Frauen können nicht einparken, Männer finden sogar ohne Karte noch ihr Auto in einer fremden Stadt wieder. Frauen orientieren sich an Gebäuden, Männer an Himmelsrichtungen – dass in diesen Klischees auch wissenschaftliche Wahrheit stecke, behaupteten besonders erfolgreich Barbara und Allen Pease. Zum Ärger der Psychologin Prof. Dr. Claudia Quaiser-Pohl und der Neurobiologin Dr. Kirsten Jordan. Beide erforschen in ihrer täglichen Arbeit, wie Männer und Frauen Informationen verarbeiten, vor allem, wenn es um die Orientierung geht. Zusammen mit 15 weiteren Wissenschaftler_innen stellen sie in „Warum Frauen glauben, sie könnten nicht einparken – und Männer ihnen Recht geben“ die Ergebnisse ihrer Arbeit vor und setzen sich dezidiert mit den Thesen der Peases auseinander.
In den ersten Kapiteln geht es um Aufbau und Funktionsweise des Gehirns und damit einige populäre Weisheiten: Bei Frauen kommunizierten die beiden Gehirnhälften besser miteinander, Männern fehlte dagegen ein eigenes Sprachzentrum im Gehirn. Für die erste Annahme gibt es bis heute nur uneindeutige und widersprüchliche Ergebnisse, die zweite Annahme ist lange widerlegt: Auch Männer haben ein Gehirnareal für Sprachen.
Auch Untersuchungen zum Einfluss der Sexualhormone stellen sie vor. So korrespondierten Schwankungen im Monatszyklus mit Schwankungen in einigen Testergebnissen. Vom Hormonspiegel auf die Berufseignung oder -neigung zu schließen ist den Autor_innen zufolge aber ein Fehler. Je nach Zyklusphase erreichten die untersuchten Frauen bessere Ergebnisse in Tests, die sie auch ansonsten gut bewältigten, aber auch in Tests, in denen sonst Männer die besseren Leistungen zeigten. Auch Männer sind vor Leistungsänderungen übrigens nicht gefeit – und inzwischen ist klar, dass ihr Testosteronspiegel ebenfalls deutlich schwankt, von tages- bis jahreszeitlichen Veränderungen.
In den weiteren Kapiteln werden verschiedene Studien zur räumlichen Orientierung und der Fähigkeit, Gegenstände mental zu rotieren, erläutert. Ausgewählte Testaufgaben zum selbst testen und die grafisch aufbereiteten Ergebnisse erleichtern dabei das Nachvollziehen. Tatsächlich gibt es verschiedene Strategien im räumlichen Denken, die auch von Männern und Frauen verschieden häufig genutzt werden. Allerdings gibt es keine ausschließlich weiblichen oder männlichen Strategien, oft werden sie auch kombiniert – von beiden Geschlechtern.
Hinter den Ergebnissen steht immer noch die Frage „Nature or Nurture“ (naturgegeben oder anerzogen). Handelt es sich wirklich um Unterschiede weil Mann und Frau verschieden sind oder werden wir verschieden gemacht? Abschließend beantworten lässt sich die Frage nicht. So erkunden Jungen ihre Nachbarschaft genauer als Mädchen und trainieren entsprechend ihren Orientierungssinn; Mädchen dagegen bewegen sich seltener alleine und meist auf denselben Wegen. Ob sie damit natürlichen Begabungen folgen oder von ihren Eltern sozialisiert werden, ist bisher ungeklärt. Ein spannendes Indiz ergab sich aus einer anderen Studie. Dort wurde nach der Motivation teilzunehmen gefragt: Die Teilnehmerinnen meldeten sich öfter, weil sie sich schlecht einschätzten und ihre Fähigkeiten verbessern wollten. Die Teilnehmer gingen bereits davon aus, dass sie gut abschneiden würden. Am Ende schnitten fast alle Teilnehmer_innen gleich ab.
Insgesamt bietet das Buch fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse statt populärer Weisheiten, verständlich beschrieben und ein ausführliches Literaturverzeichnis mit Originalartikeln und Wissenschaftsbüchern zum Weiterlesen. Damit ist mensch für die nächste „aber Frauen können einfach nicht einparken“-Diskussion bestens gewappnet.
Erschienen bei dtv, 192 Seiten, 9,50 €
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Warum Frauen glauben, sie könnten nicht einparken – und Männer ihnen Recht geben jetzt bestellen
Ich würde das Thema gerne etwas radikalisieren: der Streit um die Frage, was angeboren, und was sozial vermittelt ist, geht am Kern der Sache letztlich vorbei.
Auch biologische Unterschiede sind keine Natur – das sind Differenzen, die nur auf sprachlicher Ebene funktionieren, und Natur beschreiben. Beschreibungen jedoch sind sprachliche Artefakte, Konstrukte. Die Unterscheidung in Frau und Mann ist keine Unterscheidung, die Natur selber hervorbringt, sondern ein Unterschied, den Menschen machen, wenn sie über Natur sprechen.
http://www.michael-michaelis.de/htdocs/konstruktion-von-identitaet
Liebe Helga,
danke für den Tipp, ein gutes Geschenk für meinen Vater. Ich führe mit ihm (Naturwissenschaftler) in regelmäßigen Abständen die Biologismus-Diskussion. „Eine Frau kann gegen einen Mann niemals Schachweltmeisterin werden“, ist sein Lieblingsstatement dazu.
Viele Grüße
Steffi
Michael, du meinst, biologische Unterschiede* sind keine Natur, sondern beschreiben diese nur? Versteh ich das richtig, dass folglich der Umstand, dass einige Menschen schwanger werden können und andere nicht, keine Angelegenheit der Biologie / Natur ist, sondern rein vom Menschen beschrieben? Ohne die Beschreibung des Menschen gäbe es gar keine 2 „Sorten“ von Menschen, nämlich die, die schwanger bzw. nicht schwanger werden können?
