Feministische Avantgarde: Selfies aus den 1970ern

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Ein Mann und eine Frau betreten einen der Ausstellungsräume. Er schnaubt etwas verächtlicht mit Blick auf die präsentierten Fotografien, sie läuft hinter ihm her. Dann nähern sie sich einigen Bildern an, bleiben stehen. Er bemerkt im fachmännischen Ton: „Ist halt alles aus den 70ern, das darf man nicht vergessen. It’s dated.“ Ich bin in der Ausstellung „Feministische Avantgarde der 1970er Jahre“ in Hamburg und wie wenig ‚dated‘, also veraltet oder überholt, eine künstlerische, feministische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Verhältnissen ist, beweist nicht nur dieser Herrklärer.

Und er ist nicht der einzige. Einige Räume weiter begegne ich einem zweitem Mann-Frau-Gespann. Sie stehen vor der Videoaufnahme der Aktion „Change“ von Ewa Partum aus dem Jahr 1974. In diesem lässt sie sich vor Publikum die eine Hälfte ihres Körpers in ein älteres Alter Ego umschminken, um dann ihren Körper zu Kunst zu erklären. Der Mann kommentiert: „Und hier wird sie jetzt hässlich geschminkt.“ Wüsste ich es nicht besser, könnte es sich um eine ironisch-bissige Performance handeln: „Typen, die Frauen feministische Kunst erklären“. Aber dem ist nicht so.

In den große Kunstmuseen, aber auch in den Gallerien, sind die Werke von Künstlerinnen bis heute unterrepräsentiert. Und als vor einigen Jahren das Pariser Centre Pompidou die Kunstwerke von Männern einlagerte und ausschließlich Künstlerinnen präsentierte (elles@centrepompidou), traf dies auf viel Skepsis (aber auch gute Besucher_innenzahlen). Bisher zogen keine ähnlich renomierten Kunsthäuser nach – und es ändert sich auch nicht viel an dem Fakt, dass auch der Anteil von Kunstwerken von Künstlerinnen am Gesamtbesitz des Centre Pompidous immer noch unter 20 Prozent liegt.

Die nun in Hamburg präsentierten Werke stammen allesamt aus der Sammlung Verbund, also einer Firmensammlung (sie wurde von der österreichischen Verbund AG gegründet), die zeitgenössische Kunst von 1970 bis heute erwirbt. Ein Schwerpunkt liegt auf feministischer Kunst, welche die Kuratorin Gabriele Schor unter dem Begriff „Feministische Avantgarde“ zusammenfasst. Zu sehen sind nun breiter bekannte Künstlerinnen wie Cindy Shermann, Ana Mendieta und VALIE EXPORT, aber auch weniger Bekannte mit einem regionalen Fokus (wenn auch dieser kaum explizit artikuliert wird) vorwiegend auf Europa und die USA. Die Ausstellung präsentiert über 30 Künstlerinnen und macht deutlich, dass es natürlich Kunstschaffen von Frauen gab und gibt (und der Mangel an diesem nicht der Grund für die sonst seltene Repräsentation in Museen/ Galerien sein kann). Das Phänomen selbst ist auch perfekt in einem der ausgestellten Werke reflektiert: In „Some Living American Women Artists/ Last Supper“ (1972) besetzt Mary Beth Edelson das ikonische „letzte Abendmahl“ mit Künstlerinnen.

Renate Bertlmann: "Waschtag"
Renate Bertlmann: „Waschtag“

Viele der gezeigten Werke setzen sich mit Geschlechterinszenierungen, Rollenerwartungen und Sexualisierung auseinander. Paradigmatisch dafür ist vielleicht die Fotoreihe „Portfolio Of Models“ (1974) von Martha Wilson, in der sie zur Verfügung stehende Modelle (Göttin, Hausfrau, Angestellte, Geschäftsfrau, Erdmutter und Lesbe) ironisch seziert um am Ende zu konstatieren: „Im Laufe der Zeit habe ich sie alle anprobiert, aber kein Modell hat gepasst.“ Die Beschränkung aufs häusliche buchstabiert – im wahrsten Sinne des Wortes – Martha Rosler in ihrem Video „Semiotics of the Kitchen“ (1979) durch. Sie steht in einer Küche hinter dem Tisch, starrt direkt in die Kamera und präsentiert alphabetisch sortiert Küchengegenstände mit Gesten, die mögliche Verwendnungen suggerieren. Statt freundlichen Essbewegungen zur Gabel gibt es so bestimmt-aggresive Zustech-Gesten.

