Alice Schwarzer ist gerade 70 Jahre alt geworden. Alice Schwarzer ist die offizielle Ikone der deutschen Frauenbewegung der 1970er Jahre und ist seit einigen Jahrzehnten die Chefredakteurin der EMMA, des ältesten feministischen Magazins in Deutschland. Alice Schwarzer hat unbestreitbare feministische Verdienste, zum Beispiel den öffentlichen und wirksamen Kampf gegen §218, der im deutschen Strafrecht Abtreibungen illegalisiert. Sie hat maßgeblich dazu beigetragen, dass feministische Perspektiven in Deutschland auf die politische und mediale Agenda kamen. Alice Schwarzer ist 40 Jahre lang heftigst kritisiert, auf das Übelste beschimpft und beleidigt, bedroht und angeschrien worden. Dass sie noch immer eine feministische Aktivistin ist, halte ich für ein Zeichen von Mut und Beharrlichkeit, und Kritik an ihren politischen Positionen und Praktiken sollte all dies nicht zunichte machen.
Allerdings ist Alice Schwarzer auch eine Aktivistin, die die Bevormundung anderer Frauen zu einem zentralen Bestandteil ihres Feminismus‘ gemacht hat, und die inzwischen fast zu einer Art Karikatur einer reuelosen Zweite-Welle [sic]-Feministin geworden ist, die darauf besteht, dass alle Frauen aufgrund ihres Geschlechts die gleichen grundlegenden Lebenserfahrungen teilen und dass Feminismus™ eine komplett einheitliche Bewegung sein kann und sollte, die alle Frauen auf diesem Planeten umfasst und für sie spricht (…ob sie wollen oder nicht). In ihrem neuesten Blog-Artikel, „Wieder mal zurück auf Null?“, beklagt Schwarzer die „sektiererischen“ Tendenzen einiger feministischer Strömungen und glaubt, dass antirassistische Aktivist_innen versuchten, die feministischen zu sabotieren.
Schwarzer glaubt, es gäbe Feminist_innen (die Guten) auf der einen Seite, und auf der anderen Seite Gruppen von Frauen (die Bösen), die versuchen, die Feministinnen zum Schweigen zu bringen. So weit, so vielleicht nachvollziehbar. Allerdings findet Schwarzer, dass diese Gruppen von Frauen, insbesondere die Blogger_innen der Mädchenmannschaft (ja, schon wieder, wie immer, bla… – Nadia hat auf Shehadistan einen tollen Kommentar zu einem anderen EMMA-Artikel veröffentlicht, der in die gleiche Kerbe haut) sowie andere feministische Blogger_innen und Aktivist_innen in Berlin (auch wenn die meisten jener Blogger_innen überhaupt nicht in Berlin leben, aber dann käme ja das Bild ins Wanken, das andere Zeitungen und Zeitschriften bereits aufgebaut haben, insofern…) versuchen, feministischen Aktivismus zum Schweigen zu bringen, indem sie besagte Feminist_innen nach dem Gießkannenprinzip des Rassismus‘ bezichtigten (einen Vorwurf, den Schwarzer abstreitet), und dass selbsterklärte PoC darauf bestünden, „erstmal Recht“ zu haben, während „alle Weißen“ automatisch falsch lägen (ich übertreibe nicht, sie hat es so geschrieben).
Außerdem, und hier kommt Schwarzer auf den Berliner Sl*twalk zurück, dächten diese pseudo-antirassistischen, antifeministischen Frauen nicht nur, dass Feminismus unwichtiger sei als Antirassismus (eine Behauptung, die Schwarzer zu unterstreichen versucht, indem sie sie mit ihren Erfahrungen mit der deutschen Arbeiter_innenbewegung gleichsetzt, die davon ausgegangen sei, dass Klasse wichtiger sei als Geschlecht) – sie nutzten ihren Antirassismus auch als eine heimliche Querfrontstrategie, um islamischen Fundamentalismus, den sie als Faschismus beschreibt, voran zu treiben.
Um es zusammen zu fassen: Die Antirassismus-Clique, als die sich einige angebliche Feministinnen gegenüber anderen (den richtigen) Feministinnen ausgeben, nutzt ihr Engagement als Fassade, um für Ziele des radikalen Islamismus/Neo-Faschismus zu kämpfen, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese Gruppen, die sich selbst „linke Feminist_innen“ nennen, zum Rechtsradikalismus ‚überlaufen‘. Die totalitäre Tyrannei besagter Fauxministinnen hat einen eisernen Vorhang der Angst und des Leids über den feministischen Aktivismus in Berlin gebreitet (…und vermutlich bald über ganz Europa, denn heute Berlin, morgen… na gut, hier paraphrasiere ich vielleicht ein wenig…).
