Die Autorin Silvia Meixner der Allgemeinen Zeitung gibt „Expertentipps“ für die Kommunikation bei Mitfahrgelegenheiten wieder. Klingt erstmal harmlos und ein bisschen nach Sommerloch. Was sie schreibt ist allerdings gar nicht harmlos. Bei Tipps und Tricks für vergnügliche Fahrten mit unbekannten Menschen, die unnötig wie banal sind, kommt sie zum Punkt „Der erste Eindruck zählt“ und da wird es dann krass:
„Ferner sollten sich Frauen nicht zu freizügig kleiden, denn ein tiefes Dekolleté oder ein allzu kurzer Rock wecken beim Fahrer vielleicht Gedanken, auf die man ihn gar nicht bringen wollte.“ – Silvia Meixner, AZ
Ganz nebenbei schreibt die Autorin auf was Knigge-Expertin, Vera Reich, ihr sagt. Frauen müssen es besser wissen, denn wenn sie „allzu“ kurze Röcke tragen oder sich „zu freizügig“ kleiden, käme der Fahrer vielleicht beim Anblick dessen auf Gedanken, die Frauen unter Umständen gar nicht wollten. Also besser anders kleiden. Frau Meixner, von welchen Gedanken wird da eigentlich genau gesprochen? Und sind die „Gedanken“ erstmal da, was dann? Trauen Sie sich, diese zu Ende zu formulieren? Meinen Sie etwa auch, dass Frauen* – wir Sexobjekte – selbst schuld sind, wenn uns etwas passiert, das wir nicht wollen? Dass wir von sexistischen Sprüchen bis hin zu Vergewaltigungen womöglich noch selbst die Schuld tragen, weil wir uns nicht ihren Tipps entsprechend kleiden? Dass Männer Opfer ihrer Selbst und ihrer Triebe seien, weil Kleider und Körper von Frauen* angeblich Signale aussenden, wir damit provozieren und unsere Worte oder ein einfaches Nein nicht mehr zählen?
Die Autorin hätte dies alles mindestens kritisieren können. Weitgefehlt sie verkauft es als Tipp für Frauen (sic!) und das ist perfide. Frauen* sind nicht schuld und müssen sich nicht erklären (Röcke und der ganze Scheiß, der da aufgezählt wird), wenn ihnen sexualisierte Gewalt und Sexismus widerfährt. Ganz egal unter welchen Umständen. Mal abgesehen davon, dass „mehr“ Bekleidung auch nicht vor Übergriffen schützt. Vielmehr zeigt dies doch auch auf in welcher Gesellschaft wir leben, wo Vergewaltigungsmythen vorherrschen, Sexismus lebt und sexualisierte Gewalt noch immer verharmlost wird. Das nennt sich rape culture (und nicht Trick 17). Die Macht liegt beim Täter und einer Gesellschaft, die Gewalt an Frauen* abkanzelt und wir Tipps wie diese (siehe oben) lesen müssen.
Vielen Dank an die MM-Leser_in, die uns auf diesen Artikel aufmerksam gemacht hat.
Liebe Sabine,
ich finde da fehlt was in der Analyse. Wenn es tatsächlich so wäre, dass lange Schwabbelkleider vor Vergewaltigung schützen würden, dann hätte die Journalistin meiner Meinung nach nichts falsch gemacht – auch wenn sie nicht erwähnt, dass so eine Denke Scheiße ist, denn darum ging ihr Artikel nicht. Ich rate Frauen, die in arabische Länder reisen (wo ich mich auskenne) schließlich auch, sich bedeckt zu kleiden, weil’s weniger nervig ist. Das Problem an dem Tipp von Frau Meixner ist vielmehr, dass er nichts nützt. Vergewaltigungsopfer sind nicht in der Mehrzahl leicht bekleidete Frauen. Der Zusammenhang, den sie herstellt, ist faktisch falsch. Und daher, und das ist ganz richtig gefolgert, impliziert sie eine Schuld, indem sie ein uraltes Vorurteil reproduziert.
