Zum ersten Mal in der Geschichte der Olympischen Spiele wird es dieses Jahr keine Sportart geben, in der Frauen nicht teilnehmen. Und zum ersten Mal wird jedes Land Athletinnen entsenden, selbst Saudi-Arabien. Dennoch werden Frauen noch lange nicht gleichberechtigt behandelt.
So deutete es sich vor zwei Jahren bereits an: Bei diesen Olympischen Spielen dürfen nicht alle Frauen teilnehmen. Ausgeschlossen werden Frauen mit hohem Testosteronlevel – und das nicht bei nachgewiesenem Doping sondern bei natürlich erhöhtem Testosteronspiegel. An dieser Entscheidung ist soviel falsch, dass es schwer ist, mit einer Kritik anzufangen.
Wann genau der Testosteronspiegel bei einer Frau „zu hoch“ ist, ist umstritten. Bei allen Menschen schwankt er abhängig von Tageszeit, Alter, sozialem Status und körperlicher Fitness. Darüber hinaus ist auch der oft angeprangerte Vorteil für Frauen nicht zwingend der Fall. So ist lange bekannt, dass es auch Frauen gibt, deren Körper Testosteron nicht verarbeiten kann. Unter Athletinnen sind sie sogar überrepräsentiert.
Trotzdem wird immer wieder angeführt, mehr Testosteron gäbe einen unfairen Vorteil. Dieser geschlechtlich-konnotierte Vorteil ist allerdings der einzige, der jetzt zu Konsequenzen führt. Alle anderen Mutationen und Variationen der Natur werden hingenommen oder sogar gefeiert. Die englische Ausgabe der Wikipedia widmet den körperlichen Besonderheiten von Michael Phelps einen extra Absatz. Männer mit biologischem Vorteil: hui. Frauen mit biologischem Vorteil: Freaks, verkleidete Männer, pfui.
Auch dass Männer ansonsten massenweise bei den „leichteren“ Frauenwettbewerben teilnehmen, ist zu bezweifeln. Seit der Einführung von Geschlechtstests wurden zwar einige Athletinnen als Intersexuelle bzw. „Männer enttarnt“, sie lebten aber weiter als selbst-identifizierte Frauen. Santhi Soundarajan versuchte ob der Kontroversen um ihr Geschlecht, sich das Leben zu nehmen. Caster Semenya hat inzwischen dem Druck nachgegeben und eine Therapie begonnen, um ein weiblicheres Erscheinungsbild zu erreichen. Wie erniedrigend diese Tests sind, ist den Verantwortlichen dabei klar. 1976 wurde die Prinzessin Anne als einzige Frau des britischen Teams nicht getestet.
So reiht sich die Maßnahme in einen ekligen Trend der letzten Jahre ein, ein enges Frauenbild zu etablieren, das von allem „Männlichen“ klar abgegrenzt wird. Weltrekorde von Frauen gelten in der Leichtathletik nur noch, wenn sie in der Abwesenheit von Männern erzielt wurden. Im Badminton, Boxen und Tischtennis müssen Frauen im Röckchen antreten oder wird dies zumindest debattiert. Um Leistung, so wird deutlich gemacht, geht es im Frauensport nicht. Statt sich auf den Sport konzentrieren zu können, müssen Frauen wieder um ihr Recht kämpfen, wenigstens unter dem Rock eine Hose tragen zu dürfen.
Auf Geschlechtstests zu verzichten wäre da ein deutliches Zeichen, die Selbstidentifikation von Frauen zu respektieren und nicht durch unnötige Tests ihre Privatsphäre und körperliche Integrität zu gefährden. So bleibt es bei Erfolgen an der Oberfläche, während darunter weiter Sexismus waltet.
wie wärs überhaupt die geschlechtertrennung aufzuheben?
