Ein Privileg verpasst uns schlechte Instinkte – mit Absicht

Mit freundlicher Genehmigung der Autorin veröffentlichen wir eine Übersetzung des Artikels „Privilege Gives Us Bad Instincts, By Design“, der vergangene Woche auf Melissa McEwans Blog Shakesville erschien. accalmie übersetzte den Text.

Etwas, das mir noch nie passiert ist: Ich habe etwas gesagt oder geschrieben über einen Vorfall von Frauenfeindlichkeit, der entweder gegen mich oder andere gerichtet war, bekam von einem Mann gesagt, „Ich sehe da keine Frauenfeindlichkeit,“ wurde von diesem Mann gesplained, warum ich falsch liege, und änderte dann meine Meinung, da ich so überwältigt war von seinem Einblick.

Das ist noch nie passiert. Ich glaube nicht, dass es jemals passieren wird.

Und dennoch, fast tagtäglich, bin ich mit Männern konfrontiert, die erpicht darauf sind mir zu sagen, dass sie etwas nicht als Frauenfeindlichkeit begreifen, dass es da eine andere Erklärung gäbe, dass ich falsch läge. Sie reden mit mir, als sei ich sehr dumm oder sehr naiv, sie benutzen Occam’s Big Paisley Tie gegen mich und präsentieren Grund nach absurdem Grund, warum etwas keine Frauenfeindlichkeit sei. Warum ich falsch liege.

Oftmals geben diese Männer vor, meine Verbündeten (allies) zu sein.

Und diese Männer, die vorgeben, meine Verbündeten zu sein, räumen bereitwillig ein, dass sie männliche Privilegien haben, während sie gleichzeitig vollkommen daran scheitern zu verstehen oder zu überprüfen, wie diese Privilegien auf sie einwirken und wie viel Arbeit es wirklich ist sich durch diese Privilegien durchzuarbeiten; wie viel Umsicht, keine Ausübung/Handhabe, es benötigt.

Wir können uns nicht einfach nur bewusst sein, dass wir Privilegien haben; wir müssen verstehen, wie diese Privilegien funktionieren und was sie mit unserer Menschlichkeit tun.

Es ist Arbeit uns zu resozialisieren, heraus aus den schädlichen Unterdrückungen, mit denen wir indoktriniert werden. Es funktioniert nicht von Zauberhand, und es funktioniert ganz bestimmt nicht dadurch einfach zu verkünden, dass wir uns unserer Privilegien bewusst seien.

Menschliche Wesen sind wie Schwämme kreiert, und wir Schwämme werden während jeden Tags unseres gesamten Lebens sozialisiert durch ein Bombardement an Eingaben, die uns dazu anhalten, manche Leute zu priviligieren und andere als weniger wert zu behandeln. Es ist absurd sich vorzustellen, dass wir diese aggressive Sozialisation über Nacht überwinden könnten ohne besondere Anstrengungen.

Eine Sozialisation, die Menschen mit Privilegien vermittelt: Du bist überlegen. Du bist mehr wert als die Leute, die deine Privilegien nicht haben. Du bist eine bessere Person.

Es ist nicht wahr. Privilegien erodieren in jeder Hinsicht unsere Fähigkeit, Verbindungen zu anderen Menschen herzustellen. Sie untergraben unsere Empathiefähigkeit, und sie mindern unsere Menschlichkeit.

Privilegien verpassen uns schlechte Instinkte, mit Absicht.

Sie erzählen uns Lügen. So viele Lügen.

Und die schädlichste Lüge, die Privilegien uns erzählt, ist, dass wir objektiv sind, kraft unserer Privilegien.

Was ich meine, ist folgendes: Privilegien versichern uns, dass unsere Wahrnehmung der Welt richtig ist. Dass wir besser verstehen, wie die Welt funktioniert und warum Dinge passieren als marginalisierte Leute, die selbstredend von unseren erkenntnisreichen Erklärungen profitieren. Hüstel.

