam bei 182 zu einer Verurteilung (Studie der Londoner Metropolitan University, die für den Zeitraum die Strafstatistiken mehrerer europäischer Länder untersuchten). Also knapp 2,3% aller angezeigten Vergewaltigungen endet mit einer Verurteilung des Täters. Die Dunkelziffer der nicht angezeigten Vergewaltigungen ist allerdings um ein Vielfaches höher, nämlich etwa 10 bis 20 x so hoch, so dass die Verurteilung der Täter im Promillebereich liegt.
In Artikel 1 des Grundgesetzes verpflichtet sich der deutsche Staat, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen. Körperliche Unversehrtheit und sexuelle Selbstbestimmung gehören zu dieser Würde. Die Tatsachen zeigen, dass der deutsche Staat seinem Anspruch bei weitem nicht gerecht wird.
Ich suche Mitstreiterinnen, die in dieser Hinsicht politischen Druck ausüben wollen (falls es bereits Gruppen gibt, die diesbezüglich aktiv sind, würde ich mich über Hinweise freuen).
Mir schwebt vor, zunächst mal das Wissen über Vergewaltigungen zu bündeln. Also besagte Statistiken, vor allem aber auch Alternativen zu den bisher täterfreundlichen Gesetzen und Prozessbestimmungen. Manche Dinge, wie anonyme Untersuchung nach der Vergewaltigung und spätere Anzeige sind in wenigen Städten ja bereits möglich. Dieses Wissen auf einer Homepage zu veröffentlichen, und dann mit verschiedenen Mitteln politisch Druck auszuüben, so z.B. mit ePetitionen, InnenministerInnen auf Ihre Verpflichtung zu oben genanntem Schutz zur Rede stellen, eventuell auch Anwesenheit bei Vergewaltigungsprozessen (was hier sinnvoll ist könnte mit erfahrenen Frauen aus entsprechenden Projekten besprochen werden und hängt außerdem davon ab, wieviele Leute mitmachen).
Dies ist erstmal die ungefähre Idee. Wer sich engagieren möchte, melde sich bitte unter gegen.straffreiheit@googlemail.com
Angesiedelt bin ich im Rhein-Main-Gebiet, eine bundesweite Vernetzung wäre aber wahrscheinlich auch möglich und sinnvoll. Juristische und IT-Expertise willkommen ;)
@Neeva: Genau solche Auffassungen, wie du sie beschreibst, sind für mich ein deutlicher Marker dafür, wie unverankert das Konsensprinzip leider nach wie vor in der „allgemeinen Vorstellung“ so ist. Ich finde es extrem wichtig, auch während des Sex (wo/wie auch immer mensch dessen Anfang und Ende sieht) Konsens herzustellen bzw. sich über dessen Vorliegen in welcher Form auch immer rückzuversichern.
Es ist ja auch nicht immer ein Alles-oder-nichts – manchmal möchte ich vielleicht weder eindeutig „ja“ noch „nein“ sagen, sondern eher „ja, aber…“. Und dazu bedarf es auch des Einübens einer Sprache, eines Signalsystems, die bzw. das ich benutzen mag und die mein_e Partner_in_nen verstehen und akzeptieren (auch hier der Klarheit halber der Hinweis: ich rede von Beziehungen, in denen alle Konsens wollen und wichtig finden). Ich habe ja weiter oben aus meiner persönlichen Erfahrung berichtet. Ein weiteres Beispiel daraus sind Situationen, in denen ich nicht wollte, dass mein Partner mit etwas, das ich zunächst grundsätzlich auch gewollt hatte, ganz aufhört, sondern ich wollte, dass er weiter macht, aber anders – aus Gründen hatte ich aber Hemmungen, dieses „anders“ zu verbalisieren, also ganz konkret zu sagen „Tu bitte ein bisschen mehr/weniger dies und jenes“ bzw. „Möchtest du dies und jenes mit mir tun?“.
@Anna-Sarah:
Der Vergleich gilt natürlich nur für die Ausgangslage, nicht für die Folgen oder Möglichkeiten des „Rücktritts“ daraus die ja auch immer anders sind und die andersartige Bewertung dieser Ausgangslage durch Gerichte.
Wenn du das auf jeden Aspekt ausdehnst funktionierts natürlich nicht mehr, denn dann ist das einzig mit Sex vergleichbare auch Sex, und dann wirds sinnlos.
