Frederik bloggt auf Techno Candy und twittert auch.
Die Lokführer_innen streiken, die Fahrgäste drängeln und seufzen, die Medien hetzen und die Bahn-Verantwortlichen lassen eine Schmierenkampagne auf die Leute im Arbeitskampf niederregnen.
Der Streik tut weh, weil die Leute das Gefühl haben, dass sie sich nicht mehr frei bewegen können und in ihrer Mobilität eingeschränkt werden. Ich habe gestern einen Tweet verfasst, der bis jetzt 43 mal retweetet wurde (fame!) (üblicherweise werde ich von meinen großzügigen Follower_innen 0-2 mal retweetet), den ich jetzt noch ein bisschen ausführen will.
Was ist denn eingeschränkte Mobilität?
Eingeschränkte Mobilität, das ist das alltägliche Versagen der Deutschen Bahn. Das sind unendlich steigende Ticketpreise im Nah- und Fernverkehr (bei 19,20 Euro ALG II für den ÖPNV pro Monat), Ausfälle und Verspätungen wegen beschädigter Bahnen und Strecken, ein lückenhaftes Streckennetz, immer mehr geschlossene Bahnhöfe, kaum funktionierender Ersatzverkehr bei Störungen, und das Winterprinzip (Pro Schneeflocke eine gecancelte Fahrt). Das ist die Konsequenz von Privatisierung öffentlicher Güter.
Eingeschränkte Mobilität, das sind die Barrieren, die Leute mit Rollstuhl, Rollator, Krücken vom Reisen abhalten, das sind Zugfahrer_innen, die keine Zeit haben, die Rampe auszufahren, das sind fehlerhafte oder undeutliche Durchsagen, das sind überfüllte, stickige, zu heiße oder zu kalte Wagen. Das ist Ableismus.
Eingeschränkte Mobilität, das sind die inneren EU-Grenzen, die nur für weiße Menschen easy zu überqueren sind, das ist Racial Profiling bei Ticket- und Ausweiskontrollen, das ist Polizeigewalt und rassistische Schikane durch Behörden und Beamte, das sind die äußeren EU-Grenzen, an denen Leute ertrinken, verhungern, verdursten und ermordet werden. Das ist Rassismus.
Eingeschränkte Mobilität, das ist Catcalling auf der Straße, Sexismus am Arbeitsplatz, Rapeculture, Angst haben müssen, wenn mensch alleine nach Hause gehen will, das ist Gewalt und Kontrolle in Beziehungen, das sind Morde und Gewalt an trans Frauen, Queers und Sexarbeiter_innen, das ist die Potenzierung dieser Gewalt für all jene, in deren Lebensrealität Rassismus, Cissexismus und Armut eine Rolle spielen. Das ist Patriarchat.
Eingeschränkte Mobilität, das ist, wenn Feminismus plötzlich heißt, dass einige weiße cis Frauen die Möglichkeit haben, auf Kosten migratisierter, armer Personen unterschiedlichen Genders ähnliche giftige Privilegien abzuräumen wie einige weiße cis Männer sie genießen. Wenn Haushaltsarbeit, Pflegearbeit und Kinderbetreuung als klassische weibliche Arbeiten unterbezahlt und isoliert stattfinden, sodass eine Organisierung der Arbeiter_innen schwierig und ein Streik kaum denkbar wird. Wenn Deutschland das Land ist, in dem die Klassenreise nach „oben“ in ganz Europa am schwersten ist (mal abgesehen von der Reise nach Europa). Wenn ganze Stadtviertel entvölkert und neu besiedelt werden, sodass jene, die in den schicken Lofts irgendwas am Computer (Mac!) rumklicken, zur Arbeit mit dem Fahrrad fahren können (green!), und jene, die die Lofts putzen, eineinhalb Stunden in der nun streikenden S-Bahn verbringen müssen, um überhaupt ihren outgesourcten Job antreten zu können (5 Euro!).
