Was die US-Gesundheitsreform (nicht) leistet

Vor knapp zwei Wochen wurde die US-Gesundheitsreform mit Barack Obama’s Unterschrift in Kraft gesetzt. Eine so genannte Executive Order („Verfügung des Präsidenten“), die im Sinne des Hyde Amendments das Verbot bestätigte, Bundesmittel für Abtreibung zu nutzen, überzeugte wohl noch in letzter Minute einige reformkritische Abtreibungsgegner_innen, doch für das Paket zu stimmen. Die Entscheidung im US-Respräsentantenhaus war knapp: 219 zu 212 Stimmen für die Gesundheitsreform, sehr zum Ärger der Republikanischen Partei und auch einiger Demokrat_innen, die sich von Anfang an gegen die Reform stellten.

Laut MsMagazine werden ab 2014 jene 15 Millionen Amerikaner_innen Versicherungsschutz durch Medicaid (eine staatliche Vorsorge für die Ärmsten) bekommen, die weniger als 133% des offiziellen Armutslevels zur Verfügung haben. Nach und nach werden die im Gesetz formulierten Erneuerungen in Kraft treten, so dass künftig ca. 95% der Bevölkerung krankenversichert sein wird, ohne dass die aktuell noch existenten diskriminierenden Mechanismen greifen können.

So werden Arbeitgeber_innen mit mehr als 50 Angestellten dazu verpflichtet, ihren Arbeitnehmer_innen Versicherungsschutz bereitzustellen oder eine Strafe von $2.000 zu zahlen. Es wird Versicherungen untersagt, Verträge im Krankheitsfall der Versicherten zu kündigen und Bürger_innen mit so genannten pre-existing conditions (“Vorerkrankungen”) abzulehnen; dies gilt für Kinder schon ab diesem Jahr. Als „Vorerkrankungen“ zählen bei einigen Krankenversicherungen u.a. Vergewaltigung, Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen waren oder schon mal einen Kaiserschnitt hatten.

Wie die New York Times nach der Inkraftsetzung der Reform passend bemerktBeing a woman is no longer a pre-existing condition („Frau zu sein ist keine Vorerkrankung mehr“).

Von den Mängeln des aktuellen Gesundheitssystems in hohem Maße betroffen, profitieren insbesondere arme Frauen von den Erneuerungen: Frauen, die sich früher keine Versicherung leisten konnten, werden nun auf Grund des fast flächendeckenden Versicherungsschutzes Zugang zu Verhütungsmitteln haben. Darüber hinaus werden anfallende Kosten im Falle einer Schwangerschaft und Vorsorgeuntersuchen wie PAP-Abstriche und Mammographien von Medicaid und privaten Anbietern ohne Eigenanteile übernommen. Die Kostenübernahme bei Schwangerschaft ist bis dato nicht selbstverständlich. Besonders Frauen, die schwanger wurden und keine Krankenversicherung vorweisen konnten, hatten Mühe, eine (bezahlbare) Krankenversicherung zu finden, da Schwangerschaft bei manchen Versicherungen als „Vorerkrankung“ galt.

Ebenfalls wird das so genannte Gender Rating, wonach Frauen für manchen Versicherungsschutz mehr als Männer zahlen müssen, für Privatpersonen und Arbeitnehmer_innen abgeschafft, die in Betrieben unter 100 Personen arbeiten. Auch werden höher bezahlte Arbeitnehmer_innen innerhalb einer Firma nicht bevorzugt und erhalten keine besseren Gesundheitsleistungen als Arbeiter_innen in niedrig entlohnten Positionen – häufig Frauen und/oder people of color.

Die Gesundheitsreform beinhaltet aber auch einige unerfreuliche Regelungen: Wie im Eingangstext beschrieben, bleiben die Restriktionen zu Abtreibungen bestehen und grenzen somit insbesondere die reproduktiven Rechte von armen Frauen ein. Dazu schreibt Dana Goldstein auf TheDailyBeast:

An abortion can cost between $350 and $1,000—equal to several months of rent or groceries—so the price can be prohibitive. The result of unaffordable abortion is another mouth a working-class mother cannot afford to feed, house, or educate during a time of record unemployment. That’s the kind of „choice“ we have in America today—limited to those who can afford to pay.

(Zu deutsch: „Eine Abtreibung kann zwischen $350 und $1.000 kosten – soviel wie einige Monate Miete oder Lebensmittel – was eine Abtreibung unmöglich erscheinen lassen kann. Das Resultat ist noch ein Kind einer armen Frau, die es sich nicht leisten kann, dieses in Zeiten von Rekordarbeitslosigkeit zu füttern und ihm/ihr eine ordentliche Unterkunft oder Bildung zu bieten. Das ist die „Wahl‘, die wir hier in den USA haben – nur jenen vorbehalten, die es sich leisten können.“)

Zwar erlauben 17 Bundesstaaten hilfsbedürftigen Medicaid-Versicherten, Abtreibungen im Rahmen ihres Versicherungsschutzes durchzuführen, da die Gelder nicht aus Bundesmitteln, sondern in den einzelnen Bundesstaaten generiert werden. Die restlichen Bundesstaaten erlauben Schwangerschaftsabbrüche aber lediglich in Fällen von Lebensgefahr, Vergewaltigung oder Inzest. So können ökonomisch privilegierte Frauen in einen anderen Bundesstaat reisen, um teuer und privat eine Abtreibung vornehmen zu lassen, armen Frauen steht diese Option aber häufig gar nicht zur Verfügung.

Auch so genannte abstinence only-Programme können mit einem fetten Bonus rechnen: $250 Millionen gibt es für die umstrittenen Abstinenzprogramme, die Kindern und Jugendlichen Enthaltsamkeit bis zur Ehe lehren sollen, während nur lediglich $75 Millionen für umfassenden Sexualkundeunterricht ausgegeben werden soll. Ein Paradox: Verständliche Aufklärung zu Sex und Verhütung erhält in einem Land mit einer derart hohen Anzahl an (ungewollten) Teenagerschwangerschaften nicht annährend so viel finanzielle Unterstützung wie die vielen Abstinenz-Programme, die kaum etwas taugen.

2 Kommentare zu „Was die US-Gesundheitsreform (nicht) leistet

  1. Einige private Zusatzversicherungen sind übrigens auch in Deutschland für Frauen wesentlich teurer als für Männer.

  2. Das wollte ich auch grad schreiben. Fast alles, was an der Gesundheistsreform bemängelt wurde, könnte man auch gleichermaßen am deutschen Gesundheitssystem bemängeln.

    Im Gegenteil, durch diesen Text (viel genauer habe ich mich noch nicht mit der amerikanischen Reform beschäftigt) erhalte ich den Eindruck, diese Gesundheitsreform sei um einiges besser als das bestehende System in Deutschland.

Kommentare sind geschlossen.

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