* sind _natürlich_ nicht in Stereotypen zu suchen. Aber dass einige Menschen einen Unterus und andere einen Penis haben ist schon eine gewisse Art Unterschied.
michael, die idee finde ich ziemlich clever, damit kann man weitgreifend dinge erklaeren. fragt sich nur, ob er in diskussionen mit „frauen koennen schlechter einparken“-vertretern verstanden wird.
Schön dass es da einen gut fundierten Gegenentwurf gibt, ich habe mich über das Barbara und Allen Pease Buch sehr geärgert.
Damit, dass biologische Unterschiede ein reines Konstrukt ist, tue mich allerdings schwer. Ich sehe das so, klar gibt es 2 unterschiedliche Menschen, die einen können Kinder bekommen, die anderen nicht. Aber daraus abzuleiten, wer was sonst noch kann – ab da halte ich es für ein Konstrukt.
Ich sehe auch die Sache was-wer-besser-kann nicht zwischen Geschlechtern, sondern zwischen einzelnen Menschen angesiedelt. Wobei sich dann die Frage stellt, würde es der/die einzelne tatsächlich nicht können, oder hat er/sie diese Fähigkeit einfach nur latent und wegen Desinteresse bzw. mangelnder Förderung nicht ausgebildet. Weil – wir nutzen unser Hirn ja bei weitem nicht in vollem Umfang – wir arbeiten sozusagen mit Ausschluss von Fähigkeiten zu Gunsten der Ausbildungen von ein paar wenigen.
sehr schön auf den punkt gebracht!
apropos geschlechtsspezifische verhaltensweisen – kennt ihr die „secrets of the sexes“ doku-reihe der BBC? Ich fand sie sehr gut als denkanstoß, auch wenn man nicht alles glauben muss/soll, was da behauptet wird. ich denke dass alle folgen auf youtube zu finden sind,
hier die erste: http://www.youtube.com/watch?v=PiDwwSpsrps
Natürlich gibt es Menschen, die schwanger werden und solche, die das nicht können, jenseits von Sprache. Das hat bloß keine Bedeutung. Erst in dem Moment, wo man darüber nachdenkt, das erinnert, für die Zukunft plant, darüber redet, entsteht der Unterschied zwischen den Geschlechtern. Erst in der Sprache entsteht „Mann“ und „Frau“, mit dem ganzen mit diesen Begriffen verbundenem System von Bedeutungen und Konnationen. Auch der Unterschied zwischen „Biologie“ und „Gesellschaft“ ist einer, den man ausschließlich in Sprache macht (den es übrigens in der Vormoderne noch gar nicht gab).
Diese Sicht der Dinge ist übrigens kein schrulliger Einfall meinerseits – die Debatte zwischen „Nominalisten“ und „Universalisten“ ist so alt wie die Philosophiegeschichte, und in den aktuellen Debatten finden sich (ausgehend von Derida und Wittgenstein) sehr radikale nominaistische Positionen. Guckt mal bei Judith Butler rein – deren Theorie wendet sich sehr explizit gegen die Trennung zwischen „Sex“ und „Gender“ in der feministischen Theorie.
Man muss dazu auch sagen, dass „kann Kinder bekommen“ auf viele Frauen nicht zutrifft. Gleichzeitig ist „kann Kinder zeugen“ kein universelles Kriterium für einen Mann. Es gibt eine ganze Reihe an Gründen, warum Menschen nicht gebär-/zeugungsfähig sind – und dennoch werden sie als „Frau“ oder „Mann“ klassifiziert. Was macht eine Frau zur Frau, die keine Gebärmutter hat? Was macht ein Mann zum Mann, der keinen Penis hat?
Ansonsten seh ich das auch wie Inge: Die größeren Unterschiede gibt es mMn zwischen einzelnen Personen.
Wann es seine Bedeutung erhält, ist irrelevant. Fakt ist, dass es sogar erhebliche Bedeutung hat.
Dass es ein Einfall von Judith Bulter ist, muss nicht bedeuten, dass es zutrifft.
@Sabrina
Das Geschlecht besteht ja nicht nur während der fruchtbaren Lebensphase, sondern auch vorher und danach. Wir sind uns relativ einig darüber, dass Mädchen weiblich und Jungen männlich sind, aber gebär- bzw. zeugungsfähig sind sie nicht. Natürlich gibts es auch Menschen mit unklarem Geschlecht. Aber für die allermeisten trifft Obiges zu.
Weil es ganz gut paßt: ich habe heute an den oben verlinkten Text einen vierten Abschnitt angehängt, u.a. dieses:
„Ein oft gehörtes Argument für die anscheinend naturgegeben Trennung von Frauen und Männern lautet ja, daß die einen schließlich schwanger werden könnten, die anderen nicht – das sei ein Unterschied von so ungeheurer Bedeutung, daß man ihn nicht beiseite schieben könne. Die Bedeutung ungeleugnet, ist sie jedoch keinesfalls fraglos und zu allen Zeiten gleich „groß”. Wenn man etwa einen adligen Grundbesitzer im Mittelalter nach der Bedeutung von Gebärfähigkeit fragt, wird er drei Fälle unterscheiden: die seiner Frau bis zur Geburt des männlichen Erbfolgers; bei den Kindern danach (die immer noch zählt, aber nur noch gewissermaßen zur Ersatzbeschaffung, falls dem Erbfolger etwas zustößt); und die der Mägde auf seien Höfen (die ihn allenfalls in ihrer Rolle bei der Beschaffung von Arbeitskräfte interessiert). Dem entsprechen drei unterschiedliche Frauenbilder und -rollen.“
@Michael Michaelis
Man hätte die Frau des Gutsbesitzers und die Mägde fragen sollen, welche Rolle die Gebärfähigkeit in IHREM Leben spielt.