Das sind Gründe, die Wut nicht auf die Gewerkschaft der Lokführer_innen oder gar auf die Streikenden selbst abzuladen. Das sind Gründe, die Bahn und alle anderen Unternehmen zu beklauen und zu betrügen. Das sind Gründe, unsere eigene Arbeit zu analysieren und zu verstehen, um dann in den Streik zu treten, welche Arbeit auch immer wir ausführen.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich die streikenden Lokführer nicht eher als Privilegierte sehe. Ich bin mit den meisten Punkten einverstanden, aber habe ein ungutes Gefühl, das Einverständnis aller Leute, die vom Reisen mit der Bahn abhängig sind, mit dem Argument Solidarität einfach vorauszusetzen. Ich sehe ein, dass ein Streik weh tun muss, aber wie weit darf man in das Leben von Leuten eingreifen, deren Situation vielleicht noch weniger rosig ist, mit dem Argument, für den Kampf der Arbeiter allgmein einzutreten? Vielleicht bewerten manche die Lage einfach anders, kann man einfach darüber hinwegsehen und sagen, wir entscheiden das jetzt für alle? Das ist eine ersnt gemeinte Frage.
@jane
„Ich sehe ein, dass ein Streik weh tun muss, aber wie weit darf man in das Leben von Leuten eingreifen, deren Situation vielleicht noch weniger rosig ist, mit dem Argument, für den Kampf der Arbeiter allgmein einzutreten?“
finde du bringst da einen guten punkt: stimmt, der streik schränkt ja real die möglichkeiten anderer lohnabhängigen ein. verursacht ihnen kosten, aufwand, viell. im extremfall einen jobverlust.
aber was zeigt uns denn das: in dem system kapitalismus wirst du GEZWUNGEN in konkurrenz mit anderen zu treten. ob du willst oder nicht. du kannst es natürlich auch lassen zu versuchen deine interessen durchzusetzen, aber selbst DAMIT schadest du anderen (löhne sinken zb allgemein).
mein vorschlag wäre: arbeitskämpfe anderer verstehen, auch wenns weh tut. sich möglichst GEMEINSAM wehren. aber dabei nicht stehenbleiben, sondern ein system kritisieren, welches für 90% der menschen leid und armut verursacht.
Eine kurze Frage vorweg, was hat die Bahn mit ÖPNV zu tun? Ja die Ticketpreise sind viel zu hoch, das idR liegt aber nicht in der Hoheit der Bahn, sondern den Stadtwerken oder Verkehrsverbänden letztlich also bei der Politik. Oder ist mit der Kritik etwas anderes gemeint was ich nicht verstehe?
Ich kann den Streik nicht verstehen und auch nicht befürworten. Ja, wenn es um mehr Geld gehen würde, ok, geringere Arbeitszeiten bei gleichem Lohn, ok, oder um bessere Arbeitsbedingungen. Alles gut um dafür zu streiken und hätte auch meine Unterstützung.
Ein Streik um sich im Gegensatz zu anderen Gewerkschaften zu stärken und deren Mitglieder schlechter stellen zu wollen, wie im Fall der GDL, hat dagegen nicht meine Unterstützung. Hier soll ein Keil durch die Belegschaft geschlagen werden mit den Gewinnern (GDL), den Verlierern (die anderen Gewerkschaften) und den ganz abgehängten (alle die sich nicht in einer Gewerkschaft organisieren können oder wollen)
Ja, über dieses „Sind wir nicht alle gegen das gleiche System“ denke ich gerade auch viel nach. Ich finde das aber nciht so einfach zu sagen, man zieht alle mit rein, ohne Rücksicht auf deren Verluste (Verluste deshalb, weil ein derart langer Transportverlust meiner Meinung nach ein gravierenderer Eingriff in das Leben von Menschen ist, als es bei anderen Arbeitskämpfen der Fall wäre). Andere sind unter Umständen noch weniger privilegiert als Lokführer, sollte man deren Verlust außer Acht lassen? Das kommt mir vor wie ein Kollateralschaden, der billigend in Kauf genommen und der GDL als Organisation mit starker Einflussmöglichkeit vielleicht auch einfach egal ist. Solidarität einfordern, den Gedanken finde ich nachvollziehbar, aber alle dazu zwingen? Es ist ja nicht so, als hätte man eine Wahl oder würde gefragt werden, sondern es wird einfach entschieden, dass sich alle (bzw die die Transport brauchen) sich jetzt zum Wohle des höheren Ziels, nämlich dem Kampf gegen den Kapitalismus, unterordnen und das in Kauf nehmen. Das finde ich nicht demokratisch und auch nciht rücksichtsvoll, und vor allem finde ich Argumentationen mit einem Großen Ganzen, das immer über dem Wohl der einzelnen steht, sehr fragwürdig. Wenn überhaupt, muss erstmal entschieden werden, ob das wirklich zum Wohle aller ist, und ob da auch alle, die mitmachen sollen, zustimmen (das Problem mit dem Sozialismus..).
