Keine Kuschelquote – Warum ich die Berliner Erklärung nicht unterzeichne

Frauen aller Bundestagsfraktionen und UnterstützerInnen aus Politik und Gesellschaft schließen sich zusammen, um der Gleichstellung von Frauen und Männern zum Durchbruch zu verhelfen. Sie fordern in der Berliner Erklärung vom 15.12.2011 die paritätische und gleichberechtigte Einbeziehung von Frauen in die Entscheidungsprozesse der Wirtschaft und stellen fest, dass dies nur durch verbindliche gesetzliche Regelungen erreicht werden kann. In einem ersten Schritt wollen sie eine 30%-Quote in den Aufsichtsräten der börsennotierten, mitbestimmungspflichtigen und öffentlichen Unternehmen. Ich sollte mich freuen, dass endlich mal Frauen aller Fraktionen zusammen sagen, übrigens, es besteht gleichstellungspolitischer Handlungsbedarf. Sie sagen das auch durchaus mit Nachdruck.

Was mir an der Petition sehr gut gefällt und was ich sofort unterschreiben würde, ist die Feststellung, dass die Gleichstellung in der Realität noch lange nicht verwirklicht ist. Weiter heißt es in dem Einleitungstext: „Die anhaltende Benachteiligung von Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen steht damit im Widerspruch zu unserem Grundgesetz und zu internationalem Recht.“

Trotzdem kann ich mich nicht dazu durchringen, diese Petition auch zu unterzeichnen. What’s not to like?

Der kleinste gemeinsame Nenner

Wenn Dorothee Bär (CSU) und Alice Schwarzer für dieselbe Sache eintreten, dürfte klar sein, dass die Frauen sich mit ihren Forderungen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt haben. Der lautet in diesem Fall:

Deshalb treten wir in einem ersten Schritt für eine Quote bei den Aufsichtsräten der börsennotierten, mitbestimmungspflichtigen und öffentlichen Unternehmen ein, die zunächst mindestens 30 Prozent betragen soll. Damit die Maßnahme Wirkung entfaltet, wollen wir flankierend Fristen und empfindliche Sanktionen regeln. Die Quote für Aufsichtsräte kann aber nur der Anfang sein!

Die Quote, die als „erster Schritt“ in Richtung Geschlechtergerechtigkeit gefordert wird, ist eine Quote, mit der eigentlich so ziemlich jeder leben können müsste, der etwas von Wirtschaft versteht (und eigentlich keine Lust hat auf Quoten). Denn: Wer möglichst geringen Einfluss einer Quote auf die tatsächlichen Entscheidungsabläufe in großen börsennotierten Unternehmen wünscht, verankert sie in den Aufsichtsräten. Warum? In großen börsennotierten Unternehmen, die in der Regel mitbestimmungspflichtig sind, sind 50% der Mitglieder des Aufsichtsrates von der Arbeitnehmerseite (also von Gewerkschaften) entsandt. Ich will damit nicht das Mitbestimmungsgesetz kritisieren, ich finde die Beteiligung der ArbeitnehmerInnen in diesen Gremien gut und wichtig. In der Praxis ist es aber so, dass die Aufsichtsräte praktisch ein Debattierclub sind, den wichtige Unternehmensinterna möchte man vor Gewerkschaftsseite nicht besprechen.

Ein erster Schritt, dem weitere folgen?

Nun muss ich zugeben, die starken Hinweise im Text, diese Forderung sei nur ein erster Schritt, haben es mir schwer gemacht, der Petition die kalte Schulter zu zeigen. Denn wer ist schon gegen ein erstes Schrittchen, wenn der Weg lang und mühsam ist? Das Problem ist einerseits, dass ich meine Zweifel habe, ob diesem ersten Schritt wirklich weitere folgen werden. Gleichstellungspolitische Erfolge sind selten, immer hart erkämpft und den Wegesrand säumen viele gute Ideen und wichtige Forderungen, die keine Umsetzungschancen haben.

Auf der anderen Seite ist es so: Wenn es nur einen gesetzgeberischen Meilenstein in diesem Jahrzehnt gibt, der Gleichstellung im Arbeitsleben befördern will – ich möchte nicht, dass es eine 30%-Quote in Aufsichtsräten der größten Unternehmen ist. Wenn sich danach wieder alle zurücklehnen und die nächsten Themen wieder in ein bis zwei Legislaturperioden auf die Agenda kommen, wurde die Gleichstellung kaum vorangebracht. Denn gerade im Bereich der Erwerbsarbeit existieren so viele Probleme, derer sich die Gesetzgeberinnen annehmen sollten: Entgeltungleichheit, die hohe Betroffenheit von Frauen von prekärer Arbeit, rechtliche Strukturen, die Frauen in nicht-existenzsichernde Beschäftigung drängen (der Sachverständigenbericht zum 1. Gleichstellungsbericht hat das alles umfassend dargestellt), etc. Ich finde es schwer zu begründen, warum gerade das Symbol der Quote in den Debattierclubs der größten Unternehmen, ein erster Schritt zum Abbau der Benachteiligungen ist, denen Frauen in allen Bereichen der Gesellschaft ausgesetzt sind.