Spaß beiseite: „das sei ein Unterschied von so ungeheurer Bedeutung“. Wie groß die Bedeutung ist, mag schwanken. Allerdings hat ja nicht nur die schiere Gebärfähigkeit eine „Bedeutung“ für das Leben. Menstruation, Verhütung, mögliche spezifische Erkrankungen usw. sind nur einige andere nicht ganz unbedeutende Tatsachen. Nehmen wir als Beispiel das Gender-Mainstreaming:
„Typische „Männerprobleme“ wie Alkoholkrankheit und Nikotinsucht sowie Herzinfarkt seien auch „männerspezifisch“ erforscht, so dass Frauen mit gleicher Problematik weniger Hilfsmöglichkeiten hätten. Das Gleiche gelte für „Frauenprobleme“ wie Mager- oder Tablettensucht und deren Forschungslage bezüglich Männern.“
http://de.wikipedia.org/wiki/Gender-Mainstreaming#Gesundheit
Spätestens, wenn eine Frau andere Symptome eines Herzinfarktes zeigt, bekommt ihre Biologie eine ganz immense Bedeutung. Denn wenn der Arzt diese Unterschiede zwischen Männern und Frauen nicht kennt, kann es böse enden.
@empört: Das ist am Ende auch noch zu kurz gegriffen. Denn bevor klar wurde, dass Frauen häufig andere Symptome haben beim Herzinfarkt gab es trotzdem schon welche, bei denen ein Herzinfarkt erkannt wurden – weil sie die „männlichen“ Symptome hatten. Und umgekehrt gibt es auch Männer, die eher „weibliche“ Symptome zeigen. Wenn ein Arzt dann zu sehr auf die geschlechtsspezifischen Symptome schaut, kann es böse enden. Dabei unterscheiden sich die Symptome auch nach dem Alter und abhängig von Diabetes. Wobei auch hier gilt: es gibt keine klare Linie, wer die Symptome a und b hat ist weiblich, wer Symptome x und y zeigt, ist männlich. So einfach ist das leider nicht.
Schließlich findet sich in der Wikipedia noch ein schöner Satz, der das Prinzip männlich=Standardeinstellung gut illustriert:
Und es gibt auch während der Zeit der „fruchtbaren“ Lebensphase genügend Menschen, die „nicht-fruchtbar“ sind, ob temporär oder dauerhaft.
Eben, genau dies beschrieb ich bereits oben. Mädchen und Jungen haben bereits ein Geschlecht lange bevor sie fruchtbar sind und ohne dass feststeht, ob jedes Kind einmal fruchtbar sein wird. Ebenso sind unfruchtbare Frauen z.B. nach dem Klimakterium Frauen und keine Neutren, das gleiche gilt für Männer, die aus welchen Gründen auch immer nicht zeugen können. In der Praxis scheint es mir für die meisten Menschen, die ich kenne, kein Problem zu sein, Frauen und Männer als solche zu identifizieren. Wann oder wodurch das Geschlecht – laut Michael Michaelis – nun seine Bedeutung erhält ist für die meisten irrelevant. Ich würde soweit gehen zu behaupten, dass es eine „Bedeutung“ sowieso nur geben kann, wenn eine Reflektionsfähigkeit vorhanden ist. Für ein Tier hat nichts eine „Bedeutung“. Für Menschen hat alles Mögliche Bedeutung, weil wir durch Reflektieren und Bewerten Bedeutungen herstellen. Das heißt aber nicht, dass eine Behauptung wie oben:
korrekt ist. Denn in dem Moment, wo wir darüber nachdenken, hat bzw. bekommt es eine Bedeutung. Den Zustand, wo es keine Bedeutung hat, weil wir nicht darüber nachdenken, kennen wir eigentlocg gar nicht, denn als Säuglinge sind wir nicht in der Lage, diesen Zustand zu reflektiern. Würden wir refklektieren, hätte es bereits eine Bedeutung.
Den Unterschied gibts es aber auch ohne jede Bedeutung. Wir verleihen ihm durch die Refektion Bedeutung, aber wir erzeugen den Unterschied nicht. Wir erzeugen den Unterschied der Bedeutungen. Für Tier gibt es keine „Bedeutung“, weil für Tiere etwas wie Bedeutung nicht existiert, denn sie können nichts „deuten“ bzw. be-deuten. Für den Menschen hat alles Mögliche Bedeutung, weil wir es deuten und Bedeutungen erzeugen. Eine Behauptung wie
ist für Menschen rein theoretischer Natur, da wir gar nicht umhin können, nachzudenken, zu reflektieren und Bedeutungen zu generieren. Letzlich sollten wir die Bedeutungen hinterfragen, was ja in dem oben besprochenen Buch erfreulicherweise getan wird.
Nicht zu vergessen, dass die Bedeutung des Geschlechtes auch von Mensch zu Mensch eine andere sein mag.
@Michael
„Beim Unterschied zwischen Frauen und Männern hat man es nicht mit Natur zu tun, sondern allein mit Sprache. “
Ich finde, Michael, das Du in deinem Text mit Hilfe von Sprache wesentlich mehr zusammenkonstruierst, als es „Biologisten“ je könnten.
Sind unterschiedliche Hormonspiegel (und Hormone bestimmen unseren Körper und unsere Gefühlswelt ganz erheblich) nur sprachliche Konstrukte?
@ Stepe: Nicht unterschiedliche Hormonspiegel sind (sprachlich) konstruiert, sondern die (sprachliche) Einteilung von Lebewesen anhand ihrer Hormonspiegel in „männlich“ und „weiblich“.
Ganz genau; hierauf kommt es an (wobei ich schon weiter gehen würde: auch „Hormone“ sind sprachliche Konstrukte, mit denen sich die heutige Biologie bestimmte Sachverhalte erklärt. Es gab in der Vergangenheit andere Erklärungen, und wird in der Zukunft andere Erklärungen geben – aber das ist eine andere Ebene der Debatte).
Man muß ein wenig aufpassen, wenn man die Ebene wechselt. Solange man von Individuen spricht, die Teil von Gesellschaft sind, muß man ein durchaus anderes Vokabular benutzen, als wenn man Individuen als biologische Wesen betrachtet. Beides hat nur sehr lose miteinander zu tun, und eine Menge Konfusion kommt dadurch zustande, daß man die beiden Ebenen munter ineinander mischt.