zum Verstehen fällt mir noch ein: Das ist etwas, das man sich auch leisten können muss. Um den Arbeitskampf anderer zu unterstützen brauche ich auch Ressourcen. Konkret: Wenn ich nicht vom Fleck komme und zb ein Kind nicht aus der Kita abholen kann, habe ich einfach nicht die Mittel zu sagen, ich leiste meinen Beitrag und verzichte, damit andere unterstütz werden. Und würde das die GDL denn für mich auch machen? In erster Linie schädigt mich dann die GDL, und vielleicht habe ich mich im Kapitalismus mit seinen Einschräkungen immer noch wohler gefühlt, als in einer Situation, in der andere derart in mein Leben eingreifen. Ja, ich weiß, dann kann man wieder sagen, aber der Kapitalismus greift auch in mein Leben ein, aber am meisten weh tut mir nunmal gerade die konkrete Situation des Streiks.
Wie oben bereits gesagt: Stimmt. Das passiert durch den Streik. Anders: Würde der Streik unbemerkt passieren (siehe bspweise Amazon), kann auch nur sehr wenig Druck aufgebaut werden.
Stimmt. Aber umgekehrt: Nur weils anderen schlechter geht, soll ich mir von meinem Arbeitgeber alles gefallen lassen? Und nochmal umgekehrt: Meinst du diejenigen die weniger Lohn kriegen als ich, denen gehts besser wenn ich NICHT für mehr Lohn/ähnliches kämpfe. Würde eben sagen: nein
Stimmt. Das ist es nicht. Genausowenig wie es nicht demokratisch oder rücksichtsvoll ist wie Unternehmen agieren. So funktioniert dieses System leider.
(Demokratisch ist es aber zb der Versuch die Gewerkschaften mittels Gesetzesänderungen zu schwächen. Sollte einen stutzig machen ob das Argument „etwas ist nicht demokratisch“ wirklich ein sinnvolles ist.)
naaaja *g* So wie du es formulierst klingst es ja, als wäre ich für eine Diktatur von oben. Das was ich meine ist: Die ganzen Lohnabhängigen die sich auch mal durch Streiks und Co gegenseitig schaden, sollten sich ZUSAMMEN gegen das wehren, was sie schädigt: Und das ist eben der Kapitalismus der sich dazu zwingt sich auch ganz OHNE Streik immer gegenseitig in der Konkurrenz zu schaden.
Magst sagen was du damit meinst?
Insgesamt auch noch: Was wäre denn die Alternative für die GDLerInnen? Sich nicht wehren? Hat halt dann wiederum ganz andere unangenehme Konsequenzen (nicht nur für sie).
@Jane
Erstmal ist zu konstatieren, dass niemand zu Solidarität mit streikenden Lohnabhängigen gezwungen wird oder gezwungen werden kann. Das Gegenteil ist der Fall: Im Moment scheint common sense zu sein, eben keine Solidarität aufzubringen bzw. nur dann, wenn Streik vom Großteil der Gesellschaft nicht bemerkt wird. Das ist nicht der Sinn von Streiks. Sie sollen weh tun. Dass es überhaupt nur sehr vereinzelte Arbeitsniederlegungen gibt, die dann auch andere Lohnabhängige spüren und womöglich als ungerecht empfinden, hat nichts mit den Streiks als solchen, sondern mit der Gesetzgebung und der gesellschaftlichen Verurteilung von Arbeitskampf zu tun. Generalstreiks sind in Deutschland verboten, das einzige EU-Land in dem das so ist, soweit ich weiß.