Da merkt man erst, wie sehr diese Mythen immer noch (unbewusst?) Platz in vieler Leute Köpfe haben. Ich unterstelle dieser Frau Meixner nicht mal, dass sie absichtlich Frauen*feindlich ist, sondern, dass sie es mit diesen Tipps leider tatsächlich gut meint. Würg.
Liebe Hannah,
vielen Dank für Deine wichtige Anmerkung, dieser stimmte ich auch zu. Kleidung und dergleichen schützen nicht vor sexualisierter Gewalt und Sexismen, da gibt es auch keinen kausalen Zusammenhang, welcher dies belegt bzw. von dem ich wüsste. Das fehlt im Text, was ich noch ergänzen werde.
Allerdings war der Aspekt auf den ich hinaus wollte vor allem die implizite Annahme der Autorin, dass Frauen* sich bedeckter kleiden müssen, wenn sie nicht wollen, dass der Fahrer auf Gedanken käme (…). Dahinter steckt ja auch der Mythos von „Frauen* bitte provoziert den Fahrer/Männer nicht“ und dies unkommentiert zu lassen neben anderen Tipps oder auch dem Vergleich von ihr „Und Männer wirken in langen Hosen seriöser“ ist unschön. Es bedient einen Diskurs, der Frauen* als sexualisierte Objekte und Männer als Subjekte fortschreibt und dann fällt die Schuld fast wie von selbst oder folgerichtig auf die Betroffene zurück. Das habe ich aus ihrem Text herausgelesen, weshalb ich mich darauf konzentriert habe. Denn mal angenommen es würde stimmen, was sie da schreibt (was es nicht tut), ändere sich ja nichts an ihren zugrunde liegenden Annahmen. Ganz gleich ob sie dies bewusst oder unbewusst niedergeschrieben hat, der Text steht online und erreicht damit eine Öffentlichkeit.
In dem AZ-Artikel zitiert Meixner Vera Reich, Vorstandsmitglied der Deutschen Kniggegesellschaft. Sie tut dies unkritisch und quasi affirmativ. Sprich, die Aussage von Meixner steht im Konjunktiv und stammt von einer „Expertin“. Das macht die Sache aber nicht besser, sondern schlimmer. Andererseits überrascht es nicht, dass eine status-orientierte Organisation wie der Knigge-Trupp konservative bis reaktionäre bzw. chauvinistische Positionen vertritt.
Wow, kein Artikel über street harassment ohne rassistisches Derailing, wa? Das ist hier auch weniger nervig, Hannah. Glaub ma, ich kenn mich hier aus.
Ich – die seid Jahren – mit Mitfahrgelegenheiten durch das Land fährt – finde diese Aussagen auch meinen männlichen Fahrern gegenüber äußerst Kritisch.
Die Männer werde hier ja auch gleich als Potentielle Belästiger abgestempelt – und so was setzt sich leider auch im Kopf fest. Ich weiß nicht, wie lange ich ein komisches Gefühl hatte, wenn ich bei Männern mitgefahren bin, weil leider diese Vorurteile zu tief im Kopf sitzen – und was ich mir alles anhören musste, weil ich das überhaupt gemacht habe (das gleiche gilt für Couch-Surfing).
Das ist schade – denn natürlich suchen die allermeisten Männer nur jemanden, der mit ihnen die Sprit-kosten teilt – und im guten Fall auch noch einen guten Gesprächspartner bietet und damit längere Fahrten interessanter macht.
Ich bin in den 5 Jahren in denen ich es Regelmäßig mache, noch die belästigt worden /egal was ich an hatt / – eigentlich schade, dass man es sagen muss.
Mir geht es da ganz genau wie Lena. Ich fahre seit Jahren mit der MFG. Probleme, die dabei aufgetaucht sind, waren nie sexualisierter Natur. Das schlimmste waren bisher Leute die unter aller Sau gefahren sind.
Ich fände es wichtig, einen Leserbrief zu schreiben, finde aber auf die schnelle keinen Kontakt zu der Zeitung oder zu der Autorin. Kann mir da jemand weiterhelfen? Sonst muß ich mal nach dem Wochenende weitersehen.