„Soziale Systeme“, um mit Luhmann zu sprechen, basieren nicht auf Menschen, sondern auf Kommunikation (um das mal provokativ in den Raum zu stellen – auch wenn ich nicht unbedingt ein Fan Luhmanns bin).
„Ganz genau; hierauf kommt es an (wobei ich schon weiter gehen würde: auch “Hormone” sind sprachliche Konstrukte, mit denen sich die heutige Biologie bestimmte Sachverhalte erklärt.“
Das ist ein bißchen sehr sollipsistisch. Noch lange, bevor Hormone (sowie alle anderen vermeintlich ‚rein sprachlichen‘ Erscheinungen) überhaupt entdeckt wurden – konnten sie sich auf die eine oder andere Art auswirken. Krebs hatte früher keinen Namen – aber man starb ja trotzdem dran.
So scheinsubversiv wie es sein kann, alles auf bloße Namensgeberei reduzieren zu wollen, geht es an der Wirklichkeit – wo es Menschen gibt, die an Erkrankungen leiden, von denen nicht mal in ihrem erweiterten Bekanntenkreis jemand je gehört hat, und die auch sonst irgendwie die Wirkungen von Dingen spüren, für die sie keinen Namen nennen – ist dieses Semantikspiel nicht gerade als emanzipatorisch einzustufen.
Das gleiche denkfaule Spiel kann man ja mit allerhand andern Sachen treiben. Vergewaltigungen sind auch rein sprachlich – sollte man mal einer Frau sagen, die blutend im Parkhaus liegt – aber auch sie bedeuten ebensoviel und ebensowenig wie Hormone und Uteri, wenn man ihnen keinen Namen gibt. Völkermord ist sogar erst seit relativ Kurzem sprachlich erfaßt – aber meine vor der Erfindung des Wortes ermordeten Verwandten sind deshalb nicht weniger tot. Der Imperialismus hat so manches Land geplündert, als es noch gar keinen richtigen Namen gab, bei dem man ihn nennen hätte können.
An solchen Spielchen erkennt man m.E. vor allem eins: eine privilegierte Optik. Dahinter steckt der Glaube, man könne die Wirklichkeit auf das reduzieren, was man sie nennt. Das funktioniert aber nur dann, wenn man in der gegebenden Wirklichkeit über ein gewisses Mindestmaß an Macht verfügt. Wer unter den derart entnannten Umständen bzw. deren Auswirkungen leidet, kann sich so einfach nicht einreden, daß alles wieder Butter wäre, wenn diese mal umbenannt werden.
Erratum:
So scheinsubversiv wie es sein kann, alles auf bloße Namensgeberei reduzieren zu wollen, geht es an der Wirklichkeit – wo es Menschen gibt, die an Erkrankungen leiden, von denen nicht mal in ihrem erweiterten Bekanntenkreis jemand je gehört hat, und die auch sonst irgendwie die Wirkungen von Dingen spüren, für die sie keinen Namen nennen – [VÖLLIG VORBEI]. Eben deshalb ist dieses Semantikspiel nicht gerade als emanzipatorisch einzustufen.
Es geht doch nicht darum, Dingen einen „Namen“ zu geben – genau das Gegenteil ist gemeint. „Dinge“ findet man nicht irgendwo in einer abstrakten, „objektiven“ Welt, die auch ganz gut ohne uns Menschen aus kommen könnte. Die konkrete Welt, in der wir leben, existiert nicht ohne uns, ohne unser Beobachten, ohne unsere „Sprachspiele“ (wie Wittgenstein das nennt) – sie entsteht erst durch all diese Dinge. Sprache ist eben nicht bloß ein Verbindungsglied oder ein Scharnier zwischen einer vermeidlich objektiven Wirklichkeit und dem „Begreifen“ durch die Menschen.
Nur der Vollständig halber:
Wenn es um Gewalt, auf einer physischen Ebene geht, handelt bzw. leidet man. Wenn man bestimmte Handlungen zunächst als Gewalt, dann als „Vergewaltigung“ bezeichnet, begibt man sich in einem Diskurs. Das eine hat mit dem anderen nur sehr wenig zu tun – und es sind die Diskurse, die Gewalt Struktur verleihen, nicht eine irgendwie abstrakte „Macht“.
Ich werde das hier nicht weiter ausführen und belasse es bei den Hinweisen.
Danke für die Antworten auf meinen Kommentar.
„Wenn es um Gewalt, auf einer physischen Ebene geht, handelt bzw. leidet man. Wenn man bestimmte Handlungen zunächst als Gewalt, dann als „Vergewaltigung“ bezeichnet, begibt man sich in einem Diskurs. Das eine hat mit dem anderen nur sehr wenig zu tun – und es sind die Diskurse, die Gewalt Struktur verleihen, nicht eine irgendwie abstrakte „Macht“.“
Danke für die Klarstellung. Ich dachte, ich hätte da eine reductio ad absurdum vorgenommen, und dabei bin ich allem Anschein nach noch nicht einmal über die Binnenabsurdität deiner ausdrücklichen Argumentation hinausgegangen.
Élise Hendrick, nimms doch einfach wörtlich. Dann hat der Michael nämlich Recht: Die Natur hat ja keine Sprache. Worte wie „Geschlecht“ und „Unterschied“ sind reine erfindungen des Menschen, die (als Wort) mit Natur rein gar nichts zu tun haben. Also hat er recht!
@Michael, was glaubst du? Dass die Welt vor dem Menschen ein reine Illusion ist? Oder die Welt ferner Galaxien? Wenn du stirbst, stirbt die Welt? Deine Welt, ok. das will ich einräumen. Der Rest ist Konstruktivismus (vs. Dekonstruktivismus).
„Élise Hendrick, nimms doch einfach wörtlich. Dann hat der Michael nämlich Recht: Die Natur hat ja keine Sprache. Worte wie “Geschlecht” und “Unterschied” sind reine erfindungen des Menschen, die (als Wort) mit Natur rein gar nichts zu tun haben. Also hat er recht!“
Ich hab’s wörtlich genommen. Ob wörtlich oder im erweiterten Sinne sind seine Behauptungen gequirlter Schwachsinn.
