Dies ist ein Bericht von der Tagung “Schneewittchen rechnet ab. Feministische Ökonomie für anderes Leben, Arbeiten und Produzieren”. Insgesamt waren sechs Bloggerinnen auf der Tagung und haben von ihren Eindrücken berichtet – alle Berichte findet ihr auf gender-happening.de.
Seit Wochen freue ich mich auf den Workshop zur Vier-in-Einem Perspektive der linken Soziologin und Philosophin Frigga Haug, die ihre Ideen, wie ein ‚gutes Leben’ aussehen könnten, konsequent mit Geschlechtergerechtigkeit zusammendenkt. Gestärkt vom Mittag und dem nächsten Kaffee begebe ich mich in den kleinen Seminarraum, in dem am Vormittag auch der Workshop von Deborah Ruggieri zu „Zukunftsmusik. Warum Ökonomie die Genderperspektive braucht“ stattfand. Da Haug leider krank geworden war, übernahm Anna Conrads, Politikwissenschaftlerin und Politikerin der LINKE, die Leitung des Workshops. Ich war sehr dankbar über die ruhige und sehr angenehme Vortragsart von Conrads, denn zu diesem Zeitpunkt sausten in meinem Kopf schon tausend Ideen und Fragen, obwohl erst knapp die Hälfte der Tagung um war.
Leben für die (Lohn-)Arbeit…?
Conrads begann ihre Ausführungen mit einer zentralen Frage: Welchen Standpunkt nehmen wir bei unserer Vorstellung eines guten Lebens ein? Zur Zeit sei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf (einhergehend mit der stetigen Perfektionierung des eigenen Zeitmanagements) und der Wunsch nach Vollbeschäftigung diskursbestimmend. Überall wird geklagt, dass es nicht genügend Arbeitsplätze für alle gäbe, dabei sei dies doch ein Zeichen für wirtschaftlichen Reichtum, so Conrads. Wenn die Produktivität dank des technischen Fortschritts hoch ist, könnten Menschen ja rein theoretisch auch weniger (erwerbs-)arbeiten. Dennoch wird dieser Umstand nicht als: ‘Yeah, mehr Freizeit!’ gedeutet, sondern als ‘Mangel an Arbeit’ definiert. Diese Perspektive bleibt allerdings innerhalb der jetzigen profit- und wettbewerbsorientierten Strukturen, die Erwerbsarbeit zum Zentrum allen Interesses macht.
Weniger (Lohn-)Arbeit für das Leben: Die Vier-in-Einem Perspektive
Die Vier-in-Einem Perspektive will aus diesen Logiken ausbrechen und einen neuen Arbeitsbegriff etablieren. Haugs Perspektive nimmt im wahrsten Sinne des Wortes das Leben als Grundlage. Die 16 Stunden, die wir nicht schlafend verbringen, werden möglichst gleichberechtigt in vier Teilbereiche aufgeteilt:
- Erwerbsarbeit
- Arbeit von Menschen an Menschen, Tieren oder Natur
- Politarbeit
- Betätigung aller Sinne (Kunst, Musik, Muße, Sprachen…)
Die einfach Faustregel lautet: Alle sollen alles tun (können). Durch die radikale Arbeitszeitverkürzung auf vier Stunden am Tag bekämen Menschen die Möglichkeit eine Vielzahl an Tätigkeiten auszuführen ohne völlig vereinnahmt von einem 40-Stunden Job zu sein. Endlich wäre die Zeit da für’s Musikmachen, Rugby spielen, den Keller ausmisten, in der Suppenküche aushelfen oder Gedichte schreiben.
Aber… aber!? Bestimmen dann nicht auch wieder andere über meine Zeit? Ist es überhaupt möglich, dass jeder der Teilbereiche in jeder Phase des Lebens die gleiche Rolle spielt? Was ist, wenn ich finde, dass meine Mama viel besser bügeln, nähen oder abwaschen kann – muss ich das dann trotzdem tun? Oder wenn ich mehr als vier Stunden der Politarbeit widmen möchte? Eine wichtige Frage, die ich mir persönlich im Laufe des Workshops auch gestellt habe: Wie wird in der Haug’schen Perspektive eigentlich Familie konzeptualisiert? Wird die Idee der heteronormativen Kleinfamilie und dessen privilegierte rechtliche und gesellschaftliche Stellung aufgebrochen?