@ Sabine Anegnommen es würde ein kausaler Zusammenhang bestehen (Gibt es auf dem Gebiet denn überhaupt irgendwelche Studien?), wie würde das dann angesprochen werden, ohne, dass dies als Victim Blaming passiert? Gar nicht, oder, weil es ja immernoch victim blaming ist?
@Gruul. Es bleibt victim blaming, das ist auch mein Punkt. Davon weiche ich auch im Text nicht ab, denn ganz egal was passiert, wenn es kein Einverständnis gibt, dann sind das Übergriffe und_oder Gewalt, die Schuld liegt bei demjenigen, der sie ausübt. Klar, ist da auch die Gesellschaft, die so etwas strukturell befördert.
@Dylan: Danke, habe es nun ergänzt.
@Samia @Hannah: ich habe mich auch gewundert, weshalb hier nun arabische Länder eine Rolle spielen.
@Lena und Tily, leider habe ich nicht die Kontaktdaten der Autorin, finde es schön, dass ihr Eure Erfahrungen hier teilt, die (wie Nadine s.unten schreibt) zum Glück positiv waren.
@Lena & Tily
Dass Männer in dem Artikel als triebgesteuerte Wesen dargestellt werden, ist selbstverständlich völlig daneben, trotzdem ist es mitnichten so, dass Mitfahrgelegenheiten und Couch-Surfing ungefährlich wären, nur weil ihr bisher zum Glück keine schlechten Erfahrungen gemacht habt.
Ich möchte hier nicht aufzählen, was ich schon an Polizeimeldungen, Artikel und Erfahrungsberichte von Betroffenen dazu gelesen habe, weil ich niemandem ein schlechtes Gefühl machen will. Das Problem des Artikel ist sicher nicht, dass er Männer als potentielle Gefahr für Frauen darstellt, denn Frauen haben zu Recht Angst vor sexualisierter Gewalt, sondern dass der Artikel Betroffenen die Schuld zuweist oder ihnen Tipps an die Hand gibt, wie sie solche Vorfälle vermeiden können.
@Nadine: Ich will dazu einen anderen Betrachtungswinkel einbringen, weil ich mit „trotzdem ist es mitnichten so, dass Mitfahrgelegenheiten und Couch-Surfing ungefährlich wären“ ein Problem habe: rape culture vermittelt Frauen, dass es gefährliche und ungefährliche Situationen mit Männern gibt, in die sie sich begeben können. Die eigene Heterobeziehung ist also der sichere Hafen, während Couchsurfing, Tramping, Nachts alleine in einen Club gehen… potentiell auf eine sexuelle Übergriffigkeit hinauslaufen. Dabei gibt es doch beides: Frauen die in der Heterobeziehung schlimme Erfahrungen machen und Frauen die beim Couchsurfing schlimme Erfahrungen machen.
Auch gutes Beispiel, das ich öfters zu hören bekommen habe: Der nette Bekannte, der der Frau anbietet sie heimzufahren damit sie nicht alleine nachts durch die Straßen laufen muss und dann selbst übergriffig wird.
Deswegen kann ich Lena und tily sehr gut verstehen, wenn sie sagen dass sie nie schlechte Erfahrungen gemacht haben, denn potentiell gefährlich ist es überall, aber es muss nicht zwangsläufig etwas passieren.
Und deswegen hat es mich gestört, dass du gesagt hast dass Couchsurfing und Mitfahrgelegenheiten nicht ungefährlich sind, weil (fast) niemand Frauen sagt, dass es z.B. nicht ungefährlich ist, mit Männern eine Beziehung einzugehen.
Ich hoffe es ist einigermaßen rübergekommen, was ich sagen will, ich bin etwas verschwurbelt heute…
@Nadine
Ich kann Ruby nur zustimmen – sicher ist es in gewisser Weise gefährlich (allerdings gibt es gerade bei Couch-Surfing eine „Bewertungssystem“, bei dem man schon vorher zumindest bestimmte Leute ausschließen kann-etwas ähnliches ist bei den Mitfahrbörsen im Aufbau) – aber die andere Konsequenz wäre, dass man auf diese Angebote Zwangsläufig verzichtet – und es nur den Männern überlässt.