Parlamentarierinnen sollten häufiger bei Gesetzentwürfen gemeinsam „Stopp“ sagen

Schließlich ist es so, dass die Initiatorinnen der Erklärung, von denen einige ein Bundestagsmandat haben, jederzeit die Möglichkeit hätten, „Stopp“ zu rufen, wenn mal wieder ein Gesetz auf den Weg gebracht wird, welches offensichtlich dem Auftrag des Art. 3 Abs. 2 GG zuwiderläuft. Die CDU-Frauen kündigten das beim Betreuungsgeld an. Sehr häufig werden aber Entscheidungen getroffen, bei denen auch nur eine einfache Gesetzesfolgenabschätzung aus der Gender-Perspektive zeigen würde, dass es so eigentlich nicht geht. Aber selbst eine solche Überprüfung von Gesetzen findet standardmäßig nicht statt. Stattdessen muss jeder Gesetzentwurf einen Passus enthalten, der darstellt, ob das Gesetz Bürokratie erhöht oder abbaut. Wenn die Parlamentarierinnen sich gemeinsam für etwas stark machen wollen, warum nicht dafür, Gleichstellung als Querschnittsziel zu verankern und dies dann in den konkreten Gesetzgebungsprozessen auch immer einzufordern.

Fazit

Die Berliner Erklärung ist ein Signal, dass es so nicht weitergehen kann. Der Forderung nach einer Kuschelquote kann ich aber nichts abgewinnen. Denn wenn das Haus brennt, ist ein Eimer Wasser ins Dachgeschoss zwar ein erster Schritt, aber keine Lösung.

Ursprünglich erschienen auf rechtundgeschlecht

9 Kommentare zu „Keine Kuschelquote – Warum ich die Berliner Erklärung nicht unterzeichne

  1. Ich kann deinen Standpunkt sehr gut nachvollziehen. Trotzdem habe ich die Berliner Erklärung unterschrieben, weil ich der Meinung bin, dass nur durch solche Aktionen überhaupt eine Aufmerksamkeit geschaffen werden kann. Natürlich weiß niemand, wie es danach weitergeht und inwieweit sich die meisten Beteiligten wieder zurücklehnen werden. Ich bin aber der Meinung „steter Tropfen höhlt den Stein“. Bedeutet, wenn ich nicht irgendwann klein anfange, dann schaffe ich es nie, irgendwas zu erreichen. Ansonsten werden wir auch noch die nächsten Jahr(zehnt)e in einem kleinen Kreis über Gleichheit diskutieren und nichts passiert.

  2. Bin da ganz bei Ninia. Wir können uns ja noch ewig und drei Tage darüber auslassen, was noch alles zu tun sei und dass es vielleicht Wichtigeres gibt, aber wenn wir nicht alle Chancen nutzen, und seien sie auch noch so klein, kommen wir ja nie irgendwo hin. Es ist ja, wie gesagt, ein erster Schritt und kein „Sell-out“. Wir müssen eben nur aufpassen, dass sich danach nicht alle zurücklehnen, sondern weiterfordern.
    In diesem Sinne: „Rin ins System und von innen uffmischen.“

  3. Ich finds schwierig zu sagen das die Parlamentarierinnen gemeinsam agieren sollten, bzw. ich kann es mir nicht vorstellen. Das würde absolut gleiche Präferenzen von Frauen voraussetzen die so eher nicht gegeben ist. Im Zweifel werden doch die bereits erwähnten (zum Teil erzkonsverativen) CDU/CSU-Frauen eher im Eigeninteresse auf Parteilinie bleiben als sich mit solchen der Grünen oder Linken verbünden. Auch wenn ein freies Mandat besteht, die Fraktionsdisziplin wird hier glaube ich unterschätzt.

  4. Finde es durchaus auch bedenklich, dass die Initiatorinnen und Erstunterzeichnerinnen deutlich als Frauen benannt werden, aber alle anderen Unterzeichner_innen, obwohl zum Großteil weiblicher Vorname, als „Unterstützer“ bezeichnet werden…
    Vielleicht melden sich ja manche Menschen und es wird geändert.

  5. danke maria für deine auseinandersetzung mit der petition. trotzdem denke ich, dass ein wichtiges signal von dem ersten (!) parteiübergreifenden engagement von poltikerinnen bezüglich der gleichstellung ausgeht und genau aus diesem grund habe auch ich unterschrieben.

  6. Bei einer Quote für Aufsichtsräte ist auch zu Bedenken: Hier finden sich oft schon deutlich mehr Frauen als in Vorständen – aber fast ausschließlich auf Arbeitnehmer_innenseite. Mit 30 Prozent ist das eine Minimalvorgabe, die auf Arbeitgeberseite kein Umdenken und wenig Bewegung auslösen wird.

