Heute Nacht wurden die Oscars verliehen. Und auch wenn es in den letzten Jahren immer viele Gründe zur Beschwerde gab, dieses Jahr wurde schon allein bei den Nominierungen (negativ) aufgetrumpft:
- Es wurden ausschließlich weiße Schauspieler_innen in allen Kategorien nominiert. (Für alle, die Zahlen mögen: 20 von 20!)
- Ausschließlich Männer wurden als beste Regisseure und Drehbuchautoren nominiert.
- Und das, obwohl es beispielweise Ava DuVernay mit „Selma“ gegeben hatte – ein Film, der überhaupt einfach missachtet wurde. Dazu möchte ich auch noch an den Colorlines Artikel „Academy Voter Offended by Selma Cast Wearing ‘I Can’t Breathe’ Tees“ erinnern, oder Flavorwires Zusammenstellung „Whitesplaining ‘Selma‘: A Hall of Shame„.
Wer trotz alledem noch etwas zu den diesjährigen Oscars lesen möchte, empfehle ich den Liveblog bei Autostraddle nachzulesen (vor allem auch wegen der GIFs!) und Stacy L. Browns Artikel bei Bitch „The Oscars Needs to Solve its Diversity Issues—Or Become Irrelevant„. (Nachtrag: Außerdem lesenswert Shakesvilles Zusammenfassung des Abends inklusive einer kritischen Analyse von Patricia Arquettes Aussagen.)
Und für all jene, die gern Filme gucken möchten, die nicht die immer gleichen Geschichten über die immer gleichen Figuren ansehen möchten, habe ich noch kurze Filmbesprechungen (Achtung, eventuell Inhalts-Spoiler) rückblickend auf die Berlinale. Dyke Hard hatte Hengameh hier bereits besprochen. Drei weitere Filme, nach denen es sich lohnt Ausschau zu halten:
Body von Małgorzata Szumowska
Eines der großen Themen der Berlinale war sicher die Forderung nach Quoten bei der Regie und die anknüpfenden (wie leider häufig bei Quoten-Themen) etwas unterkomplexen Diskussionen. Und wer auf die Idee gekommen war ein Trinkspiel zum Ausspruch des Berlinale_Leiters Kosslick, es ginge dieses Jahr um „starke Frauen in Extremsituationen“, zu machen, lag sicher am Ende der zehn Filmtage mit einer Alkholvergiftung danieder. Fakt bleibt, dass nur drei der 19 Wettbewerbsfilme von Regisseurinnen stammten. Małgorzata Szumowska gelang es aber trotzdem für „Body“ den silbernen Bären für die beste Regie mit nach Hause zu nehmen – als zweite Frau überhaupt nach Astrid Henning-Jensens Sieg im Jahr 1979.
Mit Body gelingt es Szumowska ein Film, der trotz seiner schweren Themen (Verlust der Mutter, Frau, eines Kindes), immer auch eine gewisse Leichtigkeit vermittelt. Neben all der Tragik weiß Szumowska, die auch das Drehbuch mitschrieb, geschickt absurde und lustige Szenen einzusetzen, ohne dass die Geschichte ins Lächerliche gezogen wird. Dabei wechseln sich auch Weitwinkelaufnahmen der teils trostlosen Stadtkulisse mit symetrischen Detailaufnahmen in Treppenhäusern oder Nahaufnahmen von Nahrung, die es schaffen, dass auch alle Zuschauer_innen sich gleichermaßen vor dem Essen ekeln wie Protagonistin Olga. In Body geht es um das Vater-Tochter-Gespann Janusz (Janusz Gajos) und Olga (Justyna Suwała), die vor Jahren die Mutter/Frau verloren haben und seitdem mehr oder weniger neben einander existieren. Janusz ist Untersuchungsrichter und scheint von keinem noch so grausamen Mord berührt zu werden – füllt seinen Kühlschrank aber vor allem mit Wodka auf. Olga verweigert mal ganz die Nahrung, um dann des Nachts Massen zu vertilgen und zu erbrechen. Nach einem Selbstmordversuch (nicht ihr erster) wird sie in eine Klinik eingewiesen. Dort trifft sie auf Therapeutin Anna (Maja Ostaszewska). Doch auch Anna hat mit Geistern der Vergangenheit – ganz wortwörtlich – zu kämpfen. Der Film fragt, wie Menschen mit unfassbarer Trauer nach Verlusten umgehen, wie Körper und Seele zusammengehören, wie wir uns bewegen, unseren Körpern zusetzen und diese einsetzen. Eine einfache Lösung gibt es sicher nicht. Und wenn am Ende des Films die Sonne aufgeht, weiß man als Zuschauer_in – so wie auch die ProtagonistInnen – nicht ganz ob weinen oder lachen, oder vielleicht einfach beides.