Jedes Mal, wenn man eine weiße Person hört, die einer Schwarzen Person erklärt, dass eine andere weiße Person deren Haar nicht aufgrund rassistischer Anspruchshaltung, sondern aus unschuldigem Interesse angefasst hat; jedes Mal, wenn man eine heterosexuelle Person hört, die einer nicht-heterosexuellen Person erklärt, dass eine andere heterosexuelle Person „schwul“ nicht so gemeint hat, um Himmel’s Willen nicht; jedes Mal, wenn ein Mann einen anderen Mann gegenüber einer Frau verteidigt, indem er verkündet, dass jener kein Misogynist sei, um Gottes Willen, sondern er Frauen liebe (was bedeutet: „er liebt es, Frauen zu vögeln„); jedes Mal, wenn man hört, wie eine Cis-Person einer Trans*-Person sagt, dass jene nicht zum dritten Mal in Folge bei einer Beförderung übergangen wurde aufgrund von Transphobie_Transfeindlichkeit, das könnte nicht möglich sein, es müsste einen anderen Grund haben, es müsste eine andere Erklärung geben…

Jedes Mal, wenn man diese gequälten Erklärungen hört, ist es der Ausdruck eines Privilegs. Ein Privileg erzählt uns, dass wir das Recht – und die Verantwortung! – haben, die Berichte marginalisierter Menschen über deren Nachteile zu auditieren and ihnen zu sagen, dass sie falsch lägen.

Privilegien erzählen uns die Lüge, dass Menschen, die von Vorurteilen unterdrückt werden, unglaubwürdige Zeug_innen ihrer eigenen Leben seien, aber von Vorurteilen zu profitieren, Menschen zu objektiven Beobachter_innen jener Leben machen würde.

Das ist ein raffinierter kleiner Trick, oder? Ein Opfer zu sein beeinträchtigt dich. Nur Menschen, die in einer Position dazu sind, andere zum Opfer zu machen, kann dabei vertraut werden zu definieren, was Nachteile/Schaden ausmacht.

Als ob Menschen, die sich einer Position befinden, andere zum Opfer zu machen, kein eigennütziges Interesse daran hätten, Nachteile/Schaden weg zu erklären.

Wenn ich öffentlich über meine gelebten Erfahrung as dicke_fette Frau rede – die Belästigungen, das Body Shaming, die Überwachung meines Essverhaltens, die Küchtentisch-Diagnosen, die Feindlichkeit, die mir von Gesundheitsfürsorger_innen entgegen gebracht wird, die Witze, der Spott, die Blicke, die Zurufe aus vorbeifahrenden Autos -, gibt es immer dünne Menschen, die mir emphatisch mitteilen, dass dieses oder jenes nicht passiert sei, da ich dick_fett bin, sondern weil… füge hier jede andere Begründung ein, egal, wie lächerlich sie sein mag.

Und die Stimme einer dünnen Person, die meine gelebte Erfahrung überprüft und bewertet, die mir sagt, dass die Unterdrückung, die ich erfahre, nicht die ist, von der ich denke, dass sie es ist, wird höher bewertet als meine eigene Stimme. Ein Leben lang in einem dicken_fetten Körper zu leben, die Welt als dicke_fette Person zu erleben, notwendigerweise die Muster und Praktiken systematischen Dickenhasses zu erfahren, qualifiziert mich immer noch nicht dafür, eine Expertin bezüglich meines eigenen Lebens zu sein.

So funktionieren Privilegien. Das ist die Lüge, die sie erzählen – ich kann mein Leben nicht so gut kennen wie eine dünne Person, die sich dafür entscheidet, es zu kommentieren.

Das passiert Leuten aus allen marginalisierten Klassen. Jede Frau kann wahrscheinlich zahllose Beispiele benennen, in denen sie von einem sexistischen Vorfall berichtete und ein Mann sofort versuchte diesen wegzuerklären. Jede Person of Color kann Beispiele weißer Personen benennen, die Rassismus wegzuerklären versuchten. Jede Person mit einer Behinderung kann Beispiele von able-bodied Leuten (oder Leuten mit einer anderen Behinderung) benennen, die versuchten, ableism wegzuerklären als einen anderen Grund, den man einfach nicht sehen könne.

