[Inhaltshinweis: Thematisierung sexualisierter Gewalt, in Links zum Teil ausführlichere Beschreibungen dieser]
„Was ist dein liebster Woody Allen Film?“, fragt Dylan Farrow in ihrem offenen Brief, der am Samstag in der New York Times erschien, um dann detailliert darzulegen, wie Woody Allen, ihr Adoptiv-Vater, ihr sexualisierte Gewalt antat und immer wieder übergriffig wurde.
Als ich den Text las, war ich nicht vollkommen von seinem Inhalt überrascht. Bereits seit den 1990ern ist der Fall bekannt. Was mich überraschte, war meine abgeklärte Reaktion: Ja, ich habe den Text geteilt. Und dann für mich ad acta gelegt. Noch nicht einmal einen winzigen Gedanken habe ich daran gehabt, dass Farrows Schilderung irgendwie einen großen Einfluss auf die Art und Weise, wie Allen gesehen und gefeiert wird, haben wird.
Und bisher verläuft die Debatte so, wie sie zu erwarten war: Der Betroffenenbericht wird angezweifelt. Menschen wollen „beide Seiten“ sehen. Es wird angeführt, dass Allen sich ja nie zu diesen Vorwürfen bekannt hätte (Ja, eine ganz tolle „Beweisführung“). Viele Menschen verwenden sehr viel Energie darauf Woody Allen zu verteidigen oder direkt Dylan Farrow (und anderen Familienangehörige) anzugreifen.
Wenigstens auf Twitter regte sich mit dem Hashtag #IBelieveDylanFarrow Gegenwehr. Denn der Mechanismus ist kein neuer, sondern ein eindeutiger Pfeiler von rape culture. Aussagen von Betroffenen von sexualisierter Gewalt werden fast immer unter den Generalverdacht der Falschaussage gestellt. Das ist in diesem Fall nicht nur furchtbar für Farrow, sondern eben auch für andere Betroffene, die dieses öffentliche Infragestellen verfolgen und sich vielleicht noch einmal mehr überlegen, ob sie selbst eine Anzeige erstatten oder überhaupt jemanden von der Tat erzählen.
Woody Allen scheint von allen dem unberührt. Er ist halt Woody Allen. Ein wenig verschroben. Aber das macht ja auch seine Filme aus. Er ignoriert den Brief einfach. Und er kann dies auch tun. Denn voraussichtlich wird ihn niemand zur Rechenschaft ziehen. Die „Geschichte“ ist in den 90ern verflogen, warum sollte sie dies nicht auch jetzt tun? Stattdessen wird er weiter einen Film pro Jahr schreiben und drehen, und Schauspieler_innen werden sich freuen über die Ehre mit ihm zusammenzuarbeiten. Vielleicht haben einige kurz Zweifel, doch letzten Endes wird höchstens Kunst vom Künstler getrennt. Aber niemals alles boykottiert.
Beim Schreiben dieses Blogeintrags, habe ichTexte gelesen, die ich hier aus Gründen nicht verlinke, wo Menschen (in erster Linie Männer) zwar Dylan Farrow eine „schlimme Erfahrung“ zugestehen wollten, aber nicht anders konnten als mehrfach zu betonen, dass nun ja aber niemand wissen könne, was wirklich damals geschehen ist. Oder andere Männer, die ihrer Ikone nachtrauern, und das als Grund nennen, warum sie keine Wut zum Ausdruck bringen. Nicht mehr Allen-Filme ohne schlechtes Gewissen gucken zu können, ist ja fast so schlimm wie Berichte über sexualisierte Gewalt. Da ist der Fokus eindeutig richtig gesetzt.
Ich habe zu mindestens dadurch meine Wut wiederfinden und meine anfängliche Apathie ablegen können. Ich denke allein an die letzten Jahren. An Kachelmann und das „Opfer-Abo“. An Strauß-Kahn. An Assange. Und wenn wir bei Regisseuren bleiben wollen: an Polanski. Ich bin wütend, dass es wahrscheinlich keine Konsequenzen für Allen geben wird – aber ich werde sicher nicht müde diese einzufordern.
Guter Artikel!! Ich fand es schrecklich, den offenen Brief zu lesen (auch wenn das ja nichts Neues ist) mir vorzustellen, wie es ihr jetzt damit gehen muss, wie schwer es sein muss, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Und das schon ohne diese beschwichtigenden Reaktionen und Opfervorwürfe.