@ all
Ich hätte mal eine Frage in die Runde, die mich schon länger bschäftigt und vielleicht kann ich sie hier ja mal stellen: Ich habe im Zuge des allgemeinen Drübernachdenkens viel mit männlichen wie weiblichen Freund_innen über die Themen „Konsens, Kommunikation und (Verantwortung für) Missverständnisse“ im sexuellen Kontext gesprochen und festgestellt, dass das ein Thema ist, das wirklich viele beschäftigt, auch ganz alltäglich und konkret. All das bezieht sich aber ausschließlich auf heterosexuelle Konstellationen. Und auch öffentlich wird es immer nur in dieser Konstellation behandelt. Mich würde mal interessieren, ob das ein spezifisch heterosexuelles Problem ist, zumindestens in seiner Größe/Intensität. Ich weiß, dass das eine sehr persönliche Frage ist, aber mir ist immer noch nicht so richtig klar, ob das in erster Linie ein Mann-Frau-Thema mit allen Implikationen und entsprechenden Voraussetzungen ist (rape culture etc.), oder es vergleichbare Problematiken auch in nicht-hetero-Konstellationen so alltäglich sind…
Sorry, der letzte satz ist mir etwas entglitten, darf gern editiert werden…. :)
Worauf ich mit der Frage hinauswill, ist im Prinzip die ganz simple Überlegung: Ist Kommunikation über Sex und Konsens GRUNDSÄTZLICH zwischen Menschen schwierig oder spezifisch und aufgrund der gegebenen patriarchalen Bedingungen INSBESONDERE zwischen Mann und Frau.
@Neeva Mit „Mann“ will nicht angeredet werden! Deine Bemerkung („Eine Frau, die so tickt wie du – und das dürften nicht wenige sein – könnte auch sagen “Mach mal”.“) finde ich beleidigend und entlarvend – für Dich!
(Nur noch eins: Ich habe noch nie einen Mann irgendwas mit mir machen lassen, worauf ich keinen Bock hatte. Oder etwas für den gemacht, was mir keinen Spaß bringt. Vielleicht liegt meine „Verständnislosigkeit“ für den Text und eine Einlassungen genau daran.)
@ Nandoo und Vertragsvergleich
Du schreibst:
„Es geht darum das bei Verträgen die Zustimmung gefordert ist. Wenn nicht beide Verhandlungsparteien zB bei einem Hauskauf nicht explizit “Ja!” sagen, dann ist es auch kein “Ja!” und gar nix passiert, genauso bei der Ehe die nicht zustande kommen kann wenn nicht beide einwilligen. Rechtsgültigkeit kann nur durch Bestätigung entstehen. Im ganzen Rechtswesen.“
Um das Beispiel rund zu machen, möchte ich darauf hinweisen, dass es im allgemeinen Rechtsverkehr schon auch das Modell des „konkludenten“ (also aus Verhalten gefolgertem) Einverständnisses gibt, hier in Kurzform aus der Wikipedia:
„Konkludentes Handeln (lat. concludere „folgern“, „einen Schluss ziehen“) (auch schlüssiges Verhalten, stillschweigende Willenserklärung oder konkludente Handlung) liegt im Rechtsverkehr vor, wenn jemand seinen Willen stillschweigend zum Ausdruck bringt und der redliche Empfänger hieraus auf einen Rechtsbindungswillen schließen darf, sodass ein Vertrag auch ohne ausdrückliche Willenserklärung zustande kommen kann.“
Es ist also jetzt nicht so, dass im allg. Rechtsverkehr IMMER was ausdrücklich erklärt werden muss (also ein ausdrückliches „Ja“ erforderlich ist, um einen Bindungswillen anzunehmen). Man könnte hier also durchaus eine Parallele zu der Problematik des „vermuteten Konsens“ ziehen. Insofern versteh ich Deinen Vergleich und die Schlüsse die Du daraus ziehen willst, nicht so richtig – schon allein, weil ich Schwierigkeiten damit habe, klassische Begriffe des Themenfeldes Vertrag und Rechtsverkehr wie „Rechte“, „Pflichten“, „Reziprozität“, „Leistung-Gegenleistung“ u.ä. auf sexuelle Situationen zu übertragen…
„Ich habe das durchaus auch schon des Öfteren erlebt, dass mal zwischendurch gefragt wurde, ob das denn jetzt alles ok so ist und auch wenns mich überrascht hat (weil ich dachte, mich eigentlich recht eindeutig diesbezüglich verhalten zu haben)“
Das habe ich auch schonmal erlebt. Einerseits fand ich es positiv und rücksichtsvoll, andererseits hat es mich bezüglich meines eigenen Verhaltens verunsichert (wirke ich etwa so als wolle ich es nicht?!) und somit meine Stimmung wesentlich gedämpft.
