Gleichstellungolympiade

“Hallo.
Ich bin Hannah, 16 Jahre alt und ich würd gern hier mitspielen…”
Seit 3 Tagen schreibe ich mal wieder in alle möglichen Richtungen Bewerbungen oder Vorstellungsschreiben. Mal hier ein Wettbewerb, mal da eine Veranstaltung. Die Antwortquote liegt bei unter 10%  – die positiven Rückmeldungen gibt es in etwa 1%  der Antworten.

Mein Bemühen um dieses ominöse “Weiterkommen im Leben™” ist olympionikisch – olympiardisch? –ohh Lymp…hozyten dieser Welt vereinigt euch, mich Fremdkörper in dieser Welt, aufzuessen! – äh ja – Faden? Ach ja: Bewerbungen und Selbstdarstellung. Schon wieder voll verkackt – wie kann ein Kopf allein nur solche Sprünge haben machen?

Wie ich hier so sitze, in meinem Destroy Fascism – T-Shirt ohne Kragen, neben dem Bett mit beulig durchgelegener Matratze vor einem Fenster, das auf ein Dach zeigt, komme ich mir vor, wie jemand, der allen Grund hat, sinnlose Selbstdarstellungstexte mit Wertlack anzusprühen und davon zu träumen, wie das wohl wäre… 2000€ für diesen Preis – zack! alle Schulden weg. 10.000€ für jenen Preis – zack! Sektchen mit Kolleg_innen und jede Menge Ausbaumöglichkeiten, die ganz ganz ganz nah rücken, greif und nutzbar werden. Lobbyarbeit galore – eine Stimme für alle – hörbar werden, angehört werden, weil man plötzlich ein bisschen mehr ist wie die, die schon weiter gekommen sind. Boooyah!

Die meiste Zeit über motiviere ich mich zum Hoffen und merke mit jedem Mal mehr, wie viel Druck hinter Hoffnung ist. Es ist ein Privileg einfach immer das Beste hoffen zu können. Es ist eines dieser Privilegien, das einem anderen Privileg folgt: nämlich dem, Zweifel an die Seite von einem Order: “Guck, was schon alles geklappt hat” stellen zu können. Und das bedeutet wiederum, dass man es schon x-fach geschafft haben muss.
In aller Regel meint das: dass man schon weitergekommen sein muss im Leben ™.

Eigentlich weiß ich nicht mehr, wieso ich mich noch bewerbe. In den letzten Jahren tue ich es eigentlich nur noch, damit ich mein Schreiben über Hartz 4 – Realitäten und meinen eigenen Inklusionsaktivismus vor mir selbst rechtfertigen kann. Ich muss es bereits überall um mich herum verteidigen bzw. mindestens erklären– logisch muss ich es auch vor mir selbst.
Einfach loslegen – einfach machen und nicht drauf achten, was andere sagen, meinen, tun – das ist ein Privileg, derer, die andere Menschen nicht brauchen bzw. in Arten der Abhängigkeit sind, die dieses Handeln nicht bedroht. Einfach das Beste hoffen, ist das Privileg derer, die keine alles andere verzehrende Kraft aufwenden müssen, um ein Bestes zu tun.

“Hannah, wir haben 2015 – du bist nicht mehr 16. Änder das mal!”, rempelt mich etwas von innen an.
Ich drücke lange auf die Löschtaste. Und noch länger. Und noch eine ganze Weile.

Ich öffne meine Emails und lese, dass heute, der 5. Mai, der europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen ist.
Bei Twitter trendet die Re:publica.
Meinen Vortrag zur Inklusion und Selbstbestimmung von Personen, die zu Opfern von Gewalt wurden, wurde als irrelevant abgelehnt.

Draußen scheint die Sonne.
“Hei. Ich tue so, als wäre ich Hannah und an manchen Tagen weiß ich nicht, wo ich eigentlich die Kraft hernehme, noch auf irgendetwas zu hoffen.”, tippen meine Finger in die Open Office Textvorlage “Bewerbungsanschreiben” von 2008.
Man muss ja schließlich weiterkommen.
In diesem Leben™.

Ein Kommentar zu „Gleichstellungolympiade

  1. Hallo Hannah, Dein Text ist ja sehr nah an Susanne Billigs „Ein gieriger Ort“, aber das weißt Du wahrscheinlich.
    Was mich interessiert: Du schreibst etwas zu „Selbstbestimmung von Personen, die zu Opfern von Gewalt wurden“. Ich verstehe das nicht, möchtest Du es erklären? Wer verweigert Opfern von Gewalttaten Selbstbestimmung?

    Alles Gute,

    Bendte

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