Oder vielleicht dadurch, dass einfach gesagt wird: „Ich sehe das nicht.“

„Ich sehe das nicht“ ist eine bevorzugte rhetorische Fanfare priviligierter Menschen, die sich auf die Objektivität und Autorität verlässt, die Privilegien uns versichern zu haben. Diese Verhaltensweise verlässt sich auf das angenommene Recht, ein anderes menschliches Wesen, das durch Vorurteile Schaden nahm, geringschätzig abzuschnüffeln; „ich sehe das nicht.“ Mit einem implizierten „Also kann das auch nicht so sein.“

Und das ist nur eine Art, in der priviligierte Leute als Schiedsrichter über das Leben und die Entscheidungen marginalisierter Leute fungieren. Wir verweigern marginalisierten Menschen das Recht auf Autorität, selbst bezüglich ihrer eigenen Leben und in vielen, noch grausameren Varianten.

So zum Beispiel dadurch, marginalisierte Menschen zu beschuldigen zu empfindlich zu sein, statt zu überprüfen, wie Privilegien unsere Fähigkeit erodieren, empfindlich genug zu sein.

Privilegien erzählen uns die Lüge, dass wir die Leben anderer Menschen besser kennen würden als sie selbst; dass sie ihre eigenen Leben unmöglich verstehen könnten, ohne von unserer überlegenen Objektivität zu profitieren. Privilegien versichern uns, dass unsere Rolle darin besteht, zu auditieren; nicht, Mitgefühl zu zeigen.

Privilegien erzählen uns die Lüge, dass jede_r genau wie wir selbst ist oder so sein sollte. Dass die Universalisierung unserer eigenen Erlebnisse – und Präferenzen und Bedürfnisse und Entscheidungen – nicht nur OK ist, sondern die „Goldene Regel“. Dass Freundlichkeit bedeutet, die eigene Perspektive auf alle anderen zu projezieren, statt individuellen Menschen zuzuhören, wie sie behandelt werden möchten, und sie dann eben so zu behandeln.

Privilegien erzählen uns die Lüge, dass wir diese Art gängiger Meinungen nicht in Frage stellen sollten – oder auch nur irgendetwas in Frage stellen, statt danach zu streben, den Status Quo beizubehalten. Dass wir uns nicht die Mühe machen sollten, die gängige Ordnung in Frage zu stellen, da es die natürliche Ordnung sei und damit die Weise, in der alles für immer sein wird. Dass wir nicht mehr erwarten sollten – von der Welt, voneinander, von uns selbst. Dass mehr zu erwarten eine vernunftswidrige Erwartung ist.

Privilegien hüllen uns in simple Selbstgefälligkeit und verleiten uns dazu, durch unser Verhalten Brücken abzureissen, statt sie zu bauen.

Ein fundamentaler Teil des Verständnisses, wie ein Privileg wirkt, ist zu begreifen, dass priviligierte Stimmen lauter sind, weiter tragen, andere Stimmen ausblenden können. Die Präsenz einer priviligierten Person kann die Dynamik in einem Raum, auch online, ändern; auch in einem Raum, der sonst voller Menschen ist, die jenes Privileg nicht teilen.

Wir müssen klar kommen mit dem radikalen Gedanken, der allem widerspricht, was Privilegien uns gelehrt haben: nämlich, dass wir manchmal nichts hinzuzufügen haben.

Wir müssen einfach klar kommen mit der radikalen Idee, die allem widerspricht, was Privilegien uns gelehrt haben: nämlich, dass manchmal das einzig Wertvolle, das wir anzubieten haben, ist, marginalisierten Menschen ZUZUHÖREN, sie/ihre Erfahrungen ANZUERKENNEN, und ihnen zu GLAUBEN.

Manchmal können wir nichts anderes tun, als einen Schaden abzuschwächen. Was keine Kleinigkeit ist.