Alternativen Wäre Bahnfahren (wo ich auch genug Belästigungsgeschichten kenne) und Hotel/Hostel- Übernachtungen (auch in Hostels werden Frauen belästigt) – was sich viele Frauen einfach nicht leisten können – was dann als Folge wieder von bestimmten Veranstaltungen Ausschließen würde (ich war auf der Informaica Feminale – einige der Teilnehmerinnen, gerade Studentinnen und Studenten) hätten es sich OHNE solche Angebote nie leisten können, teilzunehmen)
Grundsätzlich – und zumindest statistisch belegt, begebe ich mich auch in einer viel größere Gefahr, wenn ich bei „einem guten Bekannten“ mitfahre (hier habe ich auch schon Belästigung Erfahren) – oder zu übernachten – das hier etwas passiert.
@Ruby
Das habe ich mit meinem Kommentar doch gar nicht gesagt. Ich weiß, dass über 90 Prozent aller Formen von sexualisierter Gewalt im persönlichen Nahbereich und nicht mit „Fremden“ passieren. Ich habe auch nicht gesagt, dass Mitfahrgelegenheiten „gefährlicher“ als andere Kontexte sind. Wie du schon richtig sagst, sollte es nicht darum gehen, Frauen von vermeintlich gefährlichen Orten fernzuhalten, um ihnen bei Missachtung eine Mitschuld zuzuweisen. Mein Kommentar bezog sich lediglich auf die Äußerungen von Lena & Tily, besonders zu betonen, dass ihnen persönlich noch nie etwas passiert sei (anderen aber schon, deswegen finde ich das einfach unsensibel) und deshalb der Artikel problematisch sei, weil er Männer an den Pranger stellt. Der Artikel ist in meinen Augen problematisch, weil er nicht Übergriffige und Täter in die Mangel nimmt, sondern (potentiell) Betroffenen Handlungsanweisungen gibt. Er sagt nicht: Typ, fass keine Frau an, die nicht ihr Einverständnis gegeben hat.
Während im Artikel zwar Zuschreibungen einseitig an zwei Geschlechter formuliert werden, stehen keineswegs Männer unter Generalverdacht, Frauen zu begrapschen, sondern Betroffene. Weil angenommen wird, sie wüssten trotz besseren Wissens nicht, dass ihre Kleidung bereits ein Einverständnis darstellt. Männer ziehen hieraus keinen Schaden, hier wird das Patriarchat angerufen und zwar mit einem Augenzwinkern. Männer profitieren von diesem Artikel, weil ihr Verhalten (egal, ob sie grapschen, belästigen, vergewaltigen oder nicht) an keiner Stelle einer Kritik unterzogen wird, geschweige denn geht der Artikel darauf ein, dass patriarchale Strukturen und die Aufrechterhaltung der (sexualisierten) Verfügbarkeit von bestimmten Menschen und nicht zuletzt Täter selbst die alleinige Verantwortung für solche Übergriffe tragen.
Wenn es um Vergewaltigungskultur geht, kann gerne jeder Typ unter Generalverdacht gestellt werden, solange sexualisierte Gewalt, derart verharmlosend und „natürlich“ immer wieder neu in diese Gesellschaft eingeschrieben wird und die Verantwortung lediglich bei Betroffenen gesucht wird. Frauen (in diesem Artikel geht es nur um Frauen, deshalb benutze ich das Wort hier) haben in jeder Situation das Recht Angst vor sexualisierten Übergriffen zu haben, auch innerhalb vermeintlich geschützter Räume. Das war mein Punkt. Den habe ich offenbar nicht deutlich genug herausgestellt und bitte um Entschuldigung.
Vielen Dank für die ausführliche Antwort, Nadine – ich habe deine Reaktion auf Lena und tily tatsächlich falsch aufgefasst.
Hier spielt auch ein persönliches Element bei mir rein, da ich schon viel zu viel Zeit damit verbracht habe, mich gegenüber anderen dafür zu rechtfertigen, warum ich relativ angstbefreit nachts alleine unterwegs bin, bzw. nicht mehr Angst habe, als in anderen Situationen. Ich werde dann aggressiv, weil ich das Gefühl habe, dass man mir meine Handlungsfreiheit die ich nutze madig machen will.
