Ein Buch nach dem anderen: Indigene LGBT Sci Fi, Mädchenfreundinnenschaft und Reportagen afrikanischer Autor_innen

Dieser Text ist Teil 120 von 140 der Serie Die Feministische Bibliothek

Kurzrezensionen

swing-timeZadie Smith gehört seit Jahren zu meinen liebsten Schriftsteller_innen. Mit entsprechender Vorfreude habe ich somit auf diesen November hingefiebert, da nun endlich ihr neuster Roman Swing Time (Hamish Hamilton, 2016) erschien. Das Buch dreht sich um die Freundinnenschaft von Tracey und der Erzählerin, deren Namen wir nicht erfahren. Beide wachsen in der gleichen Nachbarschaft auf und sie verbindet (neben dem Fakt, dass sie beide ein weißes und ein Schwarzes Elternteil haben) ihre Liebe zum Tanz. Wirkliches Talent für die im Unterricht verlangten Bewegungen zeigt nur Tracey, die Erzählerin aber hat Ideen und Vorstellungen. Die Kapitel fokussieren im Wechsel auf die Kindheit und Jugend der Erzählerin und ihre späteren Karriere als persönliche Assistentin für eine international berühmte Sängerin, die sich in den Kopf setzt eine Mädchenschule „in Afrika“ zu gründen. Swing Time in wenigen Sätzen inhaltlich zusammenzufassen, kann dem Roman nur Unrecht tun: So vieles schafft es Smith in den etwas mehr als vierhundert Seiten unterzubringen, dabei bleiben Betrachtungen zu race und Klasse zentral und gerade Smiths pointierte Beobachtungen und Beschreibungen sind das Herz des Werks. (Ihre bisherigen Romane sind alle auch ins Deutsche übersetzt erschienen. Swing Time wird also mit Sicherheit folgen.)

what-is-not-yours-is-not-yours Bereits Helen Oyeyemis erster Roman (Das Ikarus Mädchen, welchen sie mit gerade einmal 19 Jahren schrieb) fuhr viel Lob und Anerkennung ein. Nun, eine ganz Reihe weiterer gefeierter Romane später, hat Oyeyemi in diesem Jahr ihren ersten Kurzgeschichtenband vorgelegt. What Is Not Yours Is Not Yours (Picador, 2016) spielt – wie viele Texte von Oyeyemi – mit Märchenelementen und Symbolen. Und genau wie beim Lesen eines Märchens ist es von Beginn an von Nöten jeglichen „Unglauben“ abzulegen und sich einfach von den Geschichten treiben zu lassen und Dinge als gegeben hinnehmen. In der (vielleicht am konventionell erzähltesten) Einstiegsgeschichte „Books and Roses“ öffnet ein Schlüssel den Zugang zu einer Bibliothek und einen Garten und zur Liebesgeschichte um eine Diebin und eine Künstlerin, „Is Your Blood as Red as This?“ folgt den Schüler_innen einer Marionetten-Schule und einer lebensgroßen Marionette, die je nach Betrachter_in männlich oder weiblich gelesen wird, und in „Drownings“ regiert ein Tyrann, dessen Methoden zu seinem Untergang beitragen. Die Geschichten unterscheidet sich sehr vom Stil und Setting, verbunden sind sie durch die Wiederkehr von Schlüsseln als bedeutendes Symbol und Charaktere, die in unterschiedlichen Geschichten wieder auftauchen. In meiner liebsten Geschichte „‘Sorry’ Doesn’t Sweeten Her Tea“ verehrt ein junges Mädchen einen Sänger – bis dieser beschuldigt wird Täter sexualisierter Gewalt zu sein. Im Gegensatz zur weiteren Öffentlichkeit glaubt das Mädchen der Frau, die über die Tat berichtet, und sucht Rache (etwas was ihr Vater und sein Partner nur ansatzweise verstehen können). Etwas Magie später scheint der Sänger in einer Spirale von Entschuldigungsversuchen gefangen.

love-beyond-body-space-time Eine weitere Kurzgeschichtensammlung, die dieses Jahr erschienen ist: Love Beyond Body, Space, and Time: An Indigenous LGBT Sci-Fi Anthology (Bedside Press, 2016) herausgegeben von Hope Nicholson. Diese Anthologie bringt Geschichten von Native American Autor_innen zusammen, die einerseits als speculative fiction kategorisiert werden können (entgegen des Titels ist nicht alles in diesem Band SciFi) und die Haupt-Protagonist_innen lesbisch, schwul, queer, trans und_oder Two Spirits sind. In den Geschichten geht es unter anderem um eine Tierärztin, die sich unerwartet auf einem Raumschiff um eine Gruppe Hunde kümmern muss, die den Flug eigentlich hätten schlafend verbrinden sollen, eine trans Frau, die versucht auszuloten was Frausein für sie als indigene Frau bedeutet, zwei Jungen, die zu Kolibris werden und Aliens, die sichtbar über dem Planeten in ihrem Raumschiff schweben, aber nicht landen.
Auf LGBTQReads beschreiben einige der Autor_innen ihre Motivationen hinter den Texten.

