In Großbritannien wird der Film Minority Report langsam Wirklichkeit. Dort werden “facial recognition technologies” ausprobiert, also die Gesichtserkennung von Passant_innen – denen dann „passende“ Werbung gezeigt wird. Große Aufmerksamkeit erregte damit vor kurzem die Organisation Plan UK. Deren neue Anzeige ihrer Kampagne “Because I Am a Girl” wird an einer Londoner Bushaltestelle nämlich nur Frauen angezeigt, während Männer einfach die Adresse der Webseite eingeblendet bekommen. Dieses Vorgehen wirft eine Reihe Fragen auf.
Während der Blick auf Werbung sonst einseitig bleibt, werden HD-Kameras nun hunderttausende Menschen scannen und ihre Gesichter untersuchen. Mitmachen müssen alle, die an der Bushaltestelle vorbei wollen, eine Möglichkeit zum Opt-Out gibt es nicht. Denn einen anderen Weg zu gehen ist nicht immer praktikabel und beeinträchtigt das Recht, sich im öffentlichen Raum frei zu bewegen. Unendliche Möglichkeiten gibt es dagegen bei der Auswertung der Daten. Immerhin ist es möglich, die Masse an Menschen zu individualisieren und das Verhalten einzelner Menschen zu protokollieren und auszuwerten. Wer war wo wann mit wem? Und hat wie lange auf die Werbung geschaut? Tatsächlich hieß von Seiten der verantwortlichen Werbeagentur, es würden keine Bilder gespeichert – wer und ob dies kontrolliert wird, bleibt aber unklar.
Fragwürdig ist auch die Begründung für den Fokus auf Frauen von Plan UK: „Wir geben Männern und Jungen nicht die Chance, die ganze Anzeige zu sehen – damit sie einmal sehen, wie es ist, keine grundlegenden Wahlmöglichkeiten zu haben.“ Das könnte vielleicht funktionieren, ginge es um Parlamentswahlen oder eine Wetteranzeige. “Because I Am a Girl” will aber weltweit Mädchen den Zugang zu Bildung erleichtern und der Kampf für Frauenrechte ist historisch Frauensache. Dass das bewußte Ausschließen von Männern diese zu Frauenrechtsaktivisten werden liesse, wäre super – wahrscheinlicher ist aber leider, dass einfach zementiert wird, dass sich Frauen um Frauenprobleme zu kümmern haben.
(via @ankegroener)
Hey, kleiner Hinweis der die Sache etwas weniger „gruselig“ macht: Auf der verlinkten Seite von the Independant hat ein Sprecher von Plan UK ergänzt:
Also ist zum einen ein Opt-In nötig, zum anderen kommt somit wohl auch die Botschaft wirklich an.
Ich dachte nämlich eben, Männer würden einfach nur eine weiße Fläche mit Webadresse sehen, was ja nicht zwangsläufig zur Erkenntnis führen würde „Mir werden hier gerade aufgrund meines Geschlechtes Informationen vorenthalten.“
Ich hab mir auch nochmal das Video angeschaut, auch hier wird der Vorgang klarer.
Aber es bleibt natürlich dabei: Nur weil diese eine Anzeige ein Opt-In voraussetzt, verhindert das natürlich nicht, die selbe Hardware später (oder sogar jetzt schon) auch für andere Zwecke einzusetzen.
Woran „erkennt“ die Technik denn überhaupt, ob es sich um Männer* oder Frauen* handelt? Und was passiert, wenn gleichzeitig zwei Personen „unterschiedlichen Geschlechts“ draufgucken? Aber ok, das sind natürlich erstmal mehr technische Fragen, Implikationen wie oben beschrieben sind da gesamtgesellschaftlich womöglich relevanter.
@Lena Schimmel: Ah, das hatte ich nicht gesehen, Kommentare bei Zeitungen zu lesen habe ich mir inzwischen abgewöhnt. Zur Datenlöschung sagt der Kommentar aber leider nichts und dass in Zukunft auf Opt-In verzichtet wird, ist weiterhin möglich.