Die Sache ist doch, wer auch immer schuld ist, Biologie, Gesellschaft, Sprache, Kultur, Psychologie, blah oder was auch immer und warum auch immer: Mensch darf nur ein Häkchen machen. Bei männlich oder bei weiblich.
Und dieses Häkchen macht man nicht (nur) selber, es wird für einen gemacht und es macht einen. Ob Du Dich als „männlich“ oder als „weiblich“ wahrnimmst und wahrgenommen wirst, bestimmt, welche Erfahrungen Du machen wirst. Diese Kategorisierung ist real, genauso wie die Erfahrungen, die damit verknüpft sind.
„Die Sache ist doch, wer auch immer schuld ist, Biologie, Gesellschaft, Sprache, Kultur, Psychologie, blah oder was auch immer und warum auch immer: Mensch darf nur ein Häkchen machen. Bei männlich oder bei weiblich.
Und dieses Häkchen macht man nicht (nur) selber, es wird für einen gemacht und es macht einen. Ob Du Dich als “männlich” oder als “weiblich” wahrnimmst und wahrgenommen wirst, bestimmt, welche Erfahrungen Du machen wirst. Diese Kategorisierung ist real, genauso wie die Erfahrungen, die damit verknüpft sind.“
Eben, und deswegen ist es letztzen Endes müßig, einfach von ‚Diskursen‘ zu sprechen. Klar gibt es Diskurse, die den Gegebenheiten bestimmte Interpretationen aufzwingen. Das ist meines Wissens völlig unumstritten – die eigentliche Frage müßte lauten: ‚Warum können sich die Diskurse einiger (so gut wie) immer durchsetzen, während die Diskurse anderer überhaupt keine realgesellschaftliche Bedeutung erlangen?‘ Auf diese Frage, die sich nicht einfach durch den Verweis auf die Existenz irgendwelcher Diskurse beantworten läßt, kommt es in Wirklichkeit an. Und da muß sich eben die Machtfrage stellen, denn irgendwie ergibt es sich ja, daß es immer die Diskurse derer, die über irgendeine realexistierende, konkretisierbare Macht verfügen, die sich durchsetzen.
Außerdem ist dieser Diskursendiskurs völlig hinfällig, wenn man mit Michael M. behauptet, es gäbe nur Diskurse und keine diskursunabhängigen Dinge, die Auswirkungen und Konsequenzen entfalten können, ohne dazu in irgendeinem Diskurs vorkommen zu müssen, dann ist das ganze völlig sinnfrei. Wenn alles ein Diskurs ist, dann könnte genausogut gar nichts ein Diskurs sein.
Was ich noch hinzufügen wollte:
„Ob Du Dich als “männlich” oder als “weiblich” wahrnimmst und wahrgenommen wirst, bestimmt, welche Erfahrungen Du machen wirst.“
Meiner Ansicht nach kommt es da vor allem auf das WahrgenommenWERDEN an. Ich z.B. werde aufgrund meines Äußeren als Hete wahrgenommen, obwohl ich das keineswegs bin, also werde ich in der Gesellschaft solange mit dem Heteroprivileg bedacht, wie ich dieser Wahrnehmung nicht aktiv widerspreche. Daß ich mich natürlich anders wahrnehme, hat für die Behandlung, die mir in der Gesellschaft widerfährt, eigentlich keine Bedeutung.
Und hindern dich diese Erfahrungen an irgend etwas, was du gern tun würdest, aber es nicht kannst, weil die Rollenzuschreibungen es nicht zulassen?
rhetorische Frage, oder?
Nein, mich würde deine Sicht dazu wirklich interessieren. Ein Beispiel reicht.
Gut, ich hätte gern ein persönliches Beispiel gehabt. Vielleicht wirds ja noch was. Bis dahin leg ich mal vor:
Du kannst unter verschiedensten Lebensmodellen wählen, mit oder ohne Mann, Frau, Kind/er, verheiratet oder nicht. Du kannst deine Sexualität frei ausleben, für jede Neigung gibt es Szenen, Clubs, Magazine usw. Du kannst nahezu jeden Beruf ergreifen und studieren, was du möchtest. Du kannst deine Religion frei wählen. Du kannst Wohnort und Land wählen und gefahrlos in sehr viele Länder reisen. Du kannst dich in verschiedensten Stilrichtungen kleiden. Du kannst deine Freizeit verbringen, wie es dir gefällt. Du musst nicht aussehen wie ein Coverfoto und kannst Schönheitsttends wie z.B. Intimrasur ignorieren, ohne dafür mit ernsthaften Sanktionen rechnen zu müssen. Du kannst über dein Geld selbst verfügen und bist dem Gesetz nach mündig.
ich bin zwar nicht judith aber ich schreibe mal trotzdem:
alles richtig – empört – aber eben leider nur theoretisch.
nehmen wir mal an ich wäre eine 72jährige Frau mit 400 Euro Rente. oder ich bin 24, habe gerade ein kind bekommen und der Vater hat kein Interesse daran – mich stellt auch niemand ein, weil ich ja mit baby nicht flexibel bin. oder ich bin eine russische frau, die gerade entführt wurde und nun in einem bordell arbeiten muss. oder das kleine mädchen, dass nach orientierung sucht und das in einem wust von sexistischen zeitschriften finden muss, in denen sie genau nachlesen kann wie sie es anstellen soll, dass sie jungs gefällt. … endlos….
das Leben funktioniert nun mal nur bedingt so, wie wir uns das wünschen oder gerne hätten, das ist mal das eine.
und klar – ich kann Coverfotos oder sexistische Werbung ignorieren. aber moment mal… warum gibt es sowas überhaupt? warum wird hier ständig an meiner würde gekratzt und dann auch noch behauptet ich könne ja wegsehen, ich solle das nicht so eng sehen und blabla.
