Ich habe keine Kinder und glaube, dass ich das letzte Kinderbuch vor 15 Jahren vorgelesen bekam. Und da mein Papa immer sehr genuschelt hat, habe ich auch davon nur die Hälfte verstanden. Wie ihr lesen könnt: Hier rezensiert keine Expertin.
Interessant fand ich es trotzdem, das Kinderbuch „Unsa Haus – und andere Geschichten“ von Ben Böttger und Rita Macedo zu lesen, denn die Autor_innen haben sich einer Aufgabe angenommen, die gerade für Kinderbücher von größter Bedeutung ist, nämlich einen Raum zu schaffen für nichtnormative* Darstellungen von Familienzusammenhängen, Identitäten und zwischenmenschlichen Beziehungen.
In den einzelnen Kurzgeschichten lernen wir die fünf Freund_innen, ihren Alltag, ihre Sorgen und Freuden kennen. Da ärgert sich Dani darüber, dass er immer nur langweilige Kleider beschenkt bekommt; Fatma erzählt von ihrem Traum Astronautin zu werden und Fredi wird von ihren Vätern in der Kampfsportschule angemeldet – und bekämpft so mit viel Phantasie die Monster in ihren Alpträumen.
Sehr oft habe ich mich beim Lesen dabei erwischt, wie ich überrascht war, zum Beispiel dass dieses kurzhaarige Kind mit einem weiblichen Personalpronomen versehen wird. Oder dass die Eltern aus zwei Vätern bestehen. Ein perfektes Buch also, um auch die eigenen stereotypen Vorannahmen kritisch zu hinterfragen.
Schön finde ich ebenfalls, dass die Kinder nicht einfach als bloße Vertreter_innen einer sozialen Gruppe auftreten. So dreht sich das Leben eines Kindes, welches beispielsweise kaum gesellschaftlichen Vorstellungen von „normalgewichtig“ entspricht, nicht automatisch nur um Gewicht oder Diäten. Die Kinder werden also nicht auf ein Merkmal reduziert – erfrischend!
Etwas absurd wurde es leider gegen Ende: Auf einmal taucht ein grüner Mensch auf. Für mich roch das ein wenig nach „Was für eine schöne bunte Welt, Menschen gibt es in allen Farben“, was auf den ersten Blick kreativ wirkt, aber real existierende (rassistische) Diskriminierungserfahrungen verharmlost. Ich hatte an manchen Stellen auch das Gefühl, dass mit einer Identitäts-Checkliste gearbeitet wurde, um ja keine Identität auszulassen.
Empfehlen kann ich das Buch jedoch ohne große Zweifel: So oft wie ich Erziehende klagen höre, welchen diskriminierenden oder genormten Darstellungen Kinder in Büchern, Filmen oder Songs auch heute noch ausgesetzt sind, kann dieses Buch nur eine angenehme Abwechslung darstellen. Zusätzliches Plus: „Unsa Haus“ wird es bald auch in türkischer Sprache zum Download geben.
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* Nichtnormativ heißt laut NoNo-Verlag, dass Menschen „in ihrer Vielfalt dargestellt und angesprochen werden, unabhängig davon, inwiefern sie gesellschaftlichen Normen (beispielsweise bezogen auf Sexualität, Hautfarbe, Fähigkeiten) entsprechen. Da es auf dem Buchmarkt ein vielfältiges Angebot für Menschen gibt, die nicht „aus der Norm fallen“, heißt nichtnormativ in diesem Kontext auch, gerade diejenigen Bevölkerungsgruppen darzustellen und anzusprechen, die ansonsten an den Rand gedrängt werden.“
zu empfehlen ist auch dieses buch von Tanja Abou:
http://nono-verlag.de/index.php?id=55
Die Berliner Alice Salomon Hochschule hatte mal ein Projekt zu Kinderbüchern. Da haben Student_innen verschiedene Bücher analysiert. Das schöne: Es gibt eine Webseite, wo die Ergebnisse zugänglich sind http://gender-kinderbuch.de/
Das ist auf jeden Fall ein netter Einstieg zum Rumstöbern, die Qualität der einzelnen Texte ist allerdings auch sehr schwankend.
Nachtrag: Also „Analysen“ ist etwas zuviel gesagt, gemeint waren Rezensionen.
Gerade gefunden für alle englischsprachigen Kids:
„LBGTQ* Children’s (Picture) Books To Keep On Your Radar„
Die türkische Version von „Unsa Haus“ ist als PDF zum kostenlosen Download online gestellt worden.