Manchmal ist das Einzige, was wir anbieten können, sich nicht so zu benehmen wie jede andere weiße Person oder Mann oder Cis-Person oder jede andere Person mit Privilegien, die darin scheiterte ZUZUHÖREN, Menschen/Erfahrungen ANZUERKENNEN, und ihnen zu GLAUBEN.

Manchmal ist die Fresse zu halten das Beste, was man tun kann.

Ein Privileg verpasst uns schlechte Instinkte. Einer dieser Instinkte ist es zu reden und zu reden und zu reden. Marginalisierten Menschen ihr eigenes Leben zu erklären. Sie „zu bilden.“

Das ist nicht hilfreich. Es ist schädlich. Halt einfach die Fresse.

Ich verspreche dir: wenn du aufhörst dich so zu verhalten, als hättest du nichts von marginalisierten Menschen zu lernen, wirst du anfangen, „das zu sehen.“

23 Kommentare zu „Ein Privileg verpasst uns schlechte Instinkte – mit Absicht

  1. ließe sich „transphobia“ nicht auch mit transfeindlichkeit übersetzen?

    davon abgesehen großartiger text, danke für die übersetzung :)

  2. Die Standpunkttheorie bestand in der Idee, dass Unterdrückung von Betroffenen tendenziell eher erkannt werden kann. Dies hat sich anscheinend zu einem bornierten Essentialismus weiterentwickelt, in dem die soziale Position bzw. deren Pauschalisierung mit der Fähigkeit zu kognitiver Erkenntnis gleichgesetzt wird.

  3. @Jen: QED. Danke für die Illustration eines Mangels an kognitiver Erkenntnisfähigkeit und tendenzieller Empathie, und für die Illustration einer Pauschalisierung und Vermischung von (Deiner Theorie zur) Standpunkttheorie und vermeintlichem Essentialismus (ein Schlagwort, das magischerweise immer dann exklusiv auftaucht, wenn Leute in einer privilegierten Position Leuten in einer marginalisierten Position mal zuhören und, wie war das gleich, ach ja, die Fresse halten sollen. Zeter und Mordio. Wie bereits im Text beschrieben…). Aber gut, dass Du das nochmal objektiv geklärt (gesplained) hast, nech. m) #ManKannEsSichNichtAusdenken #WarumAuchEinenTextLesenVorDemKommentieren

  4. Hallo accalmie.

    Du schreibst, dass privilegierte Menschen die Klappe halten sollen.
    Daher meine Frage: Weshalb sollte jemand auf dich hören? Ist das nicht deine persönliche private Ansicht? Wem hast du etwas vorzuschreiben, was legitimiert dich?

    Grüße.

  5. @fez: Tipp: Einfach mal Melissa McEwans Text lesen (…Fortgeschrittene könnten gar den Links folgen). Darin widerlegen sich deine Behauptungen bereits von selbst und du erfährst sogar, worum es geht (!). Gern geschehen!

  6. Dieses „Das-ist-eigentlich-ganz-anders“-Belehren-Wollen ist im Diskurs wohl eine der anstrengendsten Ausdrucksformen von Marginalisierung, weil die Ausübenden sich der Kritik grundsätzlich mithilfe der „Ich-meins-doch-nur-gut-und-bin-auf-deiner-Seite“-Rückwärtsrolle der Kritik entziehen. Da kannst du sagen, was du willst, die Kritik wird einfach nicht gehört. Und das ist fast das schlimmste: Die meinen es wirklich nicht böse. Und gerade deswegen werden sie nie verstehen, was überhaupt schief läuft, weil das positive Selbstbild erhalten bleibt. „Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?“…

    Viel zu oft erlebt.

