Caster Semenya: Wenn Diskriminierung als notwending bezeichnet wird

Es ist diskriminierend, aber diese Diskriminierung ist angemessen und notwendig. So liest man in der gestern veröffentlichten Begründung des internationale Sportgerichtshofs CAS im Fall der südafrikanischen Mittelstrecken-Läuferin Caster Semenya vs. dem Leichtathletik-Weltverband IAAF. Semenya hatte geklagt gegen eine neue Regelung, die Athletinnen mit einer bestimmten Geschlechtsvariation (46 XY DSD) [Nachtrag: Im vollständigen Urteil sind verschiedene Personengruppen, die betroffen sind, aufgezählt] dazu zwingen soll ihr Testosteron-Level abzusenken. Der Verband argumentiert, dass das mehr an Testosteron ungerechtfertigte Vorteile bei Mittelstreckenrennen (der einzige Bereich für den diese Regelung eingeführt wird) bringt und dass das Level ja einfach zu verändern sei durch die Einnahme „normaler Verhütungsmittel“. Dass der Sportsgerichtshof dem IAAF – wenn auch sich windend – Recht gibt, ist ein Skandal.

Vor zehn Jahren gewann die damals gerade einmal 18-jährige Caster Semenya das 800 m Rennen in Berlin. Doch die Freude um Gold währte nicht lang. Der IAAF gab bekannt, dass sie Semenya einer Geschlechtsprüfung unterziehen und sie in den folgenden 11 Monaten nicht bei Rennen antreten darf. Seitdem muss Semenya nicht nur auf der Laufstrecke alles geben, sondern wird regelmäßig mit entmenschlichenden Praxen und neuen, ihren Körper regulierenden Entscheidungen konfrontiert. So legte der IAAF im Jahr 2011 eine Obergrenze für Testosteron fest. Diese wurde aber – erfolgreich – von der indischen Sprinterin Dutee Chand in 2015 angefochten. Als im Jahr darauf Semenya Gold bei den Olympischen Spielen in Rio gewann, kündigte IAAF Sebastian Coe an gegen Chands Einspruch vorzugehen. Ergebnis war die 2018 festgelegte neue Regelung – die nun vom CAS bestättigt wurde.

Caster Semenya in London. (Foto: Citizen59/ Flickr)

Leistungssport baut von je her auf „unfairen körperlichen Vorteilen“ auf. Training und Einsatz ist nicht alles. Abhängig von der Sportart, den benötigten Bewegungsabläufen, werden verschiedene Körperkonfigurationen eine erhöhte Chance haben auf einem Leistungssport-Niveau konkurrieren zu können. Es gibt ganze Grafiken, die erklären, warum Michael Phelps den perfekten Schwimmer-Körper hat. Von Wettkämpfen sollte er deswegen nie ausgeschlossen werden. Stattdessen wurde dieser Körper gefeiert. (Auf Twitter merkte die Autorin und Aktivistin Jessica Horn zu dem an, dass auch andere „unfaire Vorteile“, die durch ökonomische Ungleichheit entstehen, niemals berücksichtigt werden.) Die Begründung es ginge um Fairness allen Sportler_innen gegenüber kann somit nur Schein sein.

Hier geht es um mehr: Es geht um die Grenzziehung bei Geschlechtern, um das Aufrechterhalten einer zweigeschlechtlichen Norm (angefangen bei der Genderung von Hormonen), den de-facto Ausschluss von inter Athlet_innen, aber auch um Ängste weißer Frauen. Die Vehemenz mit der der IAAF versucht Semenya von Wettkämpfen auszuschließen – immer unter dem Deckmantel der Fairness – lässt sich nur nachvollziehen, wenn diese verschiedenen Ebenen und deren Verknüpfungen in den Blick genommen werden. Es ist kein Zufall, dass diese Diskussionen sind rund um Caster Semenya, einer Schwarzen queeren Frau, entfachen. Ist sie doch Teil einer Gruppe von Frauen, denen dank kolonial-rassistischer, heteronormativer Geschlechtspolitiken von je her Weiblichkeit abgesprochen wird. Es ist kein Zufall, dass diese Diskussion sich rund um das Laufen (und nicht etwa Diskurswurf beispielsweise) entfacht. Also einer Disziplin, in der Schwarze Athlet_innen triumphieren (die unterschiedliche Verteilung nach Disziplinen hat eine Vielzahl von Gründen). Und es ist auch kein Zufall, dass in der medialen und allgemeinen öffentlichen Reaktion häufig unerwähnt bleibt, wie sich bestimmte Regelungen konkret gegen inter Sportler_innen richten.

Die ehemalige australische Läuferin Madeleine Pape, die ebenfalls 2009 im 800m Wettkampf in Berlin angetreten war und heute Caster Semenya und andere Athlet_innen, die gegen Testosteron-Regelungen vorgehen, unterstützt, schrieb gestern in einem Artikel beim Guardian:

2009 sah ich das 800 Meter Finale der Frauen, in dem Semenya die Ziellinie mehr als zwei Sekunden vor dem Rudel überquerte, von der Tribüne aus. Damals war es bei weitem der Weg des geringsten Widerstands mich dem Chor der Stimmen anzuschließen, die ihre Leistung als „unfair“ verurteilten. Das Rennen fand in einem Kontext statt, in dem die Leichtathletikorganisation IAAF der Welt bereits angekündigt hatte, Semenyas biologisches Geschlecht und ihr Recht auf Teilnahme in Frage zu stellen. Niemand in meinem Umfeld bot einen alternativen Standpunkt oder hielt mich dazu an, meine eigene uninformierte Meinung zu rechtfertigen. Für eine Athletin, die wegen ihrer schlechten Leistung in den Vorläufen ein paar Tage zuvor Trost suchte, war das alles ziemlich bequem. [meine Übersetzung]

Pape beschreibt eindrücklich, wie einfach es ihr, einer weißen Athletin, die bereits vor dem Finale ausgeschieden war, gemacht wurde, sich gegen Semenya zu positionieren. Der IAAF spricht gern über Gerechtigkeit, Semenya aber kam nie in den Genuss einer gerechten Behandlung. Sie darf diskriminiert werden – wie das CAS bestättigte. Dass der Verband betont, dass das ‚Problem‘ doch einfach durch die Einnahme „normaler Verhütungsmittel“ zu lösen sei, wirkt einerseits lachhaft, sollte andererseits aber auch als den gewaltvollen Eingriff in die körperliche Autonomie von Athlet_innen anerkannt werden, der es ist. Seit Jahrzehnten diskutieren Feminist_innen die immensen, oftmals ignorierten Nebenwirkungen von hormonellen Verhütungsmitteln. Eine Sportlerin zu zwingen diese einzunehmen, damit sie das Recht hat an Wettkämpfen teilzunehmen, sollte nicht hingenommen werden. Wie die südafrikanische Autorin Sisonke Msimang auf Twitter schrieb:

Caster Semenya reagierte auf die Gerichtsentscheidung mit einem schulterzuckenden Emoji und dem Spruch: „Manchmal ist es besser zu reagieren mit keiner Reaktion.“ Sie hat die Möglichkeit gegen die Entscheidung in Berufung zu gehen.

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