und wie es ist, als das „andere“ das „minderwertigere“ das „objekt“ sozialisiert zu werden ist halt auch schwierig nachzuvollziehen wenn man nicht drin steckt. darum auch das „queer“ – da ist es genau so. nun gut, das ginge jetzt ewig so weiter. es gibt noch andere hier die in den comments den tenor verbreiten: was wollt ihr überhaupt, ist doch eh alles in ordnung. ist es eben nicht. und es bringt uns nicht weiter, wenn wir immer wieder begründen müssen warum nicht.
zudem ist dass was du schreibst eben nicht einfach vom himmel gefallen sondern eben harter arbeit und widerstand von feministinnen zu verdanken. in den 70ern z.b. konnte immerhin noch der ehemann die arbeit seiner ehefrau kündigen ohne sie zu fragen.
ich kann jetzt nur für mich sprechen, weiß nicht wie die anderen das hier sehen: solange auf diesem Planeten gerafft, verhungert, gequält, getötet, die Umwelt zerstört, Menschen wegen Geschlecht, Abstammung, Religion, sexueller Ausrichtung diskrimiert und missbraucht werden usw. usw. bin ich noch lange nicht fertig.
und kuck mal auf hatr.org – dann kannst du nachlesen was los ist…
@empört:
Falls es dir nicht aufgefallen sein sollte: Deine komplette Liste funktioniert nur mit einem recht privilegierten Lebensstandart und einer unverschämt großen Menge Glück. Es wurde ja nicht umsonst schon oft genug festgestellt, dass die Bildungschancen in Deutschland sehr von der Herkunft abhängen. Inwieweit man/frau also tatsächlich unter verschiedenen Lebensmodellen „wählen“ kann, ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Viele dieser Wahlmöglichkeiten stehen nur Leuten, die ein mehr oder weniger gutes Einkommen haben und in einer Großstadt leben, zur Verfügung.
@Inge, das folgende ist auch nur theoretisch:
Ich halte fiktive Personen für keine geeigneten Diskussionspartner und für keine Diskussionsgrundlage.
Finde ich gut, dass du das weißt. Vielen ist das gar nicht bekannt.
Sehr gut! Aber kein Grund, mal darüber nachzudenken, was konkret man selbst nicht machen kann, weil einen Stereotype daran hindern.
@Sabrina
Nein sorry, ist mir echt gar nicht so aufgefallen. Ich schreibe halt manchmal einfach so vor mich hin und denke gar nicht nach. Danke!
Eben, darum habe ich Judith ja nach ihrem konkreten Fall gefragt.
Nein, Sabrina, bis auf das Studium, zu dem ggf. ein NC erforderlich ist, stehen diese Möglichkeiten jedem offen, natürlich in Abhängigkeit zur individuellen Begabung. Aber auch mit wenig Geld und auf Land kann man als Single oder verheiratet leben, man kann Kinder haben oder nicht, Kleidung frei wählen, sexuelle Ausrichtung praktizieren, seine Freizeit gestalten usw. Jemand mit mehr Geld kann natürlich andere Dinge tun, anderes wohnen, sich teurer kleiden. Aber das alles hat mit dem Thema Geschlechtsstereotypen nicht unbedingt etwas zu tun und besondere Privilegien oder Glück braucht man dafür auch nicht.
@empört
das mit dem 24 war zwar geschrieben als sei es fiktiv, ich befand mich aber in so einer lage
du willst also darauf hinaus, dass jeder seines glückes schmied ist – habe ich jedenfalls so verstanden. ist nicht verkehrt der gedankengang – ich lebe auch danach. hab mich gekümmert, bin angestellte in mittlerer position, verdiene „gut“, bin privat von niemanden abhängig usw. usw.
hat aber nichts mit folgenden dingen zu tun:
– zähl mir mal spontan (ohne google) 5 wichtige Künstlerinnen auf. Und 3 Wissenschaftlerinnen.
– warum ist in dem artikel den ich letztens über schamhaare gelesen habe immer die rede davon welche schamhaarfrisur männern gefällt und überhaupt nicht, mit welcher und warum sich frauen wohl und/oder erotisch fühlen
ich könnte da noch 100 beispiele aufführen
Also – selber Geschlechterstereotypen zu durchschauen und aktiv zu durchbrechen ist eine Sache – die andere ist Beobachtung und Veränderung des Ist-Zustandes. Diese Arbeit hört nie auf. Wurde doch erst kürzlich hier diskutiert, dass Spielzeug schlimmer denn je Geschlechterrollen definiert.
Um frei entscheiden zu können muss erst mal das entsprechende Bewusstsein da sein. Und dazu sind Blogs wie dieses hier da.
Was möchstest du denn? Dass jeder nur auf sich seine Wünsche und sein Leben schaut und keinerlei Diskurs über die Zustände mehr stattfindet?
Nein, das stimmt so nicht. Zunächst einmal musst du unglaubliches Glück haben, dass du in eine Familie hinein geboren wirst, die Bildung schätzt und dir eine gute Ausbildung ermöglichen kann. Während du dann aufwächst musst du hoffen, dass deine Eltern einigermaßen feministisch eingestellt sind und dir als Mädchen genug Selbstbewusstsein mit auf dem Weg geben, dass du es ohne psychischen Knacks durch die Pubertät schaffst. Erst dann können wir darüber sprechen, ob du als Mädchen überhaupt in der Lage bist, alle dir offen stehenden Wege zu erkennen und dem zu folgen, der dich dann tatsächlich glücklich machen kann. Bildung ist mehr als nur ein NC.
Und selbst wenn frau sich dann für eine Traumkarriere entschieden hat, heißt das noch lange nicht, dass sie diese auch bekommt. Gerade in ländlichen Gegenden sind Universitäten oder passende Ausbildungsplätze nicht immer vorhanden. Ein Umzug ist auch nicht immer ganz so einfach, wie du dir das denkst. Gerade auf dem Land sind Mieten recht günstig – ein Umzug in die Stadt geht da ordentlich ins Geld. Im Zweifelsfall muss frau dann eben nehmen, was sie bekommt – und das ist je nach Bildung und finanziellen Mitteln nicht immer viel.