  7. @fez
    Dein Ernst? Wusstest du noch nicht, die Mädchenmannschaft ist von Yoda höchstpersönlich legitimiert, um die dunkle Seite der Macht, sprich *istische Kackscheiße zu bekämpfen ;)
    Du MUSST gar nix, du darfst dich so arschlochmäßig-ignorant verhalten, wie du möchtest und überall deinen Senf dazugeben, MUSST dann aber damit rechnen, kritisiert zu werden. Eine Auseinandersetzung mit deinen Privilegien und damit, mit ihnen umzugehen und möglichst wenig Schaden anzurichten, ist ‚rein freiwillig‘. Wenn du Erfahrungen Betroffener unbedingt kommentieren willst, nur zu, du stabilisiert damit aber recht wahrscheinlich den repressiven Status quo.

  8. Hihi :) „viel zu lernen du noch hast“, so für alle, die den Artikel nicht gelesen_verstanden haben. Jetzt aber genug geek-derailing für heut.

  9. „Hallo accalmie.

    Du schreibst, dass“

    „Einfach mal Melissa McEwans Text lesen“

    …es geben ernsthaft noch Leute ihren Senf dazu, die bereits am TEASER gescheitert sind? JESUS

  10. @fez

    In dem Text ging es darum, dass privilegierte Personen die Klappe halten sollten, genau dann, wenn Betroffene von Diskriminierungserfahrungen berichten.

    Es ging in dem Text nicht darum, dass Privilegierte immer und zu allen Themen die Klappe halten sollen.

    Und da Melissa uns mit diesem Text gezielt in unserer Eigenschaft als Privilegierte(*) auf Augenhöhe anspricht, finde ich es legitim, dass sie das Wort ergreift.

    (*) sie spricht hier z.B. mich als weisse europäische Person als Mit-Privilegierte an, und für den Skopus dieses Textes nicht als auch von Diskriminierung betroffene weibliche dicke Person.

  11. Vielleicht basieren solche ungefragten Erklärungen vielfach auch einfach auf Kommunikationsproblemen. Ich kenne das von mir: Mir ist vollkommen unverständlich, wieso Leute zu mir kommen und mir Sachen erzählen, wenn sie einfach nur erzählen wollen, aber kein Feedback wünschen. Für mich persönlich könnten solche Personen auch mit einer Wand reden, es macht keinen Unterschied. Ich bin also lange Zeit erstmal davon ausgegangen, dass ein Gespräch von dem Gedanken der zweiseitigen Kommunikation geprägt ist: Jemand erzählt mir was, um einen Kommentar/ein Feedback/eine Stellungnahme dazu zu erhalten. Dazu gehört unter Umständen auch, das Erzählte einzuordnen bzw. nachzuhaken.

    Mit der Zeit habe ich gelernt, dass anscheinend viele Menschen eine andere Vorstellung haben und bestimmte Erfahrungen einer anderen Person erzählen wollen, ohne dass diese Person zwingend irgendwas tut. Ich verstehe das Bedürfnis zwar immer noch nicht, mit diesem Wissen ist es aber wesentlich einfacher, im richtigen Augenblick zu schweigen.

  12. für mich besteht da gar kein ernsthafter Wunsch nach Kommunikation seitens der „Splainer“. Die wollen mit ihren „Klarstellungen“ nur in die Schranken verweisen, damit der status quo, nämlich, dass sie ihre Privilegien weiter genießen können, erhalten bleibt. Diese Splaining-Versuche treten anscheinend sehr häufig dann auf, wenn traditionelle Vorherrschaft in Frage gestellt wird.

    bisschen off-topic: Mich hat dieses Splainen irgendwie an die Beweisführungen in Strafprozessen zu sexualler Gewalt erinnert. Ich habe das Gefühl, dass das fast schon die Institutionalisierung von Splaining ist, indem ein Sachverhalt mit den absurdesten Argumentationen relativiert wird, und zwar von der rechtsprechenden Institution selbst (à la „vielleicht dachte er auch, dass das Opfer das freiwillig gemacht hat“, etc etc). Auch hier sind es ja meistens (im Vergleich zum Opfer privilegierte) Männer, die als Täter angezeigt wurden, und deren Integrität dann Risse kriegen könnte. Splainen stellt dann ganz schnell die schöne „heile“ Welt, in der keine Benachteiligung stattfindet, wieder her. Ist „Recht“sprechung in diesem Fall Splaining?