Im Sport meiner Meinung nach wenig sinvoll, in kaum einer „typischen“ olympischen Sportart liegen die Zeiten, Gewichte oder Entfernungen so dicht beianander dass nicht ein Teil der Menschen dann deutlich häufiger gewinnen würde.
Bei Sportarten wie Sport-Schießen oder vergleichbares, wo es nur auf Geschicklichkeit ankommt, da gerne.
Welche Wirkung von Testosteron nehmen die den an, mit der sie die Ausgrenzung begründen?
Es ist wirklich gruselig. Wenn es wirklich um körperliche Vorteile gehen würde, könnte man ja auch Größenbegrenzungen einführen. „Diese Frau ist unnatürlich groß, sie hat den anderen Basketballspielerinnen gegenüber einen unfairen Vorteil.“
Es ist nur noch absurd und ich frage mich, was da für Menschen Entscheidungen treffen dürfen.
Ich könnte schreien. Da macht mich so wütend. Was das Caster Semenja angetan hat, dass sie sich u.a. gezwungen fühlte, Bilder von sich im Kleid schießen zu lassen und jetzt auch noch das mit der Hormontherapie.
Es ärgert mich, weil ich selber immer wieder von Frauenärzten in die Richtung gedrängt werde, antiandrogene Hormone zu nehmen. Es ärgert mich, weil von einer Norm ausgegangen wird, die ich ihrer Ansicht nach übertrete.
Es ist so entwürdigend, wenn Menschen in aller Öffentlichkeit ihre Identität abgesprochen bekommen. Was für ein verdammter scheiß Männerverein bzw. auf Stereotype fixierter Haufen sitzt da eigentlich.
Überhaupt wird nicht erwähnt, dass die Testosteronmengen, wie Heinz Jürgen Voss mal sagte, auch unter Männern krass unterschiedlich sind, viel stärker als die Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Warum also nur Frauen* durch die neue Regel betroffen sind, kann ja nur wiederum auf allgemeine Misogynie zurückweisen.
@Helena: Testosteron spielt eine Rolle beim Muskelaufbau und wird immer wieder mit Aggression in Verbindung gebracht. Aber bei Hormonen ist nicht alles so schwarz/weiß, wie es in der Populärwissenschaft gern erzählt wird. Ein Teil der Testosterone wird z.B. in Östrogene („weibliche“ Sexualhormone) umgewandelt. Überhaupt ist es schwierig, die Auswirkungen eines Hormons zu einer Zeit auf eine Sache zu bestimmen – die biologischen Wechselwirkungen da sind relativ kompliziert. In “Woman: An Intimate Geography“ gibt es dazu interessante Ausführungen: http://maedchenmannschaft.net/ueberfluessige-orgasmen-und-hysterie-ueber-die-erforschung-der-frau/
dazu gibt es auch einen top-artikel von rebecca jordan-young in der new york times: http://www.nytimes.com/2012/06/18/sports/olympics/olympic-sex-verification-you-say-youre-a-woman-that-should-be-enough.html?_r=1&emc=eta1
@mike: Der zweite Link im Text geht dahin ;)
Das sehe ich genauso wie peter.
Die Trennung in Männer und Frauen ist konstruiert.
Wettkämpfe danach zu trennen ist veraltet.
Es ist ein Fehler.
Es schließt Menschen aus.
Inter* und trans* Personen zum Beispiel.
Sollen die Besten einfach gewinnen.
Egal welches Geschlecht sie leben.
oh sorry, ich habs grad gesehn ;)
Hm, da ich gerade über die Story mit Prinzessin Anne gestolpert bin. Wo liegt denn bitte der Sinn dieses Tests bei den Reitern? Das ist doch der einzige(?) gemischte Wettbewerb oder war das früher anders und wird da immer noch getestet?
Die Geschlechtertrennung bei den meisten Sportarten finde ich aber ok, sonst hätten wir gleich wieder die Debatte, dass die Frauen nicht mal in die Endrunden kämen und damit aus der Öffentlichkeit rausfallen würden. Es ist nun mal so, dass es da einen Unterschied gibt, das halte ich generell nicht für ein Problem.
