Es waren die drei besten scheiße anstrengenden Tage seit Monaten für mich: Ausbildungsbeginn an einem Berufskolleg
Ja, ich habe einen Ausbildungsplatz. Ich.
Die mit dem Schwerbehindertenausweis, dem Assistenzhund und dem 9 Jahre großen Loch im Lebenslauf.
In den nächsten 3 Jahren, werde ich dieses Kolleg besuchen und am Ende einen Beruf erlernt haben. Als Abschiedsbonbon gibts ein Fachabitur dazu.
Was für ein geiles Privileg!
Vor gut drei Wochen feierte ich meinen dreißigsten Geburtstag. Meine Mitschüler_innen ihren sechzehnten, siebzehnten, achtzehnten.
Sie kommen von Real- und Gesamtschulen in der Umgebung, dürfen ganz frisch “feiern gehen”, haben buntbunte Gedanken und mit mir den ersten näheren Kontakt mit einer behinderten Person, die einen Assistenzhund mit sich führt.
Für mich ist diese Situation nicht neu – und doch ist sie so noch nie gewesen.
Ich kenne das, wenn Menschen meine Hündin und mich auf der Straße sehen. Kenne das unbeholfene Gewühle nach Worten, wenn man versucht mich zu fragen, “was ich denn habe”. Ich spüre die Veränderung im Gesprächsklima, wenn ich ohne meine Hündin an der Seite sage, dass ich eine behinderte Person bin.
Was ich nicht so gut kenne, ist Akzeptanz. Anerkennung. Zugeständnisse von zusätzlichen Schleifen, Kraftaufwendungen, Erklärungen und Nötigkeiten.
Den Raum, mir die maximale Barrierefreiheit zu ermöglichen.
Das erklärte Ziel der Lehrenden ist der erfolgreiche Abschluß für alle Schüler_innen gleich und das spüre ich im Kontakt mit meinen Lehrer_innen. Nicht als Retterpose. Nicht als political-correctness-Feigenblatt für ein eigentlich peinliches Einzelprojekt.
Auch das kenne ich ziemlich gut. Menschen, die vor allem für sich selbst “Gutes tun” und “mit gutem Beispiel vorangehen”, statt sich damit auseinanderzusetzen, was genau sie dort eigentlich tun und warum.
So bewegte ich mich nun also durch den Einschulungstag mit meinem Begleitermenschen neben mir und meiner Hündin an der Leine.
Und fühlte mich so wundergut beliebig.
Für viele Menschen ist der erste Schultag furchtbar, weil sie niemanden kennen. Ganz allein sind. Gar nichts wissen und sich nicht auskennen. Für mich ist das die Zeit, in der ich am meisten mit meinen neuen Mitschüler_innen gemeinsam habe. In der ich mit allem, was ich tue und habe, genauso fremd bin, wie die Personen um mich herum, die ihre Behinderungen vielleicht weniger sichtbar kompensieren können und auch wie die Personen, die keine dauerhaften Behinderungen kompensieren müssen.
Natürlich war ich “anders fremd” als alle anderen. Natürlich war ich “auffällig”. Aber es hat nicht weh getan und das ist, was mir das Gefühl gab, austauschbar in der Fremdheit zu sein.
Wäre ich nicht da gewesen, wäre da eine Person mit „mega vielen“ Pickeln “anders fremd” gewesen. Oder eine mit einer „verunglückten“ Frisur. Oder eine mit „komischer“ Stimme.
Am ersten Tag des Neubeginns sind alle Menschen gleich “anders fremd”.
Es tut mir gut, solche Momente im Leben zu haben und ich steige so tief in sie hinein, wie es geht.
Ich weiß, dass wir mit unterschiedlichen Er_Lebensweisen leben. Dass uns etwas trennt, was wir einander mitteilen, doch nie jeweils ganz erfassen können. Ich weiß, dass mir meine nicht dauerhaft behinderten Mitschüler_innen im Laufe der nächsten Wochen immer weiter weg erscheinen werden. Dass uns nicht viel verbindet. Dass meine Limits so sehr viele Dinge verunmöglichen, dass wir wenig Zeit und Raum außerhalb der Schule miteinander gestalten werden.
Ich weiß, was an sie herangetragen wird, wenn sie mich und meine Assistenzhündin irgendwo hin begleiten. Es gib so viel behindertenfeindliche Scheiße, der auch die Freunde, Helfer- und Begleiter_innen von sichtbar eine Behinderung kompensierenden Menschen, nicht entgehen können und der sich zu stellen nicht immer einfach ist.
Aber der Moment war da.
Und ich habe ihn genossen.
Ich wünsche Dir alles Gute, wirklich von Herzen, dass sich alles so ergibt, dass es gut tut.
herzliche Grüsse
Elisabeth