Die Entsolidarisierung mit Arbeitskämpfen und ihren Streiter_innen ist Teil kapitalistischer Ideologie. Arbeitskämpfe sollen verhindert werden und genau deshalb wird jetzt auch so auf die GDL eingeschossen, damit Schwarz-Rot das Tarifeinheitsgesetz durchbringen kann, was das Streikrecht in Deutschland weiter einschränken wird. Hier wird knallharter Klassenkampf von oben betrieben und die Medienhetze gegen GDL und Weselsky macht sich auch unter der Bevölkerung bemerkbar, die komischerweise dann Auswirkungen auf andere Arbeitnehmer_innen oder Mobilitätseinschränkungen bemerken, wenn es um Arbeitskampf, also Widerstand gegen kapitalistische Ausbeutung, geht und nicht um alltägliche Auswirkungen derselbigen. Super wie diese Kampagnen und Diskurse fruchten.
Würde „demokratisch“ abgestimmt werden, wer sich gegen ein Ausbeutungssystem stellen möchte, würden die meisten mit Nein stimmen, aus unterschiedlichen Gründen. Was das Fortsetzen von Gewalt, Ausbeutung und Diskriminierung mit der viel gepriesenen „Demokratie“ zu tun hat, frag ich mich auch, haben doch wohl die wenigsten, die hier leben und arbeiten dafür gestimmt. Das ist der Kollateralschaden, den viele hinnehmen, weil ihnen entweder nichts anderes übrig bleibt oder weil es ihnen zu gut geht (auf Kosten vieler anderer)
Von welchen Verlusten sprichst du denn im Zusammenhang mit den aktuellen Streiks? Frederik hat ganz oben im Text verlinkt, welche Mythen um den aktuellen Streik geschürt werden und warum es Mythen sind. In deiner Argumentation findet sich doch das wieder, was im Text bereits kritisiert wird: Eben nicht wahrzunehmen, wie massenhaft Menschen durch Diskriminierung und Kapitalismus eingeschränkt sind (jeden Tag!), sondern die Verantwortung auf jene zu verlagern, die sich trauen, sich dagegen zu stellen.
Gewiss sind Lokführer privilegierter als andere. Deshalb haben sie doch die Möglichkeit ihre Arbeit nieder zu legen. Frederik hat dazu selbst auf Twitter noch einiges geschrieben >> https://twitter.com/andymisandry
Nadine: ich verspüre schon ganz reale Verluste, wenn ich mich nicht richtig um meine Familie etc kümmern kann, weil ich derzeit dazu gezwungen bin einen Großteil meiner Zeit für den Weg von A nach B aufzubringen. Ich kann nicht einfach nicht mit der Bahn fahren und laufen, da fühle ich mich definitiv gezwungen, und ich sehe auch nicht ein, dass Leute einfach meinen Verlust ihren Interessen unterordnen dürfen. Also ich bemerke dieVerluste definitiv, wenn ich anscheinend auch nur zu den anderen 10 gehöre. Das bedeutet nicht automatisch, dass ich für ein ausbeuterisches System eintrete oder einer kapitalistischen Ideologie anhänge, diesen Schluss ziehe ich einfach nicht daraus, diese Argumentation ist mir zu einfach. Und dann bleibt immernoch die Frage, ob ich die Forderungen der GDL überhaupt vernünftig finde und unterstützen MÖCHTE.
Aber dazu zwingt dich ja nicht die GDL. DIESEN Zwang hast du, weil du in diesem System gezwungen bist zu arbeiten und dein Arbeitgeber eben nicht an deinem Wohlbefinden interessiert ist. Sonst würde ja (bspweise vielleicht) die Fahrtzeit zur Arbeitszeigt gerechnet und du hättest weniger Probleme.