Nur wichtig ist, dass dann die Sportarten auch gleich behandelt werden. Dass Testesteronwerte nicht mehr oder weniger wichtig sind als andere Besonderheiten. Und vor allem die Kleidungsvorschriften gleich sind, das regt mich immer extrem auf, bei Beachvolleyball gibt es sogar eine cm-Vorgabe, damit nur ja viel Haut zu sehen ist. Das ist nicht nur absurd, das entwertet auch den gesamten Sport.
@Ariane: Darüber war ich noch nicht gestolpert aber klar, beim Reiten macht es noch weniger Sinn. Menschen und Pferd – von beiden Spezies treten die Geschlechter gemischt an. Ich habe noch mal nachgeschlagen: Neben Anne waren noch 5 weitere Frauen im Reitteam. Es kann also kaum sein, dass sie die einzige Reiterin war und daher nicht getestet wurde…
danke Helga, für den Hinweis auf “Woman: An Intimate Geography“.
Diese Problematik ist sehr schwierig. Die Frage ist erstens, ob man Männer und Frauen in vielen Sportarten, eben in denen, in denen Männern ein körperlicher Vorteil nachgesagt wird, wirklich voneinander getrennt werden sollten. Wenn man dies bejaht, da ansonsten in manchen Sportarten die meisten Frauen kaum in die höchsten Ligen kämen und damit noch weniger Öffentlichkeit und damit auch Geld bekämen, als es jetzt schon der Fall ist, dann muss man irgendwo eine Grenze zwischen Mann und Frau ziehen.
Wann aber ist eine Frau keine Frau mehr, wann ist ein Mann eigentlich noch ein Mann? Erhöhte Testosteronwerte gelten bei Männern, sowie bei Frauen als Doping. Bei Männern sind aufgrund der durchschnittlich sowieso höheren Werte an Testosteron, auch die maximalwerte, wann ein Verdacht begründet ist, höher. Aber so wie es Frauen gibt, die besonders viel Testosteron produzieren, gibt es Männer, die besonders wenig produzieren. Man könnte dem ganzen damit begegnen, dass es maximal- und minimalwerte für beide Geschlechter gibt und ähnlich wie bei den Gewichtsklassen im Boxen einfach hier zweistufig Frauen und Männer zusammen in einer „Testosteronklasse“ antreten lässt. Männer mit besonders wenig Testosteron treten dann in der Klasse an, die zuvor ausschließlich für Frauen reserviert war und Frauen mit besonders hohen Testosteronwerten bei der zuvor noch den Männern vorbehaltenen Testosteronklasse.
Aber seien wir Mal ehrlich, auch das wäre nicht sachdienlich. Realität ist, dass es Männer gibt, die sich von einem antreten in einer Frauenliga besonderen Erfolg versprechen, den sie in einer Männerliga nicht erreichen. Für Frauen wäre es jedoch unfair, solche Männer antreten zu lassen, da sie dann in der eigenen Liga plötzlich Konkurrenz hätten, die man durch die getrennten Ligen eigentlich ausschalten wollte.
Zudem gibt es Menschen, die keiner Kategorie eindeutig zugeordnet werden können, sie komplett auszuschließen wäre auch unfair.
Jedoch sind wir uns vielleicht darüber einig, dass Dopingmittel nicht zulässig sein sollten, dass unsere Sportarten ohne solche Mittel auskommen sollte, da ansonsten alle Dopingmittel verwenden würden. Das Hormon Testosteron gilt jedoch als Dopingmittel. Sollte man dieses Mittel als Dopingmittel zulassen, damit Frauen mit erhöhten Testosteronwerten ohne Probleme bei Wettbewerben der Frauen teilnehmen dürfen? Dies führte in Zukunft dazu, dass in einigen Sportarten, in denen es auf Vorteile aus diesem Hormon ankommt, die Frauen anfangen würden, ja sogar müssten, Testosteron oder Mittel, die die Produktion von Testosteron anregen, zu nehmen, da sie ansonsten kaum Konkurrenzfähig wären oder sich zumindest damit einen legalen Vorteil versprechen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es im Interesse von irgendjemanden ist, dass die Frauen, sobald sie versuchen in höhere Ligen vorzustoßen, anfangen Testosteron zu nehmen.