Schwarzer schreibt, dass „seit nun mehr 30 Jahren“ in Deutschland „jede Kritik“ am Islam(ismus) (beides scheint sie, trotz gegenteiliger Behauptung, gelegentlich zu verwechseln), „im Keim erstickt“ würde durch den ständigen „Vorwurf: Rassismus!“ Natürlich lässt sie dabei die Bestseller Thilo Sarrazins, bundesweite Proteste gegen Moscheen oder die langjährige EMMA-Kampagne gegen Islamismus, die sich gelegentlich auch rassistischer Karikaturen bediente (…man muss ja sicher stellen, dass alle verstehen, wie böse Die Muslim_innen An Sich™ sind… – vgl. hierzu Nadias Artikel), unerwähnt. Doch laut Schwarzer ist der islamismusfreundliche Rassismusvorwurf genau der, der wieder erhoben würde in momentanen Auseinandersetzungen: Antifeministische Ziele verfolgend (warum, bleibt unklar), wagten es manche Frauen die politischen Positionen tatsächlicher feministischer Aktivist_innen zu kritisieren, wenngleich wir doch alle erkennen sollten, dass, während uns Faktoren wie Klasse oder race oder Religion zwar unterscheiden, der eigentlich wichtige Faktor Geschlecht (oder, wie Schwarzer tatsächlich schreibt: der Umstand, dass Frauen „alle zwei Brüste und eine Vagina“ hätten – so viel zum Thema Cis-Sexismus, Essentialismus und Identitätspolitik… *hüstel*) uns trotz aller Unterschiede vereine. Feminismus dreht sich hier ausschließlich um Geschlechtergerechtigkeit. Somit begeht Alice Schwarzer den gleichen Fehler, den sie der Arbeiter_innenbewegung vorwarf: Sie erklärt andere diskriminierende Strukturen, die Frauen unterschiedlich betreffen, zu schlichten Nebenwidersprüchen.
Schwarzer findet, beim Feminismus™ gehe es um Geschlecht, nicht um race oder Klasse, und dass es der Großen Sache™ schade, wenn man andere Faktoren mitbedenkt. Ich finde, dass diese Aufteilung nicht nur sinnlos ist, sondern schädlich. Es ist nicht „entweder oder“, es ist alles. Das macht es komplizierter, klar, aber indem sie antirassistische Kritiken an feministischem Aktivismus als sektiererisch bezeichnen, offenbaren sich Schwarzer und andere EMMA-Autorinnen als Relikte einer niemals wiederbelebten 40 Jahre alten Bewegung liberaler weißer Mittelklassefeministinnen, die von Universalität sprachen, aber nur sich selbst meinten. Identitätspolitik ist kein Selbstzweck, sie ist ein Mittel, um Inklusion zu erreichen, und genau hier liegt ihr Ursprung. Das verleugnet Schwarzer, wenn sie von „sektiererisch“ spricht, und daran erkennt man, dass sie (und andere, und zwar mehr als ich für möglich gehalten hätte) 30 Jahre lang die Kritiken ignoriert hat, die PoC, Feminist_innen aus der Abeiter_innenklasse oder LGBTQ-Feminist_innen an der Mainstream-Frauenbewegung geäußert haben.
Selten hat sich Feminismus so deutsch angefühlt.
Und im Gegensatz zu Schwarzer und anderen Feminist_innen widerspreche ich der ‚politischen Position‘, dass feministisches Schreiben/feministischer Aktivismus bedeute, dass „jede Ausdrucksweise in Ordnung“ sei, „solange sie nicht sexistisch“ ist. Dieses Zitat aus einem kürzlich erschienenen Jungle World-Artikel zur Mädchenmannschaft fasst die ganze Diskussion in einem Satz zusammen.
Kritik an Sexarbeit, an Porno und an religiösem Fundamentalismus – also: Themen, die die EMMA regelmäßig aufgreift – sind legitime feministische Positionen. Ich denke nicht, dass es inner-feministische Hindernisse gibt, irgendeines dieser Themen zu problematisieren. Im Gegenteil: ich halte es für sehr wichtig, zum Beispiel religiösen Fundamentalismus jeder Art und (auch) damit verbundenen (Hetero-)Sexismus und Antisemitismus zu kritisieren und zu bekämpfen. Wogegen der Widerstand zum Glück jedoch wächst, ist, wenn manche Feminist_innen diese Themen in eindeutig pauschalisierender Art und Weise behandeln, und wenn manche Feminist_innen glauben, dass sie das Recht und die Fähigkeit haben, für „alle Frauen“ zu sprechen – Frauen, die sie weder selbst gehört noch gesehen haben, über deren tägliches Leben sie keine Kenntnisse haben, und Frauen, die durchaus in der Lage sind, sich selbst ohne Bevormundung zu Wort zu melden. Kulturrelativismus halte ich weder für eine hilfreiche noch eine gerechte Theorie oder Strategie, aber ich wiederhole gerne, dass Menschen einzuladen und zuzuhören, die konkrete Erfahrungen z.B. mit religiösem Fundamentalismus und der direkten staatlichen Unterdrückung von Frauen haben, weitaus hilfreicher, solidarischer und wirkungsmächtiger ist, als in generalisierender (und oftmals stereotypisierender) Weise über Menschen zu reden und alle über einen Kamm zu scheren.
Natürlich ist es legitim, religiösen Fundamentalismus oder Pornos oder Sexarbeit oder was auch immer die EMMA gerade besonders bekämpfen mag, anzuprangern (…und man fragt sich, welche ominösen „feministischen Kreise“ das jemals bestritten haben sollen…), aber meiner Meinung nach kommt es darauf an, wie man kritisiert und unter welchen Umständen. Ich halte es für unangebracht, sich z.B. „diskriminiert“ oder missverstanden zu fühlen, wenn Sexarbeiter_innen bestimmten Anti-Sexarbeits-Kampagnen widersprechen. Man kann Menschenhandel und Sklaverei aktiv und entschlossen entgegentreten, ohne dabei jede_n Sexarbeiter_in als sprach- und agensloses ‚Opfer‘ darzustellen, das nun ‚gerettet‘ wird. Das sollte weder schwer zu verstehen, noch eine sektiererische Position sein. Die Kommentatorin H.D. hat in Charlotts Artikel zu Miriam Gebhardts Interview Jill Filipovic von Feministe zitiert: „We can walk and chew gum at the same time“ (Wir können gehen und dabei Kaugummi kauen“) – Feminist_in zu sein bedeutet weder, dass man automatisch Anti-Rassist_in ist, noch, dass man sich entscheiden müsste zwischen dem einen Aktivismus für soziale Gerechtigkeit oder dem (oder weiteren) anderen. Tatsächlich sind sie uns zuliebe bereits miteinander verbunden.
