Was passiert, wenn Journalist_innen falsche Informationen weitergeben, ohne sie nachzuprüfen? Wenn Ikonen der Linken in ihrem Kampf für Gerechtigkeit Teile der Linken gegeneinander ausspielen? Im Zeitalter des Internets und besonders Twitter eine ganze Menge, wie der US-amerikanische TV-Moderator Keith Olbermann und der Filmemacher und Autor Michael Moore feststellen mussten.
Sie wurden die Ziele der #MooreandMe-Kampagne auf Twitter, nachdem sie die Vorwürfe gegen Julian Assange und besonders die Opfer lächerlich gemacht hatten. Olbermann hatte über Twitter den Namen eines der Opfer verbreitet und so potentiell in Gefahr gebracht. Er und Moore hatten weiter vermeintliche Fakten erzählt, die sich später als falsch herausstellten, etwa dass in Schweden bereits ein geplatztes Kondom Grund für eine Anzeige und Verurteilung seien. In seiner Begründung, warum er die Kaution für Julian Assange bereit stelle, schrieb Moore schließlich, man dürfe die „offizielle Geschichte niemals, jemals glauben“, außerdem sei es dank WikiLeaks möglich, die „nächste Große Lüge“ bloß zu stellen.
Nun hatte Bloggerin Sady Doyle die Nase voll, denn dass Vergewaltigungsopfern „niemals, jemals geglaubt wird“, sei einer der Gründe, warum sie selten Anzeige erstatten. Große Lügen begleiteten auch viele der Betroffenen, deren Handlungsmöglichkeiten entweder mies oder beschissen sind. Entweder wagen sie sich niemals an die Öffentlichkeit, bis sie von den Geheimnissen schließlich aufgefressen werden. Oder sie riskieren, dass statt der Taten sie selbst in den Fokus der Öffentlichkeit geraten, ihre Familien, ihre Arbeitsstellen, ihre Hobbies zum öffentlichen Gut werden, bis sogar ihr Leben in Gefahr gerät. Doch, so Doyle, mit dem Internet gebe es erstmals die Möglichkeit, wichtigen Personen direkt zu sagen, wenn sie falsch liegen und dabei noch eine breite Öffentlichkeit zu erreichen. Sie startete den Hashtag #MooreandMe (nach dem Film Roger & Me von Moore) und rief ihre Leser_innen dazu auf, auch an Moore, bzw. seinen Account @MMFlint zu twittern. Ziele waren eine Erklärung seiner Äußerungen und wenn möglich, ein Entschuldigung sowie 20.000 Dollar (den Kautionsbetrag) als Spende an eine Organisation, die sich gegen sexualisierte Gewalt einsetzt. Nach Tagen des Protests griff schließlich Olbermann’s Protegée Rachel Madddow die Kampagne in ihrer eigenen TV-Show auf und konfrontierte Moore damit.
Auch an @Maddow hatten sich die Aktivist_innen auf Twitter gewandt und darauf gedrungen, Moore nicht davonkommen zu lassen. Im Blogeintrag zur Sendung wurde die Twitter-Kampagne verlinkt, Maddow selbst drückte sich ein wenig vager aus. Sie zerlegte erst das von WikiLeaks veröffentlichte Memo, in Kuba sei Moore’s neuer Film „Sicko“ sei in Kuba verboten worden (er wurde dort gezeigt) und fragte Moore schließlich, ob es möglich sei, Bedenken gegenüber dem Timing zu haben und gleichzeitig dafür zu kämpfen, alle Vergewaltigungsvorwürfe ernst zu nehmen. Seine Antwort:
Every woman who claims to have been sexually assaulted or raped has to be, must be, taken seriously. Those charges have to be investigated to the fullest extent possible. For too long, and too many women have been abused in our society, because they were not listened to, and they just got shoved aside… The older people here remember how it used to be. It’s not that much better now, it got a little better, because of the women’s movement made that happen.
Jede Frau, die erklärt sie sei sexualisiert angegriffen oder vergewaltigt worden, hat ernst genommen zu werden, muss ernst genommen werden. Diese Vorwürfe müssen genauestens untersucht werden. Für viel zu lange sind zu viele Frauen in unserer Gesellschaft missbraucht worden weil man ihnen nicht zugehört hat und sie nur zur Seite geschoben wurden… Die älteren Leute hier erinnern sich noch, wie es früher war. Es ist noch nicht viel besser heute, es ist ein wenig besser geworden, weil die Frauenbewegung das zustande gebracht hat.
Wie Doyle anmerkt, kann es nicht viel besser geworden sein, wenn Kampagnen wie #MooreandMe überhaupt noch nötig sind, wenn viele der Unterstützer_innen wiederum angegriffen, belästigt und bedroht werden. Es sollte auch keine Woche dauern klarzustellen, dass Opfer von Vergewaltigung und sexueller Nötigung Respekt verdienen und ernst genommen werden müssen. Eine Entschuldigung gab es schließlich auch noch von Michael Moore, als direkte Nachricht an Doyle über Twitter.
Olbermann kam bei der Sache glimpflicher davon, zeigte sich aber von seiner schlechtesten Seite. Er blockte, entblockte und blockte viele der Feminist_innen, die an der Twitter-Kampagne teilnahmen und drohte, sich wegen des „Trubels“ von Twitter zu verabschieden. Das tat er dann doch nicht, sondern stilisierte sich zum größten männlichen Unterstützer des Feminismus im Fernsehen – ein Titel, der ihn in seinen Augen anscheinend davor bewahrt, jemals selbst Mist zu bauen. Außerdem griff er Doyle persönlich an, weil sie als Raucherin kein echtes Vorbild für Frauen sein könne und verdammte die Bewegung aufgrund eines einzigen “Kill yourself”-Tweets (Bring Dich um). Tatsächlich ein Zitat einer seiner eigenen Tweets. Lange sah er sich als unschuldiges Ziel eines feministischen Shitstorms, bevor er schließlich erklärte, er identifiziere sich mit den Zielen von #MooreandMe und habe sich für seine Äußerungen entschuldigt. Wo, wann und wie die Bitte um Entschuldigung erfolgte, bleibt unklar, auch stellte er nie richtig, dass z.B. nur sexuelle Nötigung und Vergewaltigung in Schweden strafbar sind, nicht aber geplatzte Kondome.
So wird #MooreandMe zum Lehrstück, wie Mechanismen, die bereits der Frauenbewegung der Siebziger Jahre das Leben schwer machten, noch heute bestehen. Wer sich selbst als links, fortschrittlich und aufgeschlossen sieht, ist nicht davor gefeit, Fehler zu machen und im Kampf für eine Sache, Teile der eigenen Unterstützer_innen zu ignorieren oder ihnen sogar das Leben schwer zu machen. Und es im schlimmsten Fall nicht einmal mitzubekommen. Genauso zeigt sich, welche Macht Journalist_innen haben, deren Tweets von ihren Follower_innen aufgesogen und als Fakten angesehen werden – selbst wen die Grundlagen journalistischer Arbeit dabei schmächlich vernachlässigt wurden. Es zeigt sich aber auch, dass Journalismus immer weniger eine Einbahnstraße ist, wie Twitter inzwischen die Möglichkeit bietet, grobe Fehler anzuprangern, Entschuldigungen einzufordern und bessere Arbeit zu verlangen – manchmal sogar schon mit Erfolg.