Ein paar Geschichten von Freundinnen, ein möglicher Trend und keine Fakten – aus diesem Zutaten kochen in der New York Times seit Jahren Autor_innen zweifelhafte Geschichten, die als „New York Times Trend Pieces“ bekannt geworden sind. Manchmal verniedlichen diese Trendgeschichten Rassismus; In den meisten Fällen aber machen Frauen entweder irgendwas falsch, irgendwas anders als früher (was sie wiederum unglücklich macht und damit falsch ist) oder alles wie früher und ärgern so die bösen Feminist_innen. Amanda Hess trug 2010 eine Reihe dieser Artikel zusammen.
Nun ist dieser Trend anscheinend in Deutschland angekommen. Passenderweise in der FAZ, die sich dabei tatsächlich nicht zu schade ist, auf die Times Bezug zu nehmen. Das Thema: Frauen, die auf dem Höhepunkt ihrer Karriere aus dem Hamsterrad ausbrechen und sich selbst verwirklichen. Dass es dazu keine Zahlen gibt, gibt der Artikel ebenfalls zu. Immerhin werden zwei Forscherinnen zitiert, die etwa zu „Karrierekorrekturen beruflich erfolgreicher Frauen in der Lebensmitte“ und der Motivation der „Aussteigerinnen“ arbeiten:
Die Frauen wollten ihre Interessen, Überzeugungen, Erfahrungen und Begabungen nunmehr in einem Umfeld der Sinnhaftigkeit und Wertschätzung zur Geltung bringen, außerhalb von großen unternehmerischen Strukturen.
Das nun, man glaubt es kaum, mache Feministinnen unglücklich. Schließlich hätten die Frauen immer dazu gedrängt, alle Karrierefrauen zu werden. So wenig Ahnung von Feminismen hatte zuletzt Kristina Schröder. Ihr, wie auch Autor¹ Inge Kloepfer, lege ich daher an dieser Stelle nahe, sich einmal mit Differenzfeminismus auseinanderzusetzen. Dazu ein Zitat von Antje Schrupp von 1997:
Immer mehr Frauen merken, daß das Platznehmen auf dem Chefsessel eben kein Selbstzweck ist, zumindest für diejenigen nicht, denen es um mehr geht, als um ein gefülltes Bankkonto und um die bloße unkritische Teilnahme an den früher rein männlichen Ritualen der Macht. Diese Rituale werden nicht davon besser, daß sich Frauen an ihnen beteiligen. Die Bilanz des Emanzipationismus lautet: Das kann’s doch nicht gewesen sein?
Schließlich sinkt der Feminist_innenkopf nur noch ermattet auf den Tisch, wenn Kloepfer in einem einzigen Satz Sexismus und Diskriminierung beschreibt – ohne diese Worte in den Mund zu nehmen. Stattdessen heißt es, Frauen spürten, dass ihr Weg besonders mühsam sei „weil sie nun einmal weiblich sind“. So, Frau Kloepfer, haben wir Feministinnen wirklich nicht gewettet. Etwas mehr Recherche sollte drin sein. Und dass wir im Jahre 2012 Sexismus auch endlich als solchen benennen.
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¹ Bezeichnung übernommen von der FAZ.
Was ist das denn für ein Blödsinn (den Artikel der FAZ meine ich). Die Autorin bemerkt darin doch selbst, dass „diese Neuorientierung nicht ausschließlich ein weibliches Phänomen [ist]“. Lässt das aber im Anschluss schön unter den Tisch fallen.
Und ohne jetzt jegliche empirischen Daten vorliegen zu haben wage ich mal zu behaupten, dass man hier wahrscheinlich gar keine Unterschiede zwischen „Männern“ und „Frauen“ konstruieren kann. Ich bin sicher, dass es mindestens genauso viele Männer gibt, die sich nach Jahren beruflichen Erfolgs für ein „Karriere-Opt-Out“ entscheiden. In „Brand Eins“ werden z.B. regelmäßig Gründer vorgestellt, die die erfolgreiche Banker/Manager/… Karriere aufgegeben und sich mit irgendwas selbständig gemacht haben. In vielen weiteren deutschen Mainstreammedien gibt es ebenfalls in schöner Regelmäßigkeit Beiträge über Männer, die „ausgestiegen“ sind.