Ich finde, dass Antirassismus, Antifaschismus, Antiheterosexismus, Antiableismus, … nicht optional für feministische Bewegungen sind, sondern unverzichtbare Bestandteile. Ich glaube nicht, dass man immer alles gleichzeitig richtig machen kann, doch der springende Punkt ist, wie man mit Kritik umgeht. Doch wenn deine Vorstellung vom Umgang mit antirassistischer Kritik ist, sie abzutun, indem du Leute „sektiererisch“ nennst, indem du sie bezichtigst, zu ihrer eigenen Belustigung willkürliche Rassismusvorwürfe zu erheben, um dich zum Schweigen zu bringen (…weil PoC das unheimlichen Spaß macht, klar…), während du selbst in einer langen Tradition stehst, PoC und andere für Die Sache™ zu vereinnahmen und zum Schweigen zu bringen, und indem du feministische Aktivist_innen einteilst in ‚richtige‘ Feminist_innen (die sich ausschließlich um Geschlechtergerechtigkeit kümmern und daher vernünftig ihren Job machen) versus ‚manche Frauen‘ (die zum Beispiel antirassistische Kritik geäußert haben, weil sie als PoC diskriminiert werden oder als Allies ihre Solidarität bekunden möchten), dann ist dein Feminismus ganz bestimmt nicht meiner, und es könnte mir nicht gleichgültiger sein, dass du und ich ähnliche Erfahrungen in Bezug auf unser Geschlecht teilen. Offensichtlich teilen wir ansonsten nichts Bedeutendes – daher laufe ich lieber alleine.
Dieser Beitrag trifft leider nicht den Kern der Kontroverse. Der liegt nicht darin, dass Schwarzer nichts von Antirassismus hält, die Verfasserin aber schon. Sondern darin, dass es ein unterschiedliches Verständnis von Antirassismus gibt. In der feministischen Bloggerszene in und um die Maedchenmannschaft scheint die Vorstellung vorzuherrschen, Antirassismus oder Rassismus sei etwas, was ein Trademark besitzt und sie es zufällig auch sind, die dieses TM verteilen dürfen.
In diesem Artikel manifestiert sich dieses Denken an Sätzen wie „wenn Sexarbeiter_innen bestimmten Anti-Sexarbeits-Kampagnen widersprechen“ oder „Vorstellung vom Umgang mit antirassistischer Kritik ist, sie abzutun,…“. Dass man auch dann eine Kampagne zu Sexarbeit richtig finden kann, wenn einige SexarbeiterInnen sie falsch finden, dass man auch dann etwas für rassistisch oder nicht rassistisch halten kann, wenn es Betroffene von Rassismus gibt, die das anders sehen, kommt in diesem Denken nicht vor. Ein Betroffener hat Kritik=Alle Betroffene haben Kritik. Hier werden alle Betroffenen über einen Kamm geschert, genauso wie es an anderer Stelle in dem Artikel kritisiert wird.
Man darf natürlich alles kritisieren, man darf Positionen für rassistisch oder antirassistisch, für patriarchal oder antipatriarchal halten, aber woher kommt der Glaube, dass alle diese Kritik teilen müssen? Die ganze Debatte um Critical Whiteness lässt sich auf diese Frage herunter brechen. Warum glauben manche, nur weil man eine Kritik vorbringt, automatisch auch Recht zu haben?
@Markus
Ich fürchte, dass dein Kommentar ebenso am Kern der Kontroverse (und des Texts…) vorbeigeht. Die Kontroverse, die hier im Text besprochen wird, ist die zentrale Frage der Intersektionalität und Differenz(ierung) v. Universalitätsansprüche und hegemonialer Definitionsmacht. Dass wir da schlicht nicht weiter kommen, zeigt sich bereits an Deiner Formulierung, die von der „feministischen Bloggerszene in und um die Mädchenmannschaft“ spricht – Heterogenität wird hier nämlich nicht zugelassen, im Gegenteil: es passiert genau das, was man jener „Szene“ [sic] oder der berühmt-berüchtigten „Berliner PoC-Szene“ vorwirft: pauschalisierende Kollektivierung, und ein strawman nach dem nächsten. Was Alice Schwarzer von (nicht mehrheitsgesellschaftlichem) Antirassismus im Verhältnis zu Feminismus denn tatsächlich hält, findet sich alles in ihrem Artikel (…manches habe ich ja zitiert, und vielleicht auch mal auf die angebotenen Links zu klicken, wäre keine schlechte Idee). Im übrigen geschieht das Entleeren (oder Trademarken?) von Begriffen hier nicht im Text, sondern in Deiner Reaktion: Rassismus hat durchaus Definitionen, die sich weder die Mädchenmannschaft noch ich spontan ausgedacht haben. Googlen hilft.