Was aber bleibt dann übrig? Zugeführtes Testosteron lässt sich nicht von körpereigenem Testosteron unterscheiden. Wenn nicht gerade Mittel genommen wurden, die die Testosteronproduktion anregen, dann wird der Nachweis von „unnormalen“ Werten nicht möglich sein, außer man sperrt die Sportlerin ein und beobachtet sie ein paar Wochen um den Testosteronspiegel zu überprüfen. Auch das scheint mir nicht sachdienlich.
Vorschläge muss man auch an der Praxistauglichkeit messen. In der Praxis bleibt jedenfalls kein funktionierender Vorschlag übrig, solange man Frauen und Männer getrennt antreten lässt. Das ist aber in vielen Sportarten nicht im Interesse der Frauen. Als Opfer dieser Trennung werden deshalb immer wieder Frauen übrig bleiben, die aufgrund der eigenen Testosteronwerte als solche nicht akzeptiert werden. Um Gleichberechtigung zu schaffen, könnte man auch für männliche Opfer sorgen, nämlich bei Männern mit zu niedrigen Testosteronwerten. Aber dies würde ja dem Grundsatz, dass es eigentlich um die Bekämpfung von Dopingmittel geht, widersprechen.
Ein Dilemma, aus dem es offensichtlich nicht wirklich einen Ausweg gibt.
Einen Ausweg gibt es aber in den eindeutig Frauendiskriminierenden Sportarten wie Beachvolleyball. Es kann nicht sein, dass eine Sportart mit diesem Regelwerk unter diesen Regeln weiterhin ausgeübt werden darf. Im Sinne der Gleichberechtigung muss es Frauen möglich sein, Klamotten anzuziehen, die die Frauen nicht bloß zu einem Objekt machen sollen, damit der Anteil der gaffenden Männer erhöht wird… Solange die Klamotten keine erhöhte Verletzungsgefahr oder besondere Spielvorteile mitbringen, muss es gestattet sein, anzuziehen was man will.
Mit freundlichem Gruß
YoungSocialist
@YoungSocialist: Vielen Dank für Deinen sehr langen Kommentar, der leider total am Thema vorbei geht. Wie im Artikel beschrieben, bedeutet „mehr Testosteron“ nicht zwingend bessere Ergebnisse, gerade bei Frauen*. Außerdem geht es hier in keiner Weise um Doping, also die Einnahmen leistungssteigernder Mittel. Sondern um natürliche Variationen unter Menschen und die Konstruktion von Weiblichkeit; die Frage, wann eine Frau nun eine Frau ist.
Zum immer wieder angefühten Beachvolleyball: Dort gibt es inzwischen eine Ausnahmeregelung, nach der religiöse Frauen knielange Hosen tragen dürfen. Immerhin ein kleiner Schritt.
Also echt, in welchen Zeiten leben wir eigentlich?
Trennung in geschlechtsspezifische Wettbewerbe ist sinnvoll, aber nach zu schauen, ob Frau auch Frau ist – also bitte. Dann müsste man auch schauen ob Mann auch Mann ist.
Und überhaupt – vorzuschreiben, was Frauen anzuziehen haben, geht ja gar nicht. Weiteres negatives Beispiel ist doch da auch Beachvolleyball, wo vorgeschrieben ist, wie „klein“ das Höschen sein muss.
Einfach lächerlich, was da teilweise läuft.