Kommen wir zur Ausgestaltung des Privatlebens: Klamottenläden gibt es in ländlichen Gegenden nicht gerade viele. Vor allem, wenn es um bestimmte Szenen und Stile geht, ist die Auswahl recht mau. Abseits des Mainstream wirst du da nicht viel finden. Ob und wie du deine sexuelle Ausrichtung praktizieren kannst, hängt auch sehr stark von der Gegend ab. Homophobe Arschlöcher gibt es überall – aber in den Großstädten kann man denen in der Regel besser aus dem Weg gehen.
Das ist nur das, was mir gerade so einfällt – und das kratzt noch nicht mal an Themen wie Peer-Pressure oder Xenophobie (für den Fall, dass du keine weiße Deutsche bist).
Natürlich hat das nicht alles etwas mit Geschlechterstereotypen zu tun – da spielen noch etliche andere gesellschaftliche Privilegien eine Rolle – aber dieser „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied“ ist zum großen Teil schlicht Bullshit.
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Weil du ja auf persönliche Anekdoten stehst:
Ich find’s scheiße, dass ich in den gängigen Läden nur eine begrenzte Auswahl an Kleidungsstilen in meiner Größe finde (und das bei einer normalen 38/40!), die tatsächlich auch gut aussehen, da in der Regel für dünne Idealmaße entworfen und dann das Ergebnis nur auf größere Größen hoch gerechnet wird. Ich find’s scheiße, dass ich im Alltag aufpassen muss, mich auch bei heißem Wetter nicht allzu freizügig zu kleiden, weil ich dann blöde Anmachsprüche auf der Straße bekomme, bei denen ich mich dann extrem unwohl fühle. Ich find’s scheiße, dass der übliche professionelle Dresscode für Frauen unbequeme Schuhe mit mehr oder weniger hohen Absätzen vorsieht und das schicke flache Schuhe schwer zu finden sind. Ich find’s scheiße, dass mir bei der Studienberatung zu einem geisteswissenschaftlichen Fach geraten wurde und meine jetzt nicht gerade rosigen Berufsaussichten mir nun von der Politik als „selbst schuld!“ vorgehalten werden. Ich find’s scheiße, dass einer meiner Physik-Lehrer ein sexistisches Arschloch war, der meinte Physik sei nichts für Mädchen. Ich find’s scheiße, dass ich an einer Uni studiere(n muss), an der es zu sexuellen Übergriffen auf Studentinnen durch das Lehrpersonal kam, sich keine offizielle Stelle um eine ordentliche Aufklärung kümmert und ich mich dadurch beim Studium unsicher fühle. Ich find’s scheiße, dass ich mich nachts nicht allein vor die Tür traue, weil mir jahrelang durch die Gesellschaft eingeimpft worden ist, dass mir dann etwas schlimmes passieren wird, und dass wenn etwas schlimmes passieren sollte, es meine Schuld sein wird, weil ich es gewagt hatte nachts allein vor die Tür zu gehen.
Soll ich weitermachen, oder reicht dir das?! Für mich ist das eine erhebliche Einschränkung meiner Lebensqualität, die schlicht von der Tatsache herrührt, dass ich eine Frau bin.
@ingejahn, genau darum geht es. Es bringt ja wenig, immer nur an fiktiven Beispielen zu diskutieren, statt sich zu fragen, was ist mein Beitrag im Kampf gegen Stereotype, wie gehe ich vor, was kann ich weitergeben.
Sorry, so muss es aussehen:
@ingejahn, genau darum geht es. Es bringt ja wenig, immer nur an fiktiven Beispielen zu diskutieren, statt sich zu fragen, was ist mein Beitrag im Kampf gegen Stereotype, wie gehe ich vor, was kann ich weitergeben.
Eben. Kann man dagegen etwas tun? Mehr als diskutieren? Heute gibt es ja verschiedene neue Mittel. Aber solange man im Aufzählen und Anklagen verhaftet bleibt, wird sich nichts ändern.
Diskurs über Zustände findet nun seit Jahren statt ohne nennenswerte Verbesserungen. Warum bleiben letztere denn aus? Möglicherweise weil der Diskurs über Zustände nicht weit genug führt. Außerdem bedeutet der Blick auf das eigene Handeln ja keineswegs, dass der Diskurs über Zustände ausbleibt.
@Sabrina
Deine Ausführungen haben in der Tat kaum etwas mit Geschlechtsstereotypen zu tun. Daher würde die Auflösung selbiger diese Probleme auch nicht lösen. Nicht einmal deine Kleidungsprobleme sind primär. ein Problem von Stereotypen, denn die Bekleidungsbranche ist nicht angetreten, Frauenbilder zu prägen, sondern will in erster Linie verkaufen. Es ist auch sicher nicht unbedingt das Verschulden der Industrie, dass es bei Kindersachen diese extreme Segregation gibt. Da hat auch die Nachfrage etwas mit zu tun.
In deinem ersten Absatz beschreibst du dein Bild Individuum als passives hilfloses Objekt und bringst es auf den Punkt:
Das bedeutet ja nichts Anderes, als dass die Emanzipation der Geschlechter von irgendjemandem erledigt werden soll, nur nicht von den Betroffenen selbst. Das kann man gern so sehen. Nur stellt sich die Frage: Wer soll es denn machen? Hat du einen Vorschlag?
@empört:
Deine Auslegung greift zu kurz, weil wohl jeder in das jeweilige gesellschaftliche Konstrukt mit den vorgegebenen Geschlechterrollen hineingeboren wird. Bis das erkannt wird, wenn es denn passiert, ist man schon meistens durch alle Sozialisierungsprozesse manipuliert worden.
Sich dem zu entziehen, um sein Leben so zu leben, wie man es will, bedarf aber auch der Möglichkeit, das zu verwirklichen. Ich kenne keine westliche Kultur, die das wirklich ohne Wenn und Aber zu lässt. Und dadurch kann eben keiner seines Glückes Schmied sein.