Das hat auf mich abgefärbt und dadurch habe ich dein „nicht ungefährlich“ als „gefährlicher als…“ interpretiert, sorry dafür.
Und ja, Frauen haben immer und überall ein Recht darauf, Angst vor Männern und sexuellen Übergriffen zu haben! Und ich würde mich auch sehr freuen, wenn es mehr Artikel gäbe, die die Verantwortung bei den Tätern und nicht nicht bei den Opfern verorten.
@Nadine
Im MFG Kontext ist mir (um Glück) noch nie was passiert. In anderen Kontexten mehr als genug.
Ich hab mich oben verkürzt ausgedrückt. Mir ist durchaus bewußt, dass der wunde Punkt die Handlungsanweisungen sind.
Falls sich jemand dadurch unsensibel angegangen fühlt, tut mir das leid.
Hmm, ich bin da zwiegespalten, weil ich außer diesem einen Zitat nichts weiter von der Argumentationslinie der Autorin mitbekommen habe. Ich möchte dazu aber grundsätzlich einige Dinge postulieren und freue mich auf zahlreiche kritische Kommentare ;):
1. Was eine Person anhat oder nicht (die gilt für alle Geschlechter, insbesondere aber für die, die als weiblich gelesen werden) kann NIEMALS eine Entschuldigung für sexualisierte Übergriffe und Gewalt darstellen. Punkt, Ende der Diskussion.
2. Das heißt jedoch leider nicht, daß bestimmte Menschen (vor allem Männer) NICHT der Meinung sind, daß ein bestimmte Kleidungsstil Übergriffe rechtfertigt. Anders ausgedrückt: „Männer“ lesen nur zu oft bestimmte Kleidungsstücke als Rechtfertigung, Frauen* sexualisiert zu belästigen.
3. Das heißt nicht, daß Frauen* selber schuld sind, ich möchte auf keinen Fall so verstanden werden. Das heißt aber, daß ich persönlich als Frau sehr wohl gelegentlich überlege, wie ich mich vor potentiell riskanten Situationen, in denen ich mich einer anderen, mir unbekannten Person teilweise ausliefere, anziehe. Nicht, weil ich glaube, daß meine (Nichtbe-)Kleidung eine RECHTFERTIGUNG darstellen würde; aber weil ich leider weiß, daß manche Männer das so lesen wollen.
4. Vermutlich kommt jetzt der Einwand, daß es keinen kausalen Zusammenhang zwischen sexualisierter Diskriminierung/Gewalt und Kleidungsstil gibt. Frauen* werden diskriminiert, egal was sie anhaben, das stimmt. Aber meine eigenen Erfahrungen und die anderer mir bekannter Frauen* zeigen, daß die Quote steigt, wenn wir uns in bestimmter, als „freizügig“ empfundener Weise kleiden.
5. Das ist scheiße, ohne Frage. Und wir leben in einer rape culture, keine Frage und leider. Aber ich halte es nicht für grundsätzlich falsch, sich manchmal, um die eigene Sicherheit um einen kleinen Prozentsatz zu erhöhen, in das von falschen Prämissen genährte Denken mancher Mitmenschen (-männer) hineinzuversetzen.
@Lea: Es kann sein, dass einige Frauen besonders dann Diskriminierung erleben, wenn sie sich „freizügig“ kleiden. Eine Menge anderer Frauen haben aber Diskriminierung, Übergriffigkeiten und sexualisierte Gewalt erfahren in Jeans, Turnschuhen und Hoodie: http://maedchenmannschaft.net/der-taegliche-slutwalk/
In Umfrage nach Umfrage wird deutlich, dass keine Kleidung Frauen vor Übergriffen schützt. Ausgesuchte anekdotische Evidenz hochzuhalten macht leider nur genau das, was Du beschrieben hast: Sie zementiert den Mythos als Rechtfertigung und dient weiteren Menschen als Steilvorlage, Frauen die schuld zu geben.