@Helga: Ich weiß natürlich, dass es hier nicht um Doping geht. Das Problem ist aber, dass der Nachweis von unnatürlich zugeführtem Testosteron und selber produziertem Testosteron leider bisher nicht gelingt. Mir ist auch klar, das mehr Testosteron nicht immer zu besseren Ergebnissen führt, jedoch im durchschnitt reichen die Verbesserungen in manchen Sportarten dafür aus, dass Frauen und Männer sich künstlich Testosteron zuführen. Es gilt bei Frauen sowie bei Männern als Dopingmittel. Bist du der Meinung, dass die Vorteile bei Frauen nicht signifikant sind und man daher auf einen Test des Testosteronspiegels bei Frauen ruhig verzichten kann? Ich weiß es nicht, aber wenn es wirklich so ist, dann stimme ich dir natürlich zu.
Und auch wenn es um die Problematik geht, wann eine Frau eine Frau, wann ein Mann ein Mann ist, kommt man um das oben von mir erörterte Problem nicht herum. Aus diesem Grund werden die Teste ja gemacht. Man könnte natürlich sagen, die Unschuldsvermutung muss gelten und wenn eine Verwendung von Dopingmitteln nicht eindeutig beweisbar ist, muss eine Frau, egal wie hoch die Testosteronwerte sind, zugelassen werden. Das kann in der Praxis zwar negative Auswirkungen haben, aber nur, wenn eine künstliche Testosteronzufuhr bei Frauen wirklich eine signifikante Verbesserung der Ergebnisse bringt. Ich bin kein Arzt, ich weiß das leider nicht und wenn du Helga sagst, dass es bei Frauen eben nicht so ist, dann kann ich dir nur zustimmen, dass diese diskriminierenden Regeln nirgends was zu suchen haben.
Mit freundlichem Gruß
YoungSocialist
Oder habe ich das vielleicht falsch verstanden? Wird eine Frau von einer Sportart ausgeschlossen, weil sie erhöhte Testosteronwerte hat und man deshalb behauptet sie sei ein Mann? Oder wird sie wegen Dopingmissbrauchs ausgeschlossen. Wenn Ersteres der Fall sein sollte, dann danke ich dir für deinen Beitrag, denn das wusste ich nicht.
Mit freundlichem Gruß
YoungSocailist
Habe jetzt deinen Beitrag noch einmal gelesen. Ich bitte um Entschuldigung. Ich habe das wohl völlig falsch verstanden und kann deine Empörung völlig verstehen. Das ist auch für mich eine nicht nachvollziehbare Diskriminierung, die man eindeutig einstellen sollte. Einer Frau wird aufgrund eines einzigen nicht dem Durchschnitt entsprechenden Blutwertes abgesprochen, eine Frau zu sein. Das kann nicht sein!
Danke für deine Antwort und hoffe du nimmst es mir nicht übel, dass ich deinen Beitrag zunächst falsch verstanden habe.
Mit freundlichem Gruß
YoungSocialist
oje – genau: beachvolleyball, oder ist das eh kein sport?
@Helga
Beziehend auf Peter und Mera würd ich gern fragen: Wäre nicht die Aufhebung der Geschlechtertrennung die beste Lösung?
@Georg: Ich weiß nicht ganz, warum gerade ich diese Frage beantworten soll, wo mein Anliegen ist, dass die unwürdigen Tests aufhören müssen. Aber: nein.
@Helga: Na ich dachte eben, dass Dein generelles Anliegen die Dekonstruktion von binären Geschlechterrollen an sich sei. Daher kam ich drauf. Und damit hätte man ja auch die Tests gleich mit abgeschafft.
Vor allem: Welchen Sinn macht es überhaupt noch, die Menschen beim Sport in (ausgerechnet zwei) Geschlechter aufzuteilen, wenn es keine biologischen Zusammenhänge zwischen sportlicher Leistungsfähigkeit und Geschlecht gibt?