safe-house Safe House: Explorations in Creative Nonfiction (Cassava Republic, 2016) ist eine von Ellah Wakatama Allfrey herausgegebene Anthologie von Essays afrikanischer Autor_innen. Allfrey bringt Reiseerzählungen, Memoiren, Reportagen, True Crime Stories und allerhand anderer Genres zusammen und schafft durch die geschickte Reihung der Texte einen echten zusätzlichen Gewinn, wenn eine das Buch chronologisch liest. Auf Kofi Akpablis Text “Made in Nima”, in dem er über seinen Heimatort schreibt, an dem lange Zeit viele unterschiedliche Menschen zusammen lebten, folgt so zum Beispiel Kevin Ezes Beobachtungen zur chinesischen Community in Dakar, Senegal, deren Träume und Vorstellungen und die Gewalt gegen sie. Isaac Otidi Amukes „Safe House“, tagebuchähnlichen Aufzeichnungen zu seinen Erlebnissen als politischer Flüchtling aus Kenia ind Uganda, folgt Mark Gevissers Reportage über LGBTI-Geflüchtete aus Uganda, die in einem Limbo in Kenya leben („Walking Girly in Nairobi“). Und außerdem? Hawa Jande Golakai schreibt über ihre Erfahrungen während der Ebola-Krise in Liberia, Sarita Ranchod erinnert sich an ihre Kindheit in der indischen Community am Kap, zwischen Gujarati-Unterricht, leckerem Essen und Protest, Barbara Wanjala fliegt in den Senegal, um sich mit der Leiterin der dort einzigen NGO, die sich gezielt für lesbische Frauen einsetzt, zu treffen und Neema Komba besucht einen magischen Berg nahe des Dorfes, aus dem ihre Familie kommt. (Und ja, noch viele spannende Texte mehr.)

Literaturnews und -debatten

Voller Vorfreude: Am 16.März 2017 erscheinen Sharon Dodua Otoos beiden Novellen die dinge, die ich denke, während ich höflich lächle … und Synchronicity als ein Band im Fischer Verlag. (Einzeln kann man sie natürlich jetzt immer noch bei edition assemblage erwerben.)

Ebenfalls beim Fischer Verlag (bzw. dem Imprint TOR) erschien im Oktober endlich Becky Chambers Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten. Das englische Orginal habe ich bereits im Sommer kurz besprochen.

Bei CrossCult erschien auch im Oktober Nnedi Okorafors Lagune. Wer fürchtet den Tod und Das Buch des Phönix sollen folgen. Die englischen Orginale zu Lagune und Wer fürchtet den Tod habe ich im letzten Jahr besprochen.

Gabrielle Bellot beschreibt in The Atlantic die (Interventions)Möglichkeiten queerer Literatur unter Trump.

Emily Temple empfiehlt bei LitHub40 New Feminist Classics You Should Read“ – eine Liste voller Non-Fiction, Poesie und Romanen.

Im Guardian schreibt Zadie Smith über die Tänzer_innen, die sie inspirieren, von Fred Astaire zu Beyoncé und den Zusammenhang von Literatur und Tanz.

Roxane Gay und Yona Harvey schreiben als erste Schwarze Frauen für den Comic-Giganten Marvel. Im Interview mit Entertaiment Weekly spricht Gay über „World of Wakanda“.

2 Kommentare zu „Ein Buch nach dem anderen: Indigene LGBT Sci Fi, Mädchenfreundinnenschaft und Reportagen afrikanischer Autor_innen

  1. Tolle Empfehlungen mal wieder :-)
    Auch mit tollen Links.
    Danke fürs Teilen

    Auch wenn es schon mal ein paar Beiträge vorher erwähnt wurde, paßt sich SchwarzRund mit ihrem* vor wenigen Wochen ersten Romanveröffentlichung Biskaya mit und bei Zaglossus gut als weiterer Buchtip ein
    http://www.zaglossus.eu/publikationen/belletristik/biskaya

    SchwarzRund hat außerdem einen Internet-Shop wo neben Biskaya auch andere Veröffentlichungen, sowie Kunstwerke zu sehen und käuflich sind
    https://www.etsy.com/de/shop/SchwarzRund?ref=l2-shopheader-name

    Eine Neuerscheinung bei W_orten & Meer gibt es nun seit wenigen Tagen und nach 2 Jahren(!) Arbeit druckfrisch erhältlich. Es wurde von Mirjam Nuenning komplett neu übersetzt:
    Kindred – Verbunden von Octavia E. Butler, einer Autorin
    http://wortenundmeer.net/buecher/fruehjahr-2016/kindred-verbunden/