Und egal wie das mit dem Informationen vorenthalten genau gelöst wird, mich überzeugt der Ansatz nicht. Da wird eine Hürde aufgebaut, die erstmal überwunden werden muss. „Frauenprobleme“ haben einfach diese „betrifft nur einen Teil der Bevölkerung“-Konnotation und um die zu überwinden muss die ganze Bevölkerung angesprochen werden.
Also, wenn ich richtig verstehe. Frauen bekommen Bilder eingeblendet und Männer Text. Auch diese Unterscheidung kann man als Aussage werten – werfe mal den Begriff „Ikonisches Gedächtnis“ in den Raum.
Persönlich möchte ich anmerken das ich wohl eher über ein fotografisches Gedächtnis verfüge – ob das jetzt durch feminine Anteile zu stande kommt weis ich nicht zu bewerten.
Zu den Kameras an sich. Weg mit dem Dreck, es ist ein Verstoß gegen die informationelle Selbstbestimmung.
cu
Uli e.
P.S.: Danke das ihr letzt in Göttingen auf der Podiumsdiskussion ‚Feminismus im Netz‘ wart. So konnte ich mal sehen (fotografisches Gedächnis) wer ihr seid und hören was ihr mitunter erlebt. Ich fand das klasse, aussagekräftig und wie man sehen kann nachhaltig – ich schreibe hier jetzt ;). Lasst euch nicht soviel ärgern von meines gleichen Geschlecht. Danke auch für die Aufkleber dort.
Minority Report arbeitet wohl mit Iriserkennung.
So sieht die planuk Werbung aus:
http://youtu.be/J38yGLoLwvY
Aufenthalt:
Wenn man sich das Video zu PlanUK ansieht, dann handelt es sich offensichtlich um eine Anwendung mit einem geringen Radius. An der prominenten Stelle werden in den zwei Wochen trotzdem viele Menschen vorbei gehen. Allgemein wird Gesichtserkennung an Bushaltestellen bald an Probleme stoßen, weil man öffentlichen Nahverkehr nicht ausweichen kann, besonders wenn das Wetter ungemütlich wird. Ich hatte deshalb mal geschrieben der größte Feind der Biometriefirmen sei die Wettermanipulationsindustrie mit ihrer Regen- und Hagelerzeugung.
Opt-in:
Zwar behauptet die Firma, es gäbe ein Opt-In aber sich an einer unmarkierten Stelle mit einer groben Sichtrichtung aufzuhalten ist keins.
Speichern der Bilder:
Wenn die Industrie sagt, dass keine Bilder gespeichert werden, meint sie eine anonymisierte Nutzung. Das heißt „irgendein ID-Nummer 33 hat 30 Sekunden geguckt, ID 47 ist ein Mädchen zwischen 29 – 35, ID 179 hatte immer gute Laune“. Das und Ähnliches kann gespeichert werden, aber eben keine Bilder oder Informationen die auf den Einzelnen zurückführen sollen. Es könnte aber auch sein, dass sie außer dem Geschlecht nichts weiter erheben. Auf Kontrolle solcher Maßnahmen ist der Staat nicht vorbereitet, zumal der Dienst möglicherweise durch eine Cloud geht und damit biometrische Daten der eigenen Bürger dem Ausland zur Verfügung stehen.
Frauen only:
Die Entscheidung für Frauen ist zum einen Zielgruppensegmentierung und anderen PR Stunt. Es gibt auch Gesichtserkennung die Kinder ausschließt, wie Temptations von KRAFT Foods http://youtu.be/hGKCD0dUxOA. Langfristig ist solcher Einsatz gegen Kundengruppen jedoch schädlich. Über planuk speziell hatten sich Transsexuelle beschwert, aus ersichtlichen Gründen. Bei einer Trefferquote von maximal 90% kann der eine oder andere Falscherkannte ziemlich böse werden oder sogar zum Spott vorkommen, wenn man sich die Werbung gemeinsam anschaut.
Zwei Personen:
Per Queue gelöst. Wer näher steht. Wer zuerst da war. Der zuerst erkannt wurde. Wer mehr ‚weiblich‘ ist. Zufällig gewürfelt.