@Georg: Deine Idee, was mein Anliegen sei und wie es zu erreichen sei, klingt irgendwie nach post-gender. Ich habe auch nie behauptet, dass es keine Zusammenhänge zwischen sportlicher Leistungsfähigkeit und Geschlecht gäbe. In den meisten Sportarten ligen die Bestzeiten etc. von Frauen* unter denen von Männern*. Generelle Zusammenlegung würde leider bedeuten, dass Frauen* dann erstmal wieder unsichtbar würden und das bedeutete einen Rattenschwanz an Konsequenzen. Als Denkanstoß empfehle ich die Grafik der Marathonbestzeiten von Frauen* und Männern*, die Sociological Images mal gepostet hat:
http://thesocietypages.org/socimages/2011/12/13/opportunity-and-athletic-performance/
Den dort aufgezeigten, sozialen Zusammenhang von Leistung und Geschlecht und darüberhinaus Möglichkeit versucht die Leichtathletik-Kommission perfiderweise gerade wieder einzuführen, wenn nur noch Weltrekorde von Frauen gelten sollen, die bei reinen Frauenwettbewerben erzielt wurden.
Mich macht das ganze so traurig. Ich bin großer Fußballfan und jeden Tag merke ich wie frauenfeindlich alles dort ist.
Hi Helga, ich hatten die Sätze
so interpretiert, dass Du einen Zusammenhang zwischen Leistungsfähigkeit und biologischem Geschlecht stark in Frage stellst. Ebenso verstehe ich die verlinkte Grafik als Denkanstoß in die Richtung, dass Leistungsfähigkeit vor allem oder gar allein von sozialen Faktoren abhänge.
Aber wie ist es denn nun Deiner Meinung nach? Gibt es biologisch bedingte Unterschiede bei der sportl. Leistungsfähigkeit?
Denn wenn ja, dann ist es ja sinnvoll, einen Wettbewerb nach genau diesen biologischen Kriterien einzuteilen und auch versuchen, diese möglichst objektiv festzustellen (und eben nicht nach Selbsteinordnung).
Wenn nein, sollte man doch langfristig vor allem an der Abschaffung dieser Einteilung arbeiten. Vielleicht wäre statt bei Olympia es ja eher ein Anfang, in Schulen die verschiedenen Bewertungsmaßstäbe für Jungen und Mädchen abzuschaffen.
@Georg: Ich verstehe echt nicht, wie Du von meiner Aussage zu Deinem Schluss über meine Aussagen kommst. Testosteron wird oft als „männliches Hormon“ bezeichnet. Nun hat das Olypmische Komitee Angst vor „zu männlichen“ Frauen, also denen, mit zu hohem Testosteronspiegel. Dabei profitieren viele der betroffenen Frauen* nicht von diesem vermeintlichen Vorteil, weil das Testosteron nicht verarbeiten können. Dabei geht es mir nicht um den Zusammenhang von Leistungsfähigkeit und biologischem Geschlecht, sondern die Konstruktion von beidem durch das Komitee.
Wir leben in einem System, das derzeit Menschen in Frauen und Männer unterteilt. Menschen bei Wettbewerben nach „objektiven“ Kriterien einzuteilen, ist auch eine Möglichkeit, aber keine die ich derzeit für realistisch erachte und die, bei der Entwicklung aus unserem System heraus, auch systematische Fehler mitschleppen würde. Wie das vermieden werden könnte, ist nicht mein Thema.
„Wie das vermieden werden könnte, ist nicht mein Thema.“
Das finde ich sehr vernünftig, denn schließlich ist es nicht die Aufgabe der Dikriminierten, die Diskriminierung abzuschaffen.
Hi Helga, es mag tatsächlich sein, dass ich zuviel oder falsches bei Deinen Ansichten unterstellt hab. Genau deswegen habe ich aber im letzten Kommentar auch gefragt: Gibt es für Dich einen Zusammenhang zwischen biologischem Geschlecht und sportlicher Leistungsfähigkeit? Es wäre sehr hilfreich, das zu erfahren, dann muss auch niemand mehr spekulieren.