    Da ich vor wenigen Tagen von einem Verlags-Menschen* darauf hingewiesen wurde das Buch bitte direkt beim Verlag zu kaufen leite ich diese Bitte einfach mal weiter. Grund ist das der Verlag dadurch das Geld bekommt welches ansonsten bei Buchhandlungen ankommt. Das soll kein Boykottaufruf zu Buchhandlungen sein (außer zu Ketten und großen Online-Versendern), sondern darauf hinweisen das manche Kleinverlage durch Direktkauf deutlich unterstützt werden können.
    Gerade wenn es um ein Buch geht das so viel ArbeitsAufwand bedeutet hat und sehr wahrscheinlich aufgrund von wiederholten Verschiebungen der Veröffentlichungstermine mehr Kosten verursacht hat als eigentlich gedacht. Das Buch ist wirklich schön geworden und wurde viel Liebe und Arbeit von Übersetzerin und Verlags-Team aufgewendet um dieses Buch herauszubringen.

    Mehrfach erwähnt werden sollte auch das WoMANtis RANDom Buchneuerscheinung Gummiband-Familien – Rubberband Families seit ein paar Wochen zu lesen ist ;-)
    und mit und bei schon eben genannten Verlag veröffentlicht wurde
    http://wortenundmeer.net/buecher/gummiband-familien-rubberband-families_womantis-random/

    Und Sharon Dodua Otoo hat auch vor wenigen Monaten in einem Interview erwähnt das ihr (Bachmann-Preis)ausgezeichneter Text „Herr Göttrup setzt sich hin“ als Teil eines Romans gedacht ist :-) Da wird also auch irgendwann etwas neues erscheinen (wäre schön wenn 2017 schon klappt).
    Zu erwähnten Neuauflage bei einem anderen Verlag als Edition Assemblage von die dinge, die ich denke, während ich höflich lächle … und Synchronicity will ich noch hinzufügen das beide Bücher von Sharon zuerst auf Englisch geschrieben wurden (dann von jemensch* übersetzt) und diese ebenfalls nur bei Edition Assemblage erhältlich sind.
    Abgesehen davon war Sharon (oder ist noch?) bei der Reihe Witnessed – Black Author Book Storys von Edition Assemblage als Publizistin tätig
    http://www.edition-assemblage.de/witnessed/

    In dieser Reihe gibt es unter anderem den Kurzgeschichtenband Winter Shorts welchen sie miteditiert und eine Geschichte beitragen hat. Ein tolles Buch für einen ungemütlichen Winteranfang (oder irgendwann später ;-)
    http://www.edition-assemblage.de/winter-shorts/

    Im Artikel (Interventions)Möglichkeiten queerer Literatur unter Trump von Gabrielle Bellot wird auch kurz der tolle Verlag Top Side Press erwähnt. Ich habe bisher zwei Bücher von ihnen gelesen (ok, das 2. habe ich eben angefangen ;-)
    Hier werden, soweit ich mich richtig erinnere, aus-Schließlich Bücher von Trans*Menschen* veröffentlicht und beim Verlag arbeiten nur sehr wenig Menschen* welchen es wichtig ist das der Großteil des Gewinns bei den Autor*_innen ankommt.

    Imogene Binnie’s Nevada
    http://topsidepress.com/shop/nevada/

    Und eine Kurzgeschichtensammlung von 28 verschiedenen Trans*Autor_innen*
    mit schlichten Namen The Collection
    http://topsidepress.com/shop/the-collection-short-fiction-from-the-transgender-vanguard/

    Das Buch Nevada ist über Buchhandlungen leider schwer bis gar nicht zu importieren, Kurzgeschichtensammlung war hingegen leicht zu bekommen (dauert dann meistens eben 10 bis 14 Tage).

    Und ein Buch in das ich bisher nur kurz reingelesen habe und wie ich finde auch länger mal nur rumliegen kann. Da es kein geschloßener Text ist und es meiner Meinung nach auch Offenheit /Lebens-Situationen braucht wo Mensch* in so ein Buch reinschauen will. Außerdem ist es einfach geschrieben, da es ja unter anderem für Teens (Menschen* zwischen 10 und 20 Jahren) konzipiert wurde. Meiner Meinung nach für Menschen* jeden Alters leicht zugänglich. Es gab viele einfach erklärte, aber noch so grundsätzliche (Über)Lebens-Tips und mit anstrengenden Zuständen umzugehen das für mich keine klare Altersgrenze benannt werden kann. Außer vielleicht das es nichts für die meisten Kleinkinder ist.

    Hello, Cruel World -101 Alternatives to Suicide for Teens, Freaks, and Other Outlaws
    von Kate Bornstein, eines nicht-binären Trans*Menschen, Trans*Aktivistin, Autorin* , Performancekünste_rin* und manches mehr
    https://www.sevenstories.com/books/3164-hello-cruel-world

    Sich selbst SchnittVerletzungen zufügen wird darin als ein 1 von 101 Alternativen benannt, sollten manche* Menschen* vielleicht als möglichen Trigger wißen bevor sie reinlesen.

Kommentare sind geschlossen.

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