    Außerdem fürchte ich, ist diese Quote tatsächlich beschlossen, dass sie von Unternehmen zur Abwehr weiterer Forderungen genutzt werden wird, so „wir haben da schon nachgegeben, noch mehr geht gerade nicht.“ Einfach alles immer weiter rauszögern…

  7. Mich hat dieses ökonomische Argument von wegen „gemischte Teams sind grundsätzlich leistungsstärker“ genervt. Nicht unterzeichnet habe ich letztlich, weil mehrmals im Text gesagt wird „wir sind Frauen und Männer…“. Es wird also unterschlagen, dass es Menschen gibt, die weder Frauen noch Männer sind und diese Petition unterstützen.

  8. Danke Maria für deine Auseinandersetzung damit und ja, es ist ein kleiner gemeinsamer Nenner und ja, es ist nur ein kleiner Schritt, aber es ist einer.
    Und eine derjenigen, die diese Petition wesentlich mitvorantreibt ist Ursula von der Leyen, die auch jenseits der Quote eine wesentlich modernere Politik gemacht hat als (leider!) manche grüne und sozialdemokratische Vorgängerin. Das heißt nicht, dass gerade die Grünen diese Dinge schon über Jahrzehnte vorbereitet haben – aber ein sozialdemokratischer „Gedöns-Kanzler“ hat sogar jeden Mindestkonsens, was eine moderne Familienpolitik angeht, erfolgreich verhindert. Aber das ist ein anderes Thema.
    Alles war ich damit sagen will ist: In Deutschland gibt es so oft nur schwarz oder weiß, ganz oder gar nicht. Bei vielen Themen. „Das Frauen-Thema“ ist nur ein Beispiel. Das gleiche haben wir, wenn wir über Nachhaltigkeit und Ökologie reden. Andere Länder – insbesondere die skandinavischen Länder – machen uns dabei vor, dass es auch anders geht: Man kann sich auch einfach mal auf den Weg begeben in eine moderne Gesellschaft. Es gibt etwas zwischen „Null“ und „Hundert“ Prozent. Ich denke wir (und das gilt insbesondere für uns Frauen) blockieren uns oft selbst über unseren eigene Anspruchshaltung- es muss die absolut perfekte Präsentation vor dem Chef sein (der selbst der Meinung ist, dass 80% auch reichen und die restlichen 20% seiner Zeit sich mit dem Netzwerken für die eigenen Karriere beschäftigt) und auch die 30% Quotenforderung wie diese jetzt unterstützen wir nicht, weil es uns noch nicht reicht.
    Um es klar zu sagen: Es reicht auch mir nicht. Aber: Es reicht mir langsam, dass wir in diesem Land ganz und gar nicht vorwärtskommen und lieber bewegt sich mal etwas in kleinen Schritten, als weiter gar nicht.
    Aus diesem Grund stehe ich voll und ganz hinter dieser Forderung und hoffe, dass wir Frauen endlich begreifen, dass wir gemeinsam kleine Schritte vorwärtsbringen müssen.
    Ansonsten laufen wir Gefahr, diese Diskusssionen noch genauso in 20 Jahren zu führen und resigniert darauf zu warten, dass die Jungs uns auch mal ans Steuer lassen. Für die Jungs ist das wunderbar, da wir nach wie vor damit beschäftigt sein werden, zu diskutieren, ob wir nun genug fordern oder zu wenig usw., usw. Und ganz ehrlich: Solange wir Frauen permanent quasi über uns selbst diskutieren – wie jetzt hier auch schon wieder – kommen wir nicht in die Lage Beiträge zu anderen wesentlich relevanteren Themen, wie z.B. Klimaschutz, zu leisten und damit Gehör zu finden. Also brauche wir aus meiner Sicht, diese kleinen Schritte, um endlich am Tisch zu sitzen, wenn es „ums Eingemachte“ geht. Die COO von Facebook Sheryl Sandberg sagte dazu einmal: „Don’t get off the table!“ In diesem Sinne hoffe, ich, dass wir alle am Tisch bleiben und wissen, dass diese Unterschrift nur der Anfang sein kann. Aber ein Anfang. Endlich.

  9. Eine gesetzliche Frauenquote in dem Aufsichtsräten ist ja schön und gut, aber wo bleibt die gesetzliche Frauenquote in den Parlamenten ?

    Analog zu den Vorschlägen für Unternehmen könnte bei nicht erreichen der Quote die Wahl ungültig erklärt oder der Wähler mit einer Geldbuße belegt werden.

    Hier gibt es leider nur halbherzige Vorschläge wie z.B. die paritätische Besetzung der Wahllisten bei den Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen.
    Das hat nur den Effekt das traditionelle Frauenliste auf einmal illegal werden, aber der Wähler dennoch durch seine Stimmabgabe Männer bevorzugen kann.

Kommentare sind geschlossen.

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