Das hat m.E. überhaupt nichts mit Frau/Mann zu tun, sondern einfach damit, dass sich Menschen im Lauf ihres (Berufs)lebens weiterentwickeln und irgendwann Neues ausprobieren wollen oder das, „was ich schon immer machen wollte“ angehen möchten.
Entlarvend ist eher die Tatsache, wie stereotyp das dann dargestellt wird. Der Mann ist mutig, weil er sich etwas Neues traut, die Frau aber hat resigniert vor der harten männlichen Arbeitswelt.
Nach einer Umfrage von Accenture hegt nur jede vierte Frau Aufstiegswünsche, weil sie mit ihrer gegenwärtigen Berufssituation zufrieden sind. Nur knapp 28 Prozent der Frauen wollen ihre Karriere vorantreiben. Unter den Männern will das hingegen jeder zweite.
Accenture: “Reinvent Opportunity: Looking Through a New Lens”, 10. März 2011
Viel Spass beim interpretieren.
Susan Pinker, auch in der FAZ:
Mit Flexibilität und Arbeitszeitmodellen können Sie mehr Frauen für Führungsaufgaben begeistern. Aber Sie werden nie auf 50 Prozent kommen. Und die Frauen werden eher in kommunikativen Branchen aufsteigen als in der Metallindustrie.
Woher nehmen Sie das Wissen?
Studien haben gezeigt: Je fortgeschrittener die Emanzipation in einem Land ist, desto häufiger wählen Mädchen die klassischen Frauen-Fächer. Der Anteil weiblicher Physik-Studenten liegt in arabischen Staaten deutlich höher als in Westeuropa. Auch in Asien beweisen Frauen sich in Männer-Domänen. Bei uns dagegen machen sie, wozu sie Lust haben. Das ist eine Folge der Emanzipation, die so niemand erwartet hat!
Wenn die Chefetage weiterhin in Männerhand bleibt, warum sorgen Sie sich dann um die Jungen?
Wagemut und Kampfgeist verhelfen Männern zu spektakulären Erfolgen, aber auch zu Rekordzahlen bei Unfällen und Selbstmorden, bei Schulabbrechern und Arbeitslosen. Männer sind ganz oben und ganz unten, Frauen bewegen sich vorwiegend im Mittelfeld. Um die Ausreißer nach unten aber kümmert sich niemand. Für die interessiert sich niemand: Sie auch nicht, Sie fragen nur nach den Frauen.
@Franz: Nein. Sowohl hier, wie auch in anderen Ländern, gibt es Sterotype, was Frauenfächer sind. Manchmal ist Informatik als Frauenfach angesehen. Aber bezeichnend, dass in deinen Augen nur unsere Klischees die richtigen sind. Auf weitere Klischees wie Frauen und Männer hält so gottgegeben sind, bitte ich hier zu verzichten. Und dass sich um die Ausreißer nach unten niemand kümmert hat leider auch mit Männlichkeit und Patriarchat zu tun, stimmt auch nicht ganz, denn (gerade Frauen) kümmern sich sehr wohl – ist hier aber auch nicht Thema. Noch einmal: kein weiteres Derailing!
An dem FAZ-Artikel ist vieles ärgerlich: die Verallgemeinerungen (auf alle Frauen) bzw. die Spezifizierung (nur auf Frauen), das völlige Fehlverständnis „des“ Feminismus, die stereotypisierung, etc. Aber das wurde ja alles schon in Helgas Artikel hier geklärt.
Was aber bisher größtenteils unerwähnt bleibt, und was mich ziemlich aufregt: Sich selbstständig zu machen bzw. ein eigenes Unternehmen aufzubauen, bei dem frau selbst an der Spitze steht, wird da sehr unkritisch gleichgesetzt mit dem kompletten Ausstieg aus der Arbeitswelt und der Zurückbesinnung auf die Familie. Ich möchte hier keinesfalls behaupten, das eine sei besser oder schlechter als das andere… aber.