„Das bedeutet ja nichts Anderes, als dass die Emanzipation der Geschlechter von irgendjemandem erledigt werden soll, nur nicht von den Betroffenen selbst. Das kann man gern so sehen. Nur stellt sich die Frage: Wer soll es denn machen? Hat du einen Vorschlag?“
Eben nicht. Es bedeutet nichts anderes, als daß die Emanzipation eben nicht rein individuell zu bewerkstelligen ist, sondern einer Massenbewegung bedarf, die in der Lage ist, die für die einzelnen durch das Ignorieren von Stereotypen, Rollenzuweisungen und Hierarchien entstehenden Kosten (man kann sich schwer alleine gegen Kernstrukturen der Gesellschaft wenden) auszugleichen.
jaaaa genau – ich hätte mich als einzelne niemals emanzipieren können, wären da nicht die vielen feministinnen gewesen, die die umstände benannt, dagegen gekämpft und darüber geschrieben hätten.
natürlich hocken wir nicht in der schmollecke „böse böse welt ändere dich gefälligst“.
das eine gibt aber das andere. ich merke, scheiße da stimmt was nicht, sehe dass es anderen auch so geht und was da schon zum thema existiert und dann ha – kann ich aus einer ganz anderen position heraus reagieren.
das es so ist wie empört beschrieben hat, also dass frauen mehr wahlmöglichkeiten haben als früher, ist ja gerade wegen solcherlei arbeit entstanden.
und „nur“ diskutieren ist auch nicht schlecht – keineR ist allwissend – und es ist wichtig andere ansichten und neues kennenzulernen. auch dadurch ändert sich etwas.
@empört:
Nein, du missverstehst. Ich weise lediglich daraufhin, dass nicht jeder die selben, noch nicht mal die gleichen Voraussetzungen hat. Das macht de facto einen sehr großen Unterschied in der Frage, ob und wie man/frau überhaupt einen Lebensweg „wählen“ kann.
Du ignorierst darüber hinaus die Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und Individuen. Ist es so, dass die Kleidungsindustrie tatsächlich nur Profitmaximierung im Blick hat? Warum gibt es dann nicht für die häufigsten Größen die beste Auswahl? Beschränkt sie die Auswahl tatsächlich nur weil ihre Kundschaft das verlangen? Und wenn ja, warum verlangt ihre Kundschaft das? Aus sich selbst heraus oder weil sie Trends folgt, die von der Modeindustrie geschaffen und propagiert werden? Was war zuerst da, das Huhn oder das Ei? Mal ehrlich, die Modeindustrie gibt es ja nicht erst seit gestern und es schwingt immer noch eine ganze Menge Sexismus aus den vergangenen Jahrzehnten, wenn nicht sogar Jahrhunderten mit.
Ich bestreite auch nicht, dass ein Teil davon durchaus von Frauen mitgetragen wird, die sich schlicht keine Gedanken darum machen, wie es anderen ergeht. (Genauso wie Männer zum Teil recht aggressives Gender Policing untereinander betreiben.) Das ist in der Regel das Ergebnis von jahrelanger Sozialisation. Emanzipation der Geschlechter darf daher nicht nur als individuelle, sondern muss auch als gesellschaftliche Aufgabe gesehen werden.
@Inge, Lucia, Sabrina und Élise Hendrick: Mit Verlaub gesagt, empört ist ein Troll. Die Frage danach, was genau Feminist_innen eigentlich tun außer zu meckern und zu labern, wurde bereits mehrfach von empört gestellt und auch beantwortet. Aber egal wie oft hier steht, dass darüber reden der Anfang ist, dass man mit Beschwerden erst und tatsächlich Veränderungen erreicht, wieviele Workshops und Demos es gibt – sie kommt trotzdem immer wieder. Genauso wie z.B. das Argument „aber heute könnten doch alle Frauen“. Dazu empfehle ich schließlich noch einen Beitrag von side-glance.
ah danke für den hinweis. kam mir schon komisch vor – aber immer der selbe mechanismus, der sich da abspielt. versteht ihr was ich meine?
mir ist auch schon bei einer anderen diskussion aufgefallen, dass ein troll wenn er nicht mehr weiterkommt einfach andere identitäten annimmt und von einer anderen seite her „schießt“. ziemlich bescheuert das.
Helga:
Danke für den Hinweis. Ich hab mich schon langsam gefragt, ob ein einzelner Mensch tatsächlich zu derart hochwertiger Blödität in der Lage ist
Danke Helga, habe wieder was gelernt. :)
Ich hab ’ne Namens-Liste für Trolle bei mir angelegt, wer noch andere Namen kennt, bitte mit Kommentar mitteilen.
Frauen in der Blogosphäre
Das Buch habe ich mal vor ein paar Jahren gelesen, hauptsächlich als Antidot gegen „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“, das ich nur in Auszügen gelesen habe, weil es nun wirklich die Intelligenz beleidigt. „Warum Frauen glauben, sie könnten nicht einparken – und Männer ihnen Recht geben“ ist leider ein wenig unhandlich und nicht so effektiv, wie es sein könnte. Hauptfehler ist meiner Ansicht nach in dem Pease-Buch ein legitimes Gegenüber in einem wissenschaftlichen Diskurs zu sehen, was es nunmal definitiv nicht ist.
Vielleicht interessant als Anknüpfungspunkt ist der Vortrag „Frauengehirn, Männergehirn“ von dem Psychologen Onur Güntürkün. Link: http://wissen.dradio.de/neurowissenschaften-frauengehirn-maennergehirn.88.de.html?dram:article_id=6585 Der kritisiert nun wiederum Quaiser-Pohl und Jordan für ihr Buch. Und hat auch gleich noch eine Studie gemacht, die zeigt, dass Frauen eben doch schlechter einparken. Ich habe mir seine Zahlen mal angesehen, so richtig überzeugt haben sie mich nicht.