  13. Ich persönlich bin ja immer noch fasziniert von der Annahme, dass Kommunikation bedeuten soll, jemand Nichtbetroffenem von einer Diskriminierungserfahrung zu berichten, damit jene Person dann nach Gründen suchen kann, warum es keine Diskriminierung sein konnte und wie man selbst die nichtgemachte Erfahrung für die betroffene Person bewertet und dabei durch Nichtbetroffenheit Objektivität zu haben behauptet. Weil Schweigen und/oder Zuhören statt zu Auditieren eine Zumutung wäre. Vielleicht steht dazu aber was im oben übersetzen Text…?

    P.S.: Es ist schon unschön, wenn man einen kleinen Einblick bekommt, wie es ist, wenn die eigene Stimme – hier nur in einer ganz bestimmten Situation – nicht als wertvoll erachtet wird, was? Oh, wait… m(

  14. mir hat einmal ein unidozent in philosophie auf meinen hinweis, dass meine diagnose mit einem stigma behaftet sei, gesagt, ich müsse mich halt nicht verletzen lassen. auf meine erwiderung, dies sei victim blaming, im sinne von, mein verletztsein habe ICH zugelassen, also selber schuld, meinte er dann, ich sei ja nicht vergewaltigt worden…ich war baff und sprachlos und es bedurfte sehr viel zeit zu begreifen, dass die effektiv nicht wissen (wollen), dass benachteiligung nicht einfach ein einzelnes hindernis ist, das einmalig zu überwinden und mehr oder weniger einstellungssache ist, sondern eher wie ein konstanter zähig-lästiger tinnitus.

  15. Hey,

    auf jeden Fall anregender Text! Über folgendes muss_will ich jetzt nachdenken:

    Ich stimme damit überein, dass Diskriminierung vom Opfer besser erkannt wird. Ebenfalls darin, dass die Aussage einer privilegierten Person in einer Diskussion „die Dynamik in einem Raum ändern kann“. Nichtsdestotrotz denke ich, dass nicht alle Berichte von Diskriminierung unKOMMENTIERT gelassen werden müssen. Das würde einem pauschalen „Wer von Unterdrückung berichtet, hat Recht“ entsprechen!!

    Außerdem kollidieren in meinem Kopf zwei Gedanken: Als privilegierte Person kann ich nach dem Text jegliche Aussage von Angehörigen marginalisierter Gruppen nurnoch schweigend hinnehmen. Bis nicht eine direkt an mich addressierte Frage oder Aufforderung kommt. Für mich klingt das aber eher negativ und teilnahmslos. Wenn ich Diskriminierung (oder in meinem persönlichen Umfeld eher Leid generell) einfach passieren lasse, weil ich nicht gefragt werde, erscheine ich mir gleichgültig.
    Hier kann ich nicht anders als zu spalten: Gleichgültigkeit gegen Verantwortung. Oder andersrum belegt: Toleranz gegen Unterdrückung.

  16. @lalalu

    Der Text fordert an keiner Stelle, dass Diskriminierung von Menschen, die (in der Situation) nicht davon betroffen sind, unkommentiert gelassen werden soll oder Nicht-Betroffene schweigend hinnehmen sollen. In Diskriminierung zu intervenieren ist immer wichtig, sonst gilt es weiterhin als selbstverständlich und normal, Gruppen und Einzelpersonen zu entmenschlichen. Es geht darum, warum ich die Erfahrung von Betroffenen in Frage stellen muss, deren Wahrnehmung zu ihrem eigenen Leben nicht akzeptieren, nicht glauben kann. Und es geht darum, Menschen, denen Diskriminierung widerfährt, in ihren Interventionen und Umgängen zu unterstützen. Diskriminierung spricht u.a. Handlungs- und Entscheidungsgewalt über das eigene Leben, die eigenen Erfahrungen und die Umgänge mit selbst erlebter Diskriminierung ab.