Durch die umfassende Beachtung von „Yes means Yes“ könnten sicher einige Vergewaltigungen verhindert werden. Bei Fehlen eines expliziten verbalen „Ja“ eine Vergewaltigung zu vermuten halte ich aber für kreuzfalsch. Ausserhalb meines Nebenjobs als Sexarbeiterin (wo der Konsens praktisch immer explizit ist und auch sein muss) habe ich nur selten beim ersten mal verbal meinen Konsens vermittelt. Ich bin gerne aktiv, deshalb gibt es einen ziemlich eindeutigen nonverbalen Konsens. Aber ich weiss, dass viele Frauen dies nicht sind und es bevorzugen ihren Partner machen zu lassen, es geniessen passiv zu empfangen statt selbst auch etwas beizutragen.
Da ist es schon viel schwieriger. Es besteht natürlich ein grosser Unterschied, ob man aus heiterem Himmel „überfallen“ wird und deshalb so unter Schock ist dass man kein Nein äussern kann, oder ob in einem Zusammenhang, in dem es oft zu Sex kommt, bei „normalem“ Tempo des Fortschreitens der sexuellen Handlung aus irgendwelchen nicht ersichtlichen Gründen blockiert ist, Nein zu sagen.
Meines Erachtens muss man darauf abstellen ob für eine durchschnittlich emotional intelligente Person erkennbar ist, dass kein impliziter Konsens vorliegt bzw. ein Nein gar nicht geäussert werden kann. Im ersten Beispiel und unter starkem Alkohol- und Drogeneinfluss ist dies eindeutig, im zweiten aber keineswegs.
Das „Yes means Yes“-Konzept kann nur ein Appell an zwischenmenschlich klarere Kommunikation sein, nicht aber eine Abgrenzung von Sex und Vergewaltigung.
Hm, mit dem ersten Teil gehe ich konform, aber irgendwie wird nicht ersichtlich, besonders nicht zum Schluss hin, dass man auch mit Einschüchterungen, sogar mit sehr subtilen ein „Ja“ bekommen kann.
Natürlich sind Drohungen, Erpressungen und ähnliches ja wieder eine eindeutige Sache, aber leider ist das nicht immer so ersichtlich und auch nicht immer so drastisch, als dass es vor Gericht zwangsläufig ernst genommen wird.
@alle: Ich finde es an diesem Punkt wichtig, dass wir uns noch einmal ins Gedächtnis rufen, dass es hier, also im Text oben, NICHT darum geht, irgendeinen allgemeinverbindlichen Kriterienkatalog dafür aufzustellen, wie sexualisierte Übergriffigkeiten und Gewalt moralisch/faktisch/juristisch trennscharf von (positiv erlebtem ) Sex abzugrenzen sind – nach meinem Verständnis jedenfalls geht es beim Konsenskonzept, wie es im Text erläutert wird, vor allem um das Herstellen und Verbessern von GELINGENDER Kommunikation und damit das Schaffen und Verbessern von Möglichkeiten der Grenzenwahrung so wie Bedürfniserkennung und -erfüllung. Weniger um DIE Strategie zur Verhinderung von Übergriffen als eben um das Ermöglichen von „wirklich einvernehmliche(m) Sex, bejahende(m) Sex“.
Ich finde es auch schwierig, wenn hier Dinge geäußert werden, die in eine Richtung gehen, dass „bestimmt“ wird, was eine Übergriffigkeit darstellt und was nicht. In allerletzter Konsequenz sollte darüber die betroffen(gemacht)e Person die Deutungshoheit haben – gerade auch wenn sie auf juristischer Ebene womöglich kein Recht bekommt! Ich persönlich würde mir wünschen, dass wir hier nicht so sehr darüber diskutieren, wo „generell“ die Grenzen zwischen Gewalt und Sex verlaufen, sondern viel mehr unsere Erfahrungen darüber austauschen, wie wir Konsens individuell herstellen (möchten) und welche Fallstricke, Ambivalenzen oder auch „Erfolge“ sich dabei so zeigen. Einige haben dazu auch schon sehr spannende Sachen geschrieben, dafür vielen Dank!