Das Olympische Kommitee sieht nämlich dieses Zusammenhang. Es glaubt, dass Frauen aufgrund biologischer Ursachen nicht die gleiche sportliche Leistungsfähigkeit erreichen können wie Männer. Deswegen bietet es einen Wettbewerb nur für Frauen an, weil es meint, so diesem angenommenen Nachteil der Frauen entgegenzukommen. Es hat also nicht „Angst vor ‚zu männlichen‘ Frauen“, sondern es sucht einfach nach einem objektiven Kriterium für die Unterscheidung.
Man kann diesen biologischen Zusammenhang natürlich für Blödsinn halten und das Olympische Kommitee wegen dieses Sexismus kritisieren. Dazu sollte man aber erstmal klären, ob es eben wirklich Blödsinn ist. Je nach Antwort ergeben sich doch völlig verschiedene Konsequenzen. Und die haben eben genau mit dem Sexismus in der Gesellschaft zu tun.
@Georg: Das Olympische Komitee agiert in einer Welt, die überall nach Männern und Frauen unterscheidet und das aus ganz verschiedenen Gründen. Aber das Komitee maß sich jetzt an, ausschließlich die Frauen* unwürdigen Tests zu unterziehen, weil Passeinträge und Selbstbezeichnungen ihnen nicht ausreichen. Mit einem Kriterium, das weder objektiv ist, noch zwingend die Leistungsfähigkeit beeinflußt. Um dann gesunde Menschen Zwangsbehandlungen zu unterziehen. Das kritisiere ich. Was ich vom Zusammenhang von biologischem Geschlecht und sportlicher Leistungsfähigkeit halte, ist dabei völlig egal und ich verstehe nicht, warum Du darauf bestehst, es zu erfahren.
Um mal ne Analogie zu bemühen (an der, wie bei jeder Analogie, ein Aspekt ähnlich und sehr viele unähnlich sind):
Es gibt ja auch ne Korrelation zwischen Alter und Leistungsfähigkeit bei jugendlichen Sportler_innen. Daher die Unterscheidung in Altersklassen, die die entsprechenden „Nachteile“ der Jüngeren berücksichtigen soll. Dabei orientiert man sich aber auch an dem, was die Athlet_innen als Alter angeben bzw was sich aus dem Ausweis ergibt, und kommt nicht auf die maximalinvasive Idee, die „Altersklassifizierung“ wegen der unterschiedlichen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen anhand von Untersuchungen, Vermessungen, Hormonspiegeln o.ä. vorzunehmen.
Dass der Testosteronspiegel (im Vergleich zwischen verschiedenen Menschen) erstmal keine zuverlässigen Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit hat, hatten wir ja schon oben. Er dient dem IOC also nur als proxy, um sich anzumaßen, danach das Geschlecht von Sportlerinnen zu „bestimmen“.
Spitzensportler brauchen eine unüberschaubare Vielzahl an biologischen (Bewegungsökonomie, Muskelzusammensetzung, diverse Hormone und deren Wirksamkeit, Hebelverhältnisse im Körper, …), mentalen (Motivationsfähigkeit, Frustrationstoleranz, Taktikverständnis, …) und „umweltlichen“ (erfolgreiche Rennradsportler_innen kommen natürlich vor allem aus Ländern, in denen solche Räder und die Ausübung des Sports auch erschwinglich sind für Talente, wo die nötige Infrastruktur (zB asphaltierte Straßen) vorhanden ist, …) Voraussetzungen. In der Weltspitze müssen diese (größtenteils nicht beeinflussbaren) Voraussetzungen alle erfüllt sein, gerade im Ausdauersport ist die Leistungsdichte vorne so enorm hoch, dass Promilleunterschiede über Sieg oder „ferner liefen“ entscheiden.