Welche 10 meinst du jetzt?
Aus Neugierde: Welche Gründe hättest du denn dagegen zu sein dass die mehr Geld verdienen bzw. weniger arbeiten müssen?
@jane
das ist doch ein nullsummenspiel. sollen sich deshalb arbeitnehmer_innen bestimmter branchen, deren dienstleistungen du in anspruch nimmst, automatisch deinen interessen unterordnen? oder vorher alle kund_innen zu einer umfrage bitten, ob sie streiken dürfen? wenn du dich irgendwann gezwungen siehst, deine arbeit nieder zu legen, weil es die letzte möglichkeit ist, bessere arbeitsbedingungen für dich und kolleg_innen (und andere mitglieder der gewerkschaft, der du angehörst) zu bekommen, würdest du dann auch darauf verzichten, weil es womöglich auswirkungen auf andere hat? plus.
außerdem: wir sprechen von 5 tagen, die gestreikt werden, von denen zwei werktage im öpnv betroffen sind und auch nur die unternehmen, deren mitglieder die GDL vertritt. wir sprechen hier nicht über einen totalausfall des gesamten öpnv über mehrere wochen und monate.
der streik jetzt findet inmitten den politischen verhandlungen um eine einschränkung des streikrechts statt, das bereits als verfassungswidrig kritisiert wurde und dennoch unbedingt auf den weg gebracht werden will. einschränkung von arbeitnehmer_innenrechten.
und noch mal: der text kritisiert auch noch andere dinge. hier geht es nicht unbedingt um die frage, ob menschen die forderungen der gdl „vernünftig“ (???) finden, die gar nicht zur gdl gehören.
@blaubart
„Ein Streik um sich im Gegensatz zu anderen Gewerkschaften zu stärken und deren Mitglieder schlechter stellen zu wollen,“
das ist leider falsch.
hier zur rolle der anderen gewerkschaften:
http://www.nachdenkseiten.de/?p=23772
die gdl will eben genau das gegenteil, keine spaltung in besser und schlechter gestellte.
Zunächst vielen Dank für diesen Artikel.
Ergänzend dazu: Am Mitwochabend hatte ich – während einer Zugfahrt mit einmal wieder mehr als 60 inuten Verspätung – eine sehr interessante Unterhaltung mit einer älteren Zugbegleiterin. Aus ihrer Perspektive geht es bei diesem Streik keineswegs um mehr Gehalt, sondern darum, im Betriebsrat überhaupt irgendwie vertreten zu sein. Sie erzählte davon, wie von der Arbeitnehmervertretung – in der keine einzige Stimme für das Zugpersonal (Schaffner, Gastronomie, Putzdienst) vertreten ist – z.B. eine Regelung für Taschenkontrollen verabschiedet hat, die ausschließlich das Personal im Zug betrifft und unter Diebstahlgeneralverdacht stellt. Auch wurde dort verabschiedet, dass es völlig in Ordnung ist, dass Vor- und Nachbereitungen, Zugverspätungen etc. nicht auf die Arbeitszeit angerechnet werden, also unbezahlt gemacht werden müssen, dass Bahnpersonal bis zu 56 Stunden ohne Rückkehr nach Hause im Einsatz sein darf, wobei dies durch Übernachtungen, zweistündige Pausen, mit denen die Leute tatsächlich nichts anfangen können etc. gestreckt werden können, und dass die Züge in immer schlimmerem Zustand sind, weil das Putz- und Reparaturpersonal viel zu wenig Zeit, um ihren Job anständig zu machen.
Das Ergebnis sind gestresste Zugbegleiter und kaputte Züge, was dann auch wieder in den Bereich der Bewegungsfreiheit fällt. Ich bin als Berufpendlerin jede Woche viele Stunden in ICEs unterwegs – und ständig sind Sitze und Toiletten kaputt. Wenn man bedenkt, dass es in der ganzen Bahn ein rollstuhlgerechtes WC gibt, ist es für Leute, die darauf angewiesen sind, ein ziemliches Desaster, wenn dieses nicht benutzbar ist.