Und dann noch diese mehrmalige Hervorhebung, dass diese Frauen ausgerechnet am höchsten Punkt ihrer Karriere aussteigen. Viele Karrieren gehen nun mal stetig bergauf, da ist es dann völlig egal wann der Ausstieg stattfindet, er ist dann aus Prinzip immer am jeweils höchsten bis dahin ereichten Punkt. Was ist denn die Alternative? So lange den Aufstieg weiter vorantreiben bis es nicht mehr weiter geht, dann immer noch ein bisschen weiter drücken, bis die Karriere zusammenbricht, um dann nach dem Absturz auszusteigen und sagen zu können „Ich bin anders! Ich bin nicht am Höhepunkt meiner Karriere ausgestiegen!“?
Gerechterweise möchte ich auch sagen, dass ich den Artikel nicht nur schlecht finde. Wenn ich mir den ganzen oben erwähnten Quatsch weg denke, bleibt immer noch ein interessanter Kern übrig. Es ist schade, dass die FAZ es nicht schafft, den Text gleich auf diesen guten Kern zu optimieren und stattdessen etwas in die Welt setzt, über das frau sich erstmal aufregen muss.
@ Franz:
1. Accenture-Daten: Warum ist das denn so? Wollen drei Viertel der Frauen nicht aufsteigen oder ist der durch Diskriminierung und schlechte Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf Preis für einen Aufstieg für Frauen höher, sodass dies ihre Präferenzen ändert? Man weiß es nicht, zumindest ist es nicht aus dieser Studie erkennbar.
2. Ansonsten amüsiere ich mich sehr über einige Passagen, wie etwa „Studien haben gezeigt“ (aha, welche?) oder „Bei uns dagegen machen sie, wozu sie Lust haben“ (Gott bewahre, dass Frauen machen, wozu sie Lust haben. Und überhaupt: Heißt das im Gegenzug, in arabischen Ländern haben die Physikstudentinnen keine Lust, Informatik zu studieren? Werden sie etwa dazu gezwungen, vielleicht sogar von ihren fiesen Männern? )
3. „Männer sind ganz oben und ganz unten, Frauen bewegen sich vorwiegend im Mittelfeld.“ Wer sagt das? Ah, ich erinnere mich dunkel an so ne Studie von vor 20 Jahren, die mittlerweile sehr umstritten ist. Wie hieß die nochmal? (siehe Punkt 2a).
Uups, Ich meinte nat. Informatikstudentinnen…
Die FAZ ist ja lustig. Da werden der Umstieg in die Selbständigkeit und der Rückzug ins Private nahezu gleichgesetzt. Als ob es nur die vom Gatten bezahlte Boutique gäbe.
at franz
sie haben ganz recht dass in arabischen und in asiatischen mehr frauen informatik und co studieren doch aus einem ganz anderen grund. sie haben den totalen fehlschluss daraus geleitet….
ich habe einen asiatischen hintergrund und kann dass ziemlich gut erklären bei “uns“ gelten informatik, mathe, phiysik also die mint fächer weniger geschlechtsspezifisch.
frauen werden da zwar mehr dirskriminiert aber der bezug informatik=männlich fehlt.
bei uns gelten mint fächer als männlich welches bestimmt durch die frühere industrialisierung europas als frauen noch gar nichts wert waren geprägt ist. auch das strukturelle schulsystem ist in der westlichen welt viel älter. jungs wurden extra gefördert mädchen hat man weniger beigebracht da man keinen sinn erkannte auch mädchen zu fördern.
nun befindet sich die arabische und die asiatische welt in einem wirtschaftlichen aufbruch, schulsysteme werden aufgebaut und manifestieren sich in die gesellschaft (noch in vielen teilen der erde ist eine schule noch etwas unantastbares) die mint fächer besitzen obwohl frauen dort mehr diskriminiert werden kein gender. und ich hoffe dass das auch so bleibt.
sag einem mädchen dass sie zu dumm für mathe ist weil sie ein mädchen ist und es von der natur so bestimmt ist wird sie es glauben….
das is keine typische mädchen-reaktion sondern eine menschliche.
wer andorra von max frisch gelesen hat versteht dieses phänomen. wenn nicht dann empfehle ich dir diese lektüre mit dem tipp auf andri zu achten…