Ich erlebe es immer wieder auch im Bekanntenkreis oder bei Kollegen (und Kolleginnen!), dass bei diesem Thema konsequent die Rollen vertauscht werden. Da wird dann angeführt, dass frau ja auch „nicht einfach so“ vergewaltigt werde (ach!) und dass man immer beide Seiten hören müsse usw. Das Schlimmste an der ganzen Sache ist, dass ich glaube, dass es hier nicht mal in erster Linie daran liegt, dass es um Woody Allen geht und dieser (zugegeben) gute Filme gemacht hat, sondern dass genau diese Reaktionen auch bei unbekannten Tätern kommen würden. Es herrschat eben leider immer noch das Bild von dem armen triebgesteuerten Mann, den frau ja auch nicht „herausfordern“ sollte. Wie oft musste ich mir bei Diskussionen über Prostitution anhören, dass es so toll sei, dass es Prostitution gebe, weil ansonsten ja viel viel mehr Frauen vergewaltigt würden. Auch dieses Argument (das im Übrigen sehr männerfeindlich ist, wie ich finde) kehrt sexuelle Gewalt unter den Teppich, weil es impliziert, dass der Mann eben seinen Sex braucht („das liegt in der Natur“) und ihn sich nehmen „muss“, wenn er nicht regelmäßig bekommt.
Dass nun aber sogar sexuelle Gewalt an Kindern heruntergespielt wird, ist noch mal ein neues Ausmaß. Unfassbar. Aber ja, wir dürfen nicht müde werden, Konsequenzen einzufordern. Für Woody Allen und für alle anderen Täter.
Dieser Artikel zur Woody-Allen-Sache hat mir sehr gefallen (in English):
http://thenewinquiry.com/blogs/zunguzungu/woody-allens-good-name/
Ich war Ende der 90er erschrocken und hellhörig geworden, als Allen seine Adoptivtochter heiratete.
Zuletzt aufmerksam wurde ich, als er Mitte Januar 2014 den Golden Globe für für sein Lebenswerk erhielt. Nun ist er für den diesjährigen Oscar nominiert. Ich frage mich seitdem immer wieder, was bedeutet das eigentlich für uns? Wie konsumieren wir eigentlich Medien und wen oder was unterstützen wir dabei?
Mit zwei Freund*innen saßen ich im Dezember versehentlich im Kinosaal, in dem „Blue Jasmine“ lief, obwohl wir uns den neuen Coen – Film anschauen wollten. Als wir aufstanden, um uns durch die Kinoreihe zu zwängen und die genervten Gesichter sahen, vielleicht, so dachte ich, hätten wir da noch etwas rufen sollen? Z.B. #IBelieveDylanFarrow, wenn es diesen Hashtag damals schon gegeben hätte?
Wir konsumieren, was man uns vorsetzt, so ist es meistens, das gilt auch für Filme und sonstige Medien. Wir mögen nicht so gerne hinterfragen, weil wir dann vielleicht etwas tun oder auf etwas „verzichten“ müssten, sein lassen eben. Ich selbst kenne das auch, auch ich habe Woody Allen Filme geguckt. Und ich hatte auch manchmal ganz schöne Trigger, so z.B. bei „Vicky Christina Barcelona“ mit Penelope Cruz, für mich ein lüsterner, exotisierender Film, entsprungen aus einer Altherrenphantasie.
Ist ja nur ein Film….
Doch, wollen wir nicht eigentlich wissen, was hinter dem Produkt steckt, das wir konsumieren? Fordern wir nicht mehr Transparenz? Oder wollen wir es lieber gar nicht so genau wissen, lieber nur irgendwie dumpf im Bauch spüren? Ich glaube ja. Das heißt, ich glaube zumindest, dass viele so denken wollen. „Das war doch früher, das macht er ja jetzt nicht mehr und der Film, den ich schaue ist ja aktuell“… „Was wenn es nicht stimmt, so lange kann ich doch noch gucken?“ „Ok, er hat seine Adoptivtochter geheiratet und das wissen wir seit Jahrzehnten, aber Missbrauch?“
Wenn ein Kind so etwas erzählt, dann stimmt es in den meisten Fällen auch. Wenn es je nicht stimmen sollte, so ist es dennoch nicht die „Schuld“ eines Kindes, denn das Kind kann nur Symptom eines dysfunktionalen Systems sein (z.B. der Familie). Es braucht in jedem Falle unsere Empathie und unsere Sensibilität.
Wenn Erwachsene Erwachsenen glauben, was auch in viel trivialeren, alltäglichen Gegebenheiten geschieht, so können wir das Adultismus nennen – wahrscheinlich die erste Diskriminierungserfahrung, die wir erleben (können).
Ich stelle mir hier Fragen zu unserer Möglichkeit, Verbündete von Kindern zu sein. Ist es nicht unsere Aufgabe, Kinder und Jugendliche zu schützen und für sie einzutreten? Zivilcourage? Vorleben? Kinder haben wenige(r) Rechte und Erwachsene können sich entweder Anwälte nehmen oder sie können einfach sagen, es stimmt nicht und sie können sagen, das Kind habe seelische Probleme und wolle Aufmerksamkeit und und und, die Phantasie eines Kindes mal wieder.