Und zu guter letzt wurde die Bahn seit der Privatisierung derart kaputt gespart, dass die Bahn keinen Streik braucht, um massive Verspätungen und Zugausfälle zu produzieren – siehe Mainz und die Berliner S-Bahn.
Während der letzten Streik-Notfallfahrpläne kam ich tatsächlich pünktlicher zuhause an, als sonst.
Bahnverspätungen stehlen mir jede Woche Stunden an Lebenszeit, die ich anderweitig gut gebrauchen könnte. Die GDL ist daran aber nicht schuld und ich bin völlig solidarisch mit den Streikenden, die unter unmöglichen Bedingungen arbeiten und von den großen Gewerkschaften nicht ausreichend bis gar nicht repräsentiert werden. Hier soll mal wieder eine Gruppe von Leuten, deren Belange als nicht so wichtig erachtet werden, für das vermeintliche Wohl anderer zurückstecken. Und bei diesen Gruppen handelt es sich um ausgerechnet solche Tätigkeiten, die am schlechtesten bezahlt sind.
Zu guter letzt bin ich schockiert über die Berichterstattung in den Mainstreammedien, die sich an platter Stimmungsmache gegen die Gewerkschaft zu Gunsten des Konzerns beteiligt. In der FAZ wurde zuletzt die Bahn ausgiebig interviewt – die GDL hingegen kam überhaupt nicht zu Wort. Berufsethik, irgendwer?
Oops, sorry. Mir war nicht bwusst, dass das so lang geworden ist.
Stefon, Nadine: Ich weigere mich weiterhin, einfach die GDL als Freiheitskämpfer zu sehen, die sich aus für meine Rechte einsetzen und mich von den Zwängen befreien wollen, die mir angeblich nur der Kapitalismus auferlegt hat. Ich möchte schließlich auch nicht in einem System leben, indem eine Gewerkschaft, weil sie am lautesten schreit, einfach über mein Wohl entscheiden darf. Momentan nehme ich die GDL nur als eine Interessengruppe wahr, die ihre Macht ausspielt. Ich finde, dass bei dieser Diskussion eine ganze Menge Ideologie mitschwingt, die ich einfach nicht teile, und ich finde es befremdlich, dass mir jetzt Leute erklären, was meine INteressen und Zwänge EIGENTLICH sind. Das weiß ich ganz gut selbst, und ich fühle mich momentan in der Bewältigung meines Lebens konkret mehr durch den Streik eingeschränkt, als durch meine Arbeit, die ich auch nicht einfach liegen lassen will, damit eine Gruppe, der ich selbst egal bin, davon profitieren kann.
@Jane:
Nicht bös sein, aber:
Das habe ich (und ich glaube auch Nadine) ja nirgends geschrieben oder? Was gesagt wurde: die stecken in einer schlechten Lage und wehren sich dagegen. Und das Argument ist: Der Grund für ihre schlechte Lage ist der gleiche der dadurch führt dass die Firma DIR nicht einfach mehr Lohn zahlt oder die Verspätungen durch den GDL Streik ersetzt.
Das ist ja legitim. Aber geh doch einfach auf Argumente von Nadine und mir ein. Schnapp dir einen der Punkte und schreib konkret dazu warum der Gedankengang der da gemacht wird falsch ist.
Klar spielt sie ihre Macht aus. Aber ist das schlecht?! Macht an sich ist halt notwendig um etwas zu ändern. Zu kritisieren wäre doch der Grund. Du brauchst ja zb auch irgendeine Macht/Einfluss um Dinge zu erreichen.
Das liegt halt daran, dass du Lohnarbeit hinnimmst und nicht als kritikwürdig siehst. Und nochmal, was schlägst du denn vor was die EisenbahnerInnen gegen Lohndumping und Verschlechterung ihres Arbeitsumfelds tun? Nichts?