Stories of Our Lives von Jim Chuchu
Auch Stories of Our Lives gehörte zu den Preisgewinnern (wenn auch nicht im Wettbewerb, wo er nicht lief). Der Film des kenianischen Künstler_innen-Kollektivs The Nest erhielt den Special Jury Award 2015 der Teddy Jury sowie erreichte den zweiten Platz beim Panorama-Publikumspreis. Von Juni 2013 an sammelte das Kollektiv Geschichten von LGBTI in Kenia. Fünf dieser Erzählungen haben sie fiktionalisiert (Drehbuch: Jim Chuchu und Njoki Ngumi und als Episoden in diesem Film zusammengefügt. In klaren schwarz-weiß Bildern, die sie wählten um sich vom üblichen braun-gelb-orange-Farbschema von Filmen über Afrika abzusetzen, hat das Team fünf thematisch auch sehr unterschiedliche Mosaikstücke entworfen: Aks Me Nicely, Run, Athman, Duet und Each Night I Dream. Gerade der letzte Teil hallt lange nach. In diesem liegt die Protagonistin Liz nachts im Bett, nicht schlafen könnend, Gedanken kreisen um die neuen LGBT-feindlichen Gesetze und Aufrufe zur Gewalt. In Gedanken geht sie mögliche Szenarien für sich und Partnerin Achi durch. Würden sie eine sich wehrende Grrrl-Gang bilden? Oder wegrennen? Und wenn letzteres, was mitnehmen?
Insgesamt hat das Team bereits über 200 Geschichten dokumentiert. Nun planen sie, diese in einem Buch zugänglich zu machen. Es lohnt sich also auch weiterhin auf der Seite des Kollektivs nach Updates Ausschau zu halten.
Wonderful World End von Daigo Matsui
Wonderful World End lief im Jugendprogramm „Generation 14plus“ der Berlinale. Die 17-jährige Shiori (Ai Hashimoto) viodecastet über ihr Leben, ist zu einiger Bekanntheit wartet aber noch auf den wirklichen Durchbruch. Sie lebt mehr oder weniger mit ihrem theaterspielendem Freund zusammen, ist bei einer Agentur unter Vertrag und ist sich zunehmend unsicherer, ob das alles so läuft, wie sie es sich erträumt. Mit Ayumi (Jun Aonami) jedenfalls hat sie einen großen Fan, diese haut sogar extra von zu Hause ab um Shiori näher zu sein. Zu erst weiß diese nichts mit der schüchternen Ayumi anzufangen, aber nach und nach entfaltet sich eine Beziehung. Als ihr Freund dann Ayumi wegschicken möchte, damit zwischen ihm und Shiori wieder alles so wird wie „früher“ wird, Shiori richtig wütend. In einer wunderbaren Szene hält sie Ayumi einen Vortrag: „Jungs werden dich nie beschützen, also lass sie zurück!“ Und genau das machen die beiden dann auch – obwohl noch weitere Hindernisse folgen bis sie glücklich durch eine Blumenwiese rennen können. Die meisten Besprechungen stürzen sich vor allem auf die Rolle von Kommunikation in Chats, Videocasts und Blogs oder schreiben vom Einblick in die „bunte Plastikwelt“ japanischer Teenager, dabei vergessen sie leider die nicht zu verachtende Geschichte die hier mit all diesen Mitteln erzählt wird und verkennen auch den bewussten Einsatz knalliger bis hin zu surrealen Bildern.
Auswahl aus den folgenden Filmen (alle fett markierten finde ich ebenfalls empfehlenswert): Architektura (Ulu Braun), Black President (Mpumelelo Mcata), Blood Below the Skin (Jennifer Reeder), Body (Małgorzata Szumowska), Breathe Umphefumlo (Mark Dornford-May), Cha và con và (Phan Dang Di), Dyke Hard (Bitte Andersson), Feelings Are Facts: The Life of Yvonne Rainer (Jack Walsh), Ixcanul (Jayro Bustamante), Je suis Annemarie Schwarzenbach (Véronique Aubouy), La sirène de Faso Fani (Michel K. Zongo), Lembusura (Wregas Bhanuteja), Les Choses et les Mots de Mudimbe (Jean-Pierre Bekolo), Lo Sum Choe Sum (Dechen Roder), maku (Yoriko Mizushiri), MAR DE FOGO (Joel Pizzini), Misfits (Jannik Splidsboel), Nadie quiere la noche (Isabel Coixet), Selma (Ava DuVernay), Stories of Our Lives (Jim Chuchu), Wonderful World End (Daigo Matsui)
Der Film Grbavica von Jasmila Zbanic gewann 2006 den goldenen Bären. Sie wurde bei der Aufzählung hier übergangen. Małgorzata Szumowska wäre demnach die dritte Frau nach Zbanic 2006.
@dija: Ich schrieb nur davon, wer den Bären für beste Regie gewann und den erhielt Zbanic nicht – oder habe ich etwas übersehen?