Dass Du weiterhin Kampagnen super finden kannst, die andere, nämlich Betroffene in deren Namen sie stattfinden, diskriminierend finden oder die ihnen grundsätzlich agency absprechen, statt sie zu Wort kommen lassen, ist selbstverständlich Dein Recht. Es ist auch selbstverständlich Dein Recht, solche Kritiken nicht zu teilen. Das ist aber nicht gleichbedeutend mit einem Recht, dafür nicht kritisiert werden zu können. Offenbar bedeutet Widerspruch für manche aber Unterdrückung, gar alle Betroffenen über einen Kamm zu scheren, egal, wie differenziert diese Kritik vorgetragen werden mag und wie gesellschaftliche Machtgefälle aussehen. Wo genau ich in diesem Text „alle Betroffenen über einen Kamm“ schere, ist mir nämlich leider unklar. Was ich geschrieben habe, ist: man kann Sexarbeit aus feministischer Perspektive kritisieren, ohne dabei alle Sexarbeiter_innen über einen Kamm zu scheren. „Alle Betroffenen über einen Kamm zu scheren“ ist also das, was ich kritisiere. Nirgendwo habe ich geschrieben, dass, wenn bestimmte Sexarbeiter_innen eine Kampagne kritisieren, das alle anderen Sexarbeiter_innen zwangsläufig genauso sehen. Es geht mir hier um die Reaktion derjenigen, die z.B. Anti-Sexarbeits-Kampagnen ins Leben rufen, wie die EMMA, und wie argumentiert wird. Steht im Text und so, gelegentlich sogar kursiv.
Darüber hinaus geht es hier ja um einen alten Schuh, der beleibe nicht erst angezogen wurde, als die Debatte um Critical Whiteness Studies (auch interessant, dass Du das hier anbringst, darum geht es nämlich in dem Text erst gar nicht; trotz der zuletzt fast verzweifelten Versuche, jede alte Kontroverse auf CWS zu schieben) in deutschland losging: die Frage der Definitionsmacht bezüglich rassistischer Erfahrungen, zum Beispiel. Es gibt zu Definitionsmacht verschiedene Konzepte, manche könnte man tatsächlich als potentiell autoritär bezeichnen, meiner Meinung nach. Versteht man Definitionsmacht aber so, dass Betroffenen das Recht zugestanden wird, auch dann von Rassismus zu sprechen, wenn eine rassistisch strukturierte Mehrheitsgesellschaft das verneinen würde (z.B. darf ein Zehlendorfer Lehrer eine Schwarze Schülerin im Unterricht weiter „N*ger“ nennen, wie zuletzt ein Gericht befand, da er es ja nicht rassistisch meine, nicht wahr…), dann stellt sich mir die Frage, warum sich selbsterklärte Feminist_innen dagegen mit Händen und Füßen wehren bzw. finden, dass das diesen Feminismus kaputt mache (…die Strukturen ähneln nämlich rape culture, aber so weit reicht die Intersektionalität natürlich nicht).
Rassismus-Definitionen haben keine TM (lustigerweise würde ich ja behaupten, dass die Trademark, die Rassismus und Antirassismus und Feminismus verliehen wird, mitnichten von mir oder anderen „Berliner Blogger_innen“ kommt – diese Blogger_innen und Aktivist_innen kritisieren gerade das hartnäckige TM-Verständnis momentaner Rassismusbegriffe einiger Feminist_innen und anderer, die Rassismus meist auf die NPD beschränken, und ich kritisiere hier das Feminismus-Trademark-Verständnis von Alice Schwarzer…), aber darunter verstehen, was man will, kann man auch nicht. Der Klassiker, um Rassismus einzugrenzen, ist das unglückliche Paar von Vorurteil+Macht – interessanterweise wird hier von einigen unter den Tisch fallen gelassen, dass Macht auch darin besteht, selbst darüber bestimmen zu können, was als rassistisch empfunden/anerkannt wird (wenngleich man nicht negativ von Rassismus betroffen ist), und wie Betroffene sich zu verhalten hätten. Natürlich kann man Rassismusvorwürfen argumentativ begegnen – ich freu mich darauf, das hoffentlich irgendwann zum ersten Mal erleben zu können innerhalb dieser Debatte! Bislang begrenzt sich die Verteidigung gegen vermeintlich falsche Rassismusvorwürfe auf klassische Abwehrbehauptungen („Ich kann gar nicht rassistisch sein, ich hab auch XYZ Freund_innen“ / „Also, ich kenne eine_n PoC, der/die fand das voll OK, deshalb ist es auch OK“ / „Das gibt es aber auch im Kongo!“ / „Wenn XYZ das machen, dass ist es ja nicht so schlimm, wie wenn ABC das machen!“ / „Man wird ja wohl noch N*gerpuppe sagen dürfen, wenn man Geschlechterbilder kritisiert!“ / „Blackface ist Kunst, das unterbinden zu wollen ist totalitär!“ / „Das ist reverse racism, hier wird man als weiße Person diskriminiert und zum Schweigen gebracht!“ / „Man weiß gar nicht mehr, was man überhaupt noch sagen darf – alles immer so emotional hier, mit diesen ‚People of Koller‘ (höhö)!“ / etc.) und übliche Beleidigungen.