Mein Vorschlag wäre es zu versuchen herauszufinden was der Grund für die unangenehmen Seiten der Arbeit ist die sie verrichten. Und kann mensch schauen ob das die gleichen Gründe die dein/mein/unser Leben schwierig machen. Meine These: Die Gründe sind dasselbe. Der Drang nach Profixmaximierung von Unternehmen. Und das meine ich mit: Als Lohnabhängige hast du ein gemeinsames Interesse wie die Streikenden, unabhängig davon ob du das so siehst oder nicht.
@jane
das ist etwas unreflektiert.
ich war auch ziemlich von dem letzten streik betroffen, mein familienurlaub wurde dadurch um ein drittel reduziert, ich hatte nicht die möglichkeit auf andere verkehrsmittel auszuweichen. ich kann meine familie ca. zwei bis dreimal jährlich besuchen, jeweils für ein paar tage. mehr geht nicht und mir hat das sehr weh getan.
mein denkvermögen reicht trotzdem dafür aus zu kapieren, dass der problemverursacher nicht die gdl, sondern die db ist.
aber gerne lasse ich mich durch argumente überzeugen von denen du bisher leider keine gebracht hast: welche alternative gibt es für die gdl? wie soll sie sich sonst versuchen durchzusetzen als mit einem streik? was soll die gdl noch machen, sie setzt sich gerade dafür ein für alle tarifverträge aushandeln zu dürfen, ohne diese möglichkeit werden erstreikte höhere löhne nämlich einfach bei den anderen nicht vertretenen berufsgruppen von der db wieder rein geholt durch kürzungen, minijobs etc.
und letzte frage: warum bist du nicht wütend auf den db vorstand, der für einen bahnbörsengang und gewinne weniger eh schon reicher menschen die breite masse seiner angestellten über die klinge springen lässt?
wem es nicht passt, dass die lokführer streiken, soll sich eben dafür einsetzen, dass die bahn wieder öffentlich wird und die lokführer verbeamten.
Die zum Einstieg erwähnte „eingeschränkte Mobilität“ aufgrund des qualitativ wie quantitativ schlechten Angebots der DB ist mitnichten die Konsequenz von Privatisierung öffentlicher Güter, sondern vielmehr die Konsequenz der Monopolisierung des Eisenbahn-Netzwerks durch einen einzigen Anbieters. Bei einer gesunden Konkurrenz mit alternativen Angeboten würde es sich kein Anbieter halten können, der leistungsmässig nichts anständiges bereitstellen kann.
@Patrick: LOL! Oh ja, die Privatisierung des Zugverkehrs hat grandiose Konsequenzen – sieht man ja (und schilderte Millie bereits). Auch in England, zum Beispiel, kann man das wunderbar erleben, dort klappt alles wie am Schnürchen dank „gesunder Konkurrenz“, nech. /sarcasm #smdh
Ich hab‘ überhaupt nichts zu ergänzen, sondern will einfach nur sagen: Danke, Nadine für den Text, ich wünschte, er wäre aus meiner Tastatur geflossen ;-).
@WTF: Meinst du die Kommentare oder den Blogpost? Der Blogpost wurde von Frederik geschrieben. :)
@blaubart ich habe bei der Aufschlüsselung des HArtz-4-Regelsatzes nur eine Angabe für ÖPNV gefunden, nicht für generelle Transportmittel. Ich vermute, dass die Hartz-4-Nehmer_innen sich nur mit dem Regionalverkehr fortbewegen sollen. In kleinen Städten, wo es keine Busse, Trams und U-Bahnen gibt, fährt die DB, und das würde ich persönlich auch als ÖPNV betiteln (mag sein, dass das vom Verkehrsministerium anders genannt wird!). Was ich im Text damit sagen will: Die Tickets sind teuer und im AlG II / Hartz 4 ist dafür gerade mal 19,20 Euro vorgesehen. Questions dazu? Dann bitte nochmal formulieren, sonst versteh ich sie nicht.