Das ist wahrscheinlich nur ein Bruchteil der Fragen, die einigen von uns im Kopf rumschwirren. Darauf gibt es die unterschiedlichsten Antworten und eine Diskussion über Ungereimtheiten können möglich Leerstellen der Vier-in-Einem Perspektive aufdecken. Conrads erinnert daran, dass alle diese Bereiche nur in ihrer Gesamtheit diskutiert werden können, denn sie gehören zusammen und funktionieren nur zusammen. Wer jene Teilbereiche einzeln diskutiert (wie dies heute oft der Fall ist), wird nicht aus den Logiken der gängigen Argumente ausbrechen können.
Geschlechtsspezifische Arbeitsteilungen aufbrechen
Ein großer Vorteil des Haug’schen Konzepts ist das Aufbrechen von geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung. Da alle Menschen angehalten sind, unterschiedliche Arbeiten in den verschiedenen Bereichen auszuführen und diese möglichst gerecht untereinander aufzuteilen, werden automatische Verknüpfungen von ‚abwaschen’ und ‚Mama’ entzerrt. Es geht meinem Verständnis nach allerdings nicht darum, dass alle alles (gut) können müssen, sondern dass jede_r die Chance hat sich in den einzelnen Bereichen auszuprobieren, zu entfalten und wichtige gesellschaftliche Arbeit für sich oder andere zu leisten. Ein super Effekt: Bestimmte Tätigkeiten werden so nicht mehr an ein bestimmtes Geschlecht oder einen sozialen Stand geknüpft, sondern zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe.
Die meisten der Workshop-Teilnehmenden schienen am Ende große Lust zu haben mehr über alternative Konzepte des Lebens und Arbeitens zu lernen. Eine Teilnehmerin murmelte am Ende halb schmunzelnd, halb im Ernst: „Und wann geht es endlich los mit der Vier-in-Einem Perspektive? Ich kann’s kaum erwarten!“
„Arbeit von Menschen an Menschen, Tieren oder Natur“ nennt sie das eigentlich inzwischen so? Bei einem Vortrag hier vor zwei Jahren oder so sprach sie von Reproduktion, meinte aber damals sie wäre nicht glücklich mit der Formulierung.
Ich finde das Konzept auch voll gut, es ist so logisch und ergibt Sinn, wenn unsere Gesellschaft also logisch wäre, könnten wir das schon längst haben. Unpraktisch, dass Logik sich nicht so durchsetzt.
Sicherlich gibts auch Haken, aber ich finde die gleichwertigkeit die zB auch Kunst, Musik und Literatur zukommt sehr wichtig.
Danke für den Artikel!
@ Steinmädchen
Darüber haben wir am Ende auch geredet und fragten: Geht es immer im engeren Sinne um Arbeit am Menschen (also Betreuung von hilfebedürftigen Menschen?). Conrads fügte dann hinzu, dass dieser Teil auch die Arbeit mit der Natur oder Tieren mit einbezieht, was ich sinnvoll finde.
Hallo, ich finde den Artikel gut geschrieben und interessant. Kenne viele, die sich ähnliches schon mal, wenn auch nicht so genau im Detail überlegt haben. Es gibt da aber leider mehrere Probleme praktischer Natur, die natürlich gelöst werden könnten:
1.) jeder Arbeitgeber würde sofort lieber 2 Leute zu 20-30 Stunden einstellen, wenn das günstiger oder gleich teuer für ihn oder sie käme. Wenn einer krank wird ist ein Backup da.
Aber in.Wahrheit kommt das dem Arbeitgeber aber viel teurerer.
2.) Der Staat zumindest in Österreich pusht die Vollbeschäftigung, da er viel bessere Steuereinnahmen hat und bei Müttern so indirekt noch ein staatlicher Kinderbetreuungs-Arbeitsplatz gleichzeitig mit entsteht und mitgesichert wird.
3.) manche Arbeitsstellen, wie ÄrztInnenen in Spitälern, Polizei und Feuerwehr oder Landesverteidigung müssen 0-24h 7Tage die Woche besetzt sein.