Was wir tun können, wenn etwas so weit weg, wie Hollywood ist? Vielleicht nicht mehr ungefragt konsumieren denn es würde uns nicht weh tun, manche Filme nicht mehr zu schauen, auch nicht zu streamen, wouldn´t it?
Vielen Dank, Charlott – THIS.
Einen weiteren sehr lesenswerten Artikel zum Thema hat heute auch Melissa McEwan auf ihrem Blog Shakesville veröffentlicht, der für einige Leser_innen hier vielleicht auch interessant sein könnte (auf Englisch).
Vielen Dank für den tollen Beitrag!!
In meinem privaten Umfeld habe ich zu Allen, Polanski und Co auch Diskussionen führen müssen. „Man müsse doch zwischen Künstler und Privatmensch trennen.“ Blablabla
Ich schaue mir seit Jahren keine Filme dieser oben genannten Regisseure an.
@accalmie und @Julietta: Danke für für die Links. Ich würde auch noch zwei Texte (auf Englisch) einwerfen.
1. Caitlin Carmody hat beim Bitch Magazine über den Fall geschrieben und von diesem ausgehend über das allgemeine Phänomen wie Betroffenen nicht geglaubt wird. Sie hat außerdem den Daily Beast Artikel auseinander genommen, der gerade überall so gern als „ausgewogener Bericht“ verlinkt wird.
2. Bei Think Progress hat Alyssa Rosenberg sich auch noch einmal den Filmem angenommen. Ein guter Artikel für all die „Ok, Allen ist vielleicht furchtbar, aber seine Filme können ja nix dafür“-Diskussionen.
Vielen Dank für den guten Artikel! Eins möchte ich noch hinzufügen: unsere gesamte Kommunikation beruht doch auf der Tatsache, dass wir einander glauben, dass wahr ist was unser Gegenüber sagt. Doch redet eine Frau oder ein Kind von Missbrauch oder Vergewaltigung, fängt die Öffentlichkeit an „objektive“ Beweise einzufordern und so zu tun als würde jede/s „Frau/Mädchen“ diesen Vorwurf als strategisches Mittel einsetzen. Die Aussage wird runtergestuft und per se bezweifelt und das meiner Meinung nach allein wenn sie von „Frauen“ kommt. Dabei wird oft auf die Fälle verwiesen, bei denen gelogen wurde und ein Vater/Mann zu Unrecht verurteilt wurde. Diese Tatsache widerspricht doch aber nicht der Wahrhaftigkeit von Aussagen von „Frauen“ zu Vergewaltigung/Missbrauch. Was werden da eigentlich für stereotype Vorstellungen an Geschlechter herangetragen? Es ist mir wirklich unbegreiflich und macht mich wütend.
Natürlich glaube ich Dylan. Und auch allen anderen, die gewalt erlebt haben.
Und ich wünsche mir, dass wir wahr machen, was die gesellschaft versäumt: den gewaltausübenden konsequenzen machen.
Wenn die, die gewalt erlebt haben, forderungen stellen sollte nicht lange debattiert, sondern gehandelt werden.
Ich werde dieses Jahr 30 und habe es geschafft, keinen einzigen Woody Allen Film jemals zu sehen. Ich glaub das wird sich jetzt auch nicht mehr ändern. Oder sollte ich seine Filme mit diesem Hintergrund doch anschauen?
Das klingt n bisschen besch* wie ich das geschrieben habe. Ich dahcte nur immer, Woody Allen müsste ich mir eigentlich anschauen, er wird ja ziemlich hoch gelobt. Wenn ich das lese, wie ich das geschrieben habe, hört sich das nur so an: Ich bin stolz, dass ich ihm umgangen bin, und der Rest ist mir egal. Ich glaube auch nicht, es anschauen zu werden. Rape culture konsumieren wir ja sowieso schon genug…
(Triggerwarnung)
„Why Young Sexual Assault Victims Tell Incoherent Stories.
As soon as children make allegations, they’re forced to take a crash course on a very daunting topic. This puts them at a huge disadvantage—and their attackers count on it. “
Super Artikel, der -wie ich finde- eine wichtige Frage beantwortet.
http://www.theatlantic.com/national/archive/2014/02/why-young-sexual-assault-victims-tell-incoherent-stories/283613/
Ich hab noch was:
„Wie müssen Überlebende sein, dass ihnen geglaubt wird?“ (rhetorische Frage, aber macht sehr nachdenklich)
http://rhrealitycheck.org/article/2014/02/04/make-believe-survivor-childhood-sexual-abuse/