Ein ganzes Frauen*leben ist doch nicht einfach „ausgesuchte anekdotische Evidenz“, sondern was, was man ernst nehmen muss. Ich (Ja, ich. Ich, ich, ich.) erlebe mehr street harassment, wenn ich High Heels anhabe. Fakt. Das bild ich mir nicht ein, weil die r*pe culture das sagt. Das ist so. Und wenn ich das benenne, blame ich mich nicht selber.
Ich finde es höchst eigenartig, dass dieser Zusammenhang „Opfer hat irgendwas falsch gemacht – in diesem Fall die falsche Kleidung angehabt-, und hat also irgendwie Mitschuld an der Tat“ immer nur bei Vergewaltigung auftaucht. Bei dieser Logik müsste es doch auch bei einem Raubüberfall auf einen Juwelier heißen „selber schuld, was legt der Laden auch so schön funkelnde Schmuckstücke ins Fenster“. Oder wenn der Mercedes weg ist „ja, muss der Eigentümer den schönen Wagen auch an so einer gut sichtbaren Stelle parken? In der Tiefgarage wäre er sicherer gewesen!“.
Hört man aber nie, bei all diesen Straftaten wird ganz selbstverständlich nur der Täter als der Schuldige ausgemacht. Es gibt nicht mal diese „gutgemeinten“ Ratschläge nach dem Motto „ist schon klar, dass du als Opfer nicht schuld bist, aber magste nicht die Sicherheit erhöhen indem du alles *richtig* machst?“.
Komisch, nicht?
@Danni: Da fällt mir wieder das hier ein – Analogien sind zwar immer so’ne Sache, aber es nimmt ganz anschaulich deinen Punkt auf.
@Samia: Wenn Du in High Heels mehr Belästigung erlebst, dann bleibt es Dir unbenommen, das so zu sagen und für Dich Konsequenzen daraus zu ziehen. Aber ja, das ist immer noch anekdotische Evidenz. Es gibt meines Wissens nach keine Studie, die einen Zusammenhang zwischen Kleidung und Belästigung beschreibt. Im Gegenteil zeigt sich immer wieder, dass Frauen belästigt werden, egal was sie anhaben.
Am Ende machen fast alle, was Lea beschreibt, nämlich immer abwägen, was wir wann wie tragen, welche Signale das aussenden könnte, ob sie missverstanden werden könnten. Das will ich keiner ausreden, aber wir müssen im Diskurs endlich dahin, ganz offen zu sagen, dass das Abwägen nur zu einer falschen Sicherheit führt. Weil rumpelige Kleidung eben nicht schützt.
klar wird frau auch belästigt, wenn sie nicht „sexy“ gekleidet ist. aber auch meine erfahrung zeigt, dass das ausmass an belästigung dann steigt.
das liegt daran, dass belästiger keinen begriff von sexuell freier frau, sondern nur den von sexuell frei verfügbarer frau haben und sie bestimmte kleidungsstücke als code dieser verfügbarkeit betrachten. gegen diese denke anzugehen heisst auch, sie und ihre auswirkungen wahrzunehmen.
@Anna-Sarah
Das illustriert diese seltsame Auffassung echt gut. Wobei frau sich schon wundert, dass sich das so hartnäckig hält, obwohl immer wieder drauf hingewiesen wird, dass Opfer anderer Straftaten sich so einen Mist nicht anhören müssen.
Ich verstehe zwar auch das, was Medusa sagt über diesen Code der Verfügbarkeit, aber mal echt, wie oft müssen wir denn den Typen noch sagen, dass es so nicht geht? Seit den späten 60ern wird doch genug darüber debattiert, wann kapieren Männer (und manche Frauen) es denn endlich? Ich meine jetzt nicht die Belästiger / Vergewaltiger, die wissen natürlich genau, dass sie nicht im Recht sind. Aber die anderen, die Idioten in den Medien oder in der Justiz, Polizei, etc., die immer wieder denselben Blödsinn blöken. Wir haben jetzt 2012 und so langsam müsste mal in den Köpfen ein Umdenken einsetzen.