@ Fragen stellen die eine in diesem Zusammenhang schon immer mal interessieren… (–> wenn als Derailing empfunden, gern auch wieder löschen, ich freu mich nur so, dass hier mal über dieses Thema so relativ offen und breit diskutiert wird)
Mir scheint z.B., dass ein wichtiger kommunikativer Fallstrick etwa die Sache mit dem Orgasmusvortäuschen ist, die nach meinen persönlichen (eigenen und Gesprächs-)Erfahrungen viele (in meinem Erfahrungsraum: heterosexuelle) Menschen umtreibt, wenns um Konsens und Kommunikation im Bett – und sonstwo – geht. Bei Männern in der Form, dass sie verunsichert sind, ob die Frau WIRKLICH Spaß hat und in das was passiert auch WIRKLICH „einwilligt“ und bei Frauen in der Form, dass sie drüber nachdenken, ob sie selber irgendwas vortäuschen (sollten) oder nicht. Eine Diskussion dazu ging mal grob so:
Frau A: „Ich mache das immer mal wieder, weil mir persönlich ein Orgasmus nicht so wichtig ist für guten Sex und es Männern aber oft anscheinend total wichtig ist, dass ich einen habe und deswegen spiel ich das bei One-Night-Stands manchmal vor, um ihm einen Gefallen zu tun und das Ganze zu einem für alle runden Abschluss zu bringen. Ich schade ja niemandem, sondern sorge nur dafür, dass es für alle beide gleich gut ist und am Ende kein Frust entsteht.“
Frau B: „Damit bist Du dann mitschuld daran, dass der enstprechende Mann nie genau weiß, was Frauen eigentlich toll finden und was nicht und macht weiter Sachen, die nicht toll sind und andere Frauen müssen es dann mit hakeligem Erklären und Beibringen ausbügeln und deswegen verhältst Du Dich total unsolidarisch. Außerdem nährst Du damit das Klischee, dass Frauen eh nicht so richtig ausdrücken können/wollen, was sie mögen und was nicht und deswegen im Zweifelsfall auch einfach mal nicht so genau nachgefragt wird, bzw. einfach davon ausgegangen wird, dass Frauen dasunddas toll finden. Du machst Dich damit also zum Teil des Problems, auch wenn Du das für Dich selber total unproblematisch findest.“
Wie bewertet Ihr das? Kann man Eurer Meinung nach daraus ableiten, dass Frauen sich – über den individuellen Entscheidungsrahmen hinaus, der ihnen natürlich zuzustehen hat – quasi unsolidarisch/unverantwortlich verhalten, wenn wenn sie nicht klar kommunizieren, dass sie das Ganze nicht so toll finden, wie sie vielleicht signalisieren, bis hin zum vorgetäuschten Orgasmus? Ist das im großen Bild vielleicht sogar ein Beitrag zu mangelhafter Konsenskommunikation auf gesellschaftlicher Ebene?
@Betti: Diese Vorwürfe an Frauen bezüglich „unsolidarisch“ und „du bist Teil des Problems“ machen mir generell immer ein komisches Gefühl. Irgendwie sind wir doch immer ein Teil des Problems und gibt es wirklich das perfekt richtige Verhalten? Ich meine, jede_r versucht, in der Welt am besten klarzukommen. (Das heißt allerdings trotzdem, dass es Grenzen gibt, nur um hier einer Diskussion über Sarah Palin oder Eva Herrman vorzubeugen ;-))
Bezüglich Sex finde ich einfach: Das Ganze ist so subjektiv. Ohne jetzt in Details gehen zu wollen, es gab da bei mir durchaus komplett gegensätzliche Erfahrungen – was für die/den eine_n das höchste der Gefühle ist, ist für die/den andere_n ein kompletter Turn-Off.
Die Beschreibung „gut im Bett“ ist meiner Meinung nach eben sehr subjektiv – von daher sehe ich es nicht als unsolidarisch an, denn wer weiß, würde sich die Frau aus deinem Beispiel die Zeit nehmen, ihm zu erklären, was sie mag, vielleicht ist das genau das Gegenteil von dem, was die nächste Frau will?
Aber die Frage ist wirklich interessant – und ich hab mir auch noch nicht wirklich Gedanken darüber gemacht. Ich fände es halt kontraproduktiv in Beziehungen.
auch ich sehe sex als sehr komplex und individuell. und werfe mal wild ein paar statements ein:
zum ja oder nein aus vollem herzen: konnte ich jahrelang nicht, da ich als kind missbraucht wurde. da ist diese natürliche reaktion bzw. die fähigkeit überhaupt richtig reagieren zu können, beschädigt. diese beschädigungen zu erkennen und zu heilen ist wichtig.
spüren, einfühlung, non-verbale zustimmung, ausprobieren – es gibt menschen, die sind sehr emphatisch, und es gibt menschen, die merken erst was, wenn es ihnen explizit wortwörtlich erklärt wird. und alles mögliche dazwischen. das macht die sache nicht einfach. das ausloten wie wer gestrickt ist, sollte unbedingt zwischen zwei menschen statt finden, bei denen die situation auf sex haben zusteuert.
interessant: der große leitspruch in der bdsm-szene ist: safe, sane and consensual. was mich auf die idee bringt, je tiefer sich eine person mit ihren eigenen wünschen und begierden auseinander gesetzt hat, desto besser kann sie auf welcher ebene auch immer kommunizieren. gilt jetzt innerhalb normaler parameter.
bei den vergewaltigungen, die ich erlebt habe, ist mir unter anderem eine absolute kommunikationsunfähigkeit und selbstbezogenheit des vergewaltigers aufgefallen.