  17. @ lalalu

    „Nichtsdestotrotz denke ich, dass nicht alle Berichte von Diskriminierung unKOMMENTIERT gelassen werden müssen. Das würde einem pauschalen “Wer von Unterdrückung berichtet, hat Recht” entsprechen!!“

    ähh… ich raff’s nicht.

    Also:
    Ich berichte von einer Diskriminierung.
    Du glaubst es nicht.
    Du schweigst einfach.

    Was ist genau das Problem?

  18. @lalalu
    wie Nadine schon gesagt hat, spricht der Text davon, Betroffene, die von Diskriminierungserfahrung berichten, zu unterstützen – dass muss natürlich nicht schweigend geschehen, sondern indem – auch das meinte Nadine – die Erfahrung der_des Betroffenen und ihr Wohlergehen in den Mittelpunkt gestellt werden, mit Empathie oder einfachen Fragen wie „was brauchst du gerade?“, etc. oder natürlich mit einer Intervention, wenn die diskriminierende Situation noch im Gange ist.

    Und das In-den-Mittelpunkt-Rücken der Erfahrung der Betroffenen lässt meiner Ansicht nach auch die leidige Frage, ob es sich den WIRKLICH um eine Diskriminierung gehandelt hat, sekundär werden. Denn selbst wenn die konkrete Situation wirklich nur aus einem blöden Zufall und ohne Diskriminierungsabsicht der_des Priviligierten so zugetragen hat, erlebt der_die Betroffene es so, und zwar aufgrund der systematischen Benachteiligung, die diese Person aufgrund ihres Geschlechtes, Hautfarbe usw. erleben musste und muss. Durch diese Perspektive wird die Struktur hinter individuellen Erlebnissen anerkannt und die Betroffenen kommen gar nicht in die zermürbende Situation, „beweisen“ zu müssen, dass Diskriminierung wirklich stattgefunden hat.

  19. @fez

    erstens heißt es zunächst nur „Manchmal ist die Fresse halten das Beste.“, was doch schon in vielen Bereichen, die nicht direkt mit Unterdrückung verbunden sind, zur Alltagsweisheit gehört…

    und zweitens ist es auf jeden Fall besser als Erfahrungen abzusprechen…

    @lalalu

    als weißer Typ, der versucht solidarisch zu sein und sich selbstkritisch „bilden“ (auf jeden Fall besser als andere „zu bilden“) will ist ZUHÖREN das allererste was ich tun kann. Daraus kann mensch u.a. lernen, welche unterstützenden Handlungsmöglichkeiten es in bestimmten Situation gibt.
    Wenn mensch ansonsten nicht helfen kann, oder gar geneigt ist, alles schlimmer zu machen, ist SCHWEIGEN immer besser.

    @Peach the plumber

    wenn ich als privilegierter Mensch Probleme habe, dann sehe ich doch auch kein Problem darin, die ganze Welt mit meinen Problemen zu nerven. Einseitige Kommunikation/Monologisieren ohne hinterfragt zu werden und ohne Rückfragen zu erwarten ist insofern vielleicht auch ein Privileg.

    ansonsten vielen Dank für den Text, habe wieder viel mitgenommen!

  20. @lalau:

    Warum ist deine erste Reaktion eigentlich, Leid kommetieren zu müssen? Wie wäre es denn mit FRAGEN, was du für eine diskriminierte Person tun kannst, bzw, was sie möchte und braucht, bevor du die Situation bewertest und ungefragt deinen Senf dazu gibst? Warum sträubst du dich gegen ein bisschen mehr aktives Zuhören?

    Ist es, weil ihr selbsterklärte privilegierte Personen glaubt, keine Fragen mehr stellen zu müssen bzw. gewohnt seid, immer gleich eure Meinung kund zu tun, ohne dass es auf Widerstand stößt?

  21. verdammt toller text!

    und richtig nervige diskussion, zu der ich trotz anderen reflexes nichts beitragen werde. der text steht für sich und ist super! yeah!

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