Und nun stellt sich das IOC hin und sagt: „Wir haben uns überlegt, dass einer dieser 100 nicht beeinflussbaren Faktoren, der auch nicht mehr ausmacht als andere, ja nicht nur einen Wettbewerbsvorteil liefern kann wie etwa das ebenso ’natürliche‘ Verhältnis aus langsam und schnell kontrahierenden Muskelfasern oder die Länge deines Oberschenkels im Verhältnis zum Unterschenkel oder deine Wachstumshormonfreisetzung im Schlaf. Nein, dieser eine Faktor entscheidet, ob du überhaupt mitmachen darfst und ob du Eine Echte Frau™ bist. Weil wegen ist so. Deswegen müssen wir dich genau untersuchen und dir gegebenenfalls deine ganze Identität absprechen.“
Diese Geschlechtsunterscheidung nach Testosteronspiegel ist ungefähr so zynisch, als würde man einen kleingewachsenen (erwachsenen) Menschen nicht wählen lassen, weil er_sie mit 1,52m Körpergröße ja eher im durchschnittlichen Größenbereich eines 11-12jährigen Kindes liegt, egal was der Ausweis dazu sagt. „Du bist nach unseren Regularien keine Frau“ ist ein Schlag ins Gesicht, der sich ja nicht nur auf den Sport auswirkt, sondern einen Angriff auf die ganze Identität darstellt.
„“Du bist nach unseren Regularien keine Frau”
Steht das da wörtlich drin?
Nein, das sind natürlich keine wörtlichen Zitate. Sicher etwas überspitzt ausgedrückt. Aber stell‘ dir mal vor, Sport wäre dein Lebensmittelpunkt, deine Leidenschaft und dein Beruf und plötzlich würdest du von den Wettkämpfen ausgeschlossen, an denen du immer teilgenommen hast, weil das IOC findet, dass mensch mit deinen Hormonwerten da (nämlich in Frauenwettkämpfe) ja eigentlich nicht reinpasst. Wie soll das letztlich ankommen, wenn nicht als „Wir finden nicht, dass du ne richtige Frau bist“?
@Johannes
Ob der Sport nun Leidenschaft oder Beruf oder sonstwie emotional aufgeladen ist, spielt keine Rolle.
Männer werden ebenfalls auf Testosteron getestet:
„Die positive Probe bei der elften Etappe der Tour de France am vergangenen Donnerstags erinnert an den Fall des US-Radprofis Floyd Landis. Er war bei der Tour 2006 des Testosterondopings überführt worden.“
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/testosteron-doping-biss-am-berg-dank-hodenpflaster-a-496504.html
Nun käme aber niemand auf die Idee, eine Interpretation ähnlich der deinen aufzustellen: „Wir finden, dass du ein zu richtiger (oder kein) Mann bist“, findet die Antidoping-Kommission.
PoC: Genau, bei Männern geht es um Dopingkontrollen, nicht darum, ob sie „echte“ Männer sind – aber überleg doch mal, woran das eventuell liegen könnte… Die „Interpretation“ liefert übrigens nicht Johannes, sondern das IOC – von „niemand“ würde ich da eher nicht reden. Worauf möchtest du denn eigentlich hinaus?
@PoC:
Das ist doch ne ganz andere Situation. Im einen Fall geht’s um natürlich „erhöhte“ Werte (gegenüber einer postulierten „Norm“), im anderen Fall um eine künstliche Zuführung von Testosteron. Im einen Fall um „Du darfst nicht bei den Frauen antreten, weil du zuviel Testosteron hast“, im anderen Fall um „Du wirst gesperrt, weil du gedopt hast“.
Und die „Aufladung“ des Sports spielt schon eine Rolle, es geht dabei ja auch um die berufliche Existenz der Sportlerin, die sie durch von IOC-Vorstellungen abweichende Hormonwerte verliert.