@Jane
@Stefon
danke für eure ausführliche Diskussion und danke
@Nadine für deine Hinweise dazu.
Jane, ich nehm mal deinen individualisierenden Standpunkt auf und denke ihn konsequent weiter: Wenn du die Arbeitsbedingungen der Lokführer_innen und des Zugpersonals (siehe @Millies wertvollen Hinweis, vielen Dank!) für deren persönliches Problem hältst, könnten die Lokführer_innen auch sagen: „Ist doch dein persönliches Problem, dass du Zug fahren willst“ Du hast kein Grundrecht darauf, dass andere für dich (und für den Rest der Transportmittelabhängigen) sich krumm schuften und Niedriglöhne in Kauf nehmen. Du hast kein Recht darauf, dass andere dein Leben über ihres Stellen. Das ist eine Riesenerwartungshaltung, die du da formulierst. Und wie auch schon andere ausgeführt haben (und was mein Text sagen soll), geht es hier _nicht_ nur um die Angestellten der DB, sondern um das Streikrecht (das nämlich Grundrecht ist, anders als dein Wunsch danach, dass andere für dich Dreck fressen) an sich, um die Art und Weise, wie wir dieses System bekämpfen und wie wir lernen können, uns eine andere Zukunft vorzustellen.
Es klingt, als würdest du in der Pflege arbeiten oder d_eine Familie versorgen oder beides. Wieso bist du so angewiesen auf das reibungslose (haha) Funktionieren der Öffentlichen? Wieso gibt es zB keine bezahlbaren Taxis, wieso reichen Busse usw. nicht aus? Wieso reichen die Ressourcen (Geld,…), die dir zur Verfürgung stehen, nicht aus, um diese paar Tage zu überbrücken? Klingt ehrlich gesagt ganz schön prekär. Wenn der Streik dir dein Leben durcheinander bringt, kann es auch nicht so superprivilegiert ablaufen. Wer ist Schuld daran? Wie wenig ist das Leben, das du (durch Pflege- oder Familienarbeit) aufrecht erhältst, wert? Wer bezahlt dich (nicht) dafür?
Ich könnte jetzt auch wieder sagen: Nach deiner Logik ist das dein verdammtes Privatproblem, mit dem du dealen musst, und mit dem du bitte die Lokführer_innen nicht behelligen sollst.
Das ist aber nicht meine Ansicht, sondern nur ein Gedankenbeispiel.
@Patrick Darf ich fragen, in welcher Branche/welchem Job du arbeitest, wo diese Theorie aufgeht? Bei Arte gab es übrigens neulich eine tolle Doku-Reihe zur Entstehung, Propagierung und gewaltvollen In-Die-Praxis-Umsetzen der Mythen, die du hier ranzitierst. Hier der Link: http://info.arte.tv/de/der-kapitalismus-doku-reihe
Ist ein gesundes Gegenprogramm zu Milton & Friends.
@Charlott &
@accalmie danke fürs moderieren
Vielen Dank für den Artikel. Es gibt noch einen Punkt, den ich wichtig finde.
Wenn überhaupt eine Zuständigkeit für ausfallende Züge ausgemacht werden kann, dann ist das nicht die GDL, sondern die Bahn selbst. Mein Vertragspartner in Sachen Zugfahren. Das sind doch diejenigen, die Tickets verkaufen und Gewinne einstreichen. In der Regel ist es die Bahn, die gerne ihren Einfluß auf die jeweiligen Bundesregierungen geltend machen möchte mit dem Argument, dass sie ja schließlich ganz toll Menschen und Güter befördere.
Die Bahn bringt gerade ihre Leistung nicht, weil sie ihre Angestellten nicht bei der GDL vertreten sehen möchte.
Wenn die Bahn es nicht schafft, erwartete Leistung zu erbringen, weil sie eben nicht genügend zufriedene Angestellte hat, um den Personenverkehr über fünf lächerliche Tage aufrecht zu erhalten, dann ist die Bahn schuld. Nicht die streikenden Angestellten.