Von Leslie Labowitz und Suzanne Lacy ist eine Dokumentation (Fotografien und Video) ihrer Performance von 1977 zu sehen mit der sie in Los Angeles mit 70 weiteren Frauen vor der Los Angeles City Hall auf Gewalt gegen Frauen hinwiesen und skandierten „Women Fight Back“. In eine ganz andere Richtung gehen die Arbeiten von Francesca Woodman. Von ihr werden eine ganze Reihe von Selbstportraits, angefangen mit ihrem „Self-Portrait At Thirteen“ (1972), ausgestellt. Doch beide Werk(reihen) haben wenig an Aktualität eingebüsst. Gewalt gegen Frauen (und natürlich insbesondere mehrfachdiskriminierter) ist nach wie vor ein feministisches Thema. So wie auch die Selbst-Inszenierung junger Frauen in Eigenportraits, wie es heute meist am Beispiel von Selfies verhandelt und diskutiert wird.

Und so lässt es sich gut durch die Ausstellung gehen, Querbezüge zu aktuellen feministischen Debatten ziehen oder aber auch mit kritischem Blick auf einige der Werke zurückgucken. Durch die Ausstellung selbst geschieht dies leider kaum. Die Handzettel, die es zu jeder Künstlerin gibt, geben zwar eine gute knappe Idee über die zu sehenden Werke, ordnen aber wenig ein oder geben weitere Inormationen wie zur Rezeption der Werke zur Entstehungs- und Erstausstellungs-Zeit. Einführund zur Gesamtausstellung gibt es nur eine Informationstafel, auch auf dieser fehlt leider eine weitere kritische Situierung wie auch nach der Frage, warum Künstlerinnen aus gerade den Regionen und warum mit wenigen Ausnahmen weiß besetzt. (Warum dies nicht geschieht, ist eben wahrscheinlich auch auf die Art der Sammlung mitzurückzuführen.)

Am Ende der Ausstellung gibt es eine Wand mit pinken Klebezetteln. Dort können Besucher_innen ihre Gedanken notieren und hinzukleben. Enstanden ist so quasi ein weiteres Ausstellungsstück, welches übertitelt werden könnte „Schland und Feminismus. 2015.“. Zu lesen sind dort wichtige Kritiken an der Zusammenstellung, pure Begeisterung, Feststellungen dazu, dass all jene verarbeiteten Probleme nun ja überwunden seien, die Frage, wo denn der Feminisms ™ heute ist, eine ganze Reihe von Zetteln, die die Farbauswahl bemängeln („Pink ist Sexismus!“) und natürlich auch Highlights wie das Folgende:

Differenziertes Feedback: "Schrecklich! Davon bekomme ich ja Alpträume!"
Differenziertes Feedback: „Schrecklich! Davon bekomme ich Ja! Alpträume!“

Die Ausstellung „Feministische Avantgarde der 1970er Jahre. Werke aus der SAMMLUNG VERBUND, Wien.“ läuft noch bis zum 31. Mai in der Kunsthalle Hamburg.

Ein Kommentar zu „Feministische Avantgarde: Selfies aus den 1970ern

  1. Eine Freundin erzählte mir, dass in der Ausstellung Blackfacing vorkommt, das lapidare „Und so lässt es sich gut durch die Ausstellung gehen“ oben ist dann wohl nicht angebracht, falls das stimmt, ich bin nach der BF Info natürlich nicht reingegangen.

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