Warum glaubst Du, dass ich finde, automatisch Recht zu haben? Ich kritisiere mit diesem Text Schwarzers Annahme, dass PoC behaupten würden, grundsätzlich „erstmal Recht“ zu haben (ich nehme an, das ist ihr und Dein „Verständnis“ von Critical Whiteness Studies?), und den alten Hut, eine systematische Diskriminierungsstruktur gegen eine andere auszuspielen. Es geht hier nicht um Critical Whiteness, es geht schlicht um die Frage, ob man 30 Jahre lang vorgetragene Kritiken ignorieren möchte oder nicht und welche Argumente dafür/dagegen hervorgebracht werden. Die Argumente, die Schwarzer für ihre Position nennt (…und schließlich geht sie ebenso davon aus, Recht zu haben…), werden kritisiert. Ich bin mir durchaus bewusst darüber, dass nicht alle diese Position teilen – ich finde aber, es ist schon OK, wenn ich mir als eine der Blogger_innen der Mädchenmannschaft erlaube, trotzdem was dazu auf dem Mädchenmannschaftsblog zu schreiben… *hüstel*
Es würde mich freuen, nun am/das Thema diskutieren zu können – Critical Whiteness Studies wurden in mehreren Artikeln dieser berüchtigten Blogger_innen-Szene in und um die Mädchenmannschaft [sic] bereits seit Monaten thematisiert. FYI: Das Thema dieses Texts ist Intersektionalität und das Problem, dass ganz bestimmte feministische Strömungen von vermeintlichen „Mainstream“-Feminist_innen als „sektiererisch“ bezeichnet werden, um sich damit von Kritik freizusprechen und/oder gesellschaftliche Diskriminierungsstrukturen, die sich nicht auf „Geschlecht“ reduzieren lassen, als Nebenwidersprüche abzutun. Warum ich das nicht so toll finde, ist oben ziemlich lang ausgeführt. Danke.
Hallo accalmie,
Alice Schwarzer geht es in ihrem Text um die Critical Whiteness Diskussion des letzten halben Jahres, weshalb es nicht verwegen ist, diesen Begriff hier zu nehmen. Aber abgesehen davon bringst du in den zwei Zitaten genau das auf den Punkt, was ich meine:
„30 Jahre lang vorgetragene Kritiken ignorieren möchte oder nicht“ schreibst du. Alice Schwarzer hat diese Kritiken bestimmt schon mal gehört. Ich genauso, die linke Szene auch, ein Großteil der feminsitischen Szene ebenso. Die Kritik wird also nicht ignoriert! Sie wird nicht geteilt, das ist etwas gänzlich anderes.
Um ein Beispiel zu nennen: Sicherlich kennt Alice Schwarzer die postkoloniale Kritik daran, wenn weiße Frauen sich für Frauen in muslimischen Ländern einsetzen. Aber sie tut es trotzdem.
Das meine ich mit Antirassismus(TM). Eine andere Meinung ist nicht etwas, die man ernst nimmt, weil deren Vertreter sie sich nach langer Überlegung angeeignet haben und sie entweder akzeptiert, ignoriert oder kritisiert.
Nein, eine andere Meinung „ignoriert“ zwangsläufig „die Kritiken, die seit 30 Jahren vorgetragen werden“. Würde sie das endlich nicht mehr tun, dann würde sie die universell richtige, die wahre, die echte Meinung, also die der Kritikerin annehmen.
In der Linken gibt es politische Vorstellungen zuhauf, die ich nicht teile. Aber sonst nirgends wurde mir vorgehalten, ich hätte noch nicht genug drüber nachgedacht, sie nicht reflektiert, hätte ein Abwehrverhalten dagegen oder, wie du schreibst, würde die Kritik seit x Jahren ignorieren.
Die Legitimation dafür, andere Meinungen auf diese Weise abzuwerten, findet sich in deinem folgenden Satz:
Nun ist das mit den Betroffenen immer so eine Sache: Es gibt meistens so viele, dass man sich immer die raussuchen kann, die der gleichen Meinung sind. Anders gesagt, meinst du wirklich, dass eine große Anzahl an SexarbeiterInnen die Vorbehalte gegen den Slutwalk überhaupt kennt, geschweige denn teilt? Oder sind es nicht doch nur ein paar politisch aktive Leute, die „im Namen der Betroffenen“ sprechen? Das heißt nicht, dass die Kritik nicht begründet sein kann, nur ist das Berufen auf „die Betroffenen“ kein Gewähr für die Richtigkeit der Kritik.
Deshalb stimme ich deinem folgenden Satz voll und ganz zu:
kann aber gut mit entsprechender Kritik leben, da ich weiß, dass sie auch nicht mehr ist, als eine, in einer bestimmten politischen Theorie situierte, Meinung.
So, ich hoffe meine Kritik an dem Text und manchen Argumenten ist jetzt deutlicher geworden.
LOL! Sorry, aber das ist einfach zu gut: „Die Kritik wird nicht ignoriert! Sie wird nicht geteilt, das ist etwas gänzlich anderes.“ Na dann ist ja alles gut: Weiße Mittelklassefeminist_innen, die u.a. von Arbeiter_innen, PoC und LGBTQ-Feminist_innen für die produzierten Ausschlüsse und die Bevormundung kritisiert werden, ignorieren diese Kritik nicht, teilen sie aber auch nicht, und machen deshalb weiter wie bisher. Dann kann ich ja beruhigt sein: es dreht sich hier nicht um Ignoranz gegenüber Rassismus und Heterosexismus und Klassenunterschieden, es dreht sich um Gleichgültigkeit! Und ich reg mich auf… Solange Leute sich das Genöle dieser Diskriminierten angehört haben, können sie natürlich weitermachen wie zuvor – das muss man akzeptieren von Menschen, die meinen, sie kämpften für soziale Gerechtigkeit; die PoC- und LGBTQ-Feminist_innen waren einfach nicht überzeugend genug in ihrer Kritik (…und die Tabellen muss ich mir auch erst nochmal näher anschauen, das kann ja jeder behaupten mit dieser Diskriminierung – wird Feminist_innen ja auch gelegentlich vorgeworfen, dass sie diesen Sexismus nur erfinden und einfach zu empfindlich sind, hab ich gehört). Es ist schließlich alles nur eine akademische Übung, es geht nicht um die Lebensrealität von Menschen. /sarcasm
Dass sich Menschen 30 Jahre lang den Mund fusselig reden, schreiben und protestieren, war also wirklich nur reine Zeitverschwendung: Man kann es abprallen lassen und aussitzen, bzw. laufen lassen bis zu einem gewissen Punkt – nämlich dann, wenn es der eigenen (diskursiven) Vormachtsstellung gefährlich werden könnte. Wie Frau Schwarzer auf dem Titelblatt der neuen EMMA schreibt: „Warum es jetzt wirklich reicht.“ Ja, ich weiß, warum.
Ich beziehe mich in diesem Text primär auf den aktuellen Artikel Schwarzers und ihren dort getroffenen Aussagen. Im übrigen schreiben sowohl Schwarzer als auch die EMMA wortwörtlich „Rassismus vor Feminismus“ (…und meinen damit wohl eine Kritik an „Antirassismus vor Feminismus“; kleiner freudscher Fehler, nicht wahr…), nicht „Critical Whiteness vor Feminismus“ – das wird hier also ganz grundsätzlich aufgerollt. Dass Du versuchst, mir zu erklären, was Schwarzer eigentlich damit meinte/welche inneren Auseinandersetzungen dahinter steckten, und wie das in der linken Szene so sei (und warum Gleichgültigkeit gegenüber diskriminierenden Aussagen und Strukturen das gleiche ist, wie wenn die Gruppe XYZ-Südwest beim letzten Stuhlkreis deine neuesten Einfälle zur politischen Ökonomie nicht teilte), finde ich milde amüsant.
Ein weiteres LOL zu Deinem Hinweis, dass, wenn Kritik angenommen werden würde (oder zumindest reflektiert), das die „universell richtige, die wahre, die echte Meinung“ konstituieren würde :D… Nee, ich fürchte, das ist komplizierter… Es gibt immer andere Meinungen. Es gibt aber auch überzeugende und ignorante Argumente und Verhaltensweisen – z.B. antirassistische Kritik nicht abprallen zu lassen, sondern einen konstruktiven Umgang damit zu finden, bedeutet allerdings nicht, den heiligen Gral gefunden zu haben. Es bedeutet aber, feministischen Aktivismus glaubwürdiger gestalten zu können und nicht aktiv zu diskriminieren – das, finde ich, ist doch auch schon mal was. Das knüpft direkt an Deinen nächsten Punkt an, nämlich:
Du mischst hier leider alles zusammen. Slutwalk/Sexarbeit = unterschiedliche Debatten, die schon lange und ausführlich geführt werden. Ein Blick in das Archiv der Mädchenmannschaft oder googlen hilft hier erneut. Ich wiederhole jetzt auch zum letzten Mal, dass im Artikel mehrfach eine Kritik der Annahme „im Namen von Betroffenen sprechen“ zu können genannt wird. Du versuchst, das umzudrehen – das klappt aber leider nicht. Und erneut befinden wir uns vor der Kreuzung der Definitionsfähigkeit von Erlebnissen und Standpunkttheorie: warum denken Nichtbetroffene, sie haben das Recht, über die grundsätzliche „Richtigkeit“ der Kritik(en) von Betroffenen zu urteilen? Es geht hier ja nicht mal darum zu sagen, dass man etwas schlicht nicht nachvollziehen kann – es werden moralische Urteile über die vermeintliche Angemessenheit von Diskriminierungserfahrungen Benachteiligter gefällt. Es findet keine argumentative Auseinandersetzung statt, sondern es werden diffuse „Unwohlgefühle“ angesichts von Kritik genannt und Vorwürfe des „silencing“ (und nun laut Schwarzer gar der Neofaschismus-Ermöglichung, man lasse sich das mal auf der Zunge zergehen…) erhoben, während man zugleich Antira- und andere Kritiken als „emotional“ oder „subjektiv“ abtut (…den Widerspruch erkennen die wenigsten). Es geht meist schlicht darum, wer das letzte Wort haben darf und wem hier tatsächlich routinemäßig der Mund verboten wird. Wie gesagt: ich freue mich auf die erste inhaltliche Kritik an einem „Rassismusvorwurf“, zum Beispiel – wo genau das in dieser Debatte geleistet wird, in der Plattitüden wiederholt werden noch und nöcher, ist bisher nicht ersichtlich. Was auch immer man von Standpunkt- und Definitionsmachttheorien halten mag (und ich habe das bereits mehrfach im Text erwähnt): genau solche identitätslastigen Theorien entstanden aus der Misere, dass bestimmte Gruppen mit einer Vielzahl an gesellschaftlichen Privilegien den Anspruch erhoben, unmarkierte Universalität/“Objektivität“ zu sein, und dazu zählen auch Schwarzer und Schwarzer-inspirierte Feminist_innen. Jene Politiken sind kein Selbstzweck, sondern eine Reaktion, und ein Mittel zur Inklusion (zumindest aber zum Gehörtwerden – das funktioniert laut Deiner Einschätzung ja sogar, leider hebt es aber die Gleichgültigkeit nicht auf…). Wir drehen uns also tatsächlich im Kreis – diese Kritik ist keine Neuigkeit, und das Abschütteln der Kritik auch nicht. Und zuletzt:
Ja, genau hier zeigt sich das grundlegende Problem an Deiner Argumentationsweise: für dich ist das eine Kritik, die „nicht mehr ist als eine in einer bestimmten politischen Theorie stituierte Meinung.“ Ich hingegen sage, dass Rassismus keine Meinung ist, dass Faschismus keine Meinung ist, und dass Heterosexismus keine Meinung ist. Es geht hier nicht (allein) um theoretische Auseinandersetzungen, sondern um die Lebensrealität von Diskriminierten, die auch nur diejenigen als Theorie und Nebenwiderspruch abtun und in der Tat dabei „gut leben“ können, die es sich aufgrund diverser gesellschaftlicher Privilegien leisten können. Dass du die Argumentation Schwarzers und anderer teilst, hast du tatsächlich deutlich gemacht – mein ganzer Text widerspricht dem aber aus Gründen (die man, wie gesagt, oben nachlesen kann – und auch sonst überall im Internet. Feminismus 101 wäre ein guter Anlaufpunkt für Dich).
Die Hoffnung auf inhaltliche Kritik habe ich ehrlich gesagt aufgegeben. Da läuft irgendwas im Denk- und Ideologiesystem von Mehrheitsgesellschaftern völlig schräg, ich mein, das schrammt ja nur noch knapp an dem Verständniss (oder sollte ich Glaube schreiben?) vorbei, bei Hautfarbe oder Homosexualität handele es sich um eine Meinung.
Und da dachte ich immer, kritisches Denken wäre ein, wenn nicht das Wesensmerkmal der Linken …
Loellie: Ja, danke, das stelle ich auch immer wieder fest. Ich „muss“ mich als Betroffene ja nicht an allem stören, sondern für die Sache sein. So kann man nur argumentieren, wenn man privilegiert ist. Es ist ja nciht so, dass ich nicht nicht „dafür“ sein will sondern nicht KANN. Das bedeutet es nämlich, gewisse Privilegiemn nciht zu haben. Das ist keine Haltung, das ist (leider) meine Wirklichkeit. Und da komme ich zum gleichen Schluss: I walk alone. Die anderen brauchen mich nicht und machen das Ding zur Not auch ohne mich, weil mich einzubeziehen zu aufwendig wäre. Und ich bin ja nur eine. Aber anstatt, dass durch sowas das Konzept erweitert wird (man könnte ja auch mal dankbar für den Input sein, den Minderheiten liefern), wird einem nur ein „dann lass es halt ud reg dich weiter auf“ an den Kopf geworfen. Obwohl ich wirklich gerne Feministin wäre (nach Alice Schwarzer) bzw. bin (nach meiner Wunschvorstellung).
Bravo accalmie! Bravo! Ich danke dir sehr für deine Worte. Vorallem finde ich es gut, dass du in folgendem Zitat den Zusammenhang von Rape Culture und das verneinen, ignorieren, „einfach nicht teilen“ oder illegitimieren von geäußerten Diskriminierungserfahrungen und daher abgeleiteter Kritik, darstellst. Ein Zusammenhang, der in meinem Empfinden nicht schwer zu knüpfen ist, allerdings nicht ausreichend im „mainstream-“ oder „schwarzer-“ oder „klassisch-“ oder „wie-man-es-auch-nennen-mag“ feministischem Diskurs anzukommen scheint bzw. sich dabei Abwehrmechanismen aufzutun scheinen, wie ich sie z.B. im DefMa-diskurs schon so oft erlebt habe.
@Loelli: …und das Anstrengendste dabei ist, wie solche „Erkenntnisse“ (Glauben ist tatsächlich treffender) dann als neuartige Offenbarungen verkauft werden. Nee, die Debatten sind Jahrzehnte alt, sie heißen heute nur gelegentlich anders…
@Jane: Es ist interessant, wann routinemäßig dieser „Krieg unter Frauen“ beklagt und Forderungen nach „weiblicher* Solidarität“ erhoben werden – erstaunlicherweise immer nur dann, wenn manche Menschen Marginalisierungen innerhalb feministischer Strömungen kritisieren. Wie Du schon schreibst: wenn es darum geht, die sonst übliche Gleichgültigkeit gegenüber eigenen Diskriminierungsstrukturen vielleicht mal zu überdenken, reicht diese viel gepriesene Solidarität leider nie aus. Der Burgfrieden wird nämlich nur von ganz bestimmten Feminist_innen erwartet.
@L_sa: Vielen Dank :)!
Grossartig gesprochen/geschrieben (und gekaempft!) von accalmie. Vielleicht ist dieser Konflikt um die Maedchenmannschaft so etwas wie die Geburtsstunde der oeffentlichen Wahrnehmung des Feminismus und der Emanzipation der Women of Colour in Deutschland, eine bittere Stunde fraglos fuer viele, nicht nur fuer Schwarzer und eine notwendige und ein spaeter, beginnender Triumph fuer eine viel zu lang ignorierte, mundtot gemachte, verleugnete und strukturell verleumdete Bewegung der PoC in Deutschland. Was lange gaert wird endlich Wut, dies ist nur der Beginn, eine neue und weit ueberfaellige Aera des Diskurses um eine wirkliche Gleichheit, eine Gleichheit in einer vielnamigen, vielstimmigen Welt, hat begonnen.
@accalmie: Auch wenn wir wegen Ausdrucksweisen und Begrifflichkeiten schon öfter aneinader geraten sind (und ich auch mir Definitionsmacht anmaße, wenn ich etwa Weibsen als positiv konnotierten Begriff verwende und dennoch hier in MM zensiert werde – hallo ich weiß, dass andere das negativ verwenden – auch mir gegenüber), stimme ich Dir erstmal zu. Gleichgültigkeit ist eigentlich -m.M.n.- eine der schlimmsten Formen der Diskriminierung.
Diskriminierung ist immer ein Akt der Willkürlichkeit, der mit ganz persönlicher Macht einhergeht, der von einzelnen Menschen unabhängig von Gesellschaftsstrukturen vorgenommen werden kann. Interessant ist dann allerdings, wie weit sich diese persönliche Macht über andere hinweg ausbreiten kann und wieso. Kritisiert werden sollte nicht die Diskriminierung an sich, sondern dass nicht alle sich gleichermaßen als unmarkierten Standpunkt nehmen dürfen und von da aus den/die andere/n kommentieren. Diskrminierungen können sich gegenseitig aufheben.
@AndreasK: dankeschön!
@Laus:
Wenn Du „Weiber“ oder „Weibsen“ sinnvoll findest, um damit Dir unbekannte Frauen* zu beschreiben, die diesen Begriff nicht selbst für sich gewählt haben, dann kannst Du das machen. Dass sowas auf einem feministischen Blog meiner Meinung nach nichts zu suchen hat, hat aber nichts mit Zensur zu tun, sondern mit den hier vertretenen politischen Positionen und der Netiquette.
Nein. Diskriminierung kann nicht „unabhängig von Gesellschaftsstrukturen“ vorgenommen oder gar analysiert werden. Zur Diskriminierung führen Vorurteile und Macht – Macht ist (gerade in den Zusammenhängen, die wir hier diskutieren) keine „persönliche“, sondern eine gesellschaftliche Position/Struktur/Privileg. Es geht hier nicht um individuelle Wellnesslevel, und ich würde Dir vorschlagen, z.B. soziologische Definitionen von Diskriminierung, Macht, Vorurteil, etc. zu lesen, statt bestimmte Ausdrücke, hinter denen Theorien und Konzepte stehen, einfach mal ganz liberal zu handhaben.
Auch Intersektionalität bedeutet eben nicht, dass sich „Diskriminierungen gegenseitig aufheben“, sondern dass sich interdependente Konstellationen von Privilegien und Diskriminierungen ergeben, und dass eine unabhängige Betrachtungs- und Analyseweise gesellschaftlicher Diskriminierungsstrukturen, oder gar eine gegen die andere aufzuwiegen, weder sinnvoll noch zielführend ist.
„Wir Frauen haben doch alle zwei Brüste und eine Vagina.“ Dieser Satz stammt nicht von Alice Schwarzer sondern von Leymah Gbowee. Es ist doch sehr bezeichnend, dass Sie das verschweigen. So etwas „Albernes“ sagen schließlich nur theorieferne, weiße, privilegierten Mittelstands-Feministinnen“ (oder wie ist Ihr Gehüstel zu verstehen?). Und was tun, wenn es eine Schwarze Frau aus Liberia sagt? Ganz einfach: Ignorieren, weil es nicht in die eigene Weltanschauung passt! Nur: Wer bevormundet hier wen?
Stimmt, der Satz stammt nicht im Original von Alice Schwarzer, sie wiederholt und bezieht sich aber affirmativ auf diese Aussage in ihrem Artikel – das kann man dank des Links auch einfach nachlesen.
Dass eine Schwarze Frau aus Liberia diesen Satz gesagt hat, macht jene Aussage nicht weniger cis-sexistisch und essentialistisch, und macht die jahrzehntelange Kritik anderer Schwarzer Feminist_innen nicht wett. Es ist im übrigen eine mittlerweile recht langweilige Taktik, sich im Zuge von Debatten um Rassismus auf „die Schwarze Freundin“/“den_die kritische_n Schwarze“ zu beziehen, um sich nicht jenem vermeintlichen Rassismusvorwurfsreflex, wie Alice Schwarzer auch schrieb, aussetzen zu müssen. Kontext, it’s a thing.
Da sind wir auch wieder bei der Intersektionalität, und auch bei meiner Anmerkung, dass, wenn ein_e PoC etwas total toll findet, das nicht heißt, dass alle anderen es auch tun – und umgekehrt -, und es keine sehr treffende Ausrede ist, aufgrunddessen die vorgetragene Kritik von Feminist_innen Of Color zu ignorieren oder beiseite zu wischen, wenn manche Feminist_innen sich z.B. mit Rassismusvorwürfen konfrontiert sehen. Was weiße, privilegierte Mittelstandsfeminist_innen sonst noch an Kritikwürdigem sagen (ich wünschte, es wäre nur „albern“ – diesen Ausdruck habe ich aber kein einziges Mal benutzt, aus Gründen…), ist im Text ausgeführt – und ich finde es interessant, dass Aussagen wie die folgende (Achtung! Hier beruft sich Schwarzer nicht nur auf eine andere Feministin, das ist O-Ton, siehe Facebookseite der EMMA)
nicht als „Weltanschauung“ und „Bevormundung“ (…mit leichtem Esoterik-Kick…) gelten sollen, Kritik an jener essentialistischen Universalitäts-Behauptung aber schon. Ebenso interessant ist es, dagegen Critical Whiteness als Essentialismus zu betrachten (und race als Nebenwiderspruch), das augenschauende 2-Brüste-1-Vagina-„Frausein“ aber nicht. In dem obigen Text trete ich solchen Vorwürfen und Ansätzen entgegen – wie mehrfach auch in den